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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Unterwerfung Anhalts.
schlossen ihr verpfändetes Wort endlich einzulösen und erklärten sich zu Unter-
handlungen bereit. Am 17. Juli 1828, nach neunjährigen Schmuggel-
freuden, traten Dessau und Köthen dem preußischen Zollsysteme bei. Beide
Landesherren bedauerten in gefühlvollen Manifesten, ihre geliebten Unter-
thanen so schwer belasten zu müssen; der Köthener berief sich auf "unab-
wendbare Umstände", der aufrichtigere Dessauer -- mit jener cynischen
Gemüthlichkeit, die dem deutschen Kleinfürsten nicht verargt wird -- auf
"die Interessen seines Kammerhaushalts". Alle diese Enclavenverträge
gewährten den kleinen Höfen einen nach der Volkszahl abgemessenen An-
theil am Ertrage der preußischen Ein- und Ausfuhrzölle, außerdem noch
allerhand Ehrenrechte -- das Landeswappen neben dem preußischen für
die Zollämter und was der Eitelkeiten mehr war -- aber durchaus keinen
Antheil an der Zollgesetzgebung. Nur Dessau und Köthen behielten sich
das Recht des Widerspruchs vor, falls die Grundsätze und Grundlagen
des Zollgesetzes verändert würden -- ein Satz, der glücklicherweise gar
nichts bedeutete. Eben so harmlos war die Klausel, wonach Dessau und
Bernburg nur für sechs Jahre beitreten sollten. Motz und Eichhorn
wußten wohl, wie wenig an einen Wiederaustritt zu denken sei; so gönnte
man den Kleinen das erhebende Bewußtsein, daß sie sich nicht für ewige
Zeiten unterworfen hätten. In der That begann in den anhaltischen
Ländern der ehrliche Erwerb wieder zu gedeihen, und bald fühlte Jeder-
mann, die natürliche Ordnung der Dinge sei hergestellt. --

Noch während diese anhaltischen Händel schwebten, eröffnete sich für
Preußen plötzlich die Aussicht auch größere deutsche Staaten in seine Zoll-
gemeinschaft aufzunehmen. Gewitzigt durch die niederschlagenden Erfah-
rungen der Wiener Conferenzen, hatte der Berliner Hof während der
letzten Jahre gelassen abgewartet, ob die Noth der Finanzen einen der
Mittelstaaten bewegen würde, sich freiwillig dem preußischen Zollsysteme
anzuschließen. Eine solche Politik gewährte zugleich den Vortheil, daß
Preußen verschont blieb vor den unzähligen Zollvereinsplänen, welche gleich
Nebelgestalten, rasch gebildet und rasch zerfließend, an den kleinen Höfen
auftauchten und oftmals auch an die preußischen Gesandten herantraten.
Leichtfertiges Pläneschmieden war von jeher das Vorrecht der Ohnmacht.
Ein Staat, der eine große nationale Idee vertrat, durfte auf die Mücken-
seigerei nassauischer und meiningischer Staatsdilettanten sich nicht ein-
lassen. Ein einziger von Preußen übereilt abgeschlossener Zollvertrag, der
die Probe nicht bestand und sich wieder auflöste, hätte die Höfe wie die
Nation vollends abgeschreckt und die preußische Handelspolitik auf Jahre
hinaus gelähmt. Nur wenn ein Mittelstaat, Dünkel und Mißtrauen
überwindend, selber in Berlin positive Anerbietungen stellte, dann allein
ließ sich glauben, daß er durch gewichtige Interessen bestimmt werde und
ein dauerhafter Bund möglich sei.

Aus dem Ränkespiele Adam Müller's erfuhr man überdies, welche

Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 31

Unterwerfung Anhalts.
ſchloſſen ihr verpfändetes Wort endlich einzulöſen und erklärten ſich zu Unter-
handlungen bereit. Am 17. Juli 1828, nach neunjährigen Schmuggel-
freuden, traten Deſſau und Köthen dem preußiſchen Zollſyſteme bei. Beide
Landesherren bedauerten in gefühlvollen Manifeſten, ihre geliebten Unter-
thanen ſo ſchwer belaſten zu müſſen; der Köthener berief ſich auf „unab-
wendbare Umſtände“, der aufrichtigere Deſſauer — mit jener cyniſchen
Gemüthlichkeit, die dem deutſchen Kleinfürſten nicht verargt wird — auf
„die Intereſſen ſeines Kammerhaushalts“. Alle dieſe Enclavenverträge
gewährten den kleinen Höfen einen nach der Volkszahl abgemeſſenen An-
theil am Ertrage der preußiſchen Ein- und Ausfuhrzölle, außerdem noch
allerhand Ehrenrechte — das Landeswappen neben dem preußiſchen für
die Zollämter und was der Eitelkeiten mehr war — aber durchaus keinen
Antheil an der Zollgeſetzgebung. Nur Deſſau und Köthen behielten ſich
das Recht des Widerſpruchs vor, falls die Grundſätze und Grundlagen
des Zollgeſetzes verändert würden — ein Satz, der glücklicherweiſe gar
nichts bedeutete. Eben ſo harmlos war die Klauſel, wonach Deſſau und
Bernburg nur für ſechs Jahre beitreten ſollten. Motz und Eichhorn
wußten wohl, wie wenig an einen Wiederaustritt zu denken ſei; ſo gönnte
man den Kleinen das erhebende Bewußtſein, daß ſie ſich nicht für ewige
Zeiten unterworfen hätten. In der That begann in den anhaltiſchen
Ländern der ehrliche Erwerb wieder zu gedeihen, und bald fühlte Jeder-
mann, die natürliche Ordnung der Dinge ſei hergeſtellt. —

Noch während dieſe anhaltiſchen Händel ſchwebten, eröffnete ſich für
Preußen plötzlich die Ausſicht auch größere deutſche Staaten in ſeine Zoll-
gemeinſchaft aufzunehmen. Gewitzigt durch die niederſchlagenden Erfah-
rungen der Wiener Conferenzen, hatte der Berliner Hof während der
letzten Jahre gelaſſen abgewartet, ob die Noth der Finanzen einen der
Mittelſtaaten bewegen würde, ſich freiwillig dem preußiſchen Zollſyſteme
anzuſchließen. Eine ſolche Politik gewährte zugleich den Vortheil, daß
Preußen verſchont blieb vor den unzähligen Zollvereinsplänen, welche gleich
Nebelgeſtalten, raſch gebildet und raſch zerfließend, an den kleinen Höfen
auftauchten und oftmals auch an die preußiſchen Geſandten herantraten.
Leichtfertiges Pläneſchmieden war von jeher das Vorrecht der Ohnmacht.
Ein Staat, der eine große nationale Idee vertrat, durfte auf die Mücken-
ſeigerei naſſauiſcher und meiningiſcher Staatsdilettanten ſich nicht ein-
laſſen. Ein einziger von Preußen übereilt abgeſchloſſener Zollvertrag, der
die Probe nicht beſtand und ſich wieder auflöſte, hätte die Höfe wie die
Nation vollends abgeſchreckt und die preußiſche Handelspolitik auf Jahre
hinaus gelähmt. Nur wenn ein Mittelſtaat, Dünkel und Mißtrauen
überwindend, ſelber in Berlin poſitive Anerbietungen ſtellte, dann allein
ließ ſich glauben, daß er durch gewichtige Intereſſen beſtimmt werde und
ein dauerhafter Bund möglich ſei.

Aus dem Ränkeſpiele Adam Müller’s erfuhr man überdies, welche

Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 31
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[481/0497] Unterwerfung Anhalts. ſchloſſen ihr verpfändetes Wort endlich einzulöſen und erklärten ſich zu Unter- handlungen bereit. Am 17. Juli 1828, nach neunjährigen Schmuggel- freuden, traten Deſſau und Köthen dem preußiſchen Zollſyſteme bei. Beide Landesherren bedauerten in gefühlvollen Manifeſten, ihre geliebten Unter- thanen ſo ſchwer belaſten zu müſſen; der Köthener berief ſich auf „unab- wendbare Umſtände“, der aufrichtigere Deſſauer — mit jener cyniſchen Gemüthlichkeit, die dem deutſchen Kleinfürſten nicht verargt wird — auf „die Intereſſen ſeines Kammerhaushalts“. Alle dieſe Enclavenverträge gewährten den kleinen Höfen einen nach der Volkszahl abgemeſſenen An- theil am Ertrage der preußiſchen Ein- und Ausfuhrzölle, außerdem noch allerhand Ehrenrechte — das Landeswappen neben dem preußiſchen für die Zollämter und was der Eitelkeiten mehr war — aber durchaus keinen Antheil an der Zollgeſetzgebung. Nur Deſſau und Köthen behielten ſich das Recht des Widerſpruchs vor, falls die Grundſätze und Grundlagen des Zollgeſetzes verändert würden — ein Satz, der glücklicherweiſe gar nichts bedeutete. Eben ſo harmlos war die Klauſel, wonach Deſſau und Bernburg nur für ſechs Jahre beitreten ſollten. Motz und Eichhorn wußten wohl, wie wenig an einen Wiederaustritt zu denken ſei; ſo gönnte man den Kleinen das erhebende Bewußtſein, daß ſie ſich nicht für ewige Zeiten unterworfen hätten. In der That begann in den anhaltiſchen Ländern der ehrliche Erwerb wieder zu gedeihen, und bald fühlte Jeder- mann, die natürliche Ordnung der Dinge ſei hergeſtellt. — Noch während dieſe anhaltiſchen Händel ſchwebten, eröffnete ſich für Preußen plötzlich die Ausſicht auch größere deutſche Staaten in ſeine Zoll- gemeinſchaft aufzunehmen. Gewitzigt durch die niederſchlagenden Erfah- rungen der Wiener Conferenzen, hatte der Berliner Hof während der letzten Jahre gelaſſen abgewartet, ob die Noth der Finanzen einen der Mittelſtaaten bewegen würde, ſich freiwillig dem preußiſchen Zollſyſteme anzuſchließen. Eine ſolche Politik gewährte zugleich den Vortheil, daß Preußen verſchont blieb vor den unzähligen Zollvereinsplänen, welche gleich Nebelgeſtalten, raſch gebildet und raſch zerfließend, an den kleinen Höfen auftauchten und oftmals auch an die preußiſchen Geſandten herantraten. Leichtfertiges Pläneſchmieden war von jeher das Vorrecht der Ohnmacht. Ein Staat, der eine große nationale Idee vertrat, durfte auf die Mücken- ſeigerei naſſauiſcher und meiningiſcher Staatsdilettanten ſich nicht ein- laſſen. Ein einziger von Preußen übereilt abgeſchloſſener Zollvertrag, der die Probe nicht beſtand und ſich wieder auflöſte, hätte die Höfe wie die Nation vollends abgeſchreckt und die preußiſche Handelspolitik auf Jahre hinaus gelähmt. Nur wenn ein Mittelſtaat, Dünkel und Mißtrauen überwindend, ſelber in Berlin poſitive Anerbietungen ſtellte, dann allein ließ ſich glauben, daß er durch gewichtige Intereſſen beſtimmt werde und ein dauerhafter Bund möglich ſei. Aus dem Ränkeſpiele Adam Müller’s erfuhr man überdies, welche Treitſchke, Deutſche Geſchichte. III. 31

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/497>, abgerufen am 22.11.2024.