summsend, störend erscheine." Im November 1829 brachte die Biene gar eine "Adresse des sächsischen Volkes" an den König, aus der Feder eines der fähigsten Mitglieder der Ritterschaft, Albert v. Carlowitz. Hier wurde schon auf das Beispiel Weimars, Baierns, Württembergs hingewiesen, die Einführung einer wirklichen Volksvertretung, die gleichmäßige Verthei- lung der öffentlichen Lasten empfohlen: möge die Ritterschaft den König von den Reversalien, welche ihr den Schutz ihrer Sonderrechte zusichern, selber entbinden!
Noch schärfer äußerte sich bald darauf ein anderer angesehener Grund- herr, Otto v. Watzdorf, ein freimüthiger Mann, der erst in weit späterer Zeit durch den Haß seiner Standesgenossen gereizt und in eine radikale Richtung gedrängt wurde. Damals stand er noch auf dem Boden des süddeutschen constitutionellen Liberalismus und entwickelte das Programm dieser Partei -- Theilung der Gewalten, Zweikammersystem, Verantwort- lichkeit der Minister -- in einer Denkschrift über die sächsische Verfassung. Die Regierung hatte dem Aufsatze mit schnöden Worten das Imprimatur verweigert, sie konnte aber nicht verhindern, daß er gedruckt und viel ge- lesen wurde. Die beiden aristokratischen Liberalen standen längst nicht mehr allein. Das zeigte sich, als der Landtag von 1830 nochmals die Vorlegung einer Ausgaben-Uebersicht forderte und bei der Genehmigung der Steuern offen aussprach: "Bei Weitem zum kleinsten Theile ist es das Unserige was wir bewilligen. Weit mehr als das Volk vor Jahr- zehnten von seinen Vertretern forderte, fordert der Geist unserer Tage." Die Krone wies abermals alle Neuerungen zurück; doch ihre Sprache klang nicht mehr so zuversichtlich wie sonst. Jedermann fühlte, daß der Tag des alten Systems sich neigte. Nachdem man fünfzehn Jahre that- los verträumt, war eine friedliche Umbildung des vermorschten Gemein- wesens kaum noch wahrscheinlich. --
Gleich den Obersachsen waren auch die Hessen immer rechte Mittel- deutsche geblieben, durch Stammesart und Sprache den Oberländern ver- wandt, durch Verkehr, kirchliche und politische Geschichte mit dem Norden verbunden. Die Chatten allein unter allen Germanen theilten mit den Friesen den Ruhm, daß sie sich durch die Stürme der Völkerwanderung hindurch mit unverändertem Stammesnamen in ihren alten Sitzen be- hauptet hatten. Hier und in Westphalen fanden einst die Römer ihre unbezwinglichen Feinde; nur noch in Friesland und einigen Strichen Niedersachsens blieb das germanische Blut so völlig unvermischt. Diese Oberfranken halfen mit, das weltherrschende Frankenreich zu bilden; aus ihren Flußthälern, aus Fulda, Hersfeld, Fritzlar drang dann das Christen- thum in das innere Deutschland vor; von hier erhielten die Deutschen
Der Bienenvater Richter.
ſummſend, ſtörend erſcheine.“ Im November 1829 brachte die Biene gar eine „Adreſſe des ſächſiſchen Volkes“ an den König, aus der Feder eines der fähigſten Mitglieder der Ritterſchaft, Albert v. Carlowitz. Hier wurde ſchon auf das Beiſpiel Weimars, Baierns, Württembergs hingewieſen, die Einführung einer wirklichen Volksvertretung, die gleichmäßige Verthei- lung der öffentlichen Laſten empfohlen: möge die Ritterſchaft den König von den Reverſalien, welche ihr den Schutz ihrer Sonderrechte zuſichern, ſelber entbinden!
Noch ſchärfer äußerte ſich bald darauf ein anderer angeſehener Grund- herr, Otto v. Watzdorf, ein freimüthiger Mann, der erſt in weit ſpäterer Zeit durch den Haß ſeiner Standesgenoſſen gereizt und in eine radikale Richtung gedrängt wurde. Damals ſtand er noch auf dem Boden des ſüddeutſchen conſtitutionellen Liberalismus und entwickelte das Programm dieſer Partei — Theilung der Gewalten, Zweikammerſyſtem, Verantwort- lichkeit der Miniſter — in einer Denkſchrift über die ſächſiſche Verfaſſung. Die Regierung hatte dem Aufſatze mit ſchnöden Worten das Imprimatur verweigert, ſie konnte aber nicht verhindern, daß er gedruckt und viel ge- leſen wurde. Die beiden ariſtokratiſchen Liberalen ſtanden längſt nicht mehr allein. Das zeigte ſich, als der Landtag von 1830 nochmals die Vorlegung einer Ausgaben-Ueberſicht forderte und bei der Genehmigung der Steuern offen ausſprach: „Bei Weitem zum kleinſten Theile iſt es das Unſerige was wir bewilligen. Weit mehr als das Volk vor Jahr- zehnten von ſeinen Vertretern forderte, fordert der Geiſt unſerer Tage.“ Die Krone wies abermals alle Neuerungen zurück; doch ihre Sprache klang nicht mehr ſo zuverſichtlich wie ſonſt. Jedermann fühlte, daß der Tag des alten Syſtems ſich neigte. Nachdem man fünfzehn Jahre that- los verträumt, war eine friedliche Umbildung des vermorſchten Gemein- weſens kaum noch wahrſcheinlich. —
Gleich den Oberſachſen waren auch die Heſſen immer rechte Mittel- deutſche geblieben, durch Stammesart und Sprache den Oberländern ver- wandt, durch Verkehr, kirchliche und politiſche Geſchichte mit dem Norden verbunden. Die Chatten allein unter allen Germanen theilten mit den Frieſen den Ruhm, daß ſie ſich durch die Stürme der Völkerwanderung hindurch mit unverändertem Stammesnamen in ihren alten Sitzen be- hauptet hatten. Hier und in Weſtphalen fanden einſt die Römer ihre unbezwinglichen Feinde; nur noch in Friesland und einigen Strichen Niederſachſens blieb das germaniſche Blut ſo völlig unvermiſcht. Dieſe Oberfranken halfen mit, das weltherrſchende Frankenreich zu bilden; aus ihren Flußthälern, aus Fulda, Hersfeld, Fritzlar drang dann das Chriſten- thum in das innere Deutſchland vor; von hier erhielten die Deutſchen
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Der Bienenvater Richter.
ſummſend, ſtörend erſcheine.“ Im November 1829 brachte die Biene gar
eine „Adreſſe des ſächſiſchen Volkes“ an den König, aus der Feder eines
der fähigſten Mitglieder der Ritterſchaft, Albert v. Carlowitz. Hier wurde
ſchon auf das Beiſpiel Weimars, Baierns, Württembergs hingewieſen,
die Einführung einer wirklichen Volksvertretung, die gleichmäßige Verthei-
lung der öffentlichen Laſten empfohlen: möge die Ritterſchaft den König
von den Reverſalien, welche ihr den Schutz ihrer Sonderrechte zuſichern,
ſelber entbinden!
Noch ſchärfer äußerte ſich bald darauf ein anderer angeſehener Grund-
herr, Otto v. Watzdorf, ein freimüthiger Mann, der erſt in weit ſpäterer
Zeit durch den Haß ſeiner Standesgenoſſen gereizt und in eine radikale
Richtung gedrängt wurde. Damals ſtand er noch auf dem Boden des
ſüddeutſchen conſtitutionellen Liberalismus und entwickelte das Programm
dieſer Partei — Theilung der Gewalten, Zweikammerſyſtem, Verantwort-
lichkeit der Miniſter — in einer Denkſchrift über die ſächſiſche Verfaſſung.
Die Regierung hatte dem Aufſatze mit ſchnöden Worten das Imprimatur
verweigert, ſie konnte aber nicht verhindern, daß er gedruckt und viel ge-
leſen wurde. Die beiden ariſtokratiſchen Liberalen ſtanden längſt nicht
mehr allein. Das zeigte ſich, als der Landtag von 1830 nochmals die
Vorlegung einer Ausgaben-Ueberſicht forderte und bei der Genehmigung
der Steuern offen ausſprach: „Bei Weitem zum kleinſten Theile iſt es
das Unſerige was wir bewilligen. Weit mehr als das Volk vor Jahr-
zehnten von ſeinen Vertretern forderte, fordert der Geiſt unſerer Tage.“
Die Krone wies abermals alle Neuerungen zurück; doch ihre Sprache
klang nicht mehr ſo zuverſichtlich wie ſonſt. Jedermann fühlte, daß der
Tag des alten Syſtems ſich neigte. Nachdem man fünfzehn Jahre that-
los verträumt, war eine friedliche Umbildung des vermorſchten Gemein-
weſens kaum noch wahrſcheinlich. —
Gleich den Oberſachſen waren auch die Heſſen immer rechte Mittel-
deutſche geblieben, durch Stammesart und Sprache den Oberländern ver-
wandt, durch Verkehr, kirchliche und politiſche Geſchichte mit dem Norden
verbunden. Die Chatten allein unter allen Germanen theilten mit den
Frieſen den Ruhm, daß ſie ſich durch die Stürme der Völkerwanderung
hindurch mit unverändertem Stammesnamen in ihren alten Sitzen be-
hauptet hatten. Hier und in Weſtphalen fanden einſt die Römer ihre
unbezwinglichen Feinde; nur noch in Friesland und einigen Strichen
Niederſachſens blieb das germaniſche Blut ſo völlig unvermiſcht. Dieſe
Oberfranken halfen mit, das weltherrſchende Frankenreich zu bilden; aus
ihren Flußthälern, aus Fulda, Hersfeld, Fritzlar drang dann das Chriſten-
thum in das innere Deutſchland vor; von hier erhielten die Deutſchen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/533>, abgerufen am 22.11.2024.
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