wie oft einst Eberhard im Bart, der Stifter der Universität, bei seinem alten Lehrer Nauclerus im Kanzlerhause neben der Stiftskirche Herberge genommen hatte um mit seinen Professoren in guter Freundschaft zu zechen und zu disputiren; und jetzt ward der ehrwürdigen Hochschule durch einen Nachkommen ihres Stifters und seinen Rath Maucler sogar das uralte Recht, Rector und Decane selbst zu wählen, mißtrauisch entzogen. Deutsch- lands gesammte gelehrte Welt fühlte sich beleidigt, und Schelling sendete in seine alte Heimath die bitteren Verse:
Vindice Nauclero quondam fundata Tubinga, Judice Mauclero perdita tota jacet.
Minder gehässig zeigte sich die Reaction in Darmstadt. Der fried- fertige Geist, der über den Anfängen des hessischen Verfassungslebens ge- waltet, war noch nicht gänzlich verflogen; selbst in diesen müden Jahren brachte der Landtag noch einige heilsame Reformen, vornehmlich die Auf- hebung des Zehnten zu Stande. Aber die ungetrübte Eintracht früherer Tage bestand auch hier nicht mehr. Wie anders klang jetzt die Sprache vom Ministertische! Wenn die Abgeordneten zu der dürftigen Uebersicht des Staatshaushalts, die ihnen allein vorgelegt wurde, einige Erläuterungen verlangten, dann gab man ihnen vertraulich zu verstehen: weitere For- derungen könnten leicht den Bestand der Verfassung selber gefährden. Unbequemer Oppositionsmitglieder entledigte man sich durch offenbare Willkür. Vor den Wahlen von 1826 bereiste der Minister Grolmann selbst das Land um die Wähler zu bearbeiten. Als E. E. Hoffmann, der lauteste und rührigste Parteigänger der Liberalen, sich dawider zur Wehre setzte und die Hessen aufforderte, nur unabhängigen Männern ihre Stimmen zu geben, da ließ ihn die Regierung wegen indirekter Majestäts- beleidigung anklagen, und erst drei Jahre später konnte er, vollständig freige- sprochen, in die Kammer eintreten. Der wohlmeinende Minister, den man vor Kurzem noch als den Vater der Verfassung gepriesen, wurde jetzt, nicht ohne eigene Schuld, verdächtigt und befehdet; er rieb sich auf in dem kleinen Aerger der Landtagshändel und starb schon in der Blüthe seiner Jahre.
Wie unschuldig erschien das Alles neben den Saturnalien der Re- aktion, welche in Baden spielten. Nicht umsonst hatte Blittersdorff in jener Johannisberger Denkschrift die Drohung ausgesprochen: die Re- gierungen seien allzu lange in der Vertheidigung geblieben, es werde Zeit zum Angriff vorzugehen. Seit der Landtag von 1823 so ungnädig entlassen worden, setzte die reaktionäre Partei alle Hebel ein um die Ver- fassung aus den Angeln zu heben. Auf einen Glückwunsch des Peters- burger Hofs sprach Berstett seinen überschwänglichen Dank aus für das schmeichelhafte Zeugniß, das der Kaiser den schwachen Bemühungen des Großherzogs ausgestellt, und fuhr fort: "Alle die unruhige Thätigkeit, welche seit einigen Jahren die Völker sowie die Regierungen quält, scheint sich in dem Worte zu vereinigen "Verfassung" und offenbart sich haupt-
Reaktion in Württemberg, Heſſen, Baden.
wie oft einſt Eberhard im Bart, der Stifter der Univerſität, bei ſeinem alten Lehrer Nauclerus im Kanzlerhauſe neben der Stiftskirche Herberge genommen hatte um mit ſeinen Profeſſoren in guter Freundſchaft zu zechen und zu disputiren; und jetzt ward der ehrwürdigen Hochſchule durch einen Nachkommen ihres Stifters und ſeinen Rath Maucler ſogar das uralte Recht, Rector und Decane ſelbſt zu wählen, mißtrauiſch entzogen. Deutſch- lands geſammte gelehrte Welt fühlte ſich beleidigt, und Schelling ſendete in ſeine alte Heimath die bitteren Verſe:
Vindice Nauclero quondam fundata Tubinga, Judice Mauclero perdita tota jacet.
Minder gehäſſig zeigte ſich die Reaction in Darmſtadt. Der fried- fertige Geiſt, der über den Anfängen des heſſiſchen Verfaſſungslebens ge- waltet, war noch nicht gänzlich verflogen; ſelbſt in dieſen müden Jahren brachte der Landtag noch einige heilſame Reformen, vornehmlich die Auf- hebung des Zehnten zu Stande. Aber die ungetrübte Eintracht früherer Tage beſtand auch hier nicht mehr. Wie anders klang jetzt die Sprache vom Miniſtertiſche! Wenn die Abgeordneten zu der dürftigen Ueberſicht des Staatshaushalts, die ihnen allein vorgelegt wurde, einige Erläuterungen verlangten, dann gab man ihnen vertraulich zu verſtehen: weitere For- derungen könnten leicht den Beſtand der Verfaſſung ſelber gefährden. Unbequemer Oppoſitionsmitglieder entledigte man ſich durch offenbare Willkür. Vor den Wahlen von 1826 bereiſte der Miniſter Grolmann ſelbſt das Land um die Wähler zu bearbeiten. Als E. E. Hoffmann, der lauteſte und rührigſte Parteigänger der Liberalen, ſich dawider zur Wehre ſetzte und die Heſſen aufforderte, nur unabhängigen Männern ihre Stimmen zu geben, da ließ ihn die Regierung wegen indirekter Majeſtäts- beleidigung anklagen, und erſt drei Jahre ſpäter konnte er, vollſtändig freige- ſprochen, in die Kammer eintreten. Der wohlmeinende Miniſter, den man vor Kurzem noch als den Vater der Verfaſſung geprieſen, wurde jetzt, nicht ohne eigene Schuld, verdächtigt und befehdet; er rieb ſich auf in dem kleinen Aerger der Landtagshändel und ſtarb ſchon in der Blüthe ſeiner Jahre.
Wie unſchuldig erſchien das Alles neben den Saturnalien der Re- aktion, welche in Baden ſpielten. Nicht umſonſt hatte Blittersdorff in jener Johannisberger Denkſchrift die Drohung ausgeſprochen: die Re- gierungen ſeien allzu lange in der Vertheidigung geblieben, es werde Zeit zum Angriff vorzugehen. Seit der Landtag von 1823 ſo ungnädig entlaſſen worden, ſetzte die reaktionäre Partei alle Hebel ein um die Ver- faſſung aus den Angeln zu heben. Auf einen Glückwunſch des Peters- burger Hofs ſprach Berſtett ſeinen überſchwänglichen Dank aus für das ſchmeichelhafte Zeugniß, das der Kaiſer den ſchwachen Bemühungen des Großherzogs ausgeſtellt, und fuhr fort: „Alle die unruhige Thätigkeit, welche ſeit einigen Jahren die Völker ſowie die Regierungen quält, ſcheint ſich in dem Worte zu vereinigen „Verfaſſung“ und offenbart ſich haupt-
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Reaktion in Württemberg, Heſſen, Baden.
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alten Lehrer Nauclerus im Kanzlerhauſe neben der Stiftskirche Herberge
genommen hatte um mit ſeinen Profeſſoren in guter Freundſchaft zu zechen
und zu disputiren; und jetzt ward der ehrwürdigen Hochſchule durch einen
Nachkommen ihres Stifters und ſeinen Rath Maucler ſogar das uralte
Recht, Rector und Decane ſelbſt zu wählen, mißtrauiſch entzogen. Deutſch-
lands geſammte gelehrte Welt fühlte ſich beleidigt, und Schelling ſendete
in ſeine alte Heimath die bitteren Verſe:
Vindice Nauclero quondam fundata Tubinga,
Judice Mauclero perdita tota jacet.
Minder gehäſſig zeigte ſich die Reaction in Darmſtadt. Der fried-
fertige Geiſt, der über den Anfängen des heſſiſchen Verfaſſungslebens ge-
waltet, war noch nicht gänzlich verflogen; ſelbſt in dieſen müden Jahren
brachte der Landtag noch einige heilſame Reformen, vornehmlich die Auf-
hebung des Zehnten zu Stande. Aber die ungetrübte Eintracht früherer
Tage beſtand auch hier nicht mehr. Wie anders klang jetzt die Sprache
vom Miniſtertiſche! Wenn die Abgeordneten zu der dürftigen Ueberſicht des
Staatshaushalts, die ihnen allein vorgelegt wurde, einige Erläuterungen
verlangten, dann gab man ihnen vertraulich zu verſtehen: weitere For-
derungen könnten leicht den Beſtand der Verfaſſung ſelber gefährden.
Unbequemer Oppoſitionsmitglieder entledigte man ſich durch offenbare
Willkür. Vor den Wahlen von 1826 bereiſte der Miniſter Grolmann
ſelbſt das Land um die Wähler zu bearbeiten. Als E. E. Hoffmann,
der lauteſte und rührigſte Parteigänger der Liberalen, ſich dawider zur
Wehre ſetzte und die Heſſen aufforderte, nur unabhängigen Männern ihre
Stimmen zu geben, da ließ ihn die Regierung wegen indirekter Majeſtäts-
beleidigung anklagen, und erſt drei Jahre ſpäter konnte er, vollſtändig freige-
ſprochen, in die Kammer eintreten. Der wohlmeinende Miniſter, den man
vor Kurzem noch als den Vater der Verfaſſung geprieſen, wurde jetzt, nicht
ohne eigene Schuld, verdächtigt und befehdet; er rieb ſich auf in dem kleinen
Aerger der Landtagshändel und ſtarb ſchon in der Blüthe ſeiner Jahre.
Wie unſchuldig erſchien das Alles neben den Saturnalien der Re-
aktion, welche in Baden ſpielten. Nicht umſonſt hatte Blittersdorff in
jener Johannisberger Denkſchrift die Drohung ausgeſprochen: die Re-
gierungen ſeien allzu lange in der Vertheidigung geblieben, es werde
Zeit zum Angriff vorzugehen. Seit der Landtag von 1823 ſo ungnädig
entlaſſen worden, ſetzte die reaktionäre Partei alle Hebel ein um die Ver-
faſſung aus den Angeln zu heben. Auf einen Glückwunſch des Peters-
burger Hofs ſprach Berſtett ſeinen überſchwänglichen Dank aus für das
ſchmeichelhafte Zeugniß, das der Kaiſer den ſchwachen Bemühungen des
Großherzogs ausgeſtellt, und fuhr fort: „Alle die unruhige Thätigkeit,
welche ſeit einigen Jahren die Völker ſowie die Regierungen quält, ſcheint
ſich in dem Worte zu vereinigen „Verfaſſung“ und offenbart ſich haupt-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/367>, abgerufen am 24.11.2024.
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