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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Der Posener Landtag.
schonende Nachsicht des Prinzen Statthalters und des Oberpräsidenten
Zerboni bestärkte die Junker und ihre geistlichen Bundesgenossen nur in
ihrem Trotze. Zerboni gestand selber, die Regierung müsse sich hier einen
Stamm treuer Lehrer erziehen, da die polnischen Gymnasien bisher "weniger
Stätten des Unterrichts als Stätten des Preußenhasses" gewesen seien,
er ließ auch unter der Hand einige der gefährlichsten Ruhestörer aus den
Schulen entfernen; aber er that das Nothwendige nur zögernd und mit
stillem Bedauern: "wir sind in der beklagenswerthen Verlegenheit, Ge-
fühlen entgegenwirken zu müssen, die in eigener Brust genährt unsere Un-
abhängigkeit retteten.".*) Statt die polnischen Bauern unter die scharfe
und gerechte Zucht deutscher Beamten zu stellen, gewährte man dem Adel
(1823) vertrauensvoll einen Antheil an der Verwaltung des flachen Landes:
der Grundherr sollte, allerdings nicht mehr kraft eigenen Rechtes, sondern
im Auftrage des Staates, die Polizeigewalt des Woyt auf seinen Gütern
ausüben. Da und dort ward einmal ein polnischer Zweigverein in ge-
heimer Sitzung überrascht, ein Haufen Briefschaften oder eine zertrümmerte
Büste des Königs aufgefunden; doch zu durchgreifender Wachsamkeit konnte
weder Zerboni noch sein Nachfolger v. Baumann sich entschließen. Un-
geschreckt durch das Schicksal des Generals Uminski, der seine Umtriebe auf
der Festung Glogau büßen mußte, vermittelte Graf Titus Dzialynski jahre-
lang den geheimen Verkehr mit den Verschworenen in Warschau. Die
alten reichen Grundherren hielten sich meist vorsichtig zurück; um so eifriger
nahm die Jugend an dem geheimnißvollen Treiben theil, und wer noch
zauderte, ward durch die feurige patriotische Beredsamkeit der polnischen
Edelfrauen hingerissen.

Die Berufung des Provinziallandtags war dem Adel hochwillkommen,
weil die belobte ständische Gliederung den Polen eine erdrückende Mehr-
heit sicherte; am Wahltage fehlte fast Niemand, denn auch die deutsche
Minderheit wehrte sich tapfer. Auf eine allerunterthänigste Dankadresse,
deren überschwängliche Ausdrücke dem sarmatischen Gewissen durchaus
keine Beschwerde bereiteten, folgte nun sofort der kleine Krieg gegen das
deutsche Beamtenthum. Da man der milden Verwaltung schlechterdings
kein erhebliches Unrecht nachweisen konnte, so klagten die Stände nur
ganz im Allgemeinen wegen der gefährdeten "Nationalität des Großher-
zogthums", als ob das deutsche Drittel in der Provinz gar nicht vorhan-
den wäre. Sie baten, die Landräthe von den Sitzungen der Kreisstände
ganz auszuschließen, damit der Kreistag frei berathen könne; sie beschwerten
sich über die große Zahl der deutschen Beamten und empfingen die trockene
Antwort, der König werde sehr gern Eingeborene anstellen, allein bisher
habe sich noch kein einziger Pole zur großen Staatsprüfung für den Ver-
waltungsdienst gemeldet. Die heftigsten Angriffe galten dem Schulwesen,

*) Zerboni's Bericht an Altenstein, 20. Nov. 1819.
25*

Der Poſener Landtag.
ſchonende Nachſicht des Prinzen Statthalters und des Oberpräſidenten
Zerboni beſtärkte die Junker und ihre geiſtlichen Bundesgenoſſen nur in
ihrem Trotze. Zerboni geſtand ſelber, die Regierung müſſe ſich hier einen
Stamm treuer Lehrer erziehen, da die polniſchen Gymnaſien bisher „weniger
Stätten des Unterrichts als Stätten des Preußenhaſſes“ geweſen ſeien,
er ließ auch unter der Hand einige der gefährlichſten Ruheſtörer aus den
Schulen entfernen; aber er that das Nothwendige nur zögernd und mit
ſtillem Bedauern: „wir ſind in der beklagenswerthen Verlegenheit, Ge-
fühlen entgegenwirken zu müſſen, die in eigener Bruſt genährt unſere Un-
abhängigkeit retteten.“.*) Statt die polniſchen Bauern unter die ſcharfe
und gerechte Zucht deutſcher Beamten zu ſtellen, gewährte man dem Adel
(1823) vertrauensvoll einen Antheil an der Verwaltung des flachen Landes:
der Grundherr ſollte, allerdings nicht mehr kraft eigenen Rechtes, ſondern
im Auftrage des Staates, die Polizeigewalt des Woyt auf ſeinen Gütern
ausüben. Da und dort ward einmal ein polniſcher Zweigverein in ge-
heimer Sitzung überraſcht, ein Haufen Briefſchaften oder eine zertrümmerte
Büſte des Königs aufgefunden; doch zu durchgreifender Wachſamkeit konnte
weder Zerboni noch ſein Nachfolger v. Baumann ſich entſchließen. Un-
geſchreckt durch das Schickſal des Generals Uminski, der ſeine Umtriebe auf
der Feſtung Glogau büßen mußte, vermittelte Graf Titus Dzialynski jahre-
lang den geheimen Verkehr mit den Verſchworenen in Warſchau. Die
alten reichen Grundherren hielten ſich meiſt vorſichtig zurück; um ſo eifriger
nahm die Jugend an dem geheimnißvollen Treiben theil, und wer noch
zauderte, ward durch die feurige patriotiſche Beredſamkeit der polniſchen
Edelfrauen hingeriſſen.

Die Berufung des Provinziallandtags war dem Adel hochwillkommen,
weil die belobte ſtändiſche Gliederung den Polen eine erdrückende Mehr-
heit ſicherte; am Wahltage fehlte faſt Niemand, denn auch die deutſche
Minderheit wehrte ſich tapfer. Auf eine allerunterthänigſte Dankadreſſe,
deren überſchwängliche Ausdrücke dem ſarmatiſchen Gewiſſen durchaus
keine Beſchwerde bereiteten, folgte nun ſofort der kleine Krieg gegen das
deutſche Beamtenthum. Da man der milden Verwaltung ſchlechterdings
kein erhebliches Unrecht nachweiſen konnte, ſo klagten die Stände nur
ganz im Allgemeinen wegen der gefährdeten „Nationalität des Großher-
zogthums“, als ob das deutſche Drittel in der Provinz gar nicht vorhan-
den wäre. Sie baten, die Landräthe von den Sitzungen der Kreisſtände
ganz auszuſchließen, damit der Kreistag frei berathen könne; ſie beſchwerten
ſich über die große Zahl der deutſchen Beamten und empfingen die trockene
Antwort, der König werde ſehr gern Eingeborene anſtellen, allein bisher
habe ſich noch kein einziger Pole zur großen Staatsprüfung für den Ver-
waltungsdienſt gemeldet. Die heftigſten Angriffe galten dem Schulweſen,

*) Zerboni’s Bericht an Altenſtein, 20. Nov. 1819.
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[387/0403] Der Poſener Landtag. ſchonende Nachſicht des Prinzen Statthalters und des Oberpräſidenten Zerboni beſtärkte die Junker und ihre geiſtlichen Bundesgenoſſen nur in ihrem Trotze. Zerboni geſtand ſelber, die Regierung müſſe ſich hier einen Stamm treuer Lehrer erziehen, da die polniſchen Gymnaſien bisher „weniger Stätten des Unterrichts als Stätten des Preußenhaſſes“ geweſen ſeien, er ließ auch unter der Hand einige der gefährlichſten Ruheſtörer aus den Schulen entfernen; aber er that das Nothwendige nur zögernd und mit ſtillem Bedauern: „wir ſind in der beklagenswerthen Verlegenheit, Ge- fühlen entgegenwirken zu müſſen, die in eigener Bruſt genährt unſere Un- abhängigkeit retteten.“. *) Statt die polniſchen Bauern unter die ſcharfe und gerechte Zucht deutſcher Beamten zu ſtellen, gewährte man dem Adel (1823) vertrauensvoll einen Antheil an der Verwaltung des flachen Landes: der Grundherr ſollte, allerdings nicht mehr kraft eigenen Rechtes, ſondern im Auftrage des Staates, die Polizeigewalt des Woyt auf ſeinen Gütern ausüben. Da und dort ward einmal ein polniſcher Zweigverein in ge- heimer Sitzung überraſcht, ein Haufen Briefſchaften oder eine zertrümmerte Büſte des Königs aufgefunden; doch zu durchgreifender Wachſamkeit konnte weder Zerboni noch ſein Nachfolger v. Baumann ſich entſchließen. Un- geſchreckt durch das Schickſal des Generals Uminski, der ſeine Umtriebe auf der Feſtung Glogau büßen mußte, vermittelte Graf Titus Dzialynski jahre- lang den geheimen Verkehr mit den Verſchworenen in Warſchau. Die alten reichen Grundherren hielten ſich meiſt vorſichtig zurück; um ſo eifriger nahm die Jugend an dem geheimnißvollen Treiben theil, und wer noch zauderte, ward durch die feurige patriotiſche Beredſamkeit der polniſchen Edelfrauen hingeriſſen. Die Berufung des Provinziallandtags war dem Adel hochwillkommen, weil die belobte ſtändiſche Gliederung den Polen eine erdrückende Mehr- heit ſicherte; am Wahltage fehlte faſt Niemand, denn auch die deutſche Minderheit wehrte ſich tapfer. Auf eine allerunterthänigſte Dankadreſſe, deren überſchwängliche Ausdrücke dem ſarmatiſchen Gewiſſen durchaus keine Beſchwerde bereiteten, folgte nun ſofort der kleine Krieg gegen das deutſche Beamtenthum. Da man der milden Verwaltung ſchlechterdings kein erhebliches Unrecht nachweiſen konnte, ſo klagten die Stände nur ganz im Allgemeinen wegen der gefährdeten „Nationalität des Großher- zogthums“, als ob das deutſche Drittel in der Provinz gar nicht vorhan- den wäre. Sie baten, die Landräthe von den Sitzungen der Kreisſtände ganz auszuſchließen, damit der Kreistag frei berathen könne; ſie beſchwerten ſich über die große Zahl der deutſchen Beamten und empfingen die trockene Antwort, der König werde ſehr gern Eingeborene anſtellen, allein bisher habe ſich noch kein einziger Pole zur großen Staatsprüfung für den Ver- waltungsdienſt gemeldet. Die heftigſten Angriffe galten dem Schulweſen, *) Zerboni’s Bericht an Altenſtein, 20. Nov. 1819. 25*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/403>, abgerufen am 24.11.2024.