III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
habt wurde, die Opfer ihrer Verdächtigung mit tyrannischer Willkür miß- handeln. Der Fanatiker der Angst, Geh. Rath Kamptz war die Seele dieses finsteren Treibens. Er leitete als Director der Polizei die Verhaf- tungen, er erstattete dem Staatskanzler im Sommer 1819 die ersten An- zeigen über die entdeckte große Verschwörung.*) Und sicherlich hat er nicht wissentlich verleumdet; aber unbefangen war er jetzt so wenig wie vor Jahren, als er gegen die Wartburgfeier zu Felde zog. Aus Jahn's närri- schen Goldsprüchlein, die ihm seine Späher zutrugen, meinte er herauszu- lesen, daß ein Mordanschlag gegen ihn selber im Werke gewesen sei, und mit der ganzen Roheit des persönlichen Hasses verfolgte er nun seine Feinde. Unter ihm wirkte eine polizeiliche Untersuchungs-Commission, der neben dem elenden Grano auch einer von Hardenberg's zweideutigen Ver- trauten, der Lausitzer Tzschoppe angehörte, ein knabenhaftes Männchen mit blonden Locken, rosigen Wangen und sanften blauen Augen, glatt und leise wie ein Wiesel, überall horchend, immer bereit mit sauberen, wohlabgezirkelten Schriftzügen unsaubere Anzeigen in die Akten einzu- tragen.
Nach dem Buchstaben des bestehenden Rechtes ließ sich die Gesetz- mäßigkeit des eingeschlagenen Verfahrens schwer bestreiten; denn unzweifel- haft stand dem absoluten Könige die Befugniß zu, in Zeiten der Gefahr außerordentliche Maßregeln zu ergreifen, und nur für den Fall, daß die Wahrscheinlichkeit eines begangenen Verbrechens vorlag, verlangte das Landrecht gerichtliche Untersuchung. Gleichwohl beantragte das Staats- ministerium in mehreren Eingaben an den König und den Kanzler die sofortige Einsetzung einer Justizcommission. "Die öffentliche Meinung -- dies gaben die Minister dem Monarchen zu erwägen (8. Sept.) -- hängt besonders in unseren Tagen vorzüglich von der Achtung für das Recht und seine schützenden Formen ab. Vertrauen aber wird durch nichts so sehr gefährdet, als wenn die Verwaltung zu außerordentlichen Maßregeln schreitet, die nachher nicht durch den Erfolg gerechtfertigt werden. Noch steht dieses Vertrauen fest im preußischen Staate, so fest, daß man -- wie die Zeitungsberichte der Regierungen übereinstimmend sich aussprechen -- kaum an die gefährlichen Umtriebe glaubt, sie wenigstens nicht fürchtet. Aber wohin könnte es führen, wenn man auf dem betretenen Wege er- folglos noch lange fortschreiten sollte?" Mit der äußersten Grobheit trat Kamptz diesen Angriffen entgegen. "Auf dem betretenen Wege? so fragte er höhnisch -- dem der Umtriebe oder dem der Untersuchungen? Ersterer könnte freilich sehr weit führen!" Da der Staatskanzler den Versiche- rungen des Polizeidirectors unbedingt traute, so sprach eine von Harden- berg eigenhändig entworfene Cabinetsordre den Ministern das Befremden des Königs aus, ermahnte zur Vorsicht in allen Aeußerungen und er-
*) Kamptz, Berichte an Hardenberg 11. Juli 1819 ff.
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
habt wurde, die Opfer ihrer Verdächtigung mit tyranniſcher Willkür miß- handeln. Der Fanatiker der Angſt, Geh. Rath Kamptz war die Seele dieſes finſteren Treibens. Er leitete als Director der Polizei die Verhaf- tungen, er erſtattete dem Staatskanzler im Sommer 1819 die erſten An- zeigen über die entdeckte große Verſchwörung.*) Und ſicherlich hat er nicht wiſſentlich verleumdet; aber unbefangen war er jetzt ſo wenig wie vor Jahren, als er gegen die Wartburgfeier zu Felde zog. Aus Jahn’s närri- ſchen Goldſprüchlein, die ihm ſeine Späher zutrugen, meinte er herauszu- leſen, daß ein Mordanſchlag gegen ihn ſelber im Werke geweſen ſei, und mit der ganzen Roheit des perſönlichen Haſſes verfolgte er nun ſeine Feinde. Unter ihm wirkte eine polizeiliche Unterſuchungs-Commiſſion, der neben dem elenden Grano auch einer von Hardenberg’s zweideutigen Ver- trauten, der Lauſitzer Tzſchoppe angehörte, ein knabenhaftes Männchen mit blonden Locken, roſigen Wangen und ſanften blauen Augen, glatt und leiſe wie ein Wieſel, überall horchend, immer bereit mit ſauberen, wohlabgezirkelten Schriftzügen unſaubere Anzeigen in die Akten einzu- tragen.
Nach dem Buchſtaben des beſtehenden Rechtes ließ ſich die Geſetz- mäßigkeit des eingeſchlagenen Verfahrens ſchwer beſtreiten; denn unzweifel- haft ſtand dem abſoluten Könige die Befugniß zu, in Zeiten der Gefahr außerordentliche Maßregeln zu ergreifen, und nur für den Fall, daß die Wahrſcheinlichkeit eines begangenen Verbrechens vorlag, verlangte das Landrecht gerichtliche Unterſuchung. Gleichwohl beantragte das Staats- miniſterium in mehreren Eingaben an den König und den Kanzler die ſofortige Einſetzung einer Juſtizcommiſſion. „Die öffentliche Meinung — dies gaben die Miniſter dem Monarchen zu erwägen (8. Sept.) — hängt beſonders in unſeren Tagen vorzüglich von der Achtung für das Recht und ſeine ſchützenden Formen ab. Vertrauen aber wird durch nichts ſo ſehr gefährdet, als wenn die Verwaltung zu außerordentlichen Maßregeln ſchreitet, die nachher nicht durch den Erfolg gerechtfertigt werden. Noch ſteht dieſes Vertrauen feſt im preußiſchen Staate, ſo feſt, daß man — wie die Zeitungsberichte der Regierungen übereinſtimmend ſich ausſprechen — kaum an die gefährlichen Umtriebe glaubt, ſie wenigſtens nicht fürchtet. Aber wohin könnte es führen, wenn man auf dem betretenen Wege er- folglos noch lange fortſchreiten ſollte?“ Mit der äußerſten Grobheit trat Kamptz dieſen Angriffen entgegen. „Auf dem betretenen Wege? ſo fragte er höhniſch — dem der Umtriebe oder dem der Unterſuchungen? Erſterer könnte freilich ſehr weit führen!“ Da der Staatskanzler den Verſiche- rungen des Polizeidirectors unbedingt traute, ſo ſprach eine von Harden- berg eigenhändig entworfene Cabinetsordre den Miniſtern das Befremden des Königs aus, ermahnte zur Vorſicht in allen Aeußerungen und er-
*) Kamptz, Berichte an Hardenberg 11. Juli 1819 ff.
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habt wurde, die Opfer ihrer Verdächtigung mit tyranniſcher Willkür miß-
handeln. Der Fanatiker der Angſt, Geh. Rath Kamptz war die Seele
dieſes finſteren Treibens. Er leitete als Director der Polizei die Verhaf-
tungen, er erſtattete dem Staatskanzler im Sommer 1819 die erſten An-
zeigen über die entdeckte große Verſchwörung. *) Und ſicherlich hat er nicht
wiſſentlich verleumdet; aber unbefangen war er jetzt ſo wenig wie vor
Jahren, als er gegen die Wartburgfeier zu Felde zog. Aus Jahn’s närri-
ſchen Goldſprüchlein, die ihm ſeine Späher zutrugen, meinte er herauszu-
leſen, daß ein Mordanſchlag gegen ihn ſelber im Werke geweſen ſei, und
mit der ganzen Roheit des perſönlichen Haſſes verfolgte er nun ſeine
Feinde. Unter ihm wirkte eine polizeiliche Unterſuchungs-Commiſſion, der
neben dem elenden Grano auch einer von Hardenberg’s zweideutigen Ver-
trauten, der Lauſitzer Tzſchoppe angehörte, ein knabenhaftes Männchen
mit blonden Locken, roſigen Wangen und ſanften blauen Augen, glatt
und leiſe wie ein Wieſel, überall horchend, immer bereit mit ſauberen,
wohlabgezirkelten Schriftzügen unſaubere Anzeigen in die Akten einzu-
tragen.
Nach dem Buchſtaben des beſtehenden Rechtes ließ ſich die Geſetz-
mäßigkeit des eingeſchlagenen Verfahrens ſchwer beſtreiten; denn unzweifel-
haft ſtand dem abſoluten Könige die Befugniß zu, in Zeiten der Gefahr
außerordentliche Maßregeln zu ergreifen, und nur für den Fall, daß die
Wahrſcheinlichkeit eines begangenen Verbrechens vorlag, verlangte das
Landrecht gerichtliche Unterſuchung. Gleichwohl beantragte das Staats-
miniſterium in mehreren Eingaben an den König und den Kanzler die
ſofortige Einſetzung einer Juſtizcommiſſion. „Die öffentliche Meinung —
dies gaben die Miniſter dem Monarchen zu erwägen (8. Sept.) — hängt
beſonders in unſeren Tagen vorzüglich von der Achtung für das Recht
und ſeine ſchützenden Formen ab. Vertrauen aber wird durch nichts ſo
ſehr gefährdet, als wenn die Verwaltung zu außerordentlichen Maßregeln
ſchreitet, die nachher nicht durch den Erfolg gerechtfertigt werden. Noch
ſteht dieſes Vertrauen feſt im preußiſchen Staate, ſo feſt, daß man —
wie die Zeitungsberichte der Regierungen übereinſtimmend ſich ausſprechen
— kaum an die gefährlichen Umtriebe glaubt, ſie wenigſtens nicht fürchtet.
Aber wohin könnte es führen, wenn man auf dem betretenen Wege er-
folglos noch lange fortſchreiten ſollte?“ Mit der äußerſten Grobheit trat
Kamptz dieſen Angriffen entgegen. „Auf dem betretenen Wege? ſo fragte
er höhniſch — dem der Umtriebe oder dem der Unterſuchungen? Erſterer
könnte freilich ſehr weit führen!“ Da der Staatskanzler den Verſiche-
rungen des Polizeidirectors unbedingt traute, ſo ſprach eine von Harden-
berg eigenhändig entworfene Cabinetsordre den Miniſtern das Befremden
des Königs aus, ermahnte zur Vorſicht in allen Aeußerungen und er-
*) Kamptz, Berichte an Hardenberg 11. Juli 1819 ff.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/450>, abgerufen am 29.06.2024.
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