Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.Das monarchische Princip. das Recht vorbehalten für seine Verfassung die Garantie des Bundes nach-zusuchen. Daran schloß sich der wohlgemeinte Vorschlag, die bestehenden Verfassungen dürften nur "auf die durch die Verfassung selbst bestimmte Art" abgeändert werden. Auch diesen Antrag bekämpfte Berstett als einen Verstoß wider das monarchische Princip. Aber auch Bernstorff hegte diesmal Bedenken, weil Niemand mit Sicherheit zu sagen wußte, welche Verfassungen in Deutschland noch wirklich bestanden! Durfte Preußen sich verpflichten, die ärmlichen Trümmer der Feudalstände in seinen alten Territorien nur mit Zustimmung dieser Stände selber aufzuheben? Dann war eine Ver- fassung für den Gesammtstaat unmöglich. "Die neue Verfassung", schrieb der Staatskanzler an Bernstorff, "muß aus dem Willen, der Weisheit und Gerechtigkeit des Königs allein hervorgehen." Er forderte also volle Freiheit für die preußische Krone, und auf Bernstorff's Antrag gab die Con- ferenz dem Art. 56 die unverfängliche Fassung: daß "die in anerkannter Wirksamkeit bestehenden landständischen Verfassungen" nur auf verfas- sungsmäßigem Wege abgeändert werden sollten.*) Hierauf folgte der Hauptsatz des neuen deutschen constitutionellen *) Weisung des Staatskanzlers, 25. Dec.; Bernstorff's Bericht, 31. Dec. 1819.
Das monarchiſche Princip. das Recht vorbehalten für ſeine Verfaſſung die Garantie des Bundes nach-zuſuchen. Daran ſchloß ſich der wohlgemeinte Vorſchlag, die beſtehenden Verfaſſungen dürften nur „auf die durch die Verfaſſung ſelbſt beſtimmte Art“ abgeändert werden. Auch dieſen Antrag bekämpfte Berſtett als einen Verſtoß wider das monarchiſche Princip. Aber auch Bernſtorff hegte diesmal Bedenken, weil Niemand mit Sicherheit zu ſagen wußte, welche Verfaſſungen in Deutſchland noch wirklich beſtanden! Durfte Preußen ſich verpflichten, die ärmlichen Trümmer der Feudalſtände in ſeinen alten Territorien nur mit Zuſtimmung dieſer Stände ſelber aufzuheben? Dann war eine Ver- faſſung für den Geſammtſtaat unmöglich. „Die neue Verfaſſung“, ſchrieb der Staatskanzler an Bernſtorff, „muß aus dem Willen, der Weisheit und Gerechtigkeit des Königs allein hervorgehen.“ Er forderte alſo volle Freiheit für die preußiſche Krone, und auf Bernſtorff’s Antrag gab die Con- ferenz dem Art. 56 die unverfängliche Faſſung: daß „die in anerkannter Wirkſamkeit beſtehenden landſtändiſchen Verfaſſungen“ nur auf verfaſ- ſungsmäßigem Wege abgeändert werden ſollten.*) Hierauf folgte der Hauptſatz des neuen deutſchen conſtitutionellen *) Weiſung des Staatskanzlers, 25. Dec.; Bernſtorff’s Bericht, 31. Dec. 1819.
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Das monarchiſche Princip.
das Recht vorbehalten für ſeine Verfaſſung die Garantie des Bundes nach-
zuſuchen. Daran ſchloß ſich der wohlgemeinte Vorſchlag, die beſtehenden
Verfaſſungen dürften nur „auf die durch die Verfaſſung ſelbſt beſtimmte
Art“ abgeändert werden. Auch dieſen Antrag bekämpfte Berſtett als einen
Verſtoß wider das monarchiſche Princip. Aber auch Bernſtorff hegte diesmal
Bedenken, weil Niemand mit Sicherheit zu ſagen wußte, welche Verfaſſungen
in Deutſchland noch wirklich beſtanden! Durfte Preußen ſich verpflichten,
die ärmlichen Trümmer der Feudalſtände in ſeinen alten Territorien nur
mit Zuſtimmung dieſer Stände ſelber aufzuheben? Dann war eine Ver-
faſſung für den Geſammtſtaat unmöglich. „Die neue Verfaſſung“, ſchrieb
der Staatskanzler an Bernſtorff, „muß aus dem Willen, der Weisheit
und Gerechtigkeit des Königs allein hervorgehen.“ Er forderte alſo volle
Freiheit für die preußiſche Krone, und auf Bernſtorff’s Antrag gab die Con-
ferenz dem Art. 56 die unverfängliche Faſſung: daß „die in anerkannter
Wirkſamkeit beſtehenden landſtändiſchen Verfaſſungen“ nur auf verfaſ-
ſungsmäßigem Wege abgeändert werden ſollten. *)
Hierauf folgte der Hauptſatz des neuen deutſchen conſtitutionellen
Staatsrechts. Das „monarchiſche Princip“, das ſchon in Karlsbad auf
Württembergs Antrag allgemeine Anerkennung gefunden hatte und in
der That für den Beſtand dieſes Fürſtenbundes unentbehrlich war, wurde
förmlich als Regel für alle deutſchen Landesverfaſſungen anerkannt. Der
Art. 57 beſtimmte: „Die geſammte Staatsgewalt muß in dem Oberhaupte
des Staates vereinigt bleiben, und der Souverän kann durch eine land-
ſtändiſche Verfaſſung nur in der Ausübung beſtimmter Rechte an die
Mitwirkung der Stände gebunden werden.“ Wie frohlockte Gentz, als
der Ausſchuß der Conferenzen ſich über dieſen Satz geeinigt hatte. So
lange ſchon führte er den Federkrieg wider Montesquieu’s Gewaltenthei-
lung und Rotteck’s Volksſouveränität; nun ſah er alle dieſe anarchiſchen
Doctrinen durch einen feierlichen Ausſpruch des deutſchen Areopags „un-
widerruflich geſtürzt“, und da er nach Publiciſtenart die Bedeutung ſol-
cher theoretiſchen Kämpfe überſchätzte, ſo ſchrieb er voll übermüthiger Freude
am 14. December 1819 in ſein Tagebuch: „eines der größten und wür-
digſten Reſultate der Verhandlungen unſerer Zeit; ein Tag wichtiger als
der bei Leipzig!“ Auch ſein getreuer Adam Müller wünſchte, daß der
koſtbare Satz in den Codex des allgemeinen europäiſchen Staatsrechts
übergehen möge, und drei Jahrzehnte hindurch ward der Art. 57 W. S. A.
als „das Motto des monarchiſchen Syſtems“ auf den deutſchen Kathedern
leidenſchaftlich bald bekämpft bald geprieſen. Sein praktiſcher Werth war
ungleich geringer als die Männer der Doctrin annahmen. Die juriſtiſchen
Dilettanten der Conferenzen hatten wieder nicht verſtanden, für ihren richti-
gen politiſchen Gedanken einen ſcharfen ſtaatsrechtlichen Ausdruck zu finden.
*) Weiſung des Staatskanzlers, 25. Dec.; Bernſtorff’s Bericht, 31. Dec. 1819.
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