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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Bunsen in Rom.
liches geleistet hatte, und er verstand seinen Ruf im Dienste der Wissen-
schaft zu verwerthen. Durch ihn und den jungen Posener Philologen
Gerhard kam im Jahre 1829 das Institut für archäologische Correspondenz
zu Stande -- gerade in dem günstigen Zeitpunkte, da die Aufgrabung
des römischen Forums begann und die Vasen von Vulci, die etruskischen
Wandbilder in den Gräbern von Corneto entdeckt wurden -- ein groß ge-
dachtes und umsichtig geleitetes Unternehmen unter dem Schutze der Krone
Preußen, das von Gelehrten aller Länder, am eifrigsten von Deutschen
und Italienern unterstützt, für die Erforschung der Alterthümer Italiens
einen festen Grund legte und späterhin, als R. Lepsius in das Haus am
tarpejischen Felsen einzog, auch die junge Wissenschaft der Aegyptologie
förderte. Wie anders als zwanzig Jahre zuvor war jetzt Preußens Stel-
lung in der gebildeten Welt; das Ausland begann allmählich zu bemerken,
welche geistigen Kräfte diesem Staate zu Gebote standen. Die gelehrten
deutschen Romfahrer brachten den verrufenen Namen der Tedeschi wieder
zu Ehren; keine Landstadt in Mittelitalien, wo man Gerhard, den guten
Signor Odoardo nicht kannte und mit gelehrten Mittheilungen versorgte.

Bunsen war von der Theologie ausgegangen, sein frommes Gemüth
konnte mitten in den Zerstreuungen der großen Welt den täglichen unmittel-
baren Verkehr mit Gott nicht entbehren; mit seinem Freunde dem Kron-
prinzen hoffte er auf die Selbständigkeit einer freien evangelischen Kirche.
Sein halbes Leben lang trug er sich mit dem Plane, alle die weit entlegenen
historischen, linguistischen, theologischen, juristischen Forschungen, die er in
den Mußestunden seines Amtes mit eisernem Fleiße betrieb, zu einer Philo-
sophie der Geschichte zu vereinigen, welche "den sicheren Pfad Gottes durch
den Strom der Zeiten verfolgen", das Walten der Vorsehung im Werde-
gange der Völker nachweisen sollte. Er selber wähnte, nur das seltsame
Spiel des Schicksals, das ihn halb wider Willen in die Bahnen der
Diplomatie verschlug, habe dies sein Lebenswerk nicht zur Reife kommen
lassen. In Wahrheit war die schöpferische Kraft seines Geistes einem so
gewaltigen Stoffe nicht gewachsen; auch er litt gleich seinem prinzlichen
Freunde unter dem Verhängniß einer glänzenden vielseitigen Begabung,
die zu allem Großen berufen schien und sich in stolzen Entwürfen über-
nahm ohne je ein vollendetes Werk zu gestalten. Wie sein Stil bei aller
Lebhaftigkeit immer weitschweifig blieb und niemals mit der Naturgewalt
ursprünglicher Beredsamkeit das Herz des Lesers packte, so erhob sich auch
der wissenschaftliche Gehalt seiner Schriften nur selten über das Maß
eines allerdings gedankenreichen und weitumfassenden Dilettantismus.

Und noch weniger sogar vermochte er den Aufgaben der praktischen
Staatskunst zu genügen. Die unendliche Empfänglichkeit seines leicht
erregbaren Herzens war das genaue Gegentheil jener gesammelten, fest
auf ein Ziel gerichteten Willenskraft, welche den Staatsmann macht;
niemals ging er gänzlich auf in dem diplomatischen Berufe, dessen Nüchtern-

Bunſen in Rom.
liches geleiſtet hatte, und er verſtand ſeinen Ruf im Dienſte der Wiſſen-
ſchaft zu verwerthen. Durch ihn und den jungen Poſener Philologen
Gerhard kam im Jahre 1829 das Inſtitut für archäologiſche Correſpondenz
zu Stande — gerade in dem günſtigen Zeitpunkte, da die Aufgrabung
des römiſchen Forums begann und die Vaſen von Vulci, die etruskiſchen
Wandbilder in den Gräbern von Corneto entdeckt wurden — ein groß ge-
dachtes und umſichtig geleitetes Unternehmen unter dem Schutze der Krone
Preußen, das von Gelehrten aller Länder, am eifrigſten von Deutſchen
und Italienern unterſtützt, für die Erforſchung der Alterthümer Italiens
einen feſten Grund legte und ſpäterhin, als R. Lepſius in das Haus am
tarpejiſchen Felſen einzog, auch die junge Wiſſenſchaft der Aegyptologie
förderte. Wie anders als zwanzig Jahre zuvor war jetzt Preußens Stel-
lung in der gebildeten Welt; das Ausland begann allmählich zu bemerken,
welche geiſtigen Kräfte dieſem Staate zu Gebote ſtanden. Die gelehrten
deutſchen Romfahrer brachten den verrufenen Namen der Tedeschi wieder
zu Ehren; keine Landſtadt in Mittelitalien, wo man Gerhard, den guten
Signor Odoardo nicht kannte und mit gelehrten Mittheilungen verſorgte.

Bunſen war von der Theologie ausgegangen, ſein frommes Gemüth
konnte mitten in den Zerſtreuungen der großen Welt den täglichen unmittel-
baren Verkehr mit Gott nicht entbehren; mit ſeinem Freunde dem Kron-
prinzen hoffte er auf die Selbſtändigkeit einer freien evangeliſchen Kirche.
Sein halbes Leben lang trug er ſich mit dem Plane, alle die weit entlegenen
hiſtoriſchen, linguiſtiſchen, theologiſchen, juriſtiſchen Forſchungen, die er in
den Mußeſtunden ſeines Amtes mit eiſernem Fleiße betrieb, zu einer Philo-
ſophie der Geſchichte zu vereinigen, welche „den ſicheren Pfad Gottes durch
den Strom der Zeiten verfolgen“, das Walten der Vorſehung im Werde-
gange der Völker nachweiſen ſollte. Er ſelber wähnte, nur das ſeltſame
Spiel des Schickſals, das ihn halb wider Willen in die Bahnen der
Diplomatie verſchlug, habe dies ſein Lebenswerk nicht zur Reife kommen
laſſen. In Wahrheit war die ſchöpferiſche Kraft ſeines Geiſtes einem ſo
gewaltigen Stoffe nicht gewachſen; auch er litt gleich ſeinem prinzlichen
Freunde unter dem Verhängniß einer glänzenden vielſeitigen Begabung,
die zu allem Großen berufen ſchien und ſich in ſtolzen Entwürfen über-
nahm ohne je ein vollendetes Werk zu geſtalten. Wie ſein Stil bei aller
Lebhaftigkeit immer weitſchweifig blieb und niemals mit der Naturgewalt
urſprünglicher Beredſamkeit das Herz des Leſers packte, ſo erhob ſich auch
der wiſſenſchaftliche Gehalt ſeiner Schriften nur ſelten über das Maß
eines allerdings gedankenreichen und weitumfaſſenden Dilettantismus.

Und noch weniger ſogar vermochte er den Aufgaben der praktiſchen
Staatskunſt zu genügen. Die unendliche Empfänglichkeit ſeines leicht
erregbaren Herzens war das genaue Gegentheil jener geſammelten, feſt
auf ein Ziel gerichteten Willenskraft, welche den Staatsmann macht;
niemals ging er gänzlich auf in dem diplomatiſchen Berufe, deſſen Nüchtern-

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[413/0429] Bunſen in Rom. liches geleiſtet hatte, und er verſtand ſeinen Ruf im Dienſte der Wiſſen- ſchaft zu verwerthen. Durch ihn und den jungen Poſener Philologen Gerhard kam im Jahre 1829 das Inſtitut für archäologiſche Correſpondenz zu Stande — gerade in dem günſtigen Zeitpunkte, da die Aufgrabung des römiſchen Forums begann und die Vaſen von Vulci, die etruskiſchen Wandbilder in den Gräbern von Corneto entdeckt wurden — ein groß ge- dachtes und umſichtig geleitetes Unternehmen unter dem Schutze der Krone Preußen, das von Gelehrten aller Länder, am eifrigſten von Deutſchen und Italienern unterſtützt, für die Erforſchung der Alterthümer Italiens einen feſten Grund legte und ſpäterhin, als R. Lepſius in das Haus am tarpejiſchen Felſen einzog, auch die junge Wiſſenſchaft der Aegyptologie förderte. Wie anders als zwanzig Jahre zuvor war jetzt Preußens Stel- lung in der gebildeten Welt; das Ausland begann allmählich zu bemerken, welche geiſtigen Kräfte dieſem Staate zu Gebote ſtanden. Die gelehrten deutſchen Romfahrer brachten den verrufenen Namen der Tedeschi wieder zu Ehren; keine Landſtadt in Mittelitalien, wo man Gerhard, den guten Signor Odoardo nicht kannte und mit gelehrten Mittheilungen verſorgte. Bunſen war von der Theologie ausgegangen, ſein frommes Gemüth konnte mitten in den Zerſtreuungen der großen Welt den täglichen unmittel- baren Verkehr mit Gott nicht entbehren; mit ſeinem Freunde dem Kron- prinzen hoffte er auf die Selbſtändigkeit einer freien evangeliſchen Kirche. Sein halbes Leben lang trug er ſich mit dem Plane, alle die weit entlegenen hiſtoriſchen, linguiſtiſchen, theologiſchen, juriſtiſchen Forſchungen, die er in den Mußeſtunden ſeines Amtes mit eiſernem Fleiße betrieb, zu einer Philo- ſophie der Geſchichte zu vereinigen, welche „den ſicheren Pfad Gottes durch den Strom der Zeiten verfolgen“, das Walten der Vorſehung im Werde- gange der Völker nachweiſen ſollte. Er ſelber wähnte, nur das ſeltſame Spiel des Schickſals, das ihn halb wider Willen in die Bahnen der Diplomatie verſchlug, habe dies ſein Lebenswerk nicht zur Reife kommen laſſen. In Wahrheit war die ſchöpferiſche Kraft ſeines Geiſtes einem ſo gewaltigen Stoffe nicht gewachſen; auch er litt gleich ſeinem prinzlichen Freunde unter dem Verhängniß einer glänzenden vielſeitigen Begabung, die zu allem Großen berufen ſchien und ſich in ſtolzen Entwürfen über- nahm ohne je ein vollendetes Werk zu geſtalten. Wie ſein Stil bei aller Lebhaftigkeit immer weitſchweifig blieb und niemals mit der Naturgewalt urſprünglicher Beredſamkeit das Herz des Leſers packte, ſo erhob ſich auch der wiſſenſchaftliche Gehalt ſeiner Schriften nur ſelten über das Maß eines allerdings gedankenreichen und weitumfaſſenden Dilettantismus. Und noch weniger ſogar vermochte er den Aufgaben der praktiſchen Staatskunſt zu genügen. Die unendliche Empfänglichkeit ſeines leicht erregbaren Herzens war das genaue Gegentheil jener geſammelten, feſt auf ein Ziel gerichteten Willenskraft, welche den Staatsmann macht; niemals ging er gänzlich auf in dem diplomatiſchen Berufe, deſſen Nüchtern-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/429>, abgerufen am 24.11.2024.