datenverkaufs in die Fremde, das Johann Georg III. von Sachsen zuerst den deutschen Kleinfürsten gab, erschien nirgends verlockender als hier, wo das tapfere Heer der Stolz des Landes war und doch ohne ausländische Hilfsgelder nicht unterhalten werden konnte. Die Armee wurde eine Geldquelle für den verarmten Staat. Auf jedem Schlachtfelde Europas, auf Euböa wie auf den Heiden Hochschottlands, floß hessisches Blut in Strömen; im österreichischen Erbfolgekrieg focht ein Theil der hessischen Truppen in den Heeren Kaiser Karl's VII., während die andere Hälfte auf der Gegenseite, im Dienste des englischen Soldherrn stand. Gleich- wohl hielt sich das Fürstenhaus in der deutschen Politik nicht unehren- haft -- soweit die Hilflosigkeit der Kleinstaaterei eine politische Haltung erlaubte. In allen Kriegen gegen Frankreich genügte Hessen redlich seiner Reichspflicht, bei Höchstädt, bei Ramillies und Malplaquet umstrahlte neuer Ruhm seine sieggewohnten Fahnen, und immer kämpften die jungen Land- grafen ritterlich unter ihren Landsleuten.
Im siebenjährigen Kriege erwarb sich die Dynastie ihr letztes großes Verdienst um Deutschland. Die Hessen bildeten neben den Hannoveranern den Kern der Heere, mit denen Ferdinand von Braunschweig den deut- schen Westen gegen Frankreichs Uebermacht vertheidigte. Was dieser Krieg für die Zukunft des Protestantismus bedeutete, wurde von wenigen Staats- männern so klar erkannt, wie von dem klugen Minister F. A. v. Hardenberg, der immer wieder seinen greisen Landgrafen Wilhelm VIII. ermahnte, aus- zuharren bei dem systeme naturel der evangelischen Reichsstände. Im Volke erweckten die Plünderungen der Franzosen ein kräftiges Gefühl des Zornes, das dem Nationalstolze nahe kam. Jeder Bauersmann wußte etwas von den Thaten jener langen Reihe erprobter Kriegsmänner, welche sein Land seit "dem kleinen Hessen" Kurt von Boineburg bis herab auf Gilsa und die anderen Generale Ferdinand's von Braunschweig, in die deutschen Heere gestellt hatte. Von den Subsidiengeldern, welche diese tapferen Kriegshandwerker den Landgrafen erwarben, kam dem Lande frei- lich wenig zu gute; ungeheuere Summen verschlang die prahlerische Prunk- sucht des Hofes. Die Wasserkünste der Wilhelmshöhe mit dem riesigen Hercules darüber durften sich wohl mit dem Glanze von Versailles ver- gleichen; aber das stille Cassel wurde trotz seiner herrlichen Gallerie und trotz der Bauten Du Ry's doch keine große Stadt und der neue Weser- platz Karlshafen, der dem Hessenlande den Zugang zum Weltmeere er- öffnen sollte, nicht einmal ein norddeutsches Mannheim. Immerhin zählte die Landgrafschaft noch zu den bestverwalteten deutschen Kleinstaaten, das alte fürstliche Pflichtgefühl verleugnete sich niemals ganz, fast jederzeit lebte der Landesherr mit seinen Ständen in Frieden.
Der ganze Unsegen fürstlicher Willkür brach über Hessen -- ein ver- hängnißvoller Anachronismus -- erst nach dem siebenjährigen Kriege her- ein, eben in der Zeit, da die Uhr des alten höfischen Absolutismus be-
Heſſens proteſtantiſche Politik.
datenverkaufs in die Fremde, das Johann Georg III. von Sachſen zuerſt den deutſchen Kleinfürſten gab, erſchien nirgends verlockender als hier, wo das tapfere Heer der Stolz des Landes war und doch ohne ausländiſche Hilfsgelder nicht unterhalten werden konnte. Die Armee wurde eine Geldquelle für den verarmten Staat. Auf jedem Schlachtfelde Europas, auf Euböa wie auf den Heiden Hochſchottlands, floß heſſiſches Blut in Strömen; im öſterreichiſchen Erbfolgekrieg focht ein Theil der heſſiſchen Truppen in den Heeren Kaiſer Karl’s VII., während die andere Hälfte auf der Gegenſeite, im Dienſte des engliſchen Soldherrn ſtand. Gleich- wohl hielt ſich das Fürſtenhaus in der deutſchen Politik nicht unehren- haft — ſoweit die Hilfloſigkeit der Kleinſtaaterei eine politiſche Haltung erlaubte. In allen Kriegen gegen Frankreich genügte Heſſen redlich ſeiner Reichspflicht, bei Höchſtädt, bei Ramillies und Malplaquet umſtrahlte neuer Ruhm ſeine ſieggewohnten Fahnen, und immer kämpften die jungen Land- grafen ritterlich unter ihren Landsleuten.
Im ſiebenjährigen Kriege erwarb ſich die Dynaſtie ihr letztes großes Verdienſt um Deutſchland. Die Heſſen bildeten neben den Hannoveranern den Kern der Heere, mit denen Ferdinand von Braunſchweig den deut- ſchen Weſten gegen Frankreichs Uebermacht vertheidigte. Was dieſer Krieg für die Zukunft des Proteſtantismus bedeutete, wurde von wenigen Staats- männern ſo klar erkannt, wie von dem klugen Miniſter F. A. v. Hardenberg, der immer wieder ſeinen greiſen Landgrafen Wilhelm VIII. ermahnte, aus- zuharren bei dem système naturel der evangeliſchen Reichsſtände. Im Volke erweckten die Plünderungen der Franzoſen ein kräftiges Gefühl des Zornes, das dem Nationalſtolze nahe kam. Jeder Bauersmann wußte etwas von den Thaten jener langen Reihe erprobter Kriegsmänner, welche ſein Land ſeit „dem kleinen Heſſen“ Kurt von Boineburg bis herab auf Gilſa und die anderen Generale Ferdinand’s von Braunſchweig, in die deutſchen Heere geſtellt hatte. Von den Subſidiengeldern, welche dieſe tapferen Kriegshandwerker den Landgrafen erwarben, kam dem Lande frei- lich wenig zu gute; ungeheuere Summen verſchlang die prahleriſche Prunk- ſucht des Hofes. Die Waſſerkünſte der Wilhelmshöhe mit dem rieſigen Hercules darüber durften ſich wohl mit dem Glanze von Verſailles ver- gleichen; aber das ſtille Caſſel wurde trotz ſeiner herrlichen Gallerie und trotz der Bauten Du Ry’s doch keine große Stadt und der neue Weſer- platz Karlshafen, der dem Heſſenlande den Zugang zum Weltmeere er- öffnen ſollte, nicht einmal ein norddeutſches Mannheim. Immerhin zählte die Landgrafſchaft noch zu den beſtverwalteten deutſchen Kleinſtaaten, das alte fürſtliche Pflichtgefühl verleugnete ſich niemals ganz, faſt jederzeit lebte der Landesherr mit ſeinen Ständen in Frieden.
Der ganze Unſegen fürſtlicher Willkür brach über Heſſen — ein ver- hängnißvoller Anachronismus — erſt nach dem ſiebenjährigen Kriege her- ein, eben in der Zeit, da die Uhr des alten höfiſchen Abſolutismus be-
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das tapfere Heer der Stolz des Landes war und doch ohne ausländiſche
Hilfsgelder nicht unterhalten werden konnte. Die Armee wurde eine
Geldquelle für den verarmten Staat. Auf jedem Schlachtfelde Europas,
auf Euböa wie auf den Heiden Hochſchottlands, floß heſſiſches Blut in
Strömen; im öſterreichiſchen Erbfolgekrieg focht ein Theil der heſſiſchen
Truppen in den Heeren Kaiſer Karl’s VII., während die andere Hälfte
auf der Gegenſeite, im Dienſte des engliſchen Soldherrn ſtand. Gleich-
wohl hielt ſich das Fürſtenhaus in der deutſchen Politik nicht unehren-
haft — ſoweit die Hilfloſigkeit der Kleinſtaaterei eine politiſche Haltung
erlaubte. In allen Kriegen gegen Frankreich genügte Heſſen redlich ſeiner
Reichspflicht, bei Höchſtädt, bei Ramillies und Malplaquet umſtrahlte neuer
Ruhm ſeine ſieggewohnten Fahnen, und immer kämpften die jungen Land-
grafen ritterlich unter ihren Landsleuten.
Im ſiebenjährigen Kriege erwarb ſich die Dynaſtie ihr letztes großes
Verdienſt um Deutſchland. Die Heſſen bildeten neben den Hannoveranern
den Kern der Heere, mit denen Ferdinand von Braunſchweig den deut-
ſchen Weſten gegen Frankreichs Uebermacht vertheidigte. Was dieſer Krieg
für die Zukunft des Proteſtantismus bedeutete, wurde von wenigen Staats-
männern ſo klar erkannt, wie von dem klugen Miniſter F. A. v. Hardenberg,
der immer wieder ſeinen greiſen Landgrafen Wilhelm VIII. ermahnte, aus-
zuharren bei dem système naturel der evangeliſchen Reichsſtände. Im
Volke erweckten die Plünderungen der Franzoſen ein kräftiges Gefühl des
Zornes, das dem Nationalſtolze nahe kam. Jeder Bauersmann wußte
etwas von den Thaten jener langen Reihe erprobter Kriegsmänner, welche
ſein Land ſeit „dem kleinen Heſſen“ Kurt von Boineburg bis herab auf
Gilſa und die anderen Generale Ferdinand’s von Braunſchweig, in die
deutſchen Heere geſtellt hatte. Von den Subſidiengeldern, welche dieſe
tapferen Kriegshandwerker den Landgrafen erwarben, kam dem Lande frei-
lich wenig zu gute; ungeheuere Summen verſchlang die prahleriſche Prunk-
ſucht des Hofes. Die Waſſerkünſte der Wilhelmshöhe mit dem rieſigen
Hercules darüber durften ſich wohl mit dem Glanze von Verſailles ver-
gleichen; aber das ſtille Caſſel wurde trotz ſeiner herrlichen Gallerie und
trotz der Bauten Du Ry’s doch keine große Stadt und der neue Weſer-
platz Karlshafen, der dem Heſſenlande den Zugang zum Weltmeere er-
öffnen ſollte, nicht einmal ein norddeutſches Mannheim. Immerhin zählte
die Landgrafſchaft noch zu den beſtverwalteten deutſchen Kleinſtaaten, das
alte fürſtliche Pflichtgefühl verleugnete ſich niemals ganz, faſt jederzeit lebte
der Landesherr mit ſeinen Ständen in Frieden.
Der ganze Unſegen fürſtlicher Willkür brach über Heſſen — ein ver-
hängnißvoller Anachronismus — erſt nach dem ſiebenjährigen Kriege her-
ein, eben in der Zeit, da die Uhr des alten höfiſchen Abſolutismus be-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/535>, abgerufen am 22.11.2024.
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