schneiden. Die unglücklichen Zwittergebilde der Lyceen blieben bestehen, und was das Schlimmste war, die von Thiersch beantragte Erhöhung der armseligen Lehrergehalte unterblieb, so daß Theologen und bald auch Mönche einen großen Theil der Lehrerstellen einnahmen. Dergestalt brachte die wohlgemeinte Reform dem bairischen Gymnasialwesen allerdings einige Verbesserungen, doch an das Vorbild der sächsischen Gelehrtenschulen kam man nicht heran. --
Unvergleichlich glücklicher zeigte sich des Königs Hand in seinen Kunst- schöpfungen. Die Kunst wird von den Schwankungen des öffentlichen Lebens nicht so unmittelbar berührt wie die Wissenschaft, und sie fand auch in München einen keineswegs undankbaren Boden. Diese warm- herzigen, von aller kritischen Ueberklugheit unberührten Altbaiern mit ihrer frischen Sinnlichkeit und ihren farbenfrohen Augen bedurften nur eines Erweckers um wieder ebenso tüchtig bauen und bilden zu lernen, wie vor Zeiten als der ragende Thurm von St. Martin in Landshut und die schweren Massen der Münchener Frauenkirche durch bairische Meister ge- schaffen wurden. Die Künstler wurden hier auch meist schneller heimisch als die Gelehrten; seit das Mißtrauen der eingeborenen Bevölkerung sich allmählich milderte, fühlten sie sich behaglich in den zwanglosen Sitten der lebenslustigen Stadt. Die Maler durchwanderten das nahe Hoch- gebirge oder hielten fröhliche Sommerrast auf dem Frauenwörth im Chiem- see; auf ihren farbenprächtigen Künstlerfesten herrschte ein derber Humor, der den Deutschen seit den Fastnachtsspielen des Hans Sachs fast ab- handen gekommen war.
König Ludwig hat bis zu seinem Tode allein aus seiner Cabinetskasse an 18 Mill. Gulden für Bauten und Kunstwerke ausgegeben -- ungerechnet die Ausgaben des Staates, der Corporationen, der Gemeinden -- und selbst diese Summen hätten nicht genügt, wenn er sie nicht im Einzelnen mit peinlicher Genauigkeit verwendet hätte. Er scheute den ungerechten Vorwurf des Geizes nicht und sprach offen aus, die Künstler sollten sich nicht schämen nach Brot zu gehen; doch er verstand sie zu ehren, gab ihnen in Staat und Gesellschaft eine würdige Stellung. Schon als Prinz hatte er sich mit dem Plane getragen, in einer Villa auf dem Palatin für Schiller ein trauliches Heim einzurichten; als König reiste er zu Goethe's Geburtstag selber nach Weimar um dem Dichter zu huldigen, und mit seiner Unterstützung entstand das erste Denkmal, das in Deutschland künst- lerischem Verdienste geweiht wurde, das Dürer-Standbild in Nürnberg. Weil er groß dachte von der sittigenden Macht der Kunst, bestimmte er ihre Werke nicht für Kritiker und Kenner, sondern für das ganze Volk. Niemals erlaubte er, daß in den Sammlungen Eintrittsgelder erhoben oder zum Schutze der kostbaren Denkmäler Wachen aufgestellt wurden; seine Baiern sollten sich gewöhnen das Schöne zu ertragen und endlich zu lieben.
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
ſchneiden. Die unglücklichen Zwittergebilde der Lyceen blieben beſtehen, und was das Schlimmſte war, die von Thierſch beantragte Erhöhung der armſeligen Lehrergehalte unterblieb, ſo daß Theologen und bald auch Mönche einen großen Theil der Lehrerſtellen einnahmen. Dergeſtalt brachte die wohlgemeinte Reform dem bairiſchen Gymnaſialweſen allerdings einige Verbeſſerungen, doch an das Vorbild der ſächſiſchen Gelehrtenſchulen kam man nicht heran. —
Unvergleichlich glücklicher zeigte ſich des Königs Hand in ſeinen Kunſt- ſchöpfungen. Die Kunſt wird von den Schwankungen des öffentlichen Lebens nicht ſo unmittelbar berührt wie die Wiſſenſchaft, und ſie fand auch in München einen keineswegs undankbaren Boden. Dieſe warm- herzigen, von aller kritiſchen Ueberklugheit unberührten Altbaiern mit ihrer friſchen Sinnlichkeit und ihren farbenfrohen Augen bedurften nur eines Erweckers um wieder ebenſo tüchtig bauen und bilden zu lernen, wie vor Zeiten als der ragende Thurm von St. Martin in Landshut und die ſchweren Maſſen der Münchener Frauenkirche durch bairiſche Meiſter ge- ſchaffen wurden. Die Künſtler wurden hier auch meiſt ſchneller heimiſch als die Gelehrten; ſeit das Mißtrauen der eingeborenen Bevölkerung ſich allmählich milderte, fühlten ſie ſich behaglich in den zwangloſen Sitten der lebensluſtigen Stadt. Die Maler durchwanderten das nahe Hoch- gebirge oder hielten fröhliche Sommerraſt auf dem Frauenwörth im Chiem- ſee; auf ihren farbenprächtigen Künſtlerfeſten herrſchte ein derber Humor, der den Deutſchen ſeit den Faſtnachtsſpielen des Hans Sachs faſt ab- handen gekommen war.
König Ludwig hat bis zu ſeinem Tode allein aus ſeiner Cabinetskaſſe an 18 Mill. Gulden für Bauten und Kunſtwerke ausgegeben — ungerechnet die Ausgaben des Staates, der Corporationen, der Gemeinden — und ſelbſt dieſe Summen hätten nicht genügt, wenn er ſie nicht im Einzelnen mit peinlicher Genauigkeit verwendet hätte. Er ſcheute den ungerechten Vorwurf des Geizes nicht und ſprach offen aus, die Künſtler ſollten ſich nicht ſchämen nach Brot zu gehen; doch er verſtand ſie zu ehren, gab ihnen in Staat und Geſellſchaft eine würdige Stellung. Schon als Prinz hatte er ſich mit dem Plane getragen, in einer Villa auf dem Palatin für Schiller ein trauliches Heim einzurichten; als König reiſte er zu Goethe’s Geburtstag ſelber nach Weimar um dem Dichter zu huldigen, und mit ſeiner Unterſtützung entſtand das erſte Denkmal, das in Deutſchland künſt- leriſchem Verdienſte geweiht wurde, das Dürer-Standbild in Nürnberg. Weil er groß dachte von der ſittigenden Macht der Kunſt, beſtimmte er ihre Werke nicht für Kritiker und Kenner, ſondern für das ganze Volk. Niemals erlaubte er, daß in den Sammlungen Eintrittsgelder erhoben oder zum Schutze der koſtbaren Denkmäler Wachen aufgeſtellt wurden; ſeine Baiern ſollten ſich gewöhnen das Schöne zu ertragen und endlich zu lieben.
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und was das Schlimmſte war, die von Thierſch beantragte Erhöhung
der armſeligen Lehrergehalte unterblieb, ſo daß Theologen und bald auch
Mönche einen großen Theil der Lehrerſtellen einnahmen. Dergeſtalt brachte
die wohlgemeinte Reform dem bairiſchen Gymnaſialweſen allerdings einige
Verbeſſerungen, doch an das Vorbild der ſächſiſchen Gelehrtenſchulen kam
man nicht heran. —
Unvergleichlich glücklicher zeigte ſich des Königs Hand in ſeinen Kunſt-
ſchöpfungen. Die Kunſt wird von den Schwankungen des öffentlichen
Lebens nicht ſo unmittelbar berührt wie die Wiſſenſchaft, und ſie fand
auch in München einen keineswegs undankbaren Boden. Dieſe warm-
herzigen, von aller kritiſchen Ueberklugheit unberührten Altbaiern mit ihrer
friſchen Sinnlichkeit und ihren farbenfrohen Augen bedurften nur eines
Erweckers um wieder ebenſo tüchtig bauen und bilden zu lernen, wie vor
Zeiten als der ragende Thurm von St. Martin in Landshut und die
ſchweren Maſſen der Münchener Frauenkirche durch bairiſche Meiſter ge-
ſchaffen wurden. Die Künſtler wurden hier auch meiſt ſchneller heimiſch
als die Gelehrten; ſeit das Mißtrauen der eingeborenen Bevölkerung ſich
allmählich milderte, fühlten ſie ſich behaglich in den zwangloſen Sitten
der lebensluſtigen Stadt. Die Maler durchwanderten das nahe Hoch-
gebirge oder hielten fröhliche Sommerraſt auf dem Frauenwörth im Chiem-
ſee; auf ihren farbenprächtigen Künſtlerfeſten herrſchte ein derber Humor,
der den Deutſchen ſeit den Faſtnachtsſpielen des Hans Sachs faſt ab-
handen gekommen war.
König Ludwig hat bis zu ſeinem Tode allein aus ſeiner Cabinetskaſſe
an 18 Mill. Gulden für Bauten und Kunſtwerke ausgegeben — ungerechnet
die Ausgaben des Staates, der Corporationen, der Gemeinden — und
ſelbſt dieſe Summen hätten nicht genügt, wenn er ſie nicht im Einzelnen
mit peinlicher Genauigkeit verwendet hätte. Er ſcheute den ungerechten
Vorwurf des Geizes nicht und ſprach offen aus, die Künſtler ſollten ſich
nicht ſchämen nach Brot zu gehen; doch er verſtand ſie zu ehren, gab ihnen
in Staat und Geſellſchaft eine würdige Stellung. Schon als Prinz hatte
er ſich mit dem Plane getragen, in einer Villa auf dem Palatin für
Schiller ein trauliches Heim einzurichten; als König reiſte er zu Goethe’s
Geburtstag ſelber nach Weimar um dem Dichter zu huldigen, und mit
ſeiner Unterſtützung entſtand das erſte Denkmal, das in Deutſchland künſt-
leriſchem Verdienſte geweiht wurde, das Dürer-Standbild in Nürnberg.
Weil er groß dachte von der ſittigenden Macht der Kunſt, beſtimmte er
ihre Werke nicht für Kritiker und Kenner, ſondern für das ganze Volk.
Niemals erlaubte er, daß in den Sammlungen Eintrittsgelder erhoben
oder zum Schutze der koſtbaren Denkmäler Wachen aufgeſtellt wurden;
ſeine Baiern ſollten ſich gewöhnen das Schöne zu ertragen und endlich
zu lieben.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/630>, abgerufen am 25.11.2024.
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