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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die Agrargesetze in den neuen Provinzen.
diesen Zeitpächtern in der Regel freies Eigenthum. Diese Wohlthat des
deutschen Regiments ward auch politisch folgenreich; ihr vornehmlich ver-
dankte der Staat, daß die polnischen Bauern sich nur sehr selten auf
die landesverrätherischen Umtriebe des Adels und der Kapläne einließen.

Bei der Vorbereitung der Agrargesetze im Staatsrathe war Savigny
besonders thätig. Die Apostel des liberalen Vernunftsrechts verlästerten
den großen Juristen als einen Reactionär; im Staatsrathe ward er von
vielen seiner Genossen, sogar von Gneisenau, der revolutionären Gesin-
nung bezichtigt, weil er, obwohl nach seiner ganzen Weltanschauung ein
Gegner Hardenberg's, doch die Nothwendigkeit dieser socialen Umwälzung
unbefangen anerkannte und durch die That bewies, daß die historische
Staatsanschauung das Verständniß für die Bedürfnisse der lebendigen
Gegenwart nicht ausschloß. Die Ehrfurcht vor dem Berufe des König-
thums, des Beschützers der Schwachen, half ihm über manche Rechtsbe-
denken hinweg; seine Beredsamkeit und die technische Meisterschaft seiner
Entwürfe zwangen selbst die Gegner zur Bewunderung. Aber auch diese
Reform wurde durch die Provinzialstände vielfach erschwert. Auf mehreren
Landtagen veranlaßte die Ablösungsfrage hitzige Steitigkeiten zwischen dem
ersten und dem dritten Stande, welche nur zu deutlich zeigten, daß die Ritter-
schaft keineswegs, wie sie gern behauptete, auch die Interessen des Bauern-
standes mit vertrat. Die treu an der väterlichen Scholle haftenden west-
phälischen Bauern wollten die Grundlasten nicht durch Landabtretung
ablösen, während anderwärts die Grundherren eine Geldabfindung ver-
langten, weil der Preis des Bodens und seiner Erzeugnisse jetzt so gar
niedrig stand.

Die Krone bemühte sich beiden Parteien gerecht zu werden, sie ge-
stattete den Westphalen, auf Stein's Vorschlag, die Abfindung in Land
oder Geld, je nach der Uebereinkunft der Betheiligten; doch nicht immer
fand sie den Muth, den Standesinteressen der Grundherren zu wider-
stehen. Der reactionäre Zug, der diese Zeit beherrschte, verleugnete sich
auch in ihren Agrargesetzen nicht ganz. Am bedenklichsten war, daß die
Ablösung sich fortan auf die größeren Höfe, die "Ackernahrungen" be-
schränken sollte. Auf die Bitte des Breslauer Landtags wurden die Gärtner-
stellen der sogenannten Dienstfamilien Oberschlesiens von der Regulirung
ausgeschlossen -- bis die Grundherren mit der Zeit selber bemerkten, daß
die Dienste dieser kleinen Leute dem kunstvolleren Betriebe wenig mehr
nützten, und den Verpflichteten oft freiwillig die Ablösung anboten. Durch
solche Mißhelligkeiten wurden die Bauern störrisch; überall glaubten sie
Anschläge wider ihre neu errungene Freiheit zu wittern, und ihr Miß-
trauen legte sich auch nicht, als die Krone einen offenbar bauernfreund-
lichen Reformvorschlag an die Stände brachte. In diesen Jahren der
allgemeinen Bodenentwerthung traten die Gefahren der völlig unbeschränkten
Theilbarkeit der Landgüter drohend hervor; in manchen Landestheilen be-

Die Agrargeſetze in den neuen Provinzen.
dieſen Zeitpächtern in der Regel freies Eigenthum. Dieſe Wohlthat des
deutſchen Regiments ward auch politiſch folgenreich; ihr vornehmlich ver-
dankte der Staat, daß die polniſchen Bauern ſich nur ſehr ſelten auf
die landesverrätheriſchen Umtriebe des Adels und der Kapläne einließen.

Bei der Vorbereitung der Agrargeſetze im Staatsrathe war Savigny
beſonders thätig. Die Apoſtel des liberalen Vernunftsrechts verläſterten
den großen Juriſten als einen Reactionär; im Staatsrathe ward er von
vielen ſeiner Genoſſen, ſogar von Gneiſenau, der revolutionären Geſin-
nung bezichtigt, weil er, obwohl nach ſeiner ganzen Weltanſchauung ein
Gegner Hardenberg’s, doch die Nothwendigkeit dieſer ſocialen Umwälzung
unbefangen anerkannte und durch die That bewies, daß die hiſtoriſche
Staatsanſchauung das Verſtändniß für die Bedürfniſſe der lebendigen
Gegenwart nicht ausſchloß. Die Ehrfurcht vor dem Berufe des König-
thums, des Beſchützers der Schwachen, half ihm über manche Rechtsbe-
denken hinweg; ſeine Beredſamkeit und die techniſche Meiſterſchaft ſeiner
Entwürfe zwangen ſelbſt die Gegner zur Bewunderung. Aber auch dieſe
Reform wurde durch die Provinzialſtände vielfach erſchwert. Auf mehreren
Landtagen veranlaßte die Ablöſungsfrage hitzige Steitigkeiten zwiſchen dem
erſten und dem dritten Stande, welche nur zu deutlich zeigten, daß die Ritter-
ſchaft keineswegs, wie ſie gern behauptete, auch die Intereſſen des Bauern-
ſtandes mit vertrat. Die treu an der väterlichen Scholle haftenden weſt-
phäliſchen Bauern wollten die Grundlaſten nicht durch Landabtretung
ablöſen, während anderwärts die Grundherren eine Geldabfindung ver-
langten, weil der Preis des Bodens und ſeiner Erzeugniſſe jetzt ſo gar
niedrig ſtand.

Die Krone bemühte ſich beiden Parteien gerecht zu werden, ſie ge-
ſtattete den Weſtphalen, auf Stein’s Vorſchlag, die Abfindung in Land
oder Geld, je nach der Uebereinkunft der Betheiligten; doch nicht immer
fand ſie den Muth, den Standesintereſſen der Grundherren zu wider-
ſtehen. Der reactionäre Zug, der dieſe Zeit beherrſchte, verleugnete ſich
auch in ihren Agrargeſetzen nicht ganz. Am bedenklichſten war, daß die
Ablöſung ſich fortan auf die größeren Höfe, die „Ackernahrungen“ be-
ſchränken ſollte. Auf die Bitte des Breslauer Landtags wurden die Gärtner-
ſtellen der ſogenannten Dienſtfamilien Oberſchleſiens von der Regulirung
ausgeſchloſſen — bis die Grundherren mit der Zeit ſelber bemerkten, daß
die Dienſte dieſer kleinen Leute dem kunſtvolleren Betriebe wenig mehr
nützten, und den Verpflichteten oft freiwillig die Ablöſung anboten. Durch
ſolche Mißhelligkeiten wurden die Bauern ſtörriſch; überall glaubten ſie
Anſchläge wider ihre neu errungene Freiheit zu wittern, und ihr Miß-
trauen legte ſich auch nicht, als die Krone einen offenbar bauernfreund-
lichen Reformvorſchlag an die Stände brachte. In dieſen Jahren der
allgemeinen Bodenentwerthung traten die Gefahren der völlig unbeſchränkten
Theilbarkeit der Landgüter drohend hervor; in manchen Landestheilen be-

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[381/0397] Die Agrargeſetze in den neuen Provinzen. dieſen Zeitpächtern in der Regel freies Eigenthum. Dieſe Wohlthat des deutſchen Regiments ward auch politiſch folgenreich; ihr vornehmlich ver- dankte der Staat, daß die polniſchen Bauern ſich nur ſehr ſelten auf die landesverrätheriſchen Umtriebe des Adels und der Kapläne einließen. Bei der Vorbereitung der Agrargeſetze im Staatsrathe war Savigny beſonders thätig. Die Apoſtel des liberalen Vernunftsrechts verläſterten den großen Juriſten als einen Reactionär; im Staatsrathe ward er von vielen ſeiner Genoſſen, ſogar von Gneiſenau, der revolutionären Geſin- nung bezichtigt, weil er, obwohl nach ſeiner ganzen Weltanſchauung ein Gegner Hardenberg’s, doch die Nothwendigkeit dieſer ſocialen Umwälzung unbefangen anerkannte und durch die That bewies, daß die hiſtoriſche Staatsanſchauung das Verſtändniß für die Bedürfniſſe der lebendigen Gegenwart nicht ausſchloß. Die Ehrfurcht vor dem Berufe des König- thums, des Beſchützers der Schwachen, half ihm über manche Rechtsbe- denken hinweg; ſeine Beredſamkeit und die techniſche Meiſterſchaft ſeiner Entwürfe zwangen ſelbſt die Gegner zur Bewunderung. Aber auch dieſe Reform wurde durch die Provinzialſtände vielfach erſchwert. Auf mehreren Landtagen veranlaßte die Ablöſungsfrage hitzige Steitigkeiten zwiſchen dem erſten und dem dritten Stande, welche nur zu deutlich zeigten, daß die Ritter- ſchaft keineswegs, wie ſie gern behauptete, auch die Intereſſen des Bauern- ſtandes mit vertrat. Die treu an der väterlichen Scholle haftenden weſt- phäliſchen Bauern wollten die Grundlaſten nicht durch Landabtretung ablöſen, während anderwärts die Grundherren eine Geldabfindung ver- langten, weil der Preis des Bodens und ſeiner Erzeugniſſe jetzt ſo gar niedrig ſtand. Die Krone bemühte ſich beiden Parteien gerecht zu werden, ſie ge- ſtattete den Weſtphalen, auf Stein’s Vorſchlag, die Abfindung in Land oder Geld, je nach der Uebereinkunft der Betheiligten; doch nicht immer fand ſie den Muth, den Standesintereſſen der Grundherren zu wider- ſtehen. Der reactionäre Zug, der dieſe Zeit beherrſchte, verleugnete ſich auch in ihren Agrargeſetzen nicht ganz. Am bedenklichſten war, daß die Ablöſung ſich fortan auf die größeren Höfe, die „Ackernahrungen“ be- ſchränken ſollte. Auf die Bitte des Breslauer Landtags wurden die Gärtner- ſtellen der ſogenannten Dienſtfamilien Oberſchleſiens von der Regulirung ausgeſchloſſen — bis die Grundherren mit der Zeit ſelber bemerkten, daß die Dienſte dieſer kleinen Leute dem kunſtvolleren Betriebe wenig mehr nützten, und den Verpflichteten oft freiwillig die Ablöſung anboten. Durch ſolche Mißhelligkeiten wurden die Bauern ſtörriſch; überall glaubten ſie Anſchläge wider ihre neu errungene Freiheit zu wittern, und ihr Miß- trauen legte ſich auch nicht, als die Krone einen offenbar bauernfreund- lichen Reformvorſchlag an die Stände brachte. In dieſen Jahren der allgemeinen Bodenentwerthung traten die Gefahren der völlig unbeſchränkten Theilbarkeit der Landgüter drohend hervor; in manchen Landestheilen be-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/397>, abgerufen am 24.11.2024.