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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Spannung zwischen Baiern und Preußen.
Wochen hindurch völlig fassungslos. "Nunmehr hab' ich alle Schritte ge-
than, um meine armen Unterthanen zu retten!" sagte er verzweifelnd zu
Schmitz-Grollenburg. In groben Schimpfworten entlud sich sein Groll;
er schalt laut auf den Verräther Hofmann, erzählte an offener Tafel,
Preußen habe den Prinzen Emil von Hessen mit 400,000 Fl. bestochen.
In seinem Zorne vergaß er auch wieder seinen teutschen Stolz. So lange
diese kleinen Höfe noch europäische Politik treiben durften, waren auch
patriotische Fürsten nicht vor argen Verirrungen sicher. Wie Ludwig einst
als Kronprinz, trotz seines Abscheus gegen Napoleon, mehrmals unter-
thänige Briefe an den Schöpfer der bairischen Königskrone gerichtet und
sogar die Hoffnung ausgesprochen hatte, sein Sohn Max werde dereinst
dem König von Rom seine Anhänglichkeit widmen,*) so hatte er neuerdings
um Sponheims willen die Hilfe Rußlands angerufen und wendete sich
jetzt wieder an das gehaßte Frankreich. Den Winter über hatte der Her-
zog von Dalberg in München sein Wesen getrieben; nun fanden seine
Einflüsterungen Gehör. König Ludwig warnte den französischen Hof vor
dem Ehrgeiz Preußens, das bereits in Süddeutschland sich festzusetzen suche.
Im selben Sinne bearbeitete Lerchenfeld zu Frankfurt den alten Reinhard.
Alsbald befahl Minister La Ferronays dem Geschäftsträger in München
rührige Wachsamkeit gegen die von Preußen her drohende Gefahr; er
stellte zugleich einige Handelserleichterungen in Aussicht zu Gunsten der
troisieme Allemagne.

Da König Ludwig schon nach wenigen Monaten von seinen leiden-
schaftlichen Verirrungen zurückkam, so wurden diese häßlichen Zettelungen
mit dem Auslande nachher ganz in Abrede gestellt. Der Hergang ist
gleichwohl verbürgt durch die übereinstimmenden Zeugnisse von Freund
und Feind. Nicht allein der preußische Gesandte Küster berichtete darüber
ausführlich seinem Hofe; der badische Gesandte Fahnenberg meldete ganz
dasselbe nach Karlsruhe. Der österreichische Gesandte Graf Spiegel warf
dem bairischen Minister des Auswärtigen die Anklage ins Gesicht, daß er
Frankreich in die deutsche Handelspolitik hineinzuziehen suche. Ueber Ler-
chenfeld's Verhalten berichtete Blittersdorff, der ja selber sehr geneigt war,
jedes Mittel zu gebrauchen zur Vernichtung des preußisch-hessischen Ver-
eins.**) Die Schwenkung der bairischen Politik nach Frankreich hinüber
war bald eine der gesammten diplomatischen Welt bekannte Thatsache.

König Ludwig überließ sich eine Zeit lang blindlings dem stürmischen
Unwillen der verletzten Eitelkeit. Sein Cabinetsrath Grandauer übte
schlechten Einfluß; auch Freiherr v. d. Tann träumte bairische Großmachts-
träume. Nur der alte welterfahrene Minister Zentner sah die Dinge

*) Zwei dieser Briefe, vom 6. April und 29. Nov. 1811 sind mitgetheilt in den
Preußischen Jahrbüchern, November 1885.
**) Berichte von Küster 26. März, Fahnenberg 5. März, Maltzan 14. April, Blit-
tersdorff 24., 26. März 1828.
41*

Spannung zwiſchen Baiern und Preußen.
Wochen hindurch völlig faſſungslos. „Nunmehr hab’ ich alle Schritte ge-
than, um meine armen Unterthanen zu retten!“ ſagte er verzweifelnd zu
Schmitz-Grollenburg. In groben Schimpfworten entlud ſich ſein Groll;
er ſchalt laut auf den Verräther Hofmann, erzählte an offener Tafel,
Preußen habe den Prinzen Emil von Heſſen mit 400,000 Fl. beſtochen.
In ſeinem Zorne vergaß er auch wieder ſeinen teutſchen Stolz. So lange
dieſe kleinen Höfe noch europäiſche Politik treiben durften, waren auch
patriotiſche Fürſten nicht vor argen Verirrungen ſicher. Wie Ludwig einſt
als Kronprinz, trotz ſeines Abſcheus gegen Napoleon, mehrmals unter-
thänige Briefe an den Schöpfer der bairiſchen Königskrone gerichtet und
ſogar die Hoffnung ausgeſprochen hatte, ſein Sohn Max werde dereinſt
dem König von Rom ſeine Anhänglichkeit widmen,*) ſo hatte er neuerdings
um Sponheims willen die Hilfe Rußlands angerufen und wendete ſich
jetzt wieder an das gehaßte Frankreich. Den Winter über hatte der Her-
zog von Dalberg in München ſein Weſen getrieben; nun fanden ſeine
Einflüſterungen Gehör. König Ludwig warnte den franzöſiſchen Hof vor
dem Ehrgeiz Preußens, das bereits in Süddeutſchland ſich feſtzuſetzen ſuche.
Im ſelben Sinne bearbeitete Lerchenfeld zu Frankfurt den alten Reinhard.
Alsbald befahl Miniſter La Ferronays dem Geſchäftsträger in München
rührige Wachſamkeit gegen die von Preußen her drohende Gefahr; er
ſtellte zugleich einige Handelserleichterungen in Ausſicht zu Gunſten der
troisième Allemagne.

Da König Ludwig ſchon nach wenigen Monaten von ſeinen leiden-
ſchaftlichen Verirrungen zurückkam, ſo wurden dieſe häßlichen Zettelungen
mit dem Auslande nachher ganz in Abrede geſtellt. Der Hergang iſt
gleichwohl verbürgt durch die übereinſtimmenden Zeugniſſe von Freund
und Feind. Nicht allein der preußiſche Geſandte Küſter berichtete darüber
ausführlich ſeinem Hofe; der badiſche Geſandte Fahnenberg meldete ganz
daſſelbe nach Karlsruhe. Der öſterreichiſche Geſandte Graf Spiegel warf
dem bairiſchen Miniſter des Auswärtigen die Anklage ins Geſicht, daß er
Frankreich in die deutſche Handelspolitik hineinzuziehen ſuche. Ueber Ler-
chenfeld’s Verhalten berichtete Blittersdorff, der ja ſelber ſehr geneigt war,
jedes Mittel zu gebrauchen zur Vernichtung des preußiſch-heſſiſchen Ver-
eins.**) Die Schwenkung der bairiſchen Politik nach Frankreich hinüber
war bald eine der geſammten diplomatiſchen Welt bekannte Thatſache.

König Ludwig überließ ſich eine Zeit lang blindlings dem ſtürmiſchen
Unwillen der verletzten Eitelkeit. Sein Cabinetsrath Grandauer übte
ſchlechten Einfluß; auch Freiherr v. d. Tann träumte bairiſche Großmachts-
träume. Nur der alte welterfahrene Miniſter Zentner ſah die Dinge

*) Zwei dieſer Briefe, vom 6. April und 29. Nov. 1811 ſind mitgetheilt in den
Preußiſchen Jahrbüchern, November 1885.
**) Berichte von Küſter 26. März, Fahnenberg 5. März, Maltzan 14. April, Blit-
tersdorff 24., 26. März 1828.
41*
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[643/0659] Spannung zwiſchen Baiern und Preußen. Wochen hindurch völlig faſſungslos. „Nunmehr hab’ ich alle Schritte ge- than, um meine armen Unterthanen zu retten!“ ſagte er verzweifelnd zu Schmitz-Grollenburg. In groben Schimpfworten entlud ſich ſein Groll; er ſchalt laut auf den Verräther Hofmann, erzählte an offener Tafel, Preußen habe den Prinzen Emil von Heſſen mit 400,000 Fl. beſtochen. In ſeinem Zorne vergaß er auch wieder ſeinen teutſchen Stolz. So lange dieſe kleinen Höfe noch europäiſche Politik treiben durften, waren auch patriotiſche Fürſten nicht vor argen Verirrungen ſicher. Wie Ludwig einſt als Kronprinz, trotz ſeines Abſcheus gegen Napoleon, mehrmals unter- thänige Briefe an den Schöpfer der bairiſchen Königskrone gerichtet und ſogar die Hoffnung ausgeſprochen hatte, ſein Sohn Max werde dereinſt dem König von Rom ſeine Anhänglichkeit widmen, *) ſo hatte er neuerdings um Sponheims willen die Hilfe Rußlands angerufen und wendete ſich jetzt wieder an das gehaßte Frankreich. Den Winter über hatte der Her- zog von Dalberg in München ſein Weſen getrieben; nun fanden ſeine Einflüſterungen Gehör. König Ludwig warnte den franzöſiſchen Hof vor dem Ehrgeiz Preußens, das bereits in Süddeutſchland ſich feſtzuſetzen ſuche. Im ſelben Sinne bearbeitete Lerchenfeld zu Frankfurt den alten Reinhard. Alsbald befahl Miniſter La Ferronays dem Geſchäftsträger in München rührige Wachſamkeit gegen die von Preußen her drohende Gefahr; er ſtellte zugleich einige Handelserleichterungen in Ausſicht zu Gunſten der troisième Allemagne. Da König Ludwig ſchon nach wenigen Monaten von ſeinen leiden- ſchaftlichen Verirrungen zurückkam, ſo wurden dieſe häßlichen Zettelungen mit dem Auslande nachher ganz in Abrede geſtellt. Der Hergang iſt gleichwohl verbürgt durch die übereinſtimmenden Zeugniſſe von Freund und Feind. Nicht allein der preußiſche Geſandte Küſter berichtete darüber ausführlich ſeinem Hofe; der badiſche Geſandte Fahnenberg meldete ganz daſſelbe nach Karlsruhe. Der öſterreichiſche Geſandte Graf Spiegel warf dem bairiſchen Miniſter des Auswärtigen die Anklage ins Geſicht, daß er Frankreich in die deutſche Handelspolitik hineinzuziehen ſuche. Ueber Ler- chenfeld’s Verhalten berichtete Blittersdorff, der ja ſelber ſehr geneigt war, jedes Mittel zu gebrauchen zur Vernichtung des preußiſch-heſſiſchen Ver- eins. **) Die Schwenkung der bairiſchen Politik nach Frankreich hinüber war bald eine der geſammten diplomatiſchen Welt bekannte Thatſache. König Ludwig überließ ſich eine Zeit lang blindlings dem ſtürmiſchen Unwillen der verletzten Eitelkeit. Sein Cabinetsrath Grandauer übte ſchlechten Einfluß; auch Freiherr v. d. Tann träumte bairiſche Großmachts- träume. Nur der alte welterfahrene Miniſter Zentner ſah die Dinge *) Zwei dieſer Briefe, vom 6. April und 29. Nov. 1811 ſind mitgetheilt in den Preußiſchen Jahrbüchern, November 1885. **) Berichte von Küſter 26. März, Fahnenberg 5. März, Maltzan 14. April, Blit- tersdorff 24., 26. März 1828. 41*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 643. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/659>, abgerufen am 22.11.2024.