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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die gemischten Ehen.
Gewalt kein neues Zugeständniß mehr zu gewähren. Eine reine, unzwei-
deutige Verständigung zwischen diesen herrischen Ansprüchen und den
unveräußerlichen Rechten der souveränen Staatsgewalt blieb unmöglich.
Es gab für den Staat nur einen Weg um zugleich seine Hoheitsrechte
zu wahren, die Gleichberechtigung der Bekenntnisse zu schützen und den
katholischen Priestern Gewissensbedrängnisse zu ersparen: wenn er die
Eheschließung durch seine eigenen Beamten vollzog und der Kirche frei
stellte, der rechtsgiltigen Ehe nachträglich ihren Segen zu geben oder zu
versagen. Dies einzig wirksame Mittel lag in Preußen nahe zur Hand,
da die Civil-Ehe in den Ländern des rheinischen Rechts bereits bestand,
aber weder die Krone noch der Clerus wollte davon ernstlich Gebrauch
machen. Die Kirche verdammte die bürgerliche Ehe als Ausgeburt des
jakobinischen Heidenthums; sie hieß es willkommen, wenn der Staat ihr
seinen dienenden Arm lieh um die kirchliche Eheschließung überall zu er-
zwingen, nur sollte er auch ihr päpstliches Eherecht anerkennen. Am Ber-
liner Hofe urtheilte man kaum weniger hart über dies Vermächtniß der
Revolution, am härtesten der König selbst, der es seinem Luther hoch an-
rechnete, daß erst durch die Reformation die kirchliche Einsegnung der Ehe
zur allgemeinen christlichen Sitte geworden war. Im Justizministerium be-
stand längst die Absicht, die Civilehe am Rhein spätestens durch die Re-
vision des Allgemeinen Landrechts wieder abzuschaffen. Auch dem Rechts-
bewußtsein des Volkes war diese französische Erfindung noch ganz fremd;
ein Bedürfniß darnach schien in Deutschland nicht vorzuliegen, da seit
dem Westphälischen Frieden ein ernster Streit wegen der gemischten Ehen
kaum vorgekommen war.

Erst weit später, erst durch die bitteren Erfahrungen des preußischen
Kirchenstreits gelangte die öffentliche Meinung zu der Einsicht, daß ein
paritätisches Volk um des confessionellen Friedens willen der Civil-Ehe
bedarf. Damals galt der großen Mehrheit der Deutschen nur die kirch-
lich eingesegnete Ehe für vollkommen rechtmäßig. Auch die Rheinländer
dachten nicht anders, und die preußische Krone hielt sich daher für befugt,
die Bedingungen der kirchlichen Eheschließung auch in den Ländern des
rheinischen Rechts durch Staatsgesetze vorzuschreiben. In den östlichen
Provinzen galt seit dem Jahre 1803 unangefochten die gesetzliche Vor-
schrift, daß die Kinder gemischter Ehen dem Bekenntniß des Vaters folgen
sollten; in den Landschaften des Westens dagegen bestand noch eine Fülle
von verschiedenen kirchlichen Vorschriften, welche die Einsegnung gemischter
Ehen erschwerten oder sie nur gegen das Versprechen katholischer Kinder-
erziehung gestatteten. Nach wiederholten vergeblichen Verboten und Er-
mahnungen befahl der König durch die Cabinetsordre vom 17. August
1825, daß jene Declaration vom Jahre 1803 fortan in allen Provinzen
befolgt werden sollte. Seine Minister glaubten in ihrer naiven Unkenntniß
katholischer Verhältnisse, hiermit sei endlich ein sicherer, gleichmäßiger

Die gemiſchten Ehen.
Gewalt kein neues Zugeſtändniß mehr zu gewähren. Eine reine, unzwei-
deutige Verſtändigung zwiſchen dieſen herriſchen Anſprüchen und den
unveräußerlichen Rechten der ſouveränen Staatsgewalt blieb unmöglich.
Es gab für den Staat nur einen Weg um zugleich ſeine Hoheitsrechte
zu wahren, die Gleichberechtigung der Bekenntniſſe zu ſchützen und den
katholiſchen Prieſtern Gewiſſensbedrängniſſe zu erſparen: wenn er die
Eheſchließung durch ſeine eigenen Beamten vollzog und der Kirche frei
ſtellte, der rechtsgiltigen Ehe nachträglich ihren Segen zu geben oder zu
verſagen. Dies einzig wirkſame Mittel lag in Preußen nahe zur Hand,
da die Civil-Ehe in den Ländern des rheiniſchen Rechts bereits beſtand,
aber weder die Krone noch der Clerus wollte davon ernſtlich Gebrauch
machen. Die Kirche verdammte die bürgerliche Ehe als Ausgeburt des
jakobiniſchen Heidenthums; ſie hieß es willkommen, wenn der Staat ihr
ſeinen dienenden Arm lieh um die kirchliche Eheſchließung überall zu er-
zwingen, nur ſollte er auch ihr päpſtliches Eherecht anerkennen. Am Ber-
liner Hofe urtheilte man kaum weniger hart über dies Vermächtniß der
Revolution, am härteſten der König ſelbſt, der es ſeinem Luther hoch an-
rechnete, daß erſt durch die Reformation die kirchliche Einſegnung der Ehe
zur allgemeinen chriſtlichen Sitte geworden war. Im Juſtizminiſterium be-
ſtand längſt die Abſicht, die Civilehe am Rhein ſpäteſtens durch die Re-
viſion des Allgemeinen Landrechts wieder abzuſchaffen. Auch dem Rechts-
bewußtſein des Volkes war dieſe franzöſiſche Erfindung noch ganz fremd;
ein Bedürfniß darnach ſchien in Deutſchland nicht vorzuliegen, da ſeit
dem Weſtphäliſchen Frieden ein ernſter Streit wegen der gemiſchten Ehen
kaum vorgekommen war.

Erſt weit ſpäter, erſt durch die bitteren Erfahrungen des preußiſchen
Kirchenſtreits gelangte die öffentliche Meinung zu der Einſicht, daß ein
paritätiſches Volk um des confeſſionellen Friedens willen der Civil-Ehe
bedarf. Damals galt der großen Mehrheit der Deutſchen nur die kirch-
lich eingeſegnete Ehe für vollkommen rechtmäßig. Auch die Rheinländer
dachten nicht anders, und die preußiſche Krone hielt ſich daher für befugt,
die Bedingungen der kirchlichen Eheſchließung auch in den Ländern des
rheiniſchen Rechts durch Staatsgeſetze vorzuſchreiben. In den öſtlichen
Provinzen galt ſeit dem Jahre 1803 unangefochten die geſetzliche Vor-
ſchrift, daß die Kinder gemiſchter Ehen dem Bekenntniß des Vaters folgen
ſollten; in den Landſchaften des Weſtens dagegen beſtand noch eine Fülle
von verſchiedenen kirchlichen Vorſchriften, welche die Einſegnung gemiſchter
Ehen erſchwerten oder ſie nur gegen das Verſprechen katholiſcher Kinder-
erziehung geſtatteten. Nach wiederholten vergeblichen Verboten und Er-
mahnungen befahl der König durch die Cabinetsordre vom 17. Auguſt
1825, daß jene Declaration vom Jahre 1803 fortan in allen Provinzen
befolgt werden ſollte. Seine Miniſter glaubten in ihrer naiven Unkenntniß
katholiſcher Verhältniſſe, hiermit ſei endlich ein ſicherer, gleichmäßiger

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[411/0427] Die gemiſchten Ehen. Gewalt kein neues Zugeſtändniß mehr zu gewähren. Eine reine, unzwei- deutige Verſtändigung zwiſchen dieſen herriſchen Anſprüchen und den unveräußerlichen Rechten der ſouveränen Staatsgewalt blieb unmöglich. Es gab für den Staat nur einen Weg um zugleich ſeine Hoheitsrechte zu wahren, die Gleichberechtigung der Bekenntniſſe zu ſchützen und den katholiſchen Prieſtern Gewiſſensbedrängniſſe zu erſparen: wenn er die Eheſchließung durch ſeine eigenen Beamten vollzog und der Kirche frei ſtellte, der rechtsgiltigen Ehe nachträglich ihren Segen zu geben oder zu verſagen. Dies einzig wirkſame Mittel lag in Preußen nahe zur Hand, da die Civil-Ehe in den Ländern des rheiniſchen Rechts bereits beſtand, aber weder die Krone noch der Clerus wollte davon ernſtlich Gebrauch machen. Die Kirche verdammte die bürgerliche Ehe als Ausgeburt des jakobiniſchen Heidenthums; ſie hieß es willkommen, wenn der Staat ihr ſeinen dienenden Arm lieh um die kirchliche Eheſchließung überall zu er- zwingen, nur ſollte er auch ihr päpſtliches Eherecht anerkennen. Am Ber- liner Hofe urtheilte man kaum weniger hart über dies Vermächtniß der Revolution, am härteſten der König ſelbſt, der es ſeinem Luther hoch an- rechnete, daß erſt durch die Reformation die kirchliche Einſegnung der Ehe zur allgemeinen chriſtlichen Sitte geworden war. Im Juſtizminiſterium be- ſtand längſt die Abſicht, die Civilehe am Rhein ſpäteſtens durch die Re- viſion des Allgemeinen Landrechts wieder abzuſchaffen. Auch dem Rechts- bewußtſein des Volkes war dieſe franzöſiſche Erfindung noch ganz fremd; ein Bedürfniß darnach ſchien in Deutſchland nicht vorzuliegen, da ſeit dem Weſtphäliſchen Frieden ein ernſter Streit wegen der gemiſchten Ehen kaum vorgekommen war. Erſt weit ſpäter, erſt durch die bitteren Erfahrungen des preußiſchen Kirchenſtreits gelangte die öffentliche Meinung zu der Einſicht, daß ein paritätiſches Volk um des confeſſionellen Friedens willen der Civil-Ehe bedarf. Damals galt der großen Mehrheit der Deutſchen nur die kirch- lich eingeſegnete Ehe für vollkommen rechtmäßig. Auch die Rheinländer dachten nicht anders, und die preußiſche Krone hielt ſich daher für befugt, die Bedingungen der kirchlichen Eheſchließung auch in den Ländern des rheiniſchen Rechts durch Staatsgeſetze vorzuſchreiben. In den öſtlichen Provinzen galt ſeit dem Jahre 1803 unangefochten die geſetzliche Vor- ſchrift, daß die Kinder gemiſchter Ehen dem Bekenntniß des Vaters folgen ſollten; in den Landſchaften des Weſtens dagegen beſtand noch eine Fülle von verſchiedenen kirchlichen Vorſchriften, welche die Einſegnung gemiſchter Ehen erſchwerten oder ſie nur gegen das Verſprechen katholiſcher Kinder- erziehung geſtatteten. Nach wiederholten vergeblichen Verboten und Er- mahnungen befahl der König durch die Cabinetsordre vom 17. Auguſt 1825, daß jene Declaration vom Jahre 1803 fortan in allen Provinzen befolgt werden ſollte. Seine Miniſter glaubten in ihrer naiven Unkenntniß katholiſcher Verhältniſſe, hiermit ſei endlich ein ſicherer, gleichmäßiger

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/427>, abgerufen am 24.11.2024.