Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine. erzählt, in verzweifelter Stimmung. Die Finanznoth stieg, das Volkmurrte. Die armen Leineweber auf dem Vogelsberge bei Alsfeld hatten durch die spanische Revolution ihren Markt verloren, das Hinterland um Biedenkopf fand, eingepreßt zwischen preußische Gebiete, keinen Absatz mehr für seine Teppiche und Wollwaaren, der Mainzer Handelsstand konnte die Last der nahen preußischen Zollstellen kaum mehr ertragen. Im Land- tage verlangten einzelne Stimmen, wie schon vor Jahren der Abgeordnete Perrot, eine Verständigung mit Preußen, andere befürworteten den süd- deutschen Verein. Nur darin war man einig, daß der Staat in seiner vereinsamten Stellung nicht bleiben könne; die Kammer sprach die Er- wartung aus, daß irgend ein Zollverein zu Stande komme, und gab der Regierung freie Hand. Großen Eindruck machte auf den Minister eine von dem Fabrikanten Bayer im Vogelsberge eingereichte, vom Pfarrer Frank verfaßte gründliche Denkschrift, die überzeugend nachwies, daß der Waarenzug des Landes überwiegend durch Preußen gehe. Darum lehnte du Thil die bairische Einladung ab, obgleich Lerchenfeld zweimal von Frankfurt herüberkam und König Ludwig persönlich im Bade Brückenau den hessischen Staatsrath Hofmann zu überreden suchte. Immer klarer ward ihm die Erkenntniß, daß nur der Beitritt zum preußischen Zollsystem noch retten könne. Es war ein kühner Entschluß für den Minister eines Mittelstaates; denn im Grunde waren doch alle bisherigen süddeutschen Zollverhandlungen zur Abwehr gegen das preußische Zollwesen unter- nommen worden, und seit dem Köthener Streite stand an sämmtlichen Höfen die Meinung fest, daß durch eine Verständigung mit Preußen die souveräne Würde schimpflich preisgegeben werde. Indeß der muthige Mi- nister war gewöhnt die Stimmungen des Tages geringzuschätzen, er pflegte in den Landtagsverhandlungen seine selbständige Gesinnung oft sehr scharf und nicht ohne verletzende Ironie auszusprechen. Aber würde Preußen auf den unerwarteten Antrag eingehen? Schon *) Maltzan's Bericht, 23. Juni. Weisungen an Maltzan, 5. Juli, 6. Aug. 1825. **) Maltzan's Bericht, 3. Febr., Schuckmann's Ministerialschreiben, 25. März 1826.
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine. erzählt, in verzweifelter Stimmung. Die Finanznoth ſtieg, das Volkmurrte. Die armen Leineweber auf dem Vogelsberge bei Alsfeld hatten durch die ſpaniſche Revolution ihren Markt verloren, das Hinterland um Biedenkopf fand, eingepreßt zwiſchen preußiſche Gebiete, keinen Abſatz mehr für ſeine Teppiche und Wollwaaren, der Mainzer Handelsſtand konnte die Laſt der nahen preußiſchen Zollſtellen kaum mehr ertragen. Im Land- tage verlangten einzelne Stimmen, wie ſchon vor Jahren der Abgeordnete Perrot, eine Verſtändigung mit Preußen, andere befürworteten den ſüd- deutſchen Verein. Nur darin war man einig, daß der Staat in ſeiner vereinſamten Stellung nicht bleiben könne; die Kammer ſprach die Er- wartung aus, daß irgend ein Zollverein zu Stande komme, und gab der Regierung freie Hand. Großen Eindruck machte auf den Miniſter eine von dem Fabrikanten Bayer im Vogelsberge eingereichte, vom Pfarrer Frank verfaßte gründliche Denkſchrift, die überzeugend nachwies, daß der Waarenzug des Landes überwiegend durch Preußen gehe. Darum lehnte du Thil die bairiſche Einladung ab, obgleich Lerchenfeld zweimal von Frankfurt herüberkam und König Ludwig perſönlich im Bade Brückenau den heſſiſchen Staatsrath Hofmann zu überreden ſuchte. Immer klarer ward ihm die Erkenntniß, daß nur der Beitritt zum preußiſchen Zollſyſtem noch retten könne. Es war ein kühner Entſchluß für den Miniſter eines Mittelſtaates; denn im Grunde waren doch alle bisherigen ſüddeutſchen Zollverhandlungen zur Abwehr gegen das preußiſche Zollweſen unter- nommen worden, und ſeit dem Köthener Streite ſtand an ſämmtlichen Höfen die Meinung feſt, daß durch eine Verſtändigung mit Preußen die ſouveräne Würde ſchimpflich preisgegeben werde. Indeß der muthige Mi- niſter war gewöhnt die Stimmungen des Tages geringzuſchätzen, er pflegte in den Landtagsverhandlungen ſeine ſelbſtändige Geſinnung oft ſehr ſcharf und nicht ohne verletzende Ironie auszuſprechen. Aber würde Preußen auf den unerwarteten Antrag eingehen? Schon *) Maltzan’s Bericht, 23. Juni. Weiſungen an Maltzan, 5. Juli, 6. Aug. 1825. **) Maltzan’s Bericht, 3. Febr., Schuckmann’s Miniſterialſchreiben, 25. März 1826.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0646" n="630"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.</fw><lb/> erzählt, in verzweifelter Stimmung. Die Finanznoth ſtieg, das Volk<lb/> murrte. Die armen Leineweber auf dem Vogelsberge bei Alsfeld hatten<lb/> durch die ſpaniſche Revolution ihren Markt verloren, das Hinterland um<lb/> Biedenkopf fand, eingepreßt zwiſchen preußiſche Gebiete, keinen Abſatz<lb/> mehr für ſeine Teppiche und Wollwaaren, der Mainzer Handelsſtand konnte<lb/> die Laſt der nahen preußiſchen Zollſtellen kaum mehr ertragen. Im Land-<lb/> tage verlangten einzelne Stimmen, wie ſchon vor Jahren der Abgeordnete<lb/> Perrot, eine Verſtändigung mit Preußen, andere befürworteten den ſüd-<lb/> deutſchen Verein. Nur darin war man einig, daß der Staat in ſeiner<lb/> vereinſamten Stellung nicht bleiben könne; die Kammer ſprach die Er-<lb/> wartung aus, daß irgend ein Zollverein zu Stande komme, und gab der<lb/> Regierung freie Hand. Großen Eindruck machte auf den Miniſter eine<lb/> von dem Fabrikanten Bayer im Vogelsberge eingereichte, vom Pfarrer<lb/> Frank verfaßte gründliche Denkſchrift, die überzeugend nachwies, daß der<lb/> Waarenzug des Landes überwiegend durch Preußen gehe. Darum lehnte<lb/> du Thil die bairiſche Einladung ab, obgleich Lerchenfeld zweimal von<lb/> Frankfurt herüberkam und König Ludwig perſönlich im Bade Brückenau<lb/> den heſſiſchen Staatsrath Hofmann zu überreden ſuchte. Immer klarer<lb/> ward ihm die Erkenntniß, daß nur der Beitritt zum preußiſchen Zollſyſtem<lb/> noch retten könne. Es war ein kühner Entſchluß für den Miniſter eines<lb/> Mittelſtaates; denn im Grunde waren doch alle bisherigen ſüddeutſchen<lb/> Zollverhandlungen zur Abwehr gegen das preußiſche Zollweſen unter-<lb/> nommen worden, und ſeit dem Köthener Streite ſtand an ſämmtlichen<lb/> Höfen die Meinung feſt, daß durch eine Verſtändigung mit Preußen die<lb/> ſouveräne Würde ſchimpflich preisgegeben werde. Indeß der muthige Mi-<lb/> niſter war gewöhnt die Stimmungen des Tages geringzuſchätzen, er pflegte<lb/> in den Landtagsverhandlungen ſeine ſelbſtändige Geſinnung oft ſehr ſcharf<lb/> und nicht ohne verletzende Ironie auszuſprechen.</p><lb/> <p>Aber würde Preußen auf den unerwarteten Antrag eingehen? Schon<lb/> im Sommer 1825 hatte der Darmſtädter Hof einmal in Berlin ange-<lb/> fragt, ob Preußen geneigt ſei einen Zollverein mit beiden Heſſen abzu-<lb/> ſchließen, und ſofort eine zuſtimmende Antwort erhalten. Nachher war<lb/> Preußen aber wieder zurückgetreten, weil Kurheſſen ſich dem Plane ver-<lb/> ſagte, und damals in Berlin noch die Meinung herrſchte, die Erweite-<lb/> rung des Zollſyſtems dürfe nur „von Grenze zu Grenze“, von dem näheren<lb/> Nachbarn zu dem entfernteren vorſchreiten.<note place="foot" n="*)">Maltzan’s Bericht, 23. Juni. Weiſungen an Maltzan, 5. Juli, 6. Aug. 1825.</note> Aus dieſer Meinung er-<lb/> klärte es ſich auch, daß ein halbes Jahr darauf eine zweite, ſehr unbe-<lb/> ſtimmt gehaltene Anfrage aus Darmſtadt dahin beantwortet wurde: Ver-<lb/> handlungen mit Darmſtadt allein verſprächen keinen Erfolg, weil das<lb/> Großherzogthum nicht an Preußen angrenze.<note place="foot" n="**)">Maltzan’s Bericht, 3. Febr., Schuckmann’s Miniſterialſchreiben, 25. März 1826.</note></p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [630/0646]
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
erzählt, in verzweifelter Stimmung. Die Finanznoth ſtieg, das Volk
murrte. Die armen Leineweber auf dem Vogelsberge bei Alsfeld hatten
durch die ſpaniſche Revolution ihren Markt verloren, das Hinterland um
Biedenkopf fand, eingepreßt zwiſchen preußiſche Gebiete, keinen Abſatz
mehr für ſeine Teppiche und Wollwaaren, der Mainzer Handelsſtand konnte
die Laſt der nahen preußiſchen Zollſtellen kaum mehr ertragen. Im Land-
tage verlangten einzelne Stimmen, wie ſchon vor Jahren der Abgeordnete
Perrot, eine Verſtändigung mit Preußen, andere befürworteten den ſüd-
deutſchen Verein. Nur darin war man einig, daß der Staat in ſeiner
vereinſamten Stellung nicht bleiben könne; die Kammer ſprach die Er-
wartung aus, daß irgend ein Zollverein zu Stande komme, und gab der
Regierung freie Hand. Großen Eindruck machte auf den Miniſter eine
von dem Fabrikanten Bayer im Vogelsberge eingereichte, vom Pfarrer
Frank verfaßte gründliche Denkſchrift, die überzeugend nachwies, daß der
Waarenzug des Landes überwiegend durch Preußen gehe. Darum lehnte
du Thil die bairiſche Einladung ab, obgleich Lerchenfeld zweimal von
Frankfurt herüberkam und König Ludwig perſönlich im Bade Brückenau
den heſſiſchen Staatsrath Hofmann zu überreden ſuchte. Immer klarer
ward ihm die Erkenntniß, daß nur der Beitritt zum preußiſchen Zollſyſtem
noch retten könne. Es war ein kühner Entſchluß für den Miniſter eines
Mittelſtaates; denn im Grunde waren doch alle bisherigen ſüddeutſchen
Zollverhandlungen zur Abwehr gegen das preußiſche Zollweſen unter-
nommen worden, und ſeit dem Köthener Streite ſtand an ſämmtlichen
Höfen die Meinung feſt, daß durch eine Verſtändigung mit Preußen die
ſouveräne Würde ſchimpflich preisgegeben werde. Indeß der muthige Mi-
niſter war gewöhnt die Stimmungen des Tages geringzuſchätzen, er pflegte
in den Landtagsverhandlungen ſeine ſelbſtändige Geſinnung oft ſehr ſcharf
und nicht ohne verletzende Ironie auszuſprechen.
Aber würde Preußen auf den unerwarteten Antrag eingehen? Schon
im Sommer 1825 hatte der Darmſtädter Hof einmal in Berlin ange-
fragt, ob Preußen geneigt ſei einen Zollverein mit beiden Heſſen abzu-
ſchließen, und ſofort eine zuſtimmende Antwort erhalten. Nachher war
Preußen aber wieder zurückgetreten, weil Kurheſſen ſich dem Plane ver-
ſagte, und damals in Berlin noch die Meinung herrſchte, die Erweite-
rung des Zollſyſtems dürfe nur „von Grenze zu Grenze“, von dem näheren
Nachbarn zu dem entfernteren vorſchreiten. *) Aus dieſer Meinung er-
klärte es ſich auch, daß ein halbes Jahr darauf eine zweite, ſehr unbe-
ſtimmt gehaltene Anfrage aus Darmſtadt dahin beantwortet wurde: Ver-
handlungen mit Darmſtadt allein verſprächen keinen Erfolg, weil das
Großherzogthum nicht an Preußen angrenze. **)
*) Maltzan’s Bericht, 23. Juni. Weiſungen an Maltzan, 5. Juli, 6. Aug. 1825.
**) Maltzan’s Bericht, 3. Febr., Schuckmann’s Miniſterialſchreiben, 25. März 1826.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |