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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die Opposition am Bundestage.
ihm Wangenheim von Baierns großer Zukunft, von der Führung des
reinen Deutschlands sprach, und betheiligte sich behutsam an dem kleinen
Kriege wider die Großmächte. In seiner naiven Unkenntniß der deutschen
Dinge war der Holländer Grünne völlig wehrlos gegen die Redekünste des
Württembergers. Selbst Carlowitz, ein gutmüthiger Herr aus der schwer-
fälligen, formenseligen alten kursächsischen Beamtenschule, ließ sich bezau-
bern, und dem Hannoveraner Hammerstein, der seine Nächte am Spiel-
tisch zu verbringen pflegte, war es ein frivoler Spaß, den Frieden des
Bundestags gelegentlich durch kecken Widerspruch zu stören.

Wangenheim's redlicher Eifer für die constitutionelle Freiheit führte
auch den klugen Bremer Smidt, der sich nur ungern mit dem Hause Oester-
reich überwarf, unterweilen in das Lager der Opposition hinüber; und zu
dieser buntgemischten Gesellschaft gesellte sich anfangs noch als zweideutiger
Genosse das jüngste Mitglied des Bundestags, der Badener Blittersdorff
-- neben Smidt sicherlich der beste politische Kopf der Versammlung, aber
ein ganz unlauterer Charakter, der durch niedrige Gesinnung und maß-
losen Ehrgeiz die Früchte einer reichen Begabung sich selbst verdarb.
Wie viele Wandlungen hatte der Dreißigjährige am Ende des Jahres
1822 schon durchlaufen! Als Geschäftsträger in Petersburg hatte er die
dynastischen Ansprüche seines Fürstenhauses geschickt vertreten und war
nebenbei auch dem Russen, wenn sie gar zu anmaßlich über Deutschland
absprachen, scharf entgegengetreten; dann ward er, zur Zeit der Wiener
Conferenzen, der eifrigste jener Ultras, welche die neuen Landesverfassungen
durch Bundesbeschlüsse zerstören wollten; nachher schlug er wieder um
und schwelgte, etwa anderthalb Jahre lang, in Triasträumen, bis er end-
lich im Herbst 1822 jene Reise nach Wien unternahm und, nunmehr für
immer, in das reaktionäre, österreichische Lager überging. Ein Sohn der
katholischen Ritterschaft des Breisgaues hoffte er von Haus aus, entweder
mit Oesterreichs Hilfe einen badischen Ministerposten oder, noch willkom-
mener, eine hohe Stellung im k. k. Dienste zu erlangen; Metternich's
ängstliche Politik wußte aber nichts anzufangen mit diesem unruhigen
Pläneschmied, der sich an seine Weisungen selten band und gegebenenfalls
selbst vor radikalen Entwürfen nicht zurückgeschreckt wäre.

Von kleinlichem Partikularismus war nichts in ihm. Ueber die
Stürme im Wasserglase des Karlsruher Landtags urtheilte er mit einer
hochmüthigen Verachtung, die von den badischen Liberalen noch weit schmerz-
licher empfunden wurde als seine reaktionäre Gesinnung; und wenn er
gelegentlich äußerte, die Bundesverfassung sei ein fortwährender Protest
gegen die Unterdrückung der Kleinen, oder auch: die Nationalität sei das
höchste Gut der Kleinstaaten, das sie niemals fremdem Einflusse opfern
dürften -- so waren das nur paradoxe Einfälle, die er selber nicht ernst
meinte. Seine Hoffnung blieb eine starke, die Einzelstaaten meisternde
Bundesgewalt. Nur der ruhelose Thatendrang, nur die Lust sein Licht

Die Oppoſition am Bundestage.
ihm Wangenheim von Baierns großer Zukunft, von der Führung des
reinen Deutſchlands ſprach, und betheiligte ſich behutſam an dem kleinen
Kriege wider die Großmächte. In ſeiner naiven Unkenntniß der deutſchen
Dinge war der Holländer Grünne völlig wehrlos gegen die Redekünſte des
Württembergers. Selbſt Carlowitz, ein gutmüthiger Herr aus der ſchwer-
fälligen, formenſeligen alten kurſächſiſchen Beamtenſchule, ließ ſich bezau-
bern, und dem Hannoveraner Hammerſtein, der ſeine Nächte am Spiel-
tiſch zu verbringen pflegte, war es ein frivoler Spaß, den Frieden des
Bundestags gelegentlich durch kecken Widerſpruch zu ſtören.

Wangenheim’s redlicher Eifer für die conſtitutionelle Freiheit führte
auch den klugen Bremer Smidt, der ſich nur ungern mit dem Hauſe Oeſter-
reich überwarf, unterweilen in das Lager der Oppoſition hinüber; und zu
dieſer buntgemiſchten Geſellſchaft geſellte ſich anfangs noch als zweideutiger
Genoſſe das jüngſte Mitglied des Bundestags, der Badener Blittersdorff
— neben Smidt ſicherlich der beſte politiſche Kopf der Verſammlung, aber
ein ganz unlauterer Charakter, der durch niedrige Geſinnung und maß-
loſen Ehrgeiz die Früchte einer reichen Begabung ſich ſelbſt verdarb.
Wie viele Wandlungen hatte der Dreißigjährige am Ende des Jahres
1822 ſchon durchlaufen! Als Geſchäftsträger in Petersburg hatte er die
dynaſtiſchen Anſprüche ſeines Fürſtenhauſes geſchickt vertreten und war
nebenbei auch dem Ruſſen, wenn ſie gar zu anmaßlich über Deutſchland
abſprachen, ſcharf entgegengetreten; dann ward er, zur Zeit der Wiener
Conferenzen, der eifrigſte jener Ultras, welche die neuen Landesverfaſſungen
durch Bundesbeſchlüſſe zerſtören wollten; nachher ſchlug er wieder um
und ſchwelgte, etwa anderthalb Jahre lang, in Triasträumen, bis er end-
lich im Herbſt 1822 jene Reiſe nach Wien unternahm und, nunmehr für
immer, in das reaktionäre, öſterreichiſche Lager überging. Ein Sohn der
katholiſchen Ritterſchaft des Breisgaues hoffte er von Haus aus, entweder
mit Oeſterreichs Hilfe einen badiſchen Miniſterpoſten oder, noch willkom-
mener, eine hohe Stellung im k. k. Dienſte zu erlangen; Metternich’s
ängſtliche Politik wußte aber nichts anzufangen mit dieſem unruhigen
Pläneſchmied, der ſich an ſeine Weiſungen ſelten band und gegebenenfalls
ſelbſt vor radikalen Entwürfen nicht zurückgeſchreckt wäre.

Von kleinlichem Partikularismus war nichts in ihm. Ueber die
Stürme im Waſſerglaſe des Karlsruher Landtags urtheilte er mit einer
hochmüthigen Verachtung, die von den badiſchen Liberalen noch weit ſchmerz-
licher empfunden wurde als ſeine reaktionäre Geſinnung; und wenn er
gelegentlich äußerte, die Bundesverfaſſung ſei ein fortwährender Proteſt
gegen die Unterdrückung der Kleinen, oder auch: die Nationalität ſei das
höchſte Gut der Kleinſtaaten, das ſie niemals fremdem Einfluſſe opfern
dürften — ſo waren das nur paradoxe Einfälle, die er ſelber nicht ernſt
meinte. Seine Hoffnung blieb eine ſtarke, die Einzelſtaaten meiſternde
Bundesgewalt. Nur der ruheloſe Thatendrang, nur die Luſt ſein Licht

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[287/0303] Die Oppoſition am Bundestage. ihm Wangenheim von Baierns großer Zukunft, von der Führung des reinen Deutſchlands ſprach, und betheiligte ſich behutſam an dem kleinen Kriege wider die Großmächte. In ſeiner naiven Unkenntniß der deutſchen Dinge war der Holländer Grünne völlig wehrlos gegen die Redekünſte des Württembergers. Selbſt Carlowitz, ein gutmüthiger Herr aus der ſchwer- fälligen, formenſeligen alten kurſächſiſchen Beamtenſchule, ließ ſich bezau- bern, und dem Hannoveraner Hammerſtein, der ſeine Nächte am Spiel- tiſch zu verbringen pflegte, war es ein frivoler Spaß, den Frieden des Bundestags gelegentlich durch kecken Widerſpruch zu ſtören. Wangenheim’s redlicher Eifer für die conſtitutionelle Freiheit führte auch den klugen Bremer Smidt, der ſich nur ungern mit dem Hauſe Oeſter- reich überwarf, unterweilen in das Lager der Oppoſition hinüber; und zu dieſer buntgemiſchten Geſellſchaft geſellte ſich anfangs noch als zweideutiger Genoſſe das jüngſte Mitglied des Bundestags, der Badener Blittersdorff — neben Smidt ſicherlich der beſte politiſche Kopf der Verſammlung, aber ein ganz unlauterer Charakter, der durch niedrige Geſinnung und maß- loſen Ehrgeiz die Früchte einer reichen Begabung ſich ſelbſt verdarb. Wie viele Wandlungen hatte der Dreißigjährige am Ende des Jahres 1822 ſchon durchlaufen! Als Geſchäftsträger in Petersburg hatte er die dynaſtiſchen Anſprüche ſeines Fürſtenhauſes geſchickt vertreten und war nebenbei auch dem Ruſſen, wenn ſie gar zu anmaßlich über Deutſchland abſprachen, ſcharf entgegengetreten; dann ward er, zur Zeit der Wiener Conferenzen, der eifrigſte jener Ultras, welche die neuen Landesverfaſſungen durch Bundesbeſchlüſſe zerſtören wollten; nachher ſchlug er wieder um und ſchwelgte, etwa anderthalb Jahre lang, in Triasträumen, bis er end- lich im Herbſt 1822 jene Reiſe nach Wien unternahm und, nunmehr für immer, in das reaktionäre, öſterreichiſche Lager überging. Ein Sohn der katholiſchen Ritterſchaft des Breisgaues hoffte er von Haus aus, entweder mit Oeſterreichs Hilfe einen badiſchen Miniſterpoſten oder, noch willkom- mener, eine hohe Stellung im k. k. Dienſte zu erlangen; Metternich’s ängſtliche Politik wußte aber nichts anzufangen mit dieſem unruhigen Pläneſchmied, der ſich an ſeine Weiſungen ſelten band und gegebenenfalls ſelbſt vor radikalen Entwürfen nicht zurückgeſchreckt wäre. Von kleinlichem Partikularismus war nichts in ihm. Ueber die Stürme im Waſſerglaſe des Karlsruher Landtags urtheilte er mit einer hochmüthigen Verachtung, die von den badiſchen Liberalen noch weit ſchmerz- licher empfunden wurde als ſeine reaktionäre Geſinnung; und wenn er gelegentlich äußerte, die Bundesverfaſſung ſei ein fortwährender Proteſt gegen die Unterdrückung der Kleinen, oder auch: die Nationalität ſei das höchſte Gut der Kleinſtaaten, das ſie niemals fremdem Einfluſſe opfern dürften — ſo waren das nur paradoxe Einfälle, die er ſelber nicht ernſt meinte. Seine Hoffnung blieb eine ſtarke, die Einzelſtaaten meiſternde Bundesgewalt. Nur der ruheloſe Thatendrang, nur die Luſt ſein Licht

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/303>, abgerufen am 22.11.2024.