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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Der Allgemeine Landtag.
und damit erst die Staatseinheit Hannovers fest begründet. Aber bald
darauf (1818) stellte der Prinzregent die sieben Provinziallandtage, für
Calenberg-Grubenhagen, für Lüneburg-Lauenburg, Hoya-Diepholz, Bremen-
Verden, Osnabrück, Hildesheim, Ostfriesland, mit geringen Veränderungen
ihrer alten Verfassung wieder her. Hier war der Adel noch stärker be-
vorzugt als in der allgemeinen Ständeversammlung; in der Osnabrücker
Rittercurie wurde noch die Adelsprobe verlangt, in Lüneburg und Bremen
stimmten die Stände nicht nach Curien getrennt, so daß die Ueberzahl
der ritterschaftlichen Virilstimmen stets den Ausschlag gab. Begreiflich
also, daß die stolze Ritterschaft ihre Thätigkeit mit Vorliebe den Provin-
zialständen zuwendete. Sie blieben der Heerd des feudalen Particularis-
mus; ihr stilles Widerstreben gegen den Allgemeinen Landtag ward um
so gefährlicher, da sie zwar nur die Verwaltung der Brandkassen und
ähnliche geringfügige Geschäfte zu besorgen hatten, aber ihr Verhältniß
zu den Allgemeinen Ständen nirgends klar begrenzt war. Kein Gesetz
bestimmte unzweideutig, ob der Allgemeine Landtag nur ein Ausschuß der
Provinzialstände oder ihnen übergeordnet sei. Ein allgemeiner und sieben
Provinziallandtage in einem Staate, der selber nicht größer war als eine
preußische Provinz; dazu noch die Sonderrechte des Landes Hadeln und
die Versammlungen der Vollmachten der freien Wurstfriesen in Dorum --
wahrlich, das verfitzte Durcheinander dieser Verhältnisse zeigte deutlich, was
aus Preußen geworden wäre, wenn dort die feudale Partei die Wieder-
herstellung der alten Landtage durchgesetzt hätte, und unzweifelhaft hat
das abschreckende Beispiel seiner welfischen Heimath den Staatskanzler in
seinem Widerstande gegen die altständische Partei bestärkt.

Die Reform des Steuerwesens erzielte nur einen halben Erfolg, da
der altständische Dualismus der Finanzverwaltung unverändert blieb.
Neben der neuen ständischen Generalsteuerkasse, deren Schatzräthe theils
von der Krone, theils von den Provinzialständen und dem Allgemeinen
Landtage ernannt wurden, stand selbständig die königliche Domänenkasse,
in tiefem Geheimniß von Kronbeamten verwaltet. Das reiche Domanium
umfaßte mehr als ein Fünftel des gesammten bebauten Bodens; sein Er-
trag war nach Verhältniß doppelt so hoch als in Preußen, doch reichte er
selbst hier längst nicht mehr aus um die ordentlichen Staatsausgaben
zu decken, wie es die altständische Regel verlangte. Daher denn ewiger
Streit zwischen den beiden Kassen und im Volke wie im Landtage ein
hartnäckiges Mißtrauen gegen die geheime königliche Kasse, deren Einkünfte
man allgemein überschätzte. Nur weil der Landtag den Staatshaushalt
nicht zu übersehen vermochte, wurde im Jahre 1822 eine Staatsanleihe
nöthig.

Mit der Kassentrennung wurden auch alle die anderen Institutionen
der guten alten Zeit, welche das Königreich Westphalen hinausgefegt hatte,
wiederhergestellt: die Belastung des Bauernstandes mit Zehnten und Frohn-

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Der Allgemeine Landtag.
und damit erſt die Staatseinheit Hannovers feſt begründet. Aber bald
darauf (1818) ſtellte der Prinzregent die ſieben Provinziallandtage, für
Calenberg-Grubenhagen, für Lüneburg-Lauenburg, Hoya-Diepholz, Bremen-
Verden, Osnabrück, Hildesheim, Oſtfriesland, mit geringen Veränderungen
ihrer alten Verfaſſung wieder her. Hier war der Adel noch ſtärker be-
vorzugt als in der allgemeinen Ständeverſammlung; in der Osnabrücker
Rittercurie wurde noch die Adelsprobe verlangt, in Lüneburg und Bremen
ſtimmten die Stände nicht nach Curien getrennt, ſo daß die Ueberzahl
der ritterſchaftlichen Virilſtimmen ſtets den Ausſchlag gab. Begreiflich
alſo, daß die ſtolze Ritterſchaft ihre Thätigkeit mit Vorliebe den Provin-
zialſtänden zuwendete. Sie blieben der Heerd des feudalen Particularis-
mus; ihr ſtilles Widerſtreben gegen den Allgemeinen Landtag ward um
ſo gefährlicher, da ſie zwar nur die Verwaltung der Brandkaſſen und
ähnliche geringfügige Geſchäfte zu beſorgen hatten, aber ihr Verhältniß
zu den Allgemeinen Ständen nirgends klar begrenzt war. Kein Geſetz
beſtimmte unzweideutig, ob der Allgemeine Landtag nur ein Ausſchuß der
Provinzialſtände oder ihnen übergeordnet ſei. Ein allgemeiner und ſieben
Provinziallandtage in einem Staate, der ſelber nicht größer war als eine
preußiſche Provinz; dazu noch die Sonderrechte des Landes Hadeln und
die Verſammlungen der Vollmachten der freien Wurſtfrieſen in Dorum —
wahrlich, das verfitzte Durcheinander dieſer Verhältniſſe zeigte deutlich, was
aus Preußen geworden wäre, wenn dort die feudale Partei die Wieder-
herſtellung der alten Landtage durchgeſetzt hätte, und unzweifelhaft hat
das abſchreckende Beiſpiel ſeiner welfiſchen Heimath den Staatskanzler in
ſeinem Widerſtande gegen die altſtändiſche Partei beſtärkt.

Die Reform des Steuerweſens erzielte nur einen halben Erfolg, da
der altſtändiſche Dualismus der Finanzverwaltung unverändert blieb.
Neben der neuen ſtändiſchen Generalſteuerkaſſe, deren Schatzräthe theils
von der Krone, theils von den Provinzialſtänden und dem Allgemeinen
Landtage ernannt wurden, ſtand ſelbſtändig die königliche Domänenkaſſe,
in tiefem Geheimniß von Kronbeamten verwaltet. Das reiche Domanium
umfaßte mehr als ein Fünftel des geſammten bebauten Bodens; ſein Er-
trag war nach Verhältniß doppelt ſo hoch als in Preußen, doch reichte er
ſelbſt hier längſt nicht mehr aus um die ordentlichen Staatsausgaben
zu decken, wie es die altſtändiſche Regel verlangte. Daher denn ewiger
Streit zwiſchen den beiden Kaſſen und im Volke wie im Landtage ein
hartnäckiges Mißtrauen gegen die geheime königliche Kaſſe, deren Einkünfte
man allgemein überſchätzte. Nur weil der Landtag den Staatshaushalt
nicht zu überſehen vermochte, wurde im Jahre 1822 eine Staatsanleihe
nöthig.

Mit der Kaſſentrennung wurden auch alle die anderen Inſtitutionen
der guten alten Zeit, welche das Königreich Weſtphalen hinausgefegt hatte,
wiederhergeſtellt: die Belaſtung des Bauernſtandes mit Zehnten und Frohn-

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[547/0563] Der Allgemeine Landtag. und damit erſt die Staatseinheit Hannovers feſt begründet. Aber bald darauf (1818) ſtellte der Prinzregent die ſieben Provinziallandtage, für Calenberg-Grubenhagen, für Lüneburg-Lauenburg, Hoya-Diepholz, Bremen- Verden, Osnabrück, Hildesheim, Oſtfriesland, mit geringen Veränderungen ihrer alten Verfaſſung wieder her. Hier war der Adel noch ſtärker be- vorzugt als in der allgemeinen Ständeverſammlung; in der Osnabrücker Rittercurie wurde noch die Adelsprobe verlangt, in Lüneburg und Bremen ſtimmten die Stände nicht nach Curien getrennt, ſo daß die Ueberzahl der ritterſchaftlichen Virilſtimmen ſtets den Ausſchlag gab. Begreiflich alſo, daß die ſtolze Ritterſchaft ihre Thätigkeit mit Vorliebe den Provin- zialſtänden zuwendete. Sie blieben der Heerd des feudalen Particularis- mus; ihr ſtilles Widerſtreben gegen den Allgemeinen Landtag ward um ſo gefährlicher, da ſie zwar nur die Verwaltung der Brandkaſſen und ähnliche geringfügige Geſchäfte zu beſorgen hatten, aber ihr Verhältniß zu den Allgemeinen Ständen nirgends klar begrenzt war. Kein Geſetz beſtimmte unzweideutig, ob der Allgemeine Landtag nur ein Ausſchuß der Provinzialſtände oder ihnen übergeordnet ſei. Ein allgemeiner und ſieben Provinziallandtage in einem Staate, der ſelber nicht größer war als eine preußiſche Provinz; dazu noch die Sonderrechte des Landes Hadeln und die Verſammlungen der Vollmachten der freien Wurſtfrieſen in Dorum — wahrlich, das verfitzte Durcheinander dieſer Verhältniſſe zeigte deutlich, was aus Preußen geworden wäre, wenn dort die feudale Partei die Wieder- herſtellung der alten Landtage durchgeſetzt hätte, und unzweifelhaft hat das abſchreckende Beiſpiel ſeiner welfiſchen Heimath den Staatskanzler in ſeinem Widerſtande gegen die altſtändiſche Partei beſtärkt. Die Reform des Steuerweſens erzielte nur einen halben Erfolg, da der altſtändiſche Dualismus der Finanzverwaltung unverändert blieb. Neben der neuen ſtändiſchen Generalſteuerkaſſe, deren Schatzräthe theils von der Krone, theils von den Provinzialſtänden und dem Allgemeinen Landtage ernannt wurden, ſtand ſelbſtändig die königliche Domänenkaſſe, in tiefem Geheimniß von Kronbeamten verwaltet. Das reiche Domanium umfaßte mehr als ein Fünftel des geſammten bebauten Bodens; ſein Er- trag war nach Verhältniß doppelt ſo hoch als in Preußen, doch reichte er ſelbſt hier längſt nicht mehr aus um die ordentlichen Staatsausgaben zu decken, wie es die altſtändiſche Regel verlangte. Daher denn ewiger Streit zwiſchen den beiden Kaſſen und im Volke wie im Landtage ein hartnäckiges Mißtrauen gegen die geheime königliche Kaſſe, deren Einkünfte man allgemein überſchätzte. Nur weil der Landtag den Staatshaushalt nicht zu überſehen vermochte, wurde im Jahre 1822 eine Staatsanleihe nöthig. Mit der Kaſſentrennung wurden auch alle die anderen Inſtitutionen der guten alten Zeit, welche das Königreich Weſtphalen hinausgefegt hatte, wiederhergeſtellt: die Belaſtung des Bauernſtandes mit Zehnten und Frohn- 35*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 547. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/563>, abgerufen am 22.11.2024.