so lange mit ihren königlichen Vettern in die Herrschaft der Nordmark theilten, besaßen stets Stücke von Holstein und Stücke von Schleswig zu- gleich, und die Anwesenheit dieser deutschen Fürsten im Lande selbst bot zugleich eine Gewähr gegen dänische Uebergriffe. Jahrhunderte lang land- tagten beide Herzogthümer gemeinsam in deutscher Sprache, und unter dem Schutze dieses deutschen Staatsrechts drang die überlegene deutsche Cultur unaufhaltsam gen Norden vor. Das Deutsche war die Sprache der Bildung und herrschte in allen Städten bis nach Hadersleben hinauf; Hamburg, "die Stadt", wie man kurzweg sagte, bildete den Mittelpunkt für den Verkehr des ganzen Landes. Wohl hatte sich Schleswig noch aus den Anfängen seiner Geschichte her manche altnordische Einrichtung erhalten, so das Jütische Low und die Eintheilung des Landes in Harden; doch die gesammte neuere Rechtsbildung war auch hier deutsch, während Holstein aus dem dänischen Rechte schlechterdings nichts aufnahm als einige Danismen in der Amtssprache -- so den nordischen Ausdruck "unbei- kommend" für unbefugt. Selbst die Bauern Nordschleswigs, die unter sich ihr Rabendänisch sprachen, lebten mit den deutschen Nachbarn noch in ungestörter Eintracht. Alles Land von der Königsau bis zur Elbe ge- hörte zusammen -- man wußte es gar nicht anders -- und seit das Haus Gottorp auf seine Mitherrschaft verzichtet hatte (1773), war auch die staatsrechtliche Einheit wieder vollkommen gesichert.
Ein Gefühl der Bedrückung konnte hier um so weniger aufkommen, da der dänische Gesammtstaat sehr oft durch Männer aus dem schles- wigholsteinischen Adel regiert wurde, der sich, also in größeren Verhält- nissen geschult, durch Weltkenntniß und freieren Blick vor den Standes- genossen in Sachsen und Hannover vortheilhaft auszeichnete. Die Könige waren deutschen Blutes und früherhin meist deutsch gebildet. Seit sie sich durch das Königsgesetz (1665) die unumschränkte Gewalt in Däne- mark errungen hatten, erfreuten sich die neuen Alleingewaltserbkönige des Vortheils, welcher den Absolutismus zur Beschwichtigung nationaler Gegen- sätze vorzüglich befähigt: sie konnten, was ein constitutioneller Fürst fast niemals kann, zwischen den verschiedenen Nationen, die ihr Scepter be- herrschte, eine neutrale Mittelstellung einnehmen, so daß sie keiner von ihnen schlechthin als Fremde erschienen. Bis in den Anfang des acht- zehnten Jahrhunderts bestand auch noch das Vermächtniß der Hansa, die alte Gemeinschaft baltischer Cultur, die erst allmählich durch das Erstarken des skandinavischen Volksthums zerstört wurde: deutsche Sprache und Wissenschaft behaupteten das Uebergewicht in allen Ostseelanden, die Uni- versitäten Lund und Kopenhagen waren ihren deutschen Schwestern Kiel, Rostock, Greifswald, Königsberg in Art und Unart noch nahe verwandt, selbst im dänischen Heere herrschte noch die deutsche Commandosprache. Mit Selbstgefühl, aber ohne Groll standen die Schleswigholsteiner neben den verbrüderten Dänen. Wohl schied ein scharfer natürlicher Gegensatz
Schleswigholſtein und Dänemark.
ſo lange mit ihren königlichen Vettern in die Herrſchaft der Nordmark theilten, beſaßen ſtets Stücke von Holſtein und Stücke von Schleswig zu- gleich, und die Anweſenheit dieſer deutſchen Fürſten im Lande ſelbſt bot zugleich eine Gewähr gegen däniſche Uebergriffe. Jahrhunderte lang land- tagten beide Herzogthümer gemeinſam in deutſcher Sprache, und unter dem Schutze dieſes deutſchen Staatsrechts drang die überlegene deutſche Cultur unaufhaltſam gen Norden vor. Das Deutſche war die Sprache der Bildung und herrſchte in allen Städten bis nach Hadersleben hinauf; Hamburg, „die Stadt“, wie man kurzweg ſagte, bildete den Mittelpunkt für den Verkehr des ganzen Landes. Wohl hatte ſich Schleswig noch aus den Anfängen ſeiner Geſchichte her manche altnordiſche Einrichtung erhalten, ſo das Jütiſche Low und die Eintheilung des Landes in Harden; doch die geſammte neuere Rechtsbildung war auch hier deutſch, während Holſtein aus dem däniſchen Rechte ſchlechterdings nichts aufnahm als einige Danismen in der Amtsſprache — ſo den nordiſchen Ausdruck „unbei- kommend“ für unbefugt. Selbſt die Bauern Nordſchleswigs, die unter ſich ihr Rabendäniſch ſprachen, lebten mit den deutſchen Nachbarn noch in ungeſtörter Eintracht. Alles Land von der Königsau bis zur Elbe ge- hörte zuſammen — man wußte es gar nicht anders — und ſeit das Haus Gottorp auf ſeine Mitherrſchaft verzichtet hatte (1773), war auch die ſtaatsrechtliche Einheit wieder vollkommen geſichert.
Ein Gefühl der Bedrückung konnte hier um ſo weniger aufkommen, da der däniſche Geſammtſtaat ſehr oft durch Männer aus dem ſchles- wigholſteiniſchen Adel regiert wurde, der ſich, alſo in größeren Verhält- niſſen geſchult, durch Weltkenntniß und freieren Blick vor den Standes- genoſſen in Sachſen und Hannover vortheilhaft auszeichnete. Die Könige waren deutſchen Blutes und früherhin meiſt deutſch gebildet. Seit ſie ſich durch das Königsgeſetz (1665) die unumſchränkte Gewalt in Däne- mark errungen hatten, erfreuten ſich die neuen Alleingewaltserbkönige des Vortheils, welcher den Abſolutismus zur Beſchwichtigung nationaler Gegen- ſätze vorzüglich befähigt: ſie konnten, was ein conſtitutioneller Fürſt faſt niemals kann, zwiſchen den verſchiedenen Nationen, die ihr Scepter be- herrſchte, eine neutrale Mittelſtellung einnehmen, ſo daß ſie keiner von ihnen ſchlechthin als Fremde erſchienen. Bis in den Anfang des acht- zehnten Jahrhunderts beſtand auch noch das Vermächtniß der Hanſa, die alte Gemeinſchaft baltiſcher Cultur, die erſt allmählich durch das Erſtarken des ſkandinaviſchen Volksthums zerſtört wurde: deutſche Sprache und Wiſſenſchaft behaupteten das Uebergewicht in allen Oſtſeelanden, die Uni- verſitäten Lund und Kopenhagen waren ihren deutſchen Schweſtern Kiel, Roſtock, Greifswald, Königsberg in Art und Unart noch nahe verwandt, ſelbſt im däniſchen Heere herrſchte noch die deutſche Commandoſprache. Mit Selbſtgefühl, aber ohne Groll ſtanden die Schleswigholſteiner neben den verbrüderten Dänen. Wohl ſchied ein ſcharfer natürlicher Gegenſatz
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Schleswigholſtein und Dänemark.
ſo lange mit ihren königlichen Vettern in die Herrſchaft der Nordmark
theilten, beſaßen ſtets Stücke von Holſtein und Stücke von Schleswig zu-
gleich, und die Anweſenheit dieſer deutſchen Fürſten im Lande ſelbſt bot
zugleich eine Gewähr gegen däniſche Uebergriffe. Jahrhunderte lang land-
tagten beide Herzogthümer gemeinſam in deutſcher Sprache, und unter
dem Schutze dieſes deutſchen Staatsrechts drang die überlegene deutſche
Cultur unaufhaltſam gen Norden vor. Das Deutſche war die Sprache
der Bildung und herrſchte in allen Städten bis nach Hadersleben hinauf;
Hamburg, „die Stadt“, wie man kurzweg ſagte, bildete den Mittelpunkt
für den Verkehr des ganzen Landes. Wohl hatte ſich Schleswig noch
aus den Anfängen ſeiner Geſchichte her manche altnordiſche Einrichtung
erhalten, ſo das Jütiſche Low und die Eintheilung des Landes in Harden;
doch die geſammte neuere Rechtsbildung war auch hier deutſch, während
Holſtein aus dem däniſchen Rechte ſchlechterdings nichts aufnahm als einige
Danismen in der Amtsſprache — ſo den nordiſchen Ausdruck „unbei-
kommend“ für unbefugt. Selbſt die Bauern Nordſchleswigs, die unter
ſich ihr Rabendäniſch ſprachen, lebten mit den deutſchen Nachbarn noch
in ungeſtörter Eintracht. Alles Land von der Königsau bis zur Elbe ge-
hörte zuſammen — man wußte es gar nicht anders — und ſeit das
Haus Gottorp auf ſeine Mitherrſchaft verzichtet hatte (1773), war auch
die ſtaatsrechtliche Einheit wieder vollkommen geſichert.
Ein Gefühl der Bedrückung konnte hier um ſo weniger aufkommen,
da der däniſche Geſammtſtaat ſehr oft durch Männer aus dem ſchles-
wigholſteiniſchen Adel regiert wurde, der ſich, alſo in größeren Verhält-
niſſen geſchult, durch Weltkenntniß und freieren Blick vor den Standes-
genoſſen in Sachſen und Hannover vortheilhaft auszeichnete. Die Könige
waren deutſchen Blutes und früherhin meiſt deutſch gebildet. Seit ſie
ſich durch das Königsgeſetz (1665) die unumſchränkte Gewalt in Däne-
mark errungen hatten, erfreuten ſich die neuen Alleingewaltserbkönige des
Vortheils, welcher den Abſolutismus zur Beſchwichtigung nationaler Gegen-
ſätze vorzüglich befähigt: ſie konnten, was ein conſtitutioneller Fürſt faſt
niemals kann, zwiſchen den verſchiedenen Nationen, die ihr Scepter be-
herrſchte, eine neutrale Mittelſtellung einnehmen, ſo daß ſie keiner von
ihnen ſchlechthin als Fremde erſchienen. Bis in den Anfang des acht-
zehnten Jahrhunderts beſtand auch noch das Vermächtniß der Hanſa, die
alte Gemeinſchaft baltiſcher Cultur, die erſt allmählich durch das Erſtarken
des ſkandinaviſchen Volksthums zerſtört wurde: deutſche Sprache und
Wiſſenſchaft behaupteten das Uebergewicht in allen Oſtſeelanden, die Uni-
verſitäten Lund und Kopenhagen waren ihren deutſchen Schweſtern Kiel,
Roſtock, Greifswald, Königsberg in Art und Unart noch nahe verwandt,
ſelbſt im däniſchen Heere herrſchte noch die deutſche Commandoſprache.
Mit Selbſtgefühl, aber ohne Groll ſtanden die Schleswigholſteiner neben
den verbrüderten Dänen. Wohl ſchied ein ſcharfer natürlicher Gegenſatz
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 587. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/603>, abgerufen am 26.06.2024.
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