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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die Deutsch-Amerikaner.
noch immer überwiegend Süddeutsche, die sich in ihren dichtbevölkerten
Heimathslanden unter dem Zwange einer kleinlichen Wirthschaftspolitik
nicht mehr fortzuhelfen wußten. Als Prinz Bernhard von Weimar im
Jahre 1825 die Union bereiste, fand er in Neuyork, Philadelphia, Bal-
timore blühende deutsche Vereine und fast in allen größeren Städten ein-
zelne angesehene deutsche Bürger; unter den Millionären der jungen
Republik behauptete der Pfälzer Astor schon längst eine glänzende Stellung.
Aber die große Mehrzahl der Deutschen bestand aus ungebildeten kleinen
Leuten, sie galten wenig in Staat und Gesellschaft. Der Name der Dutchmen
hatte sogar einen üblen Klang, die Amerikaner dachten dabei nur an die
verkauften Hessen und Ansbacher, die unglücklichen Söldner Englands,
und vergaßen geflissentlich, wie tapfer ihre deutschen Mitbürger einst für das
Sternenbanner gefochten, wie herrlich die Generale Steuben und Kalb
im Heere Washington's den alten deutschen Waffenruhm bewährt hatten.

Dies Urtheil begann sich zu ändern, Bildungsstand und Ansehen
der Deutschen hoben sich allmählich, seit eine ganze Schaar geistig und
politisch regsamer Männer durch die Demagogenverfolgung in die neue
Welt getrieben wurde: Lieber und Karl Follen, Fehrentheil und Salomon,
Albert Lange und die Wesselhöfts, Karl Beck aus Heidelberg, Bardili
aus Schwaben und viele Andere. Wunderbar, wie rasch die wildesten
deutschen Radikalen sich hier in gute republikanische Bürger verwandelten.
Die Einen bändigte die harte Noth, die Anderen fanden hier ihr Staats-
ideal verwirklicht und brachten der neuen Heimath ein Uebermaß von
Pietät und gutwilliger Nachsicht entgegen, eine Fülle freundlicher Gefühle,
die ihnen auch in Deutschland ein glückliches Leben gesichert haben würde,
wenn sie ihr altes Vaterland mit der gleichen Milde beurtheilt hätten.
Es war aber nur menschlich, daß diese verlorenen Söhne des deutschen
Volks kein Ohr hatten für die Warnung, welche Niebuhr seinem Schützlinge
Lieber auf den Weg gab: er möge sich durch die Leichtigkeit des wirthschaft-
lichen Erwerbs in dem jungen Lande nicht über das Wesen der Demo-
kratie täuschen lassen. Befangen in den Anschauungen des alten Natur-
rechts, erbittert über die Mißgriffe der deutschen Polizei, wollten sie daheim
nur die Grausamkeit gekrönter Zwingherren sehen und begrüßten dies un-
fertige Gemeinwesen, das der Willkür des Einzelnen so gar keinen Zwang
auflegte, kurzweg als das Land der Freiheit.

Am grellsten zeigte sich dieser Wechsel der Stimmungen in Karl
Follen. Der hatte, nachdem er zum zweiten male durch seine Verschwö-
rungskünste schweres Unglück über die verführte deutsche Jugend gebracht,
auch die Schweiz verlassen müssen, da die deutschen Großmächte aus trif-
tigen Gründen seine Auslieferung forderten. Kaum in Amerika angelangt,
redete er, ein geborener Republikaner, sofort eine andere Sprache. "In
diesem Lande, rief er entzückt, wo das Gesetz allein herrscht, giebt es keinen
ruhigeren Unterthan als mich. In dieser Vernunftwelt findet der Mensch,

Die Deutſch-Amerikaner.
noch immer überwiegend Süddeutſche, die ſich in ihren dichtbevölkerten
Heimathslanden unter dem Zwange einer kleinlichen Wirthſchaftspolitik
nicht mehr fortzuhelfen wußten. Als Prinz Bernhard von Weimar im
Jahre 1825 die Union bereiſte, fand er in Neuyork, Philadelphia, Bal-
timore blühende deutſche Vereine und faſt in allen größeren Städten ein-
zelne angeſehene deutſche Bürger; unter den Millionären der jungen
Republik behauptete der Pfälzer Aſtor ſchon längſt eine glänzende Stellung.
Aber die große Mehrzahl der Deutſchen beſtand aus ungebildeten kleinen
Leuten, ſie galten wenig in Staat und Geſellſchaft. Der Name der Dutchmen
hatte ſogar einen üblen Klang, die Amerikaner dachten dabei nur an die
verkauften Heſſen und Ansbacher, die unglücklichen Söldner Englands,
und vergaßen gefliſſentlich, wie tapfer ihre deutſchen Mitbürger einſt für das
Sternenbanner gefochten, wie herrlich die Generale Steuben und Kalb
im Heere Waſhington’s den alten deutſchen Waffenruhm bewährt hatten.

Dies Urtheil begann ſich zu ändern, Bildungsſtand und Anſehen
der Deutſchen hoben ſich allmählich, ſeit eine ganze Schaar geiſtig und
politiſch regſamer Männer durch die Demagogenverfolgung in die neue
Welt getrieben wurde: Lieber und Karl Follen, Fehrentheil und Salomon,
Albert Lange und die Weſſelhöfts, Karl Beck aus Heidelberg, Bardili
aus Schwaben und viele Andere. Wunderbar, wie raſch die wildeſten
deutſchen Radikalen ſich hier in gute republikaniſche Bürger verwandelten.
Die Einen bändigte die harte Noth, die Anderen fanden hier ihr Staats-
ideal verwirklicht und brachten der neuen Heimath ein Uebermaß von
Pietät und gutwilliger Nachſicht entgegen, eine Fülle freundlicher Gefühle,
die ihnen auch in Deutſchland ein glückliches Leben geſichert haben würde,
wenn ſie ihr altes Vaterland mit der gleichen Milde beurtheilt hätten.
Es war aber nur menſchlich, daß dieſe verlorenen Söhne des deutſchen
Volks kein Ohr hatten für die Warnung, welche Niebuhr ſeinem Schützlinge
Lieber auf den Weg gab: er möge ſich durch die Leichtigkeit des wirthſchaft-
lichen Erwerbs in dem jungen Lande nicht über das Weſen der Demo-
kratie täuſchen laſſen. Befangen in den Anſchauungen des alten Natur-
rechts, erbittert über die Mißgriffe der deutſchen Polizei, wollten ſie daheim
nur die Grauſamkeit gekrönter Zwingherren ſehen und begrüßten dies un-
fertige Gemeinweſen, das der Willkür des Einzelnen ſo gar keinen Zwang
auflegte, kurzweg als das Land der Freiheit.

Am grellſten zeigte ſich dieſer Wechſel der Stimmungen in Karl
Follen. Der hatte, nachdem er zum zweiten male durch ſeine Verſchwö-
rungskünſte ſchweres Unglück über die verführte deutſche Jugend gebracht,
auch die Schweiz verlaſſen müſſen, da die deutſchen Großmächte aus trif-
tigen Gründen ſeine Auslieferung forderten. Kaum in Amerika angelangt,
redete er, ein geborener Republikaner, ſofort eine andere Sprache. „In
dieſem Lande, rief er entzückt, wo das Geſetz allein herrſcht, giebt es keinen
ruhigeren Unterthan als mich. In dieſer Vernunftwelt findet der Menſch,

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[447/0463] Die Deutſch-Amerikaner. noch immer überwiegend Süddeutſche, die ſich in ihren dichtbevölkerten Heimathslanden unter dem Zwange einer kleinlichen Wirthſchaftspolitik nicht mehr fortzuhelfen wußten. Als Prinz Bernhard von Weimar im Jahre 1825 die Union bereiſte, fand er in Neuyork, Philadelphia, Bal- timore blühende deutſche Vereine und faſt in allen größeren Städten ein- zelne angeſehene deutſche Bürger; unter den Millionären der jungen Republik behauptete der Pfälzer Aſtor ſchon längſt eine glänzende Stellung. Aber die große Mehrzahl der Deutſchen beſtand aus ungebildeten kleinen Leuten, ſie galten wenig in Staat und Geſellſchaft. Der Name der Dutchmen hatte ſogar einen üblen Klang, die Amerikaner dachten dabei nur an die verkauften Heſſen und Ansbacher, die unglücklichen Söldner Englands, und vergaßen gefliſſentlich, wie tapfer ihre deutſchen Mitbürger einſt für das Sternenbanner gefochten, wie herrlich die Generale Steuben und Kalb im Heere Waſhington’s den alten deutſchen Waffenruhm bewährt hatten. Dies Urtheil begann ſich zu ändern, Bildungsſtand und Anſehen der Deutſchen hoben ſich allmählich, ſeit eine ganze Schaar geiſtig und politiſch regſamer Männer durch die Demagogenverfolgung in die neue Welt getrieben wurde: Lieber und Karl Follen, Fehrentheil und Salomon, Albert Lange und die Weſſelhöfts, Karl Beck aus Heidelberg, Bardili aus Schwaben und viele Andere. Wunderbar, wie raſch die wildeſten deutſchen Radikalen ſich hier in gute republikaniſche Bürger verwandelten. Die Einen bändigte die harte Noth, die Anderen fanden hier ihr Staats- ideal verwirklicht und brachten der neuen Heimath ein Uebermaß von Pietät und gutwilliger Nachſicht entgegen, eine Fülle freundlicher Gefühle, die ihnen auch in Deutſchland ein glückliches Leben geſichert haben würde, wenn ſie ihr altes Vaterland mit der gleichen Milde beurtheilt hätten. Es war aber nur menſchlich, daß dieſe verlorenen Söhne des deutſchen Volks kein Ohr hatten für die Warnung, welche Niebuhr ſeinem Schützlinge Lieber auf den Weg gab: er möge ſich durch die Leichtigkeit des wirthſchaft- lichen Erwerbs in dem jungen Lande nicht über das Weſen der Demo- kratie täuſchen laſſen. Befangen in den Anſchauungen des alten Natur- rechts, erbittert über die Mißgriffe der deutſchen Polizei, wollten ſie daheim nur die Grauſamkeit gekrönter Zwingherren ſehen und begrüßten dies un- fertige Gemeinweſen, das der Willkür des Einzelnen ſo gar keinen Zwang auflegte, kurzweg als das Land der Freiheit. Am grellſten zeigte ſich dieſer Wechſel der Stimmungen in Karl Follen. Der hatte, nachdem er zum zweiten male durch ſeine Verſchwö- rungskünſte ſchweres Unglück über die verführte deutſche Jugend gebracht, auch die Schweiz verlaſſen müſſen, da die deutſchen Großmächte aus trif- tigen Gründen ſeine Auslieferung forderten. Kaum in Amerika angelangt, redete er, ein geborener Republikaner, ſofort eine andere Sprache. „In dieſem Lande, rief er entzückt, wo das Geſetz allein herrſcht, giebt es keinen ruhigeren Unterthan als mich. In dieſer Vernunftwelt findet der Menſch,

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/463>, abgerufen am 22.11.2024.