Versuchen, Vorbereitungen und Einleitungen sich aussprechenden politischen Treibens zu schreiben und den Grad der Gewißheit der Thatsachen nach den Grundsätzen des historischen Glaubens, nach ihrer eigenen subjectiven Ueberzeugung zu bemessen." Nach dieser subjectiven Ueberzeugung hatte sie denn auch ein wundersames Gemisch von Wahrheit und Dichtung, von Thatsachen, Vermuthungen, Gerüchten zusammengestellt, das über die entscheidenden Fragen gar keinen Aufschluß gab; sie gestand selber zu, daß Leutnant Schulz's Frag- und Antwortbüchlein "beinahe die einzige in unseren Akten vorgekommene positive Handlung" sei, und beklagte tief die allerdings ungerechte Freisprechung dieses Missethäters.
Mit einem solchen Berichte vor die Nation zu treten wollte Blitters- dorff doch nicht wagen. Er fürchtete nicht den Unwillen der öffentlichen Meinung, wohl aber den Zorn der preußischen Regierung: was würde man in Berlin sagen, wenn ein amtlicher Bericht des Bundestags die Geschichte der Jahre 1806--1815 im Geiste der napoleonischen Geheim- polizei schilderte! Der Badener schob also die gefährliche Berichterstattung hinaus, und die schwarze Commission ward aufgelöst, ohne daß die Nation die ihr so oft verheißenen Enthüllungen erhielt. Nach langen Jahren erst, 1831, entledigte sich Blittersdorff seines Auftrags, und der Auszug, den er nunmehr aus den Mainzer Akten gab, war durchaus parteiisch und frivol; er verschwieg absichtlich manche mildernde Umstände, die zu Gunsten der Demagogen angeführt waren, freilich auch Vieles was in Berlin Aergerniß erregen konnte. Jetzt aber waren endlich alle deutschen Regierungen, mit Ausnahme der unverwüstlichen Hofburg, des alten schmutzigen Handels müde geworden. Preußen hatte soeben den Beschluß durchgesetzt, daß die Namen hoher Beamten in den Untersuchungsberichten nicht erwähnt werden dürften, und als sodann über die Veröffentlichung der Arbeit Blittersdorff's Instruktionen eingeholt wurden, da erfolgte keine Ant- wort. Die meisten der Höfe schwiegen aus Scham, einige wohl nur aus löblicher Bundesgewohnheit. So endete jene Commission, welche Metter- nich einst seinen Karlsbader Genossen zur Rettung Deutschlands empfohlen hatte. Nur die Unglücklichen, welche auf eine Anzeige aus Mainz in den Kerker gewandert waren, wußten unter der Hand Einiges von der Wirk- samkeit der unheimlichen Behörde zu erzählen. Der ganze Umfang ihres lichtscheuen Treibens wurde dem deutschen Volke erst im Jahre 1860 durch Ilse's Aktenauszüge bekannt. --
Dergestalt war nach und nach alles Leben aus dem Bunde entwichen, und mit gerechter Befriedigung horchte Metternich zuweilen auf die tiefen Athemzüge des friedlich schlummernden Bundestags. Was konnte die Hofburg von den Deutschen draußen im Reich Besseres erwarten? Hatte sie es doch nicht einmal der Mühe werth gehalten, auch nur die Bundesakte in ihren deutschen Kronländern zu veröffentlichen. Unter den preußischen Offizieren und Staatsmännern aber hörte man schon wieder häufig, wie
III. 5. Die Großmächte und die Trias.
Verſuchen, Vorbereitungen und Einleitungen ſich ausſprechenden politiſchen Treibens zu ſchreiben und den Grad der Gewißheit der Thatſachen nach den Grundſätzen des hiſtoriſchen Glaubens, nach ihrer eigenen ſubjectiven Ueberzeugung zu bemeſſen.“ Nach dieſer ſubjectiven Ueberzeugung hatte ſie denn auch ein wunderſames Gemiſch von Wahrheit und Dichtung, von Thatſachen, Vermuthungen, Gerüchten zuſammengeſtellt, das über die entſcheidenden Fragen gar keinen Aufſchluß gab; ſie geſtand ſelber zu, daß Leutnant Schulz’s Frag- und Antwortbüchlein „beinahe die einzige in unſeren Akten vorgekommene poſitive Handlung“ ſei, und beklagte tief die allerdings ungerechte Freiſprechung dieſes Miſſethäters.
Mit einem ſolchen Berichte vor die Nation zu treten wollte Blitters- dorff doch nicht wagen. Er fürchtete nicht den Unwillen der öffentlichen Meinung, wohl aber den Zorn der preußiſchen Regierung: was würde man in Berlin ſagen, wenn ein amtlicher Bericht des Bundestags die Geſchichte der Jahre 1806—1815 im Geiſte der napoleoniſchen Geheim- polizei ſchilderte! Der Badener ſchob alſo die gefährliche Berichterſtattung hinaus, und die ſchwarze Commiſſion ward aufgelöſt, ohne daß die Nation die ihr ſo oft verheißenen Enthüllungen erhielt. Nach langen Jahren erſt, 1831, entledigte ſich Blittersdorff ſeines Auftrags, und der Auszug, den er nunmehr aus den Mainzer Akten gab, war durchaus parteiiſch und frivol; er verſchwieg abſichtlich manche mildernde Umſtände, die zu Gunſten der Demagogen angeführt waren, freilich auch Vieles was in Berlin Aergerniß erregen konnte. Jetzt aber waren endlich alle deutſchen Regierungen, mit Ausnahme der unverwüſtlichen Hofburg, des alten ſchmutzigen Handels müde geworden. Preußen hatte ſoeben den Beſchluß durchgeſetzt, daß die Namen hoher Beamten in den Unterſuchungsberichten nicht erwähnt werden dürften, und als ſodann über die Veröffentlichung der Arbeit Blittersdorff’s Inſtruktionen eingeholt wurden, da erfolgte keine Ant- wort. Die meiſten der Höfe ſchwiegen aus Scham, einige wohl nur aus löblicher Bundesgewohnheit. So endete jene Commiſſion, welche Metter- nich einſt ſeinen Karlsbader Genoſſen zur Rettung Deutſchlands empfohlen hatte. Nur die Unglücklichen, welche auf eine Anzeige aus Mainz in den Kerker gewandert waren, wußten unter der Hand Einiges von der Wirk- ſamkeit der unheimlichen Behörde zu erzählen. Der ganze Umfang ihres lichtſcheuen Treibens wurde dem deutſchen Volke erſt im Jahre 1860 durch Ilſe’s Aktenauszüge bekannt. —
Dergeſtalt war nach und nach alles Leben aus dem Bunde entwichen, und mit gerechter Befriedigung horchte Metternich zuweilen auf die tiefen Athemzüge des friedlich ſchlummernden Bundestags. Was konnte die Hofburg von den Deutſchen draußen im Reich Beſſeres erwarten? Hatte ſie es doch nicht einmal der Mühe werth gehalten, auch nur die Bundesakte in ihren deutſchen Kronländern zu veröffentlichen. Unter den preußiſchen Offizieren und Staatsmännern aber hörte man ſchon wieder häufig, wie
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Verſuchen, Vorbereitungen und Einleitungen ſich ausſprechenden politiſchen
Treibens zu ſchreiben und den Grad der Gewißheit der Thatſachen nach
den Grundſätzen des hiſtoriſchen Glaubens, nach ihrer eigenen ſubjectiven
Ueberzeugung zu bemeſſen.“ Nach dieſer ſubjectiven Ueberzeugung hatte
ſie denn auch ein wunderſames Gemiſch von Wahrheit und Dichtung,
von Thatſachen, Vermuthungen, Gerüchten zuſammengeſtellt, das über die
entſcheidenden Fragen gar keinen Aufſchluß gab; ſie geſtand ſelber zu, daß
Leutnant Schulz’s Frag- und Antwortbüchlein „beinahe die einzige in
unſeren Akten vorgekommene poſitive Handlung“ ſei, und beklagte tief die
allerdings ungerechte Freiſprechung dieſes Miſſethäters.
Mit einem ſolchen Berichte vor die Nation zu treten wollte Blitters-
dorff doch nicht wagen. Er fürchtete nicht den Unwillen der öffentlichen
Meinung, wohl aber den Zorn der preußiſchen Regierung: was würde
man in Berlin ſagen, wenn ein amtlicher Bericht des Bundestags die
Geſchichte der Jahre 1806—1815 im Geiſte der napoleoniſchen Geheim-
polizei ſchilderte! Der Badener ſchob alſo die gefährliche Berichterſtattung
hinaus, und die ſchwarze Commiſſion ward aufgelöſt, ohne daß die Nation
die ihr ſo oft verheißenen Enthüllungen erhielt. Nach langen Jahren erſt,
1831, entledigte ſich Blittersdorff ſeines Auftrags, und der Auszug, den er
nunmehr aus den Mainzer Akten gab, war durchaus parteiiſch und frivol;
er verſchwieg abſichtlich manche mildernde Umſtände, die zu Gunſten der
Demagogen angeführt waren, freilich auch Vieles was in Berlin Aergerniß
erregen konnte. Jetzt aber waren endlich alle deutſchen Regierungen, mit
Ausnahme der unverwüſtlichen Hofburg, des alten ſchmutzigen Handels
müde geworden. Preußen hatte ſoeben den Beſchluß durchgeſetzt, daß die
Namen hoher Beamten in den Unterſuchungsberichten nicht erwähnt
werden dürften, und als ſodann über die Veröffentlichung der Arbeit
Blittersdorff’s Inſtruktionen eingeholt wurden, da erfolgte keine Ant-
wort. Die meiſten der Höfe ſchwiegen aus Scham, einige wohl nur aus
löblicher Bundesgewohnheit. So endete jene Commiſſion, welche Metter-
nich einſt ſeinen Karlsbader Genoſſen zur Rettung Deutſchlands empfohlen
hatte. Nur die Unglücklichen, welche auf eine Anzeige aus Mainz in den
Kerker gewandert waren, wußten unter der Hand Einiges von der Wirk-
ſamkeit der unheimlichen Behörde zu erzählen. Der ganze Umfang ihres
lichtſcheuen Treibens wurde dem deutſchen Volke erſt im Jahre 1860 durch
Ilſe’s Aktenauszüge bekannt. —
Dergeſtalt war nach und nach alles Leben aus dem Bunde entwichen,
und mit gerechter Befriedigung horchte Metternich zuweilen auf die tiefen
Athemzüge des friedlich ſchlummernden Bundestags. Was konnte die
Hofburg von den Deutſchen draußen im Reich Beſſeres erwarten? Hatte
ſie es doch nicht einmal der Mühe werth gehalten, auch nur die Bundesakte
in ihren deutſchen Kronländern zu veröffentlichen. Unter den preußiſchen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/362>, abgerufen am 24.11.2024.
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