einer Halbheit. Der Art. 59 verfügte, die Geschäftsordnung der Landtage müsse dafür sorgen, daß die gesetzlichen Grenzen der freien Aeußerung weder bei den Verhandlungen selbst noch bei deren Bekanntmachung durch den Druck überschritten würden. Also lief die versuchte Umgestaltung des deutschen constitutionellen Staatsrechts schließlich fast überall auf leere Worte hinaus.
Den Mediatisirten gewährte die Schlußakte das Recht des Recurses an den Bund. Alle die anderen Verheißungen des zweiten Theiles der Bundesakte dagegen wurden, nach einigen unfruchtbaren Verhandlungen, dem Bundestage "zur ferneren Bearbeitung" zugewiesen; diese humo- ristische Vertröstung auf die griechischen Kalenden blieb immer der letzte Nothbehelf, wenn man sich nicht einigen konnte. Nur zu dem Absatze der Bundesakte (Art. 18), welcher gemeinsame Maßregeln wider den Nachdruck versprach, erlaubte sich Metternich noch einen denkwürdigen Vorschlag. Aus Preußen verdrängt, trieb der literarische Raub in Oester- reich und den meisten der Kleinstaaten sein Unwesen ungestört weiter; jeder Band des umfänglichen Brockhaus'schen Conversationslexikons wurde von einer Stuttgarter Firma sofort nachgedruckt, und vergeblich setzte der rechtmäßige Verleger auf die Titelblätter der neuen Auflage das Calde- ronische Motto: "wie sie der Verfasser schrieb, nicht wie sie der Diebstahl druckte." In den Kreisen des altwürttembergischen Beamtenthums galt die Begünstigung des Nachdrucks geradezu für eine landesväterliche Pflicht, weil er so viel Geld ins Land brachte; auch unter den Juristen bestand noch weit verbreitet die Ansicht, daß der Nachdruck ein natürliches Recht sei, da sich der Begriff des literarischen Eigenthums allerdings nicht ju- ristisch construiren ließ. Nach vergeblichen Beschwerden beim Bundestage wendete sich eine Anzahl angesehener Buchhändler, Perthes und Brock- haus voran, bittend an die Wiener Conferenzen; Brockhaus empfahl die Errichtung einer Aufsichtsbehörde in Leipzig, nach Art der französischen Direktion des Buchhandels.
Dieser harmlose Vorschlag des ehrlichen Liberalen wurde nun in einer österreichischen Denkschrift, welche Metternich der Conferenz über- reichte, für die Zwecke der höheren Polizei ausgebeutet. Die Denkschrift stammte unverkennbar aus der Feder Adam Müller's, der als k. k. Ge- neralconsul in Leipzig lebte. Sie ging von dem Grundsatze aus, daß die Censur und der Schutz des literarischen Eigenthums unzertrennlich zu einander gehörten: in den Ländern der Preßfreiheit steht der Buch- handel ganz außerhalb des Civilrechts, während der Deutsche Bund durch die Censur "die Druckschriften gleich bei ihrer Entstehung in den voll- ständigen Nexus des Civilrechts aufnimmt und keinen unabhängigen, neben dem wirklichen Staat herlaufenden Staat der Ideen anerkennt". Demnach muß die seit geraumer Zeit stillschweigend geduldete Genossen- schaft der deutschen Buchhändler als förmliche Corporation anerkannt
Metternich und der Buchhandel.
einer Halbheit. Der Art. 59 verfügte, die Geſchäftsordnung der Landtage müſſe dafür ſorgen, daß die geſetzlichen Grenzen der freien Aeußerung weder bei den Verhandlungen ſelbſt noch bei deren Bekanntmachung durch den Druck überſchritten würden. Alſo lief die verſuchte Umgeſtaltung des deutſchen conſtitutionellen Staatsrechts ſchließlich faſt überall auf leere Worte hinaus.
Den Mediatiſirten gewährte die Schlußakte das Recht des Recurſes an den Bund. Alle die anderen Verheißungen des zweiten Theiles der Bundesakte dagegen wurden, nach einigen unfruchtbaren Verhandlungen, dem Bundestage „zur ferneren Bearbeitung“ zugewieſen; dieſe humo- riſtiſche Vertröſtung auf die griechiſchen Kalenden blieb immer der letzte Nothbehelf, wenn man ſich nicht einigen konnte. Nur zu dem Abſatze der Bundesakte (Art. 18), welcher gemeinſame Maßregeln wider den Nachdruck verſprach, erlaubte ſich Metternich noch einen denkwürdigen Vorſchlag. Aus Preußen verdrängt, trieb der literariſche Raub in Oeſter- reich und den meiſten der Kleinſtaaten ſein Unweſen ungeſtört weiter; jeder Band des umfänglichen Brockhaus’ſchen Converſationslexikons wurde von einer Stuttgarter Firma ſofort nachgedruckt, und vergeblich ſetzte der rechtmäßige Verleger auf die Titelblätter der neuen Auflage das Calde- roniſche Motto: „wie ſie der Verfaſſer ſchrieb, nicht wie ſie der Diebſtahl druckte.“ In den Kreiſen des altwürttembergiſchen Beamtenthums galt die Begünſtigung des Nachdrucks geradezu für eine landesväterliche Pflicht, weil er ſo viel Geld ins Land brachte; auch unter den Juriſten beſtand noch weit verbreitet die Anſicht, daß der Nachdruck ein natürliches Recht ſei, da ſich der Begriff des literariſchen Eigenthums allerdings nicht ju- riſtiſch conſtruiren ließ. Nach vergeblichen Beſchwerden beim Bundestage wendete ſich eine Anzahl angeſehener Buchhändler, Perthes und Brock- haus voran, bittend an die Wiener Conferenzen; Brockhaus empfahl die Errichtung einer Aufſichtsbehörde in Leipzig, nach Art der franzöſiſchen Direktion des Buchhandels.
Dieſer harmloſe Vorſchlag des ehrlichen Liberalen wurde nun in einer öſterreichiſchen Denkſchrift, welche Metternich der Conferenz über- reichte, für die Zwecke der höheren Polizei ausgebeutet. Die Denkſchrift ſtammte unverkennbar aus der Feder Adam Müller’s, der als k. k. Ge- neralconſul in Leipzig lebte. Sie ging von dem Grundſatze aus, daß die Cenſur und der Schutz des literariſchen Eigenthums unzertrennlich zu einander gehörten: in den Ländern der Preßfreiheit ſteht der Buch- handel ganz außerhalb des Civilrechts, während der Deutſche Bund durch die Cenſur „die Druckſchriften gleich bei ihrer Entſtehung in den voll- ſtändigen Nexus des Civilrechts aufnimmt und keinen unabhängigen, neben dem wirklichen Staat herlaufenden Staat der Ideen anerkennt“. Demnach muß die ſeit geraumer Zeit ſtillſchweigend geduldete Genoſſen- ſchaft der deutſchen Buchhändler als förmliche Corporation anerkannt
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[23/0039]
Metternich und der Buchhandel.
einer Halbheit. Der Art. 59 verfügte, die Geſchäftsordnung der Landtage
müſſe dafür ſorgen, daß die geſetzlichen Grenzen der freien Aeußerung
weder bei den Verhandlungen ſelbſt noch bei deren Bekanntmachung durch
den Druck überſchritten würden. Alſo lief die verſuchte Umgeſtaltung des
deutſchen conſtitutionellen Staatsrechts ſchließlich faſt überall auf leere
Worte hinaus.
Den Mediatiſirten gewährte die Schlußakte das Recht des Recurſes
an den Bund. Alle die anderen Verheißungen des zweiten Theiles der
Bundesakte dagegen wurden, nach einigen unfruchtbaren Verhandlungen,
dem Bundestage „zur ferneren Bearbeitung“ zugewieſen; dieſe humo-
riſtiſche Vertröſtung auf die griechiſchen Kalenden blieb immer der letzte
Nothbehelf, wenn man ſich nicht einigen konnte. Nur zu dem Abſatze
der Bundesakte (Art. 18), welcher gemeinſame Maßregeln wider den
Nachdruck verſprach, erlaubte ſich Metternich noch einen denkwürdigen
Vorſchlag. Aus Preußen verdrängt, trieb der literariſche Raub in Oeſter-
reich und den meiſten der Kleinſtaaten ſein Unweſen ungeſtört weiter;
jeder Band des umfänglichen Brockhaus’ſchen Converſationslexikons wurde
von einer Stuttgarter Firma ſofort nachgedruckt, und vergeblich ſetzte der
rechtmäßige Verleger auf die Titelblätter der neuen Auflage das Calde-
roniſche Motto: „wie ſie der Verfaſſer ſchrieb, nicht wie ſie der Diebſtahl
druckte.“ In den Kreiſen des altwürttembergiſchen Beamtenthums galt
die Begünſtigung des Nachdrucks geradezu für eine landesväterliche Pflicht,
weil er ſo viel Geld ins Land brachte; auch unter den Juriſten beſtand
noch weit verbreitet die Anſicht, daß der Nachdruck ein natürliches Recht
ſei, da ſich der Begriff des literariſchen Eigenthums allerdings nicht ju-
riſtiſch conſtruiren ließ. Nach vergeblichen Beſchwerden beim Bundestage
wendete ſich eine Anzahl angeſehener Buchhändler, Perthes und Brock-
haus voran, bittend an die Wiener Conferenzen; Brockhaus empfahl die
Errichtung einer Aufſichtsbehörde in Leipzig, nach Art der franzöſiſchen
Direktion des Buchhandels.
Dieſer harmloſe Vorſchlag des ehrlichen Liberalen wurde nun in
einer öſterreichiſchen Denkſchrift, welche Metternich der Conferenz über-
reichte, für die Zwecke der höheren Polizei ausgebeutet. Die Denkſchrift
ſtammte unverkennbar aus der Feder Adam Müller’s, der als k. k. Ge-
neralconſul in Leipzig lebte. Sie ging von dem Grundſatze aus, daß
die Cenſur und der Schutz des literariſchen Eigenthums unzertrennlich
zu einander gehörten: in den Ländern der Preßfreiheit ſteht der Buch-
handel ganz außerhalb des Civilrechts, während der Deutſche Bund durch
die Cenſur „die Druckſchriften gleich bei ihrer Entſtehung in den voll-
ſtändigen Nexus des Civilrechts aufnimmt und keinen unabhängigen,
neben dem wirklichen Staat herlaufenden Staat der Ideen anerkennt“.
Demnach muß die ſeit geraumer Zeit ſtillſchweigend geduldete Genoſſen-
ſchaft der deutſchen Buchhändler als förmliche Corporation anerkannt
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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