III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
seines Grundadels gesorgt. Eine so durchgreifende Hilfe ließ sich aber jetzt nur noch ermöglichen, wenn man den Staatscredit in Anspruch nahm, und die Staatsschuld war geschlossen, ihre Vermehrung ohne die Zu- stimmung der Reichsstände unzulässig. So grell offenbarte sich wieder, daß die Monarchie ohne Reichsstände nur noch in einem Provisorium lebte: ruhigen Zeiten war sie gewachsen, jeder außerordentlichen Aufgabe stand sie rathlos gegenüber. --
Mit diesen traurigen Wirren hatte der Finanzminister unmittelbar nichts zu schaffen, aber an dem Ertrage der Abgaben lernte er die Noth der Landwirthschaft nur zu gründlich kennen, obwohl der König bei allen seinen Unterstützungen streng den Grundsatz einhielt, daß auch dem Be- dürftigsten niemals ein Nachlaß an den Staatssteuern bewilligt werden dürfe. Um die Schwierigkeiten zu bemeistern, wollte Motz zunächst die Lage des Staatshaushalts genau übersehen und erneuerte daher seine alte Forderung, daß der Finanzminister in der Generalcontrole Sitz und Stimme haben müsse. Der König suchte nach seiner Gewohnheit zu ver- mitteln, weil er den verdienten alten Ladenberg nicht kränken mochte, und ordnete an, der Finanzminister solle im Falle der Meinungsverschieden- heit durch einen seiner Räthe mündlich mit dem Präsidenten der General- Controle unterhandeln.*) Mit einer solchen Halbheit konnte sich Motz nicht zufrieden geben; denn zwischen den beiden coordinirten Behörden hatte sich längst ein tragikomischer Wettstreit des Amtseifers entsponnen, wie er nur in der preußischen Bureaukratie möglich ist. Die General- Controle suchte ihre Lebenskraft zu erweisen, indem sie den Etats zahl- lose lächerliche Monita zusetzte, zum Domänenetat allein 91, zum Forst- etat 146, und die Calculatoren des Finanzministeriums erwiderten natür- lich mit gleicher Münze. Das Gezänk ward so unerträglich, daß Motz sich entschloß den König um seine Entlassung zu bitten, wenn ihm seine berechtigte Forderung nicht gewährt würde. "Ich kann mich nicht dazu verstehen -- schrieb er an Lottum -- die Rolle zu übernehmen, welche Herr v. Klewiz viele Jahre zum Nachtheil der Finanzen des Staates er- tragen hat." Ein solches Abschiedsgesuch galt nach den Grundsätzen des alten Absolutismus als strafbarer Trotz, und Motz selber hielt für nöthig die Versicherung hinzuzufügen: "ich würde der Gnade des Königs mich selbst unwürdig erkennen, wenn ich in Eitelkeit und Thorheit befangen, mich auf anderem Wege in meiner Dienststelle zu conserviren bemüht sein wollte."
Seit Stein im Frühjahr 1807 aus ähnlichem Anlaß ungnädig ent- lassen worden, hatte kein Minister mehr gewagt in diesem Tone zu reden; selbst Hardenberg hatte nur einmal, als er auf die Zustimmung des Königs sicher rechnen konnte, leise mit seinem Abgang gedroht. Friedrich Wilhelm
*) Cabinetsordre an Lottum und Motz, 22. Nov. 1825.
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
ſeines Grundadels geſorgt. Eine ſo durchgreifende Hilfe ließ ſich aber jetzt nur noch ermöglichen, wenn man den Staatscredit in Anſpruch nahm, und die Staatsſchuld war geſchloſſen, ihre Vermehrung ohne die Zu- ſtimmung der Reichsſtände unzuläſſig. So grell offenbarte ſich wieder, daß die Monarchie ohne Reichsſtände nur noch in einem Proviſorium lebte: ruhigen Zeiten war ſie gewachſen, jeder außerordentlichen Aufgabe ſtand ſie rathlos gegenüber. —
Mit dieſen traurigen Wirren hatte der Finanzminiſter unmittelbar nichts zu ſchaffen, aber an dem Ertrage der Abgaben lernte er die Noth der Landwirthſchaft nur zu gründlich kennen, obwohl der König bei allen ſeinen Unterſtützungen ſtreng den Grundſatz einhielt, daß auch dem Be- dürftigſten niemals ein Nachlaß an den Staatsſteuern bewilligt werden dürfe. Um die Schwierigkeiten zu bemeiſtern, wollte Motz zunächſt die Lage des Staatshaushalts genau überſehen und erneuerte daher ſeine alte Forderung, daß der Finanzminiſter in der Generalcontrole Sitz und Stimme haben müſſe. Der König ſuchte nach ſeiner Gewohnheit zu ver- mitteln, weil er den verdienten alten Ladenberg nicht kränken mochte, und ordnete an, der Finanzminiſter ſolle im Falle der Meinungsverſchieden- heit durch einen ſeiner Räthe mündlich mit dem Präſidenten der General- Controle unterhandeln.*) Mit einer ſolchen Halbheit konnte ſich Motz nicht zufrieden geben; denn zwiſchen den beiden coordinirten Behörden hatte ſich längſt ein tragikomiſcher Wettſtreit des Amtseifers entſponnen, wie er nur in der preußiſchen Bureaukratie möglich iſt. Die General- Controle ſuchte ihre Lebenskraft zu erweiſen, indem ſie den Etats zahl- loſe lächerliche Monita zuſetzte, zum Domänenetat allein 91, zum Forſt- etat 146, und die Calculatoren des Finanzminiſteriums erwiderten natür- lich mit gleicher Münze. Das Gezänk ward ſo unerträglich, daß Motz ſich entſchloß den König um ſeine Entlaſſung zu bitten, wenn ihm ſeine berechtigte Forderung nicht gewährt würde. „Ich kann mich nicht dazu verſtehen — ſchrieb er an Lottum — die Rolle zu übernehmen, welche Herr v. Klewiz viele Jahre zum Nachtheil der Finanzen des Staates er- tragen hat.“ Ein ſolches Abſchiedsgeſuch galt nach den Grundſätzen des alten Abſolutismus als ſtrafbarer Trotz, und Motz ſelber hielt für nöthig die Verſicherung hinzuzufügen: „ich würde der Gnade des Königs mich ſelbſt unwürdig erkennen, wenn ich in Eitelkeit und Thorheit befangen, mich auf anderem Wege in meiner Dienſtſtelle zu conſerviren bemüht ſein wollte.“
Seit Stein im Frühjahr 1807 aus ähnlichem Anlaß ungnädig ent- laſſen worden, hatte kein Miniſter mehr gewagt in dieſem Tone zu reden; ſelbſt Hardenberg hatte nur einmal, als er auf die Zuſtimmung des Königs ſicher rechnen konnte, leiſe mit ſeinem Abgang gedroht. Friedrich Wilhelm
*) Cabinetsordre an Lottum und Motz, 22. Nov. 1825.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0476"n="460"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.</fw><lb/>ſeines Grundadels geſorgt. Eine ſo durchgreifende Hilfe ließ ſich aber<lb/>
jetzt nur noch ermöglichen, wenn man den Staatscredit in Anſpruch nahm,<lb/>
und die Staatsſchuld war geſchloſſen, ihre Vermehrung ohne die Zu-<lb/>ſtimmung der Reichsſtände unzuläſſig. So grell offenbarte ſich wieder,<lb/>
daß die Monarchie ohne Reichsſtände nur noch in einem Proviſorium<lb/>
lebte: ruhigen Zeiten war ſie gewachſen, jeder außerordentlichen Aufgabe<lb/>ſtand ſie rathlos gegenüber. —</p><lb/><p>Mit dieſen traurigen Wirren hatte der Finanzminiſter unmittelbar<lb/>
nichts zu ſchaffen, aber an dem Ertrage der Abgaben lernte er die Noth<lb/>
der Landwirthſchaft nur zu gründlich kennen, obwohl der König bei allen<lb/>ſeinen Unterſtützungen ſtreng den Grundſatz einhielt, daß auch dem Be-<lb/>
dürftigſten niemals ein Nachlaß an den Staatsſteuern bewilligt werden<lb/>
dürfe. Um die Schwierigkeiten zu bemeiſtern, wollte Motz zunächſt die<lb/>
Lage des Staatshaushalts genau überſehen und erneuerte daher ſeine<lb/>
alte Forderung, daß der Finanzminiſter in der Generalcontrole Sitz und<lb/>
Stimme haben müſſe. Der König ſuchte nach ſeiner Gewohnheit zu ver-<lb/>
mitteln, weil er den verdienten alten Ladenberg nicht kränken mochte, und<lb/>
ordnete an, der Finanzminiſter ſolle im Falle der Meinungsverſchieden-<lb/>
heit durch einen ſeiner Räthe mündlich mit dem Präſidenten der General-<lb/>
Controle unterhandeln.<noteplace="foot"n="*)">Cabinetsordre an Lottum und Motz, 22. Nov. 1825.</note> Mit einer ſolchen Halbheit konnte ſich Motz<lb/>
nicht zufrieden geben; denn zwiſchen den beiden coordinirten Behörden<lb/>
hatte ſich längſt ein tragikomiſcher Wettſtreit des Amtseifers entſponnen,<lb/>
wie er nur in der preußiſchen Bureaukratie möglich iſt. Die General-<lb/>
Controle ſuchte ihre Lebenskraft zu erweiſen, indem ſie den Etats zahl-<lb/>
loſe lächerliche Monita zuſetzte, zum Domänenetat allein 91, zum Forſt-<lb/>
etat 146, und die Calculatoren des Finanzminiſteriums erwiderten natür-<lb/>
lich mit gleicher Münze. Das Gezänk ward ſo unerträglich, daß Motz<lb/>ſich entſchloß den König um ſeine Entlaſſung zu bitten, wenn ihm ſeine<lb/>
berechtigte Forderung nicht gewährt würde. „Ich kann mich nicht dazu<lb/>
verſtehen —ſchrieb er an Lottum — die Rolle zu übernehmen, welche<lb/>
Herr v. Klewiz viele Jahre zum Nachtheil der Finanzen des Staates er-<lb/>
tragen hat.“ Ein ſolches Abſchiedsgeſuch galt nach den Grundſätzen des<lb/>
alten Abſolutismus als ſtrafbarer Trotz, und Motz ſelber hielt für nöthig<lb/>
die Verſicherung hinzuzufügen: „ich würde der Gnade des Königs mich<lb/>ſelbſt unwürdig erkennen, wenn ich in Eitelkeit und Thorheit befangen,<lb/>
mich auf anderem Wege in meiner Dienſtſtelle zu conſerviren bemüht<lb/>ſein wollte.“</p><lb/><p>Seit Stein im Frühjahr 1807 aus ähnlichem Anlaß ungnädig ent-<lb/>
laſſen worden, hatte kein Miniſter mehr gewagt in dieſem Tone zu reden;<lb/>ſelbſt Hardenberg hatte nur einmal, als er auf die Zuſtimmung des Königs<lb/>ſicher rechnen konnte, leiſe mit ſeinem Abgang gedroht. Friedrich Wilhelm<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[460/0476]
III. 6. Preußiſche Zuſtände nach Hardenberg’s Tod.
ſeines Grundadels geſorgt. Eine ſo durchgreifende Hilfe ließ ſich aber
jetzt nur noch ermöglichen, wenn man den Staatscredit in Anſpruch nahm,
und die Staatsſchuld war geſchloſſen, ihre Vermehrung ohne die Zu-
ſtimmung der Reichsſtände unzuläſſig. So grell offenbarte ſich wieder,
daß die Monarchie ohne Reichsſtände nur noch in einem Proviſorium
lebte: ruhigen Zeiten war ſie gewachſen, jeder außerordentlichen Aufgabe
ſtand ſie rathlos gegenüber. —
Mit dieſen traurigen Wirren hatte der Finanzminiſter unmittelbar
nichts zu ſchaffen, aber an dem Ertrage der Abgaben lernte er die Noth
der Landwirthſchaft nur zu gründlich kennen, obwohl der König bei allen
ſeinen Unterſtützungen ſtreng den Grundſatz einhielt, daß auch dem Be-
dürftigſten niemals ein Nachlaß an den Staatsſteuern bewilligt werden
dürfe. Um die Schwierigkeiten zu bemeiſtern, wollte Motz zunächſt die
Lage des Staatshaushalts genau überſehen und erneuerte daher ſeine
alte Forderung, daß der Finanzminiſter in der Generalcontrole Sitz und
Stimme haben müſſe. Der König ſuchte nach ſeiner Gewohnheit zu ver-
mitteln, weil er den verdienten alten Ladenberg nicht kränken mochte, und
ordnete an, der Finanzminiſter ſolle im Falle der Meinungsverſchieden-
heit durch einen ſeiner Räthe mündlich mit dem Präſidenten der General-
Controle unterhandeln. *) Mit einer ſolchen Halbheit konnte ſich Motz
nicht zufrieden geben; denn zwiſchen den beiden coordinirten Behörden
hatte ſich längſt ein tragikomiſcher Wettſtreit des Amtseifers entſponnen,
wie er nur in der preußiſchen Bureaukratie möglich iſt. Die General-
Controle ſuchte ihre Lebenskraft zu erweiſen, indem ſie den Etats zahl-
loſe lächerliche Monita zuſetzte, zum Domänenetat allein 91, zum Forſt-
etat 146, und die Calculatoren des Finanzminiſteriums erwiderten natür-
lich mit gleicher Münze. Das Gezänk ward ſo unerträglich, daß Motz
ſich entſchloß den König um ſeine Entlaſſung zu bitten, wenn ihm ſeine
berechtigte Forderung nicht gewährt würde. „Ich kann mich nicht dazu
verſtehen — ſchrieb er an Lottum — die Rolle zu übernehmen, welche
Herr v. Klewiz viele Jahre zum Nachtheil der Finanzen des Staates er-
tragen hat.“ Ein ſolches Abſchiedsgeſuch galt nach den Grundſätzen des
alten Abſolutismus als ſtrafbarer Trotz, und Motz ſelber hielt für nöthig
die Verſicherung hinzuzufügen: „ich würde der Gnade des Königs mich
ſelbſt unwürdig erkennen, wenn ich in Eitelkeit und Thorheit befangen,
mich auf anderem Wege in meiner Dienſtſtelle zu conſerviren bemüht
ſein wollte.“
Seit Stein im Frühjahr 1807 aus ähnlichem Anlaß ungnädig ent-
laſſen worden, hatte kein Miniſter mehr gewagt in dieſem Tone zu reden;
ſelbſt Hardenberg hatte nur einmal, als er auf die Zuſtimmung des Königs
ſicher rechnen konnte, leiſe mit ſeinem Abgang gedroht. Friedrich Wilhelm
*) Cabinetsordre an Lottum und Motz, 22. Nov. 1825.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/476>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.