Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland. mals um die Bezahlung seiner Schulden bitten mußte, sendeten sie alsgute Hausväter beträchtliche Summen in die Kammerkasse und das Kriegs- gewölbe ihrer Heimath hinüber. Um so schwerer wog der Blutzoll, den das deutsche Stammland für die englische Krone seiner Kurfürsten zahlte. Hannover lieferte den drei Königreichen den besten Theil ihrer Festlands- heere, bald gegen Sold, bald aus eigenen Mitteln. In jedem Kolonial- kriege richtete Frankreich seine Waffen gegen die einzige verwundbare Stelle des Inselreichs; die englische Handelspolitik aber konnte ihre überseeischen Eroberungen nur dann behaupten, wenn sie die Kräfte des Gegners theilte und auf das deutsche Nebenland ablenkte. Um Canada in Deutschland zu erobern, stellte das Kurland im siebenjährigen Kriege eine Truppenmacht von 45,000 Mann und opferte zu den 17 Mill. Thlr, welche der Kurfürst zahlte, noch die gleiche Summe aus den Landeskassen. Nur an dem Bürgerkriege gegen die amerikanischen Rebellen ließ Georg III. seine deut- schen Landeskinder nicht theilnehmen. Immerhin erhielt das Welfenland durch diese Kämpfe für fremde Zwecke wieder eine gehaltreiche Geschichte, das Heer große Erinnerungen, der denkende Theil der Bevölkerung eine politische Gesinnung, die sich neben der trägen Schlummersucht der benach- barten Kleinstaaten mannhaft und stattlich ausnahm. Wohl war das Volk nicht deutsch, sondern englisch gesinnt, aber auch nicht undeutsch schlecht- hin; denn der Kampf um den Ganges und den Lorenzstrom galt doch zu- gleich der Befreiung des deutschen Westens von den französischen Räubern. In Hannover wie in Hessen erregten die Siege Ferdinand's von Braun- schweig ein Bewußtsein deutscher Ueberlegenheit und unauslöschlichen Haß gegen das wälsche Wesen; der Bauer an der Weser ehrte die Veteranen von Minden und Crefeld als Muster deutscher Tapferkeit und jeden Schur- ken nannte er einen Kumpfländer nach dem Plünderer Conflans. Dem inneren Leben des hannoverschen Staates, das soeben erst III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland. mals um die Bezahlung ſeiner Schulden bitten mußte, ſendeten ſie alsgute Hausväter beträchtliche Summen in die Kammerkaſſe und das Kriegs- gewölbe ihrer Heimath hinüber. Um ſo ſchwerer wog der Blutzoll, den das deutſche Stammland für die engliſche Krone ſeiner Kurfürſten zahlte. Hannover lieferte den drei Königreichen den beſten Theil ihrer Feſtlands- heere, bald gegen Sold, bald aus eigenen Mitteln. In jedem Kolonial- kriege richtete Frankreich ſeine Waffen gegen die einzige verwundbare Stelle des Inſelreichs; die engliſche Handelspolitik aber konnte ihre überſeeiſchen Eroberungen nur dann behaupten, wenn ſie die Kräfte des Gegners theilte und auf das deutſche Nebenland ablenkte. Um Canada in Deutſchland zu erobern, ſtellte das Kurland im ſiebenjährigen Kriege eine Truppenmacht von 45,000 Mann und opferte zu den 17 Mill. Thlr, welche der Kurfürſt zahlte, noch die gleiche Summe aus den Landeskaſſen. Nur an dem Bürgerkriege gegen die amerikaniſchen Rebellen ließ Georg III. ſeine deut- ſchen Landeskinder nicht theilnehmen. Immerhin erhielt das Welfenland durch dieſe Kämpfe für fremde Zwecke wieder eine gehaltreiche Geſchichte, das Heer große Erinnerungen, der denkende Theil der Bevölkerung eine politiſche Geſinnung, die ſich neben der trägen Schlummerſucht der benach- barten Kleinſtaaten mannhaft und ſtattlich ausnahm. Wohl war das Volk nicht deutſch, ſondern engliſch geſinnt, aber auch nicht undeutſch ſchlecht- hin; denn der Kampf um den Ganges und den Lorenzſtrom galt doch zu- gleich der Befreiung des deutſchen Weſtens von den franzöſiſchen Räubern. In Hannover wie in Heſſen erregten die Siege Ferdinand’s von Braun- ſchweig ein Bewußtſein deutſcher Ueberlegenheit und unauslöſchlichen Haß gegen das wälſche Weſen; der Bauer an der Weſer ehrte die Veteranen von Minden und Crefeld als Muſter deutſcher Tapferkeit und jeden Schur- ken nannte er einen Kumpfländer nach dem Plünderer Conflans. Dem inneren Leben des hannoverſchen Staates, das ſoeben erſt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0554" n="538"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.</fw><lb/> mals um die Bezahlung ſeiner Schulden bitten mußte, ſendeten ſie als<lb/> gute Hausväter beträchtliche Summen in die Kammerkaſſe und das Kriegs-<lb/> gewölbe ihrer Heimath hinüber. Um ſo ſchwerer wog der Blutzoll, den<lb/> das deutſche Stammland für die engliſche Krone ſeiner Kurfürſten zahlte.<lb/> Hannover lieferte den drei Königreichen den beſten Theil ihrer Feſtlands-<lb/> heere, bald gegen Sold, bald aus eigenen Mitteln. In jedem Kolonial-<lb/> kriege richtete Frankreich ſeine Waffen gegen die einzige verwundbare Stelle<lb/> des Inſelreichs; die engliſche Handelspolitik aber konnte ihre überſeeiſchen<lb/> Eroberungen nur dann behaupten, wenn ſie die Kräfte des Gegners theilte<lb/> und auf das deutſche Nebenland ablenkte. Um Canada in Deutſchland<lb/> zu erobern, ſtellte das Kurland im ſiebenjährigen Kriege eine Truppenmacht<lb/> von 45,000 Mann und opferte zu den 17 Mill. Thlr, welche der Kurfürſt<lb/> zahlte, noch die gleiche Summe aus den Landeskaſſen. Nur an dem<lb/> Bürgerkriege gegen die amerikaniſchen Rebellen ließ Georg <hi rendition="#aq">III.</hi> ſeine deut-<lb/> ſchen Landeskinder nicht theilnehmen. Immerhin erhielt das Welfenland<lb/> durch dieſe Kämpfe für fremde Zwecke wieder eine gehaltreiche Geſchichte,<lb/> das Heer große Erinnerungen, der denkende Theil der Bevölkerung eine<lb/> politiſche Geſinnung, die ſich neben der trägen Schlummerſucht der benach-<lb/> barten Kleinſtaaten mannhaft und ſtattlich ausnahm. Wohl war das Volk<lb/> nicht deutſch, ſondern engliſch geſinnt, aber auch nicht undeutſch ſchlecht-<lb/> hin; denn der Kampf um den Ganges und den Lorenzſtrom galt doch zu-<lb/> gleich der Befreiung des deutſchen Weſtens von den franzöſiſchen Räubern.<lb/> In Hannover wie in Heſſen erregten die Siege Ferdinand’s von Braun-<lb/> ſchweig ein Bewußtſein deutſcher Ueberlegenheit und unauslöſchlichen Haß<lb/> gegen das wälſche Weſen; der Bauer an der Weſer ehrte die Veteranen<lb/> von Minden und Crefeld als Muſter deutſcher Tapferkeit und jeden Schur-<lb/> ken nannte er einen Kumpfländer nach dem Plünderer Conflans.</p><lb/> <p>Dem inneren Leben des hannoverſchen Staates, das ſoeben erſt<lb/> unter dem kraftvollen Regiment Ernſt Auguſt’s in friſchen Zug gekommen<lb/> war, brachte die Verbindung mit England ſchweren Schaden. Das Kur-<lb/> fürſtenthum zerfiel in ſechs ſelbſtändige Landſchaften, die mit eigenen Land-<lb/> ſtänden, Steuern, Zöllen ausgeſtattet, noch nicht viel mehr mit einander<lb/> gemein hatten als den Landesherrn, das Heer, den Geheimen Rath und<lb/> wenige Centralbehörden. Dieſe ſchwachen Anfänge monarchiſcher Einheit<lb/> im Sinne Ernſt Auguſt’s auszubilden, das lockere Nebeneinander der<lb/> Landſchaften zu einem modernen Staate zuſammenzufaſſen war nunmehr<lb/> ganz unmöglich, ſeit der Landesherr in der Ferne weilte und der Adel<lb/> ſeine „allmächtige Vicekratie“ einrichtete. Mit wachſamer Eiferſucht be-<lb/> hütete jeder der ſechs Landtage ſeine habenden Freiheiten. Faſt ein halbes<lb/> Jahrhundert verlief in ärgerlichen Verhandlungen, bis die Calenberger<lb/> Stände ſich endlich herbeiließen, den Landtag des Fürſtenthums Gruben-<lb/> hagen, das außer den ſteuerfreien Harzern nur 35,000 Köpfe umfaßte,<lb/> in ſeine Gemeinſchaft aufzunehmen. Welfiſche Patrioten bemerkten wohl-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [538/0554]
III. 7. Altſtändiſches Stillleben in Norddeutſchland.
mals um die Bezahlung ſeiner Schulden bitten mußte, ſendeten ſie als
gute Hausväter beträchtliche Summen in die Kammerkaſſe und das Kriegs-
gewölbe ihrer Heimath hinüber. Um ſo ſchwerer wog der Blutzoll, den
das deutſche Stammland für die engliſche Krone ſeiner Kurfürſten zahlte.
Hannover lieferte den drei Königreichen den beſten Theil ihrer Feſtlands-
heere, bald gegen Sold, bald aus eigenen Mitteln. In jedem Kolonial-
kriege richtete Frankreich ſeine Waffen gegen die einzige verwundbare Stelle
des Inſelreichs; die engliſche Handelspolitik aber konnte ihre überſeeiſchen
Eroberungen nur dann behaupten, wenn ſie die Kräfte des Gegners theilte
und auf das deutſche Nebenland ablenkte. Um Canada in Deutſchland
zu erobern, ſtellte das Kurland im ſiebenjährigen Kriege eine Truppenmacht
von 45,000 Mann und opferte zu den 17 Mill. Thlr, welche der Kurfürſt
zahlte, noch die gleiche Summe aus den Landeskaſſen. Nur an dem
Bürgerkriege gegen die amerikaniſchen Rebellen ließ Georg III. ſeine deut-
ſchen Landeskinder nicht theilnehmen. Immerhin erhielt das Welfenland
durch dieſe Kämpfe für fremde Zwecke wieder eine gehaltreiche Geſchichte,
das Heer große Erinnerungen, der denkende Theil der Bevölkerung eine
politiſche Geſinnung, die ſich neben der trägen Schlummerſucht der benach-
barten Kleinſtaaten mannhaft und ſtattlich ausnahm. Wohl war das Volk
nicht deutſch, ſondern engliſch geſinnt, aber auch nicht undeutſch ſchlecht-
hin; denn der Kampf um den Ganges und den Lorenzſtrom galt doch zu-
gleich der Befreiung des deutſchen Weſtens von den franzöſiſchen Räubern.
In Hannover wie in Heſſen erregten die Siege Ferdinand’s von Braun-
ſchweig ein Bewußtſein deutſcher Ueberlegenheit und unauslöſchlichen Haß
gegen das wälſche Weſen; der Bauer an der Weſer ehrte die Veteranen
von Minden und Crefeld als Muſter deutſcher Tapferkeit und jeden Schur-
ken nannte er einen Kumpfländer nach dem Plünderer Conflans.
Dem inneren Leben des hannoverſchen Staates, das ſoeben erſt
unter dem kraftvollen Regiment Ernſt Auguſt’s in friſchen Zug gekommen
war, brachte die Verbindung mit England ſchweren Schaden. Das Kur-
fürſtenthum zerfiel in ſechs ſelbſtändige Landſchaften, die mit eigenen Land-
ſtänden, Steuern, Zöllen ausgeſtattet, noch nicht viel mehr mit einander
gemein hatten als den Landesherrn, das Heer, den Geheimen Rath und
wenige Centralbehörden. Dieſe ſchwachen Anfänge monarchiſcher Einheit
im Sinne Ernſt Auguſt’s auszubilden, das lockere Nebeneinander der
Landſchaften zu einem modernen Staate zuſammenzufaſſen war nunmehr
ganz unmöglich, ſeit der Landesherr in der Ferne weilte und der Adel
ſeine „allmächtige Vicekratie“ einrichtete. Mit wachſamer Eiferſucht be-
hütete jeder der ſechs Landtage ſeine habenden Freiheiten. Faſt ein halbes
Jahrhundert verlief in ärgerlichen Verhandlungen, bis die Calenberger
Stände ſich endlich herbeiließen, den Landtag des Fürſtenthums Gruben-
hagen, das außer den ſteuerfreien Harzern nur 35,000 Köpfe umfaßte,
in ſeine Gemeinſchaft aufzunehmen. Welfiſche Patrioten bemerkten wohl-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |