III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
oder in der Form verbündeter Kränzchen. In Jena und Halle war sie bald wieder stärker als alle anderen Verbindungen insgesammt; auf manchen Universitäten gewann sie erst durch den Reiz des Verbotes größeren An- hang, und nicht lange, so wurden die verbotenen Farben in Leipzig schon wieder auf offener Straße getragen. Entsittlichend wirkte der Gewissens- zwang, den die Regierungen in ihrer thörichten Angst den jungen Leuten auferlegten. Da jeder Student jetzt auf Ehrenwort geloben mußte, keiner geheimen Verbindung beizutreten, so beschwichtigten die Einen ihr Ge- wissen mit dem Troste, die Burschenschaft sei nicht geheim; Andere be- schlossen, jeder Bursch solle in dem Augenblicke, da er vor Gericht gerufen werde, stillschweigend aus der Verbindung austreten. Die Verwegensten aber behaupteten frischweg: durch den Bruch unseres Ehrenwortes haben wir der Obrigkeit bereits den Krieg erklärt, folglich sind wir auch zu anderen ungesetzlichen Schritten berechtigt.
Die alte Burschenschaft war von Haus aus zu groß um eine be- stimmte Gesinnung einzuhalten; jetzt traten die verschiedenen Parteien, die sich einst in ihr zusammengefunden, allmählich auseinander. Die Christlich- gesinnten kehrten der Politik den Rücken und begnügten sich mit fröhlicher Geselligkeit oder mit akademischen Reformbestrebungen. Diesen Arminen, wie sie späterhin genannt wurden, stand die politische Germania gegen- über. Wer jetzt noch, inmitten der allgemeinen Abspannung, an politische Ideale glaubte, verfiel leicht dem Radicalismus, und der erbitternde Druck der polizeilichen Verfolgung, die aufregenden Nachrichten aus Südeuropa konnten diese Stimmung nur verschärfen. Auch die Germanen bestanden in ihrer großen Mehrzahl aus harmlosen jungen Schwärmern, die in einem Athem ihr angestammtes Fürstenhaus und den Kaiser im Kyff- häuser priesen. Die alte Kaisertreue unseres Volkes kam eben jetzt durch Rückert's Barbarossalied und nachher durch Raumer's Hohenstaufenge- schichte wieder in Schwang; hunderte begeisterter Jünglinge wiederholten die Weissagung des Dichters:
Er hat hinabgenommen Des Reiches Herrlichkeit Und wird einst wieder kommen Mit ihr zu seiner Zeit!
Aber daneben stieg schon ein modernes Geschlecht empor, das vom christlichen Mittelalter nichts mehr hören wollte und sich das einige Deutsch- land nur als ein Glied in dem großen Völkerbunde des befreiten Europas vorstellte. Im Burschenhause zu Jena führte Arnold Ruge das große Wort, ein derber, gemüthlicher Pommer voll trockenen Humors und frischer Lebenslust, viel zu gutherzig, um ohne Noth eine Fliege todtzuschlagen, und trotz alledem ein Apostel des allgemeinen Umsturzes in Staat und Kirche. Sein Ideal war "die Anarchie oder Selbstbeherrschung", die er im alten Athen zu finden glaubte; nachher hatten nach langen Jahrhunderten
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
oder in der Form verbündeter Kränzchen. In Jena und Halle war ſie bald wieder ſtärker als alle anderen Verbindungen insgeſammt; auf manchen Univerſitäten gewann ſie erſt durch den Reiz des Verbotes größeren An- hang, und nicht lange, ſo wurden die verbotenen Farben in Leipzig ſchon wieder auf offener Straße getragen. Entſittlichend wirkte der Gewiſſens- zwang, den die Regierungen in ihrer thörichten Angſt den jungen Leuten auferlegten. Da jeder Student jetzt auf Ehrenwort geloben mußte, keiner geheimen Verbindung beizutreten, ſo beſchwichtigten die Einen ihr Ge- wiſſen mit dem Troſte, die Burſchenſchaft ſei nicht geheim; Andere be- ſchloſſen, jeder Burſch ſolle in dem Augenblicke, da er vor Gericht gerufen werde, ſtillſchweigend aus der Verbindung austreten. Die Verwegenſten aber behaupteten friſchweg: durch den Bruch unſeres Ehrenwortes haben wir der Obrigkeit bereits den Krieg erklärt, folglich ſind wir auch zu anderen ungeſetzlichen Schritten berechtigt.
Die alte Burſchenſchaft war von Haus aus zu groß um eine be- ſtimmte Geſinnung einzuhalten; jetzt traten die verſchiedenen Parteien, die ſich einſt in ihr zuſammengefunden, allmählich auseinander. Die Chriſtlich- geſinnten kehrten der Politik den Rücken und begnügten ſich mit fröhlicher Geſelligkeit oder mit akademiſchen Reformbeſtrebungen. Dieſen Arminen, wie ſie ſpäterhin genannt wurden, ſtand die politiſche Germania gegen- über. Wer jetzt noch, inmitten der allgemeinen Abſpannung, an politiſche Ideale glaubte, verfiel leicht dem Radicalismus, und der erbitternde Druck der polizeilichen Verfolgung, die aufregenden Nachrichten aus Südeuropa konnten dieſe Stimmung nur verſchärfen. Auch die Germanen beſtanden in ihrer großen Mehrzahl aus harmloſen jungen Schwärmern, die in einem Athem ihr angeſtammtes Fürſtenhaus und den Kaiſer im Kyff- häuſer prieſen. Die alte Kaiſertreue unſeres Volkes kam eben jetzt durch Rückert’s Barbaroſſalied und nachher durch Raumer’s Hohenſtaufenge- ſchichte wieder in Schwang; hunderte begeiſterter Jünglinge wiederholten die Weiſſagung des Dichters:
Er hat hinabgenommen Des Reiches Herrlichkeit Und wird einſt wieder kommen Mit ihr zu ſeiner Zeit!
Aber daneben ſtieg ſchon ein modernes Geſchlecht empor, das vom chriſtlichen Mittelalter nichts mehr hören wollte und ſich das einige Deutſch- land nur als ein Glied in dem großen Völkerbunde des befreiten Europas vorſtellte. Im Burſchenhauſe zu Jena führte Arnold Ruge das große Wort, ein derber, gemüthlicher Pommer voll trockenen Humors und friſcher Lebensluſt, viel zu gutherzig, um ohne Noth eine Fliege todtzuſchlagen, und trotz alledem ein Apoſtel des allgemeinen Umſturzes in Staat und Kirche. Sein Ideal war „die Anarchie oder Selbſtbeherrſchung“, die er im alten Athen zu finden glaubte; nachher hatten nach langen Jahrhunderten
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III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
oder in der Form verbündeter Kränzchen. In Jena und Halle war ſie bald
wieder ſtärker als alle anderen Verbindungen insgeſammt; auf manchen
Univerſitäten gewann ſie erſt durch den Reiz des Verbotes größeren An-
hang, und nicht lange, ſo wurden die verbotenen Farben in Leipzig ſchon
wieder auf offener Straße getragen. Entſittlichend wirkte der Gewiſſens-
zwang, den die Regierungen in ihrer thörichten Angſt den jungen Leuten
auferlegten. Da jeder Student jetzt auf Ehrenwort geloben mußte, keiner
geheimen Verbindung beizutreten, ſo beſchwichtigten die Einen ihr Ge-
wiſſen mit dem Troſte, die Burſchenſchaft ſei nicht geheim; Andere be-
ſchloſſen, jeder Burſch ſolle in dem Augenblicke, da er vor Gericht gerufen
werde, ſtillſchweigend aus der Verbindung austreten. Die Verwegenſten
aber behaupteten friſchweg: durch den Bruch unſeres Ehrenwortes haben
wir der Obrigkeit bereits den Krieg erklärt, folglich ſind wir auch zu
anderen ungeſetzlichen Schritten berechtigt.
Die alte Burſchenſchaft war von Haus aus zu groß um eine be-
ſtimmte Geſinnung einzuhalten; jetzt traten die verſchiedenen Parteien, die
ſich einſt in ihr zuſammengefunden, allmählich auseinander. Die Chriſtlich-
geſinnten kehrten der Politik den Rücken und begnügten ſich mit fröhlicher
Geſelligkeit oder mit akademiſchen Reformbeſtrebungen. Dieſen Arminen,
wie ſie ſpäterhin genannt wurden, ſtand die politiſche Germania gegen-
über. Wer jetzt noch, inmitten der allgemeinen Abſpannung, an politiſche
Ideale glaubte, verfiel leicht dem Radicalismus, und der erbitternde Druck
der polizeilichen Verfolgung, die aufregenden Nachrichten aus Südeuropa
konnten dieſe Stimmung nur verſchärfen. Auch die Germanen beſtanden
in ihrer großen Mehrzahl aus harmloſen jungen Schwärmern, die in
einem Athem ihr angeſtammtes Fürſtenhaus und den Kaiſer im Kyff-
häuſer prieſen. Die alte Kaiſertreue unſeres Volkes kam eben jetzt durch
Rückert’s Barbaroſſalied und nachher durch Raumer’s Hohenſtaufenge-
ſchichte wieder in Schwang; hunderte begeiſterter Jünglinge wiederholten
die Weiſſagung des Dichters:
Er hat hinabgenommen
Des Reiches Herrlichkeit
Und wird einſt wieder kommen
Mit ihr zu ſeiner Zeit!
Aber daneben ſtieg ſchon ein modernes Geſchlecht empor, das vom
chriſtlichen Mittelalter nichts mehr hören wollte und ſich das einige Deutſch-
land nur als ein Glied in dem großen Völkerbunde des befreiten Europas
vorſtellte. Im Burſchenhauſe zu Jena führte Arnold Ruge das große
Wort, ein derber, gemüthlicher Pommer voll trockenen Humors und friſcher
Lebensluſt, viel zu gutherzig, um ohne Noth eine Fliege todtzuſchlagen,
und trotz alledem ein Apoſtel des allgemeinen Umſturzes in Staat und
Kirche. Sein Ideal war „die Anarchie oder Selbſtbeherrſchung“, die er im
alten Athen zu finden glaubte; nachher hatten nach langen Jahrhunderten
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/456>, abgerufen am 22.11.2024.
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