so andächtig aufbewahrte, entging dem Vaterauge Metternich's nicht, und sofort ward der badische Minister in einem langen eigenhändigen Briefe zu kräftigem Einschreiten ermahnt: "wenn solche Versuche ganz ungeahndet stattfinden, wird der Krebsschaden ewig ungeheilt bleiben."*)
So lange der badische Hof noch auf Oesterreichs Unterstützung rech- nete, rüstete er sich zum offenen Kampfe wider seine Landstände; er ver- weigerte einigen liberalen Beamten den Urlaub für den Landtag und rief die Mainzer Demagogencommission an, um den Heidelberger Buch- händler Winter, den tapferen Anwalt der Preßfreiheit, in eine poli- tische Untersuchung zu verwickeln.**) Aber als der Landtag im Juni zu- sammentrat und sofort die Einberufung seiner sämmtlichen Mitglieder verlangte, da war auf auswärtige Hilfe nicht mehr zu rechnen; auch die Nachrichten von den Fortschritten der Revolution in Südeuropa beäng- stigten den Hof. Die Regierung zog daher die Urlaubsverweigerung zurück, Winter wurde durch gerichtlichen Spruch auf freien Fuß gesetzt, und nun- mehr begegnete Berstett den Ständen mit überraschender Freundlichkeit. Ernüchtert durch die bitteren Erfahrungen der letzten Monate trat auch die Mehrheit des Landtags diesmal behutsamer auf. Mehrere Abgeord- nete waren durch Gnadenbeweise des Hofes gewonnen, einzelne geradezu bestochen; ganz unbefangen gestand der Großherzog dem preußischen Ge- sandten, das gute Einvernehmen mit diesen Herren koste Geld.***) Genug, so stürmisch dieser Landtag begonnen, so ruhig war sein Ende.
Nach einer freimüthigen Rede Rotteck's versprach die Regierung, ihr hartes Preß-Edikt, das im ganzen Lande nur vier politische Zeitungen er- laubte, bis auf das Maß der Karlsbader Beschlüsse zu mildern; einige wohlthätige Gesetze über die Aufhebung grundherrlicher Abgaben wurden vereinbart, auch über den Staatshaushalt traf man ein Abkommen durch Bewilligung einer Bauschsumme. Im September ward der Landtag fried- lich entlassen, und froh aufathmend meldete Berstett dem nassauischen Freunde, durch seine Milde gegen die Stände habe er sich für zwei Jahre Ruhe verschafft. Die beiden Ultras der Wiener Conferenz begannen jetzt doch zu glauben, daß die neuen Verfassungen, wenn man sie nur zu handhaben wisse, erträglich, ja sogar dem Partikularismus förderlich wer- den könnten. "Die Landstände, meinte Marschall, individualisiren unsere Staaten mehr und mehr und tragen zur Vernichtung des Einheitsprin- cips, welches die revolutionäre Partei vorzüglich im Auge hatte, immer mehr bei." Und als sein getreues Echo schrieb Berstett nach Wien: "durch die Aehnlichkeit der neuen Constitutionen in Süddeutschland ist keineswegs eine größere Annäherung der einzelnen Länder im Sinne unserer Deutsch- thümler bewirkt worden; es bildet sich vielmehr eine stets zunehmende ab-
*) Metternich an Berstett, 23. Juni 1820.
**) Berstett an Marschall, 10. Aug. 1820.
***) Küster's Bericht, Karlsruhe 22. Aug. 1820.
III. 1. Die Wiener Conferenzen.
ſo andächtig aufbewahrte, entging dem Vaterauge Metternich’s nicht, und ſofort ward der badiſche Miniſter in einem langen eigenhändigen Briefe zu kräftigem Einſchreiten ermahnt: „wenn ſolche Verſuche ganz ungeahndet ſtattfinden, wird der Krebsſchaden ewig ungeheilt bleiben.“*)
So lange der badiſche Hof noch auf Oeſterreichs Unterſtützung rech- nete, rüſtete er ſich zum offenen Kampfe wider ſeine Landſtände; er ver- weigerte einigen liberalen Beamten den Urlaub für den Landtag und rief die Mainzer Demagogencommiſſion an, um den Heidelberger Buch- händler Winter, den tapferen Anwalt der Preßfreiheit, in eine poli- tiſche Unterſuchung zu verwickeln.**) Aber als der Landtag im Juni zu- ſammentrat und ſofort die Einberufung ſeiner ſämmtlichen Mitglieder verlangte, da war auf auswärtige Hilfe nicht mehr zu rechnen; auch die Nachrichten von den Fortſchritten der Revolution in Südeuropa beäng- ſtigten den Hof. Die Regierung zog daher die Urlaubsverweigerung zurück, Winter wurde durch gerichtlichen Spruch auf freien Fuß geſetzt, und nun- mehr begegnete Berſtett den Ständen mit überraſchender Freundlichkeit. Ernüchtert durch die bitteren Erfahrungen der letzten Monate trat auch die Mehrheit des Landtags diesmal behutſamer auf. Mehrere Abgeord- nete waren durch Gnadenbeweiſe des Hofes gewonnen, einzelne geradezu beſtochen; ganz unbefangen geſtand der Großherzog dem preußiſchen Ge- ſandten, das gute Einvernehmen mit dieſen Herren koſte Geld.***) Genug, ſo ſtürmiſch dieſer Landtag begonnen, ſo ruhig war ſein Ende.
Nach einer freimüthigen Rede Rotteck’s verſprach die Regierung, ihr hartes Preß-Edikt, das im ganzen Lande nur vier politiſche Zeitungen er- laubte, bis auf das Maß der Karlsbader Beſchlüſſe zu mildern; einige wohlthätige Geſetze über die Aufhebung grundherrlicher Abgaben wurden vereinbart, auch über den Staatshaushalt traf man ein Abkommen durch Bewilligung einer Bauſchſumme. Im September ward der Landtag fried- lich entlaſſen, und froh aufathmend meldete Berſtett dem naſſauiſchen Freunde, durch ſeine Milde gegen die Stände habe er ſich für zwei Jahre Ruhe verſchafft. Die beiden Ultras der Wiener Conferenz begannen jetzt doch zu glauben, daß die neuen Verfaſſungen, wenn man ſie nur zu handhaben wiſſe, erträglich, ja ſogar dem Partikularismus förderlich wer- den könnten. „Die Landſtände, meinte Marſchall, individualiſiren unſere Staaten mehr und mehr und tragen zur Vernichtung des Einheitsprin- cips, welches die revolutionäre Partei vorzüglich im Auge hatte, immer mehr bei.“ Und als ſein getreues Echo ſchrieb Berſtett nach Wien: „durch die Aehnlichkeit der neuen Conſtitutionen in Süddeutſchland iſt keineswegs eine größere Annäherung der einzelnen Länder im Sinne unſerer Deutſch- thümler bewirkt worden; es bildet ſich vielmehr eine ſtets zunehmende ab-
*) Metternich an Berſtett, 23. Juni 1820.
**) Berſtett an Marſchall, 10. Aug. 1820.
***) Küſter’s Bericht, Karlsruhe 22. Aug. 1820.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0066"n="50"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 1. Die Wiener Conferenzen.</fw><lb/>ſo andächtig aufbewahrte, entging dem Vaterauge Metternich’s nicht, und<lb/>ſofort ward der badiſche Miniſter in einem langen eigenhändigen Briefe<lb/>
zu kräftigem Einſchreiten ermahnt: „wenn ſolche Verſuche ganz ungeahndet<lb/>ſtattfinden, wird der Krebsſchaden ewig ungeheilt bleiben.“<noteplace="foot"n="*)">Metternich an Berſtett, 23. Juni 1820.</note></p><lb/><p>So lange der badiſche Hof noch auf Oeſterreichs Unterſtützung rech-<lb/>
nete, rüſtete er ſich zum offenen Kampfe wider ſeine Landſtände; er ver-<lb/>
weigerte einigen liberalen Beamten den Urlaub für den Landtag und<lb/>
rief die Mainzer Demagogencommiſſion an, um den Heidelberger Buch-<lb/>
händler Winter, den tapferen Anwalt der Preßfreiheit, in eine poli-<lb/>
tiſche Unterſuchung zu verwickeln.<noteplace="foot"n="**)">Berſtett an Marſchall, 10. Aug.<lb/>
1820.</note> Aber als der Landtag im Juni zu-<lb/>ſammentrat und ſofort die Einberufung ſeiner ſämmtlichen Mitglieder<lb/>
verlangte, da war auf auswärtige Hilfe nicht mehr zu rechnen; auch die<lb/>
Nachrichten von den Fortſchritten der Revolution in Südeuropa beäng-<lb/>ſtigten den Hof. Die Regierung zog daher die Urlaubsverweigerung zurück,<lb/>
Winter wurde durch gerichtlichen Spruch auf freien Fuß geſetzt, und nun-<lb/>
mehr begegnete Berſtett den Ständen mit überraſchender Freundlichkeit.<lb/>
Ernüchtert durch die bitteren Erfahrungen der letzten Monate trat auch<lb/>
die Mehrheit des Landtags diesmal behutſamer auf. Mehrere Abgeord-<lb/>
nete waren durch Gnadenbeweiſe des Hofes gewonnen, einzelne geradezu<lb/>
beſtochen; ganz unbefangen geſtand der Großherzog dem preußiſchen Ge-<lb/>ſandten, das gute Einvernehmen mit dieſen Herren koſte Geld.<noteplace="foot"n="***)">Küſter’s Bericht, Karlsruhe 22. Aug. 1820.</note> Genug,<lb/>ſo ſtürmiſch dieſer Landtag begonnen, ſo ruhig war ſein Ende.</p><lb/><p>Nach einer freimüthigen Rede Rotteck’s verſprach die Regierung, ihr<lb/>
hartes Preß-Edikt, das im ganzen Lande nur vier politiſche Zeitungen er-<lb/>
laubte, bis auf das Maß der Karlsbader Beſchlüſſe zu mildern; einige<lb/>
wohlthätige Geſetze über die Aufhebung grundherrlicher Abgaben wurden<lb/>
vereinbart, auch über den Staatshaushalt traf man ein Abkommen durch<lb/>
Bewilligung einer Bauſchſumme. Im September ward der Landtag fried-<lb/>
lich entlaſſen, und froh aufathmend meldete Berſtett dem naſſauiſchen<lb/>
Freunde, durch ſeine Milde gegen die Stände habe er ſich für zwei Jahre<lb/>
Ruhe verſchafft. Die beiden Ultras der Wiener Conferenz begannen jetzt<lb/>
doch zu glauben, daß die neuen Verfaſſungen, wenn man ſie nur zu<lb/>
handhaben wiſſe, erträglich, ja ſogar dem Partikularismus förderlich wer-<lb/>
den könnten. „Die Landſtände, meinte Marſchall, individualiſiren unſere<lb/>
Staaten mehr und mehr und tragen zur Vernichtung des Einheitsprin-<lb/>
cips, welches die revolutionäre Partei vorzüglich im Auge hatte, immer<lb/>
mehr bei.“ Und als ſein getreues Echo ſchrieb Berſtett nach Wien: „durch<lb/>
die Aehnlichkeit der neuen Conſtitutionen in Süddeutſchland iſt keineswegs<lb/>
eine größere Annäherung der einzelnen Länder im Sinne unſerer Deutſch-<lb/>
thümler bewirkt worden; es bildet ſich vielmehr eine ſtets zunehmende ab-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[50/0066]
III. 1. Die Wiener Conferenzen.
ſo andächtig aufbewahrte, entging dem Vaterauge Metternich’s nicht, und
ſofort ward der badiſche Miniſter in einem langen eigenhändigen Briefe
zu kräftigem Einſchreiten ermahnt: „wenn ſolche Verſuche ganz ungeahndet
ſtattfinden, wird der Krebsſchaden ewig ungeheilt bleiben.“ *)
So lange der badiſche Hof noch auf Oeſterreichs Unterſtützung rech-
nete, rüſtete er ſich zum offenen Kampfe wider ſeine Landſtände; er ver-
weigerte einigen liberalen Beamten den Urlaub für den Landtag und
rief die Mainzer Demagogencommiſſion an, um den Heidelberger Buch-
händler Winter, den tapferen Anwalt der Preßfreiheit, in eine poli-
tiſche Unterſuchung zu verwickeln. **) Aber als der Landtag im Juni zu-
ſammentrat und ſofort die Einberufung ſeiner ſämmtlichen Mitglieder
verlangte, da war auf auswärtige Hilfe nicht mehr zu rechnen; auch die
Nachrichten von den Fortſchritten der Revolution in Südeuropa beäng-
ſtigten den Hof. Die Regierung zog daher die Urlaubsverweigerung zurück,
Winter wurde durch gerichtlichen Spruch auf freien Fuß geſetzt, und nun-
mehr begegnete Berſtett den Ständen mit überraſchender Freundlichkeit.
Ernüchtert durch die bitteren Erfahrungen der letzten Monate trat auch
die Mehrheit des Landtags diesmal behutſamer auf. Mehrere Abgeord-
nete waren durch Gnadenbeweiſe des Hofes gewonnen, einzelne geradezu
beſtochen; ganz unbefangen geſtand der Großherzog dem preußiſchen Ge-
ſandten, das gute Einvernehmen mit dieſen Herren koſte Geld. ***) Genug,
ſo ſtürmiſch dieſer Landtag begonnen, ſo ruhig war ſein Ende.
Nach einer freimüthigen Rede Rotteck’s verſprach die Regierung, ihr
hartes Preß-Edikt, das im ganzen Lande nur vier politiſche Zeitungen er-
laubte, bis auf das Maß der Karlsbader Beſchlüſſe zu mildern; einige
wohlthätige Geſetze über die Aufhebung grundherrlicher Abgaben wurden
vereinbart, auch über den Staatshaushalt traf man ein Abkommen durch
Bewilligung einer Bauſchſumme. Im September ward der Landtag fried-
lich entlaſſen, und froh aufathmend meldete Berſtett dem naſſauiſchen
Freunde, durch ſeine Milde gegen die Stände habe er ſich für zwei Jahre
Ruhe verſchafft. Die beiden Ultras der Wiener Conferenz begannen jetzt
doch zu glauben, daß die neuen Verfaſſungen, wenn man ſie nur zu
handhaben wiſſe, erträglich, ja ſogar dem Partikularismus förderlich wer-
den könnten. „Die Landſtände, meinte Marſchall, individualiſiren unſere
Staaten mehr und mehr und tragen zur Vernichtung des Einheitsprin-
cips, welches die revolutionäre Partei vorzüglich im Auge hatte, immer
mehr bei.“ Und als ſein getreues Echo ſchrieb Berſtett nach Wien: „durch
die Aehnlichkeit der neuen Conſtitutionen in Süddeutſchland iſt keineswegs
eine größere Annäherung der einzelnen Länder im Sinne unſerer Deutſch-
thümler bewirkt worden; es bildet ſich vielmehr eine ſtets zunehmende ab-
*) Metternich an Berſtett, 23. Juni 1820.
**) Berſtett an Marſchall, 10. Aug.
1820.
***) Küſter’s Bericht, Karlsruhe 22. Aug. 1820.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/66>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.