III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
starken August die gierigen Hände zu füllen, um die Magnaten des pol- nischen Reichstags zu bestechen, um das Wunder zu ermöglichen, daß der Hof eines deutschen Mittelstaates selbst das Versailler Vorbild überbot und in seiner "opulenten Somptuosite" auch noch die Mittel fand, den Warschauern ihren Sächsischen Palast und andere Prachtbauten zu schenken. Zugleich warf der unstete Ehrgeiz König August's und seines abenteuern- den Vertrauten Flemming das unglückliche Land in die Wirren des nor- dischen Krieges. Das tapfere Heer verblutete sich in ruhmlosen Kämpfen unter dem Banner des weißen Adlers; die Schweden, vorlängst durch das gute Schwert der Märker bis an den äußersten Nordsaum Deutschlands zurückgeworfen, drangen noch einmal siegreich bis in das Herz des Reiches, und nahe dem Lützener Schlachtfelde diktirte Karl XII. dem entthronten Polenkönige einen schmachvollen Frieden.
Der ganze Unsegen der ausländischen Königskrone ward erst unter August's elendem Nachfolger offenbar, als in den großen Entscheidungs- tagen der schlesischen Kriege der politisch unkluge, aber menschlich ent- schuldbare Groll der Albertiner wider den glücklichen nordischen Neben- buhler sich zu blindem Hasse steigerte und die polnisch-katholischen Groß- machtsträume des Grafen Brühl dies protestantische deutsche Land gänz- lich aus den Bahnen seiner natürlichen Politik hinausschleuderten. Selbst die an luftigen Projekten so reiche Geschichte der deutschen kleinstaatlichen Diplomatie hat nichts Schwindelhafteres aufzuweisen, als die begehrlichen Anschläge dieses nichtigen Favoriten: wie er Preußen zerschlagen, Sachsen mit Polen durch die schlesische Via regia verbinden und durch Begün- stigung der polnischen Adelsanarchie die Erblichkeit der albertinischen Königskrone erreichen wollte -- und das Alles ohne eigene nachhaltige Rüstung, allein durch den Beistand Rußlands und der katholischen Groß- mächte. Furchtbar war die Strafe. Sieben Jahre lang mußte Sachsen, besiegt, entwaffnet, in schmählicher Hilflosigkeit, dem preußischen Sieger die Kosten seines Krieges tragen helfen. Nach dem Hubertusburger Frieden lag das Land fast wieder ebenso verwüstet wie einst nach dem dreißigjäh- rigen Kriege. Die Verbindung mit Polen löste sich auf, der Kampf um die zweite Stelle im deutschen Reich war endgiltig zu Preußens Gunsten entschieden, und selbst in seinem Familienleben stand das Fürstenhaus seit seinem Glaubenswechsel vereinsamt unter den norddeutschen Dynastien; die neuen anspruchsvollen Verbindungen mit den bourbonischen und den habsburgischen Höfen vermehrten nur seinen Stolz, nicht seine Macht.
Der lange Streit zwischen Preußen und Sachsen war nicht blos ein Kampf um die Macht, sondern auch ein Kampf zweier Staatsgedanken; das politische Königthum der Hohenzollern siegte über die Frivolität fürst- licher Selbstvergötterung. Friedrich der Große blieb sich dieses principiellen Gegensatzes immer bewußt; in einer von zorniger Verachtung überströmen- den Ode rief er, seiner männlicheren Tugend froh, dem unglücklichen
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
ſtarken Auguſt die gierigen Hände zu füllen, um die Magnaten des pol- niſchen Reichstags zu beſtechen, um das Wunder zu ermöglichen, daß der Hof eines deutſchen Mittelſtaates ſelbſt das Verſailler Vorbild überbot und in ſeiner „opulenten Somptuoſité“ auch noch die Mittel fand, den Warſchauern ihren Sächſiſchen Palaſt und andere Prachtbauten zu ſchenken. Zugleich warf der unſtete Ehrgeiz König Auguſt’s und ſeines abenteuern- den Vertrauten Flemming das unglückliche Land in die Wirren des nor- diſchen Krieges. Das tapfere Heer verblutete ſich in ruhmloſen Kämpfen unter dem Banner des weißen Adlers; die Schweden, vorlängſt durch das gute Schwert der Märker bis an den äußerſten Nordſaum Deutſchlands zurückgeworfen, drangen noch einmal ſiegreich bis in das Herz des Reiches, und nahe dem Lützener Schlachtfelde diktirte Karl XII. dem entthronten Polenkönige einen ſchmachvollen Frieden.
Der ganze Unſegen der ausländiſchen Königskrone ward erſt unter Auguſt’s elendem Nachfolger offenbar, als in den großen Entſcheidungs- tagen der ſchleſiſchen Kriege der politiſch unkluge, aber menſchlich ent- ſchuldbare Groll der Albertiner wider den glücklichen nordiſchen Neben- buhler ſich zu blindem Haſſe ſteigerte und die polniſch-katholiſchen Groß- machtsträume des Grafen Brühl dies proteſtantiſche deutſche Land gänz- lich aus den Bahnen ſeiner natürlichen Politik hinausſchleuderten. Selbſt die an luftigen Projekten ſo reiche Geſchichte der deutſchen kleinſtaatlichen Diplomatie hat nichts Schwindelhafteres aufzuweiſen, als die begehrlichen Anſchläge dieſes nichtigen Favoriten: wie er Preußen zerſchlagen, Sachſen mit Polen durch die ſchleſiſche Via regia verbinden und durch Begün- ſtigung der polniſchen Adelsanarchie die Erblichkeit der albertiniſchen Königskrone erreichen wollte — und das Alles ohne eigene nachhaltige Rüſtung, allein durch den Beiſtand Rußlands und der katholiſchen Groß- mächte. Furchtbar war die Strafe. Sieben Jahre lang mußte Sachſen, beſiegt, entwaffnet, in ſchmählicher Hilfloſigkeit, dem preußiſchen Sieger die Koſten ſeines Krieges tragen helfen. Nach dem Hubertusburger Frieden lag das Land faſt wieder ebenſo verwüſtet wie einſt nach dem dreißigjäh- rigen Kriege. Die Verbindung mit Polen löſte ſich auf, der Kampf um die zweite Stelle im deutſchen Reich war endgiltig zu Preußens Gunſten entſchieden, und ſelbſt in ſeinem Familienleben ſtand das Fürſtenhaus ſeit ſeinem Glaubenswechſel vereinſamt unter den norddeutſchen Dynaſtien; die neuen anſpruchsvollen Verbindungen mit den bourboniſchen und den habsburgiſchen Höfen vermehrten nur ſeinen Stolz, nicht ſeine Macht.
Der lange Streit zwiſchen Preußen und Sachſen war nicht blos ein Kampf um die Macht, ſondern auch ein Kampf zweier Staatsgedanken; das politiſche Königthum der Hohenzollern ſiegte über die Frivolität fürſt- licher Selbſtvergötterung. Friedrich der Große blieb ſich dieſes principiellen Gegenſatzes immer bewußt; in einer von zorniger Verachtung überſtrömen- den Ode rief er, ſeiner männlicheren Tugend froh, dem unglücklichen
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III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
ſtarken Auguſt die gierigen Hände zu füllen, um die Magnaten des pol-
niſchen Reichstags zu beſtechen, um das Wunder zu ermöglichen, daß der
Hof eines deutſchen Mittelſtaates ſelbſt das Verſailler Vorbild überbot
und in ſeiner „opulenten Somptuoſité“ auch noch die Mittel fand, den
Warſchauern ihren Sächſiſchen Palaſt und andere Prachtbauten zu ſchenken.
Zugleich warf der unſtete Ehrgeiz König Auguſt’s und ſeines abenteuern-
den Vertrauten Flemming das unglückliche Land in die Wirren des nor-
diſchen Krieges. Das tapfere Heer verblutete ſich in ruhmloſen Kämpfen
unter dem Banner des weißen Adlers; die Schweden, vorlängſt durch das
gute Schwert der Märker bis an den äußerſten Nordſaum Deutſchlands
zurückgeworfen, drangen noch einmal ſiegreich bis in das Herz des Reiches,
und nahe dem Lützener Schlachtfelde diktirte Karl XII. dem entthronten
Polenkönige einen ſchmachvollen Frieden.
Der ganze Unſegen der ausländiſchen Königskrone ward erſt unter
Auguſt’s elendem Nachfolger offenbar, als in den großen Entſcheidungs-
tagen der ſchleſiſchen Kriege der politiſch unkluge, aber menſchlich ent-
ſchuldbare Groll der Albertiner wider den glücklichen nordiſchen Neben-
buhler ſich zu blindem Haſſe ſteigerte und die polniſch-katholiſchen Groß-
machtsträume des Grafen Brühl dies proteſtantiſche deutſche Land gänz-
lich aus den Bahnen ſeiner natürlichen Politik hinausſchleuderten. Selbſt
die an luftigen Projekten ſo reiche Geſchichte der deutſchen kleinſtaatlichen
Diplomatie hat nichts Schwindelhafteres aufzuweiſen, als die begehrlichen
Anſchläge dieſes nichtigen Favoriten: wie er Preußen zerſchlagen, Sachſen
mit Polen durch die ſchleſiſche Via regia verbinden und durch Begün-
ſtigung der polniſchen Adelsanarchie die Erblichkeit der albertiniſchen
Königskrone erreichen wollte — und das Alles ohne eigene nachhaltige
Rüſtung, allein durch den Beiſtand Rußlands und der katholiſchen Groß-
mächte. Furchtbar war die Strafe. Sieben Jahre lang mußte Sachſen,
beſiegt, entwaffnet, in ſchmählicher Hilfloſigkeit, dem preußiſchen Sieger die
Koſten ſeines Krieges tragen helfen. Nach dem Hubertusburger Frieden
lag das Land faſt wieder ebenſo verwüſtet wie einſt nach dem dreißigjäh-
rigen Kriege. Die Verbindung mit Polen löſte ſich auf, der Kampf um
die zweite Stelle im deutſchen Reich war endgiltig zu Preußens Gunſten
entſchieden, und ſelbſt in ſeinem Familienleben ſtand das Fürſtenhaus ſeit
ſeinem Glaubenswechſel vereinſamt unter den norddeutſchen Dynaſtien;
die neuen anſpruchsvollen Verbindungen mit den bourboniſchen und den
habsburgiſchen Höfen vermehrten nur ſeinen Stolz, nicht ſeine Macht.
Der lange Streit zwiſchen Preußen und Sachſen war nicht blos ein
Kampf um die Macht, ſondern auch ein Kampf zweier Staatsgedanken;
das politiſche Königthum der Hohenzollern ſiegte über die Frivolität fürſt-
licher Selbſtvergötterung. Friedrich der Große blieb ſich dieſes principiellen
Gegenſatzes immer bewußt; in einer von zorniger Verachtung überſtrömen-
den Ode rief er, ſeiner männlicheren Tugend froh, dem unglücklichen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/510>, abgerufen am 22.11.2024.
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