zu verstärken? würden dort "diese fremden Truppen immer mit der gleichen Aufmerksamkeit, Schonung und Liebe behandelt werden", wie die Soldaten des neunten Corps selber? So ging es weiter, ein endloser, heilloser Streit, der die Thatkraft der Militärcommission so vollständig in Anspruch nahm, daß in den Jahren 1822--30 kein irgend nennenswerther Be- schluß über die Organisation des Bundesheeres mehr zu Stande kam. Erst als durch die Pariser Julirevolution die Gefahr eines französischen Krieges näher gerückt ward, ermannte sich der Bundestag am 9. Dec. 1830 zu dem verständigen Beschlusse, die allerkleinsten Contingente, von Weimar abwärts, zu einer für den Festungsdienst bestimmten Reserve-Infanterie- division zu vereinigen; freilich blieb es sehr zweifelhaft, ob die Bücke- burger und die Reußen im Kriegsfalle rechtzeitig in die rheinischen Festungen gelangen würden.
Von gemeinsamen Truppenübungen, von irgend einer festeren Ver- bindung zwischen den Contingenten der Armeecorps war in Friedenszeiten gar nicht die Rede; nur die Staaten des achten Armeecorps trafen einige, ganz ungenügende, Verabredungen über gleichmäßige Bewaffnung sowie über die Ernennung des commandirenden Generals -- natürlich nicht ohne mannichfachen Streit, denn es währte lange, bis Württemberg und Baden sich herbeiließen "die schwächste Macht", Darmstadt als gleich- berechtigt anzuerkennen.*) Ein Cartell für wechselseitige Auslieferung der Fahnenflüchtigen war verheißen; doch die Abstimmung dauerte fünf Jahre, von 1820--25; dann blieb wieder Alles liegen, bis endlich im Jahre 1831 ein Beschluß zu Stande kam, der aber so mangelhaft ausfiel, daß die Zweifel und Beschwerden kein Ende nahmen. Ueber die Verpflegung des Bundesheeres konnte man sich während eines vollen Menschenalters nicht einigen. Die deutschen Fürsten besaßen nunmehr eine Kriegsherrlichkeit, wie sie ihnen so unbeschränkt noch niemals zugestanden hatte, und unter- stützt durch ihre haushälterischen Landtage mißbrauchten sie dies Recht zu übermäßigen Beurlaubungen, welche manches Contingent fast bis zur Kriegstüchtigkeit eines Milizheeres herunterbrachten. Von den geworbenen Söldnern der Hansestädte bis zu Preußens allgemeiner Wehrpflicht war fast jedes erdenkliche System der Heeresorganisation im Deutschen Bunde vertreten.
Nach den gewaltigen Wandlungen, welche das Kriegswesen in den napoleonischen Zeiten erfahren hatte, waren die kleinen Contingente des Bundesheeres fast ebenso unbrauchbar wie weiland die Reichsarmee des 18. Jahrhunderts und auch in ihrer äußeren Erscheinung fast ebenso lächerlich. Der einfache militärische Grundsatz, der eine möglichst gleich- mäßige Bekleidung der Waffengenossen gebot, wurde geradezu auf den Kopf gestellt. Jeder kleine Kriegsherr suchte "die Nationalität" seiner
*) Blittersdorff's Berichte, 29. Nov. 1821 ff.
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
zu verſtärken? würden dort „dieſe fremden Truppen immer mit der gleichen Aufmerkſamkeit, Schonung und Liebe behandelt werden“, wie die Soldaten des neunten Corps ſelber? So ging es weiter, ein endloſer, heilloſer Streit, der die Thatkraft der Militärcommiſſion ſo vollſtändig in Anſpruch nahm, daß in den Jahren 1822—30 kein irgend nennenswerther Be- ſchluß über die Organiſation des Bundesheeres mehr zu Stande kam. Erſt als durch die Pariſer Julirevolution die Gefahr eines franzöſiſchen Krieges näher gerückt ward, ermannte ſich der Bundestag am 9. Dec. 1830 zu dem verſtändigen Beſchluſſe, die allerkleinſten Contingente, von Weimar abwärts, zu einer für den Feſtungsdienſt beſtimmten Reſerve-Infanterie- diviſion zu vereinigen; freilich blieb es ſehr zweifelhaft, ob die Bücke- burger und die Reußen im Kriegsfalle rechtzeitig in die rheiniſchen Feſtungen gelangen würden.
Von gemeinſamen Truppenübungen, von irgend einer feſteren Ver- bindung zwiſchen den Contingenten der Armeecorps war in Friedenszeiten gar nicht die Rede; nur die Staaten des achten Armeecorps trafen einige, ganz ungenügende, Verabredungen über gleichmäßige Bewaffnung ſowie über die Ernennung des commandirenden Generals — natürlich nicht ohne mannichfachen Streit, denn es währte lange, bis Württemberg und Baden ſich herbeiließen „die ſchwächſte Macht“, Darmſtadt als gleich- berechtigt anzuerkennen.*) Ein Cartell für wechſelſeitige Auslieferung der Fahnenflüchtigen war verheißen; doch die Abſtimmung dauerte fünf Jahre, von 1820—25; dann blieb wieder Alles liegen, bis endlich im Jahre 1831 ein Beſchluß zu Stande kam, der aber ſo mangelhaft ausfiel, daß die Zweifel und Beſchwerden kein Ende nahmen. Ueber die Verpflegung des Bundesheeres konnte man ſich während eines vollen Menſchenalters nicht einigen. Die deutſchen Fürſten beſaßen nunmehr eine Kriegsherrlichkeit, wie ſie ihnen ſo unbeſchränkt noch niemals zugeſtanden hatte, und unter- ſtützt durch ihre haushälteriſchen Landtage mißbrauchten ſie dies Recht zu übermäßigen Beurlaubungen, welche manches Contingent faſt bis zur Kriegstüchtigkeit eines Milizheeres herunterbrachten. Von den geworbenen Söldnern der Hanſeſtädte bis zu Preußens allgemeiner Wehrpflicht war faſt jedes erdenkliche Syſtem der Heeresorganiſation im Deutſchen Bunde vertreten.
Nach den gewaltigen Wandlungen, welche das Kriegsweſen in den napoleoniſchen Zeiten erfahren hatte, waren die kleinen Contingente des Bundesheeres faſt ebenſo unbrauchbar wie weiland die Reichsarmee des 18. Jahrhunderts und auch in ihrer äußeren Erſcheinung faſt ebenſo lächerlich. Der einfache militäriſche Grundſatz, der eine möglichſt gleich- mäßige Bekleidung der Waffengenoſſen gebot, wurde geradezu auf den Kopf geſtellt. Jeder kleine Kriegsherr ſuchte „die Nationalität“ ſeiner
*) Blittersdorff’s Berichte, 29. Nov. 1821 ff.
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III. 5. Die Großmächte und die Trias.
zu verſtärken? würden dort „dieſe fremden Truppen immer mit der gleichen
Aufmerkſamkeit, Schonung und Liebe behandelt werden“, wie die Soldaten
des neunten Corps ſelber? So ging es weiter, ein endloſer, heilloſer
Streit, der die Thatkraft der Militärcommiſſion ſo vollſtändig in Anſpruch
nahm, daß in den Jahren 1822—30 kein irgend nennenswerther Be-
ſchluß über die Organiſation des Bundesheeres mehr zu Stande kam.
Erſt als durch die Pariſer Julirevolution die Gefahr eines franzöſiſchen
Krieges näher gerückt ward, ermannte ſich der Bundestag am 9. Dec. 1830
zu dem verſtändigen Beſchluſſe, die allerkleinſten Contingente, von Weimar
abwärts, zu einer für den Feſtungsdienſt beſtimmten Reſerve-Infanterie-
diviſion zu vereinigen; freilich blieb es ſehr zweifelhaft, ob die Bücke-
burger und die Reußen im Kriegsfalle rechtzeitig in die rheiniſchen Feſtungen
gelangen würden.
Von gemeinſamen Truppenübungen, von irgend einer feſteren Ver-
bindung zwiſchen den Contingenten der Armeecorps war in Friedenszeiten
gar nicht die Rede; nur die Staaten des achten Armeecorps trafen einige,
ganz ungenügende, Verabredungen über gleichmäßige Bewaffnung ſowie
über die Ernennung des commandirenden Generals — natürlich nicht
ohne mannichfachen Streit, denn es währte lange, bis Württemberg und
Baden ſich herbeiließen „die ſchwächſte Macht“, Darmſtadt als gleich-
berechtigt anzuerkennen. *) Ein Cartell für wechſelſeitige Auslieferung der
Fahnenflüchtigen war verheißen; doch die Abſtimmung dauerte fünf Jahre,
von 1820—25; dann blieb wieder Alles liegen, bis endlich im Jahre 1831
ein Beſchluß zu Stande kam, der aber ſo mangelhaft ausfiel, daß die
Zweifel und Beſchwerden kein Ende nahmen. Ueber die Verpflegung des
Bundesheeres konnte man ſich während eines vollen Menſchenalters nicht
einigen. Die deutſchen Fürſten beſaßen nunmehr eine Kriegsherrlichkeit,
wie ſie ihnen ſo unbeſchränkt noch niemals zugeſtanden hatte, und unter-
ſtützt durch ihre haushälteriſchen Landtage mißbrauchten ſie dies Recht zu
übermäßigen Beurlaubungen, welche manches Contingent faſt bis zur
Kriegstüchtigkeit eines Milizheeres herunterbrachten. Von den geworbenen
Söldnern der Hanſeſtädte bis zu Preußens allgemeiner Wehrpflicht war
faſt jedes erdenkliche Syſtem der Heeresorganiſation im Deutſchen Bunde
vertreten.
Nach den gewaltigen Wandlungen, welche das Kriegsweſen in den
napoleoniſchen Zeiten erfahren hatte, waren die kleinen Contingente des
Bundesheeres faſt ebenſo unbrauchbar wie weiland die Reichsarmee des
18. Jahrhunderts und auch in ihrer äußeren Erſcheinung faſt ebenſo
lächerlich. Der einfache militäriſche Grundſatz, der eine möglichſt gleich-
mäßige Bekleidung der Waffengenoſſen gebot, wurde geradezu auf den
Kopf geſtellt. Jeder kleine Kriegsherr ſuchte „die Nationalität“ ſeiner
*) Blittersdorff’s Berichte, 29. Nov. 1821 ff.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/310>, abgerufen am 22.11.2024.
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