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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Die Censur.
sie in Preußen zulasse, einer erneuten Prüfung zu unterwerfen, denn auf
die machtlose sächsische Censur sei kein Verlaß.*) Umsonst suchte Harden-
berg den Zorn des Königs zu besänftigen; Schuckmann wußte immer wieder
die Absichten des Kanzlers zu durchkreuzen. Da Brockhaus in seinen Be-
schwerdeschriften lebhaft und ausfällig wurde, vergaß sich der Minister so
weit ihm anzudrohen: man werde, falls er nicht Ruhe halte, alle seine
Verlagswerke in Preußen verbieten und sie den Nachdruckern preisgeben!
Nach fast drei Jahren wurde die angeordnete Recensur endlich zurück-
genommen.

Und dazu fort und fort in der Staatszeitung geheimnißvolle An-
deutungen über entdeckte Verschwörungen; jedes Geständniß der Genossen
des Jünglingbundes wurde von Kamptz sogleich zu unbestimmten journa-
listischen Verdächtigungen verwerthet. Der vielgeplagte Herausgeber Stäge-
mann, der dem Unwesen nicht wehren durfte, war in Verzweiflung; er
hatte einst, als er dies dornige Amt übernahm, vor seinen Freunden
grimmig gescherzt: "wer den Teufel zu verschlucken sich erst entschlossen
hat, darf ihn nicht lang begucken"**) und dankte dem Himmel, als er
endlich davon entbunden wurde. Zu Alledem noch bei Hofe beständige
kleine Ohrenbläsereien, die meist ohne Erfolg blieben, aber vollauf genügten
um dies ohnehin verbitterte Geschlecht in ewiger Besorgniß zu erhalten.
Wie gern hätte Wittgenstein den verhaßten Schleiermacher beseitigt. Ge-
schäftig holte er die ängstlichen Worte wieder hervor, welche der Staats-
kanzler vor Jahren über die politischen Vorlesungen des Theologen geäußert
hatte; zuletzt wagte er doch nicht zuzugreifen.***) Schleiermacher's Freund
Gaß wurde amtlich aufgefordert nach Königsberg überzusiedeln, weil er sich
in Breslau durch seine Theilnahme am Turnstreite unmöglich gemacht habe;
als er das Anerbieten kurzerhand ausschlug, ließ man ihn in Ruhe.+)
Ueber Luden's Vorlesungen fertigte der Berliner Universitätsbevollmäch-
tigte Schulz -- nach dem Hefte eines offenbar ganz unfähigen Studenten
-- ein vernichtendes Gutachten, das nach Mainz und Frankfurt gesendet
wurde; schließlich blieb auch der Jenenser Hochverräther unbehelligt.++) An
die Spitzen des Beamtenthums trauten sich die Spürer nicht recht heran.
Nur Oberpräsident Merckel forderte seinen Abschied (1820), weil er der
Zwischenträgereien müde war und das Curatorium der Universität Breslau
nicht gern dem neuen Regierungsbevollmächtigten übergeben wollte. Doch
auf die Dauer konnte dieser eingefleischte Schlesier nicht mit ansehen, wie

*) Cabinetsordre an Schuckmann, 2. Mai 1821. Die übrigen Aktenstücke bei
Brockhaus, F. A Brockhaus. III 183 f.
**) Stägemann an Solms-Laubach, 22. Dec. 1818.
***) Wittgenstein an Schuckmann, 22. Dec. 1820. Vgl. o. II. 431.
+) Altenstein und Schuckmann, Ministerialschreiben an Gaß, 26. April 1823.
++) Blittersdorff's Bericht, 13. Juli; Beilage B. zum geheimen Protocolle der
Bundesversammlung vom 3. Juli 1823.
29*

Die Cenſur.
ſie in Preußen zulaſſe, einer erneuten Prüfung zu unterwerfen, denn auf
die machtloſe ſächſiſche Cenſur ſei kein Verlaß.*) Umſonſt ſuchte Harden-
berg den Zorn des Königs zu beſänftigen; Schuckmann wußte immer wieder
die Abſichten des Kanzlers zu durchkreuzen. Da Brockhaus in ſeinen Be-
ſchwerdeſchriften lebhaft und ausfällig wurde, vergaß ſich der Miniſter ſo
weit ihm anzudrohen: man werde, falls er nicht Ruhe halte, alle ſeine
Verlagswerke in Preußen verbieten und ſie den Nachdruckern preisgeben!
Nach faſt drei Jahren wurde die angeordnete Recenſur endlich zurück-
genommen.

Und dazu fort und fort in der Staatszeitung geheimnißvolle An-
deutungen über entdeckte Verſchwörungen; jedes Geſtändniß der Genoſſen
des Jünglingbundes wurde von Kamptz ſogleich zu unbeſtimmten journa-
liſtiſchen Verdächtigungen verwerthet. Der vielgeplagte Herausgeber Stäge-
mann, der dem Unweſen nicht wehren durfte, war in Verzweiflung; er
hatte einſt, als er dies dornige Amt übernahm, vor ſeinen Freunden
grimmig geſcherzt: „wer den Teufel zu verſchlucken ſich erſt entſchloſſen
hat, darf ihn nicht lang begucken“**) und dankte dem Himmel, als er
endlich davon entbunden wurde. Zu Alledem noch bei Hofe beſtändige
kleine Ohrenbläſereien, die meiſt ohne Erfolg blieben, aber vollauf genügten
um dies ohnehin verbitterte Geſchlecht in ewiger Beſorgniß zu erhalten.
Wie gern hätte Wittgenſtein den verhaßten Schleiermacher beſeitigt. Ge-
ſchäftig holte er die ängſtlichen Worte wieder hervor, welche der Staats-
kanzler vor Jahren über die politiſchen Vorleſungen des Theologen geäußert
hatte; zuletzt wagte er doch nicht zuzugreifen.***) Schleiermacher’s Freund
Gaß wurde amtlich aufgefordert nach Königsberg überzuſiedeln, weil er ſich
in Breslau durch ſeine Theilnahme am Turnſtreite unmöglich gemacht habe;
als er das Anerbieten kurzerhand ausſchlug, ließ man ihn in Ruhe.†)
Ueber Luden’s Vorleſungen fertigte der Berliner Univerſitätsbevollmäch-
tigte Schulz — nach dem Hefte eines offenbar ganz unfähigen Studenten
— ein vernichtendes Gutachten, das nach Mainz und Frankfurt geſendet
wurde; ſchließlich blieb auch der Jenenſer Hochverräther unbehelligt.††) An
die Spitzen des Beamtenthums trauten ſich die Spürer nicht recht heran.
Nur Oberpräſident Merckel forderte ſeinen Abſchied (1820), weil er der
Zwiſchenträgereien müde war und das Curatorium der Univerſität Breslau
nicht gern dem neuen Regierungsbevollmächtigten übergeben wollte. Doch
auf die Dauer konnte dieſer eingefleiſchte Schleſier nicht mit anſehen, wie

*) Cabinetsordre an Schuckmann, 2. Mai 1821. Die übrigen Aktenſtücke bei
Brockhaus, F. A Brockhaus. III 183 f.
**) Stägemann an Solms-Laubach, 22. Dec. 1818.
***) Wittgenſtein an Schuckmann, 22. Dec. 1820. Vgl. o. II. 431.
†) Altenſtein und Schuckmann, Miniſterialſchreiben an Gaß, 26. April 1823.
††) Blittersdorff’s Bericht, 13. Juli; Beilage B. zum geheimen Protocolle der
Bundesverſammlung vom 3. Juli 1823.
29*
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[451/0467] Die Cenſur. ſie in Preußen zulaſſe, einer erneuten Prüfung zu unterwerfen, denn auf die machtloſe ſächſiſche Cenſur ſei kein Verlaß. *) Umſonſt ſuchte Harden- berg den Zorn des Königs zu beſänftigen; Schuckmann wußte immer wieder die Abſichten des Kanzlers zu durchkreuzen. Da Brockhaus in ſeinen Be- ſchwerdeſchriften lebhaft und ausfällig wurde, vergaß ſich der Miniſter ſo weit ihm anzudrohen: man werde, falls er nicht Ruhe halte, alle ſeine Verlagswerke in Preußen verbieten und ſie den Nachdruckern preisgeben! Nach faſt drei Jahren wurde die angeordnete Recenſur endlich zurück- genommen. Und dazu fort und fort in der Staatszeitung geheimnißvolle An- deutungen über entdeckte Verſchwörungen; jedes Geſtändniß der Genoſſen des Jünglingbundes wurde von Kamptz ſogleich zu unbeſtimmten journa- liſtiſchen Verdächtigungen verwerthet. Der vielgeplagte Herausgeber Stäge- mann, der dem Unweſen nicht wehren durfte, war in Verzweiflung; er hatte einſt, als er dies dornige Amt übernahm, vor ſeinen Freunden grimmig geſcherzt: „wer den Teufel zu verſchlucken ſich erſt entſchloſſen hat, darf ihn nicht lang begucken“ **) und dankte dem Himmel, als er endlich davon entbunden wurde. Zu Alledem noch bei Hofe beſtändige kleine Ohrenbläſereien, die meiſt ohne Erfolg blieben, aber vollauf genügten um dies ohnehin verbitterte Geſchlecht in ewiger Beſorgniß zu erhalten. Wie gern hätte Wittgenſtein den verhaßten Schleiermacher beſeitigt. Ge- ſchäftig holte er die ängſtlichen Worte wieder hervor, welche der Staats- kanzler vor Jahren über die politiſchen Vorleſungen des Theologen geäußert hatte; zuletzt wagte er doch nicht zuzugreifen. ***) Schleiermacher’s Freund Gaß wurde amtlich aufgefordert nach Königsberg überzuſiedeln, weil er ſich in Breslau durch ſeine Theilnahme am Turnſtreite unmöglich gemacht habe; als er das Anerbieten kurzerhand ausſchlug, ließ man ihn in Ruhe. †) Ueber Luden’s Vorleſungen fertigte der Berliner Univerſitätsbevollmäch- tigte Schulz — nach dem Hefte eines offenbar ganz unfähigen Studenten — ein vernichtendes Gutachten, das nach Mainz und Frankfurt geſendet wurde; ſchließlich blieb auch der Jenenſer Hochverräther unbehelligt. ††) An die Spitzen des Beamtenthums trauten ſich die Spürer nicht recht heran. Nur Oberpräſident Merckel forderte ſeinen Abſchied (1820), weil er der Zwiſchenträgereien müde war und das Curatorium der Univerſität Breslau nicht gern dem neuen Regierungsbevollmächtigten übergeben wollte. Doch auf die Dauer konnte dieſer eingefleiſchte Schleſier nicht mit anſehen, wie *) Cabinetsordre an Schuckmann, 2. Mai 1821. Die übrigen Aktenſtücke bei Brockhaus, F. A Brockhaus. III 183 f. **) Stägemann an Solms-Laubach, 22. Dec. 1818. ***) Wittgenſtein an Schuckmann, 22. Dec. 1820. Vgl. o. II. 431. †) Altenſtein und Schuckmann, Miniſterialſchreiben an Gaß, 26. April 1823. ††) Blittersdorff’s Bericht, 13. Juli; Beilage B. zum geheimen Protocolle der Bundesverſammlung vom 3. Juli 1823. 29*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/467>, abgerufen am 22.11.2024.