Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

Bild:
<< vorherige Seite

III. 1. Die Wiener Conferenzen.
so andächtig aufbewahrte, entging dem Vaterauge Metternich's nicht, und
sofort ward der badische Minister in einem langen eigenhändigen Briefe
zu kräftigem Einschreiten ermahnt: "wenn solche Versuche ganz ungeahndet
stattfinden, wird der Krebsschaden ewig ungeheilt bleiben."*)

So lange der badische Hof noch auf Oesterreichs Unterstützung rech-
nete, rüstete er sich zum offenen Kampfe wider seine Landstände; er ver-
weigerte einigen liberalen Beamten den Urlaub für den Landtag und
rief die Mainzer Demagogencommission an, um den Heidelberger Buch-
händler Winter, den tapferen Anwalt der Preßfreiheit, in eine poli-
tische Untersuchung zu verwickeln.**) Aber als der Landtag im Juni zu-
sammentrat und sofort die Einberufung seiner sämmtlichen Mitglieder
verlangte, da war auf auswärtige Hilfe nicht mehr zu rechnen; auch die
Nachrichten von den Fortschritten der Revolution in Südeuropa beäng-
stigten den Hof. Die Regierung zog daher die Urlaubsverweigerung zurück,
Winter wurde durch gerichtlichen Spruch auf freien Fuß gesetzt, und nun-
mehr begegnete Berstett den Ständen mit überraschender Freundlichkeit.
Ernüchtert durch die bitteren Erfahrungen der letzten Monate trat auch
die Mehrheit des Landtags diesmal behutsamer auf. Mehrere Abgeord-
nete waren durch Gnadenbeweise des Hofes gewonnen, einzelne geradezu
bestochen; ganz unbefangen gestand der Großherzog dem preußischen Ge-
sandten, das gute Einvernehmen mit diesen Herren koste Geld.***) Genug,
so stürmisch dieser Landtag begonnen, so ruhig war sein Ende.

Nach einer freimüthigen Rede Rotteck's versprach die Regierung, ihr
hartes Preß-Edikt, das im ganzen Lande nur vier politische Zeitungen er-
laubte, bis auf das Maß der Karlsbader Beschlüsse zu mildern; einige
wohlthätige Gesetze über die Aufhebung grundherrlicher Abgaben wurden
vereinbart, auch über den Staatshaushalt traf man ein Abkommen durch
Bewilligung einer Bauschsumme. Im September ward der Landtag fried-
lich entlassen, und froh aufathmend meldete Berstett dem nassauischen
Freunde, durch seine Milde gegen die Stände habe er sich für zwei Jahre
Ruhe verschafft. Die beiden Ultras der Wiener Conferenz begannen jetzt
doch zu glauben, daß die neuen Verfassungen, wenn man sie nur zu
handhaben wisse, erträglich, ja sogar dem Partikularismus förderlich wer-
den könnten. "Die Landstände, meinte Marschall, individualisiren unsere
Staaten mehr und mehr und tragen zur Vernichtung des Einheitsprin-
cips, welches die revolutionäre Partei vorzüglich im Auge hatte, immer
mehr bei." Und als sein getreues Echo schrieb Berstett nach Wien: "durch
die Aehnlichkeit der neuen Constitutionen in Süddeutschland ist keineswegs
eine größere Annäherung der einzelnen Länder im Sinne unserer Deutsch-
thümler bewirkt worden; es bildet sich vielmehr eine stets zunehmende ab-

*) Metternich an Berstett, 23. Juni 1820.
**) Berstett an Marschall, 10. Aug.
1820.
***) Küster's Bericht, Karlsruhe 22. Aug. 1820.

III. 1. Die Wiener Conferenzen.
ſo andächtig aufbewahrte, entging dem Vaterauge Metternich’s nicht, und
ſofort ward der badiſche Miniſter in einem langen eigenhändigen Briefe
zu kräftigem Einſchreiten ermahnt: „wenn ſolche Verſuche ganz ungeahndet
ſtattfinden, wird der Krebsſchaden ewig ungeheilt bleiben.“*)

So lange der badiſche Hof noch auf Oeſterreichs Unterſtützung rech-
nete, rüſtete er ſich zum offenen Kampfe wider ſeine Landſtände; er ver-
weigerte einigen liberalen Beamten den Urlaub für den Landtag und
rief die Mainzer Demagogencommiſſion an, um den Heidelberger Buch-
händler Winter, den tapferen Anwalt der Preßfreiheit, in eine poli-
tiſche Unterſuchung zu verwickeln.**) Aber als der Landtag im Juni zu-
ſammentrat und ſofort die Einberufung ſeiner ſämmtlichen Mitglieder
verlangte, da war auf auswärtige Hilfe nicht mehr zu rechnen; auch die
Nachrichten von den Fortſchritten der Revolution in Südeuropa beäng-
ſtigten den Hof. Die Regierung zog daher die Urlaubsverweigerung zurück,
Winter wurde durch gerichtlichen Spruch auf freien Fuß geſetzt, und nun-
mehr begegnete Berſtett den Ständen mit überraſchender Freundlichkeit.
Ernüchtert durch die bitteren Erfahrungen der letzten Monate trat auch
die Mehrheit des Landtags diesmal behutſamer auf. Mehrere Abgeord-
nete waren durch Gnadenbeweiſe des Hofes gewonnen, einzelne geradezu
beſtochen; ganz unbefangen geſtand der Großherzog dem preußiſchen Ge-
ſandten, das gute Einvernehmen mit dieſen Herren koſte Geld.***) Genug,
ſo ſtürmiſch dieſer Landtag begonnen, ſo ruhig war ſein Ende.

Nach einer freimüthigen Rede Rotteck’s verſprach die Regierung, ihr
hartes Preß-Edikt, das im ganzen Lande nur vier politiſche Zeitungen er-
laubte, bis auf das Maß der Karlsbader Beſchlüſſe zu mildern; einige
wohlthätige Geſetze über die Aufhebung grundherrlicher Abgaben wurden
vereinbart, auch über den Staatshaushalt traf man ein Abkommen durch
Bewilligung einer Bauſchſumme. Im September ward der Landtag fried-
lich entlaſſen, und froh aufathmend meldete Berſtett dem naſſauiſchen
Freunde, durch ſeine Milde gegen die Stände habe er ſich für zwei Jahre
Ruhe verſchafft. Die beiden Ultras der Wiener Conferenz begannen jetzt
doch zu glauben, daß die neuen Verfaſſungen, wenn man ſie nur zu
handhaben wiſſe, erträglich, ja ſogar dem Partikularismus förderlich wer-
den könnten. „Die Landſtände, meinte Marſchall, individualiſiren unſere
Staaten mehr und mehr und tragen zur Vernichtung des Einheitsprin-
cips, welches die revolutionäre Partei vorzüglich im Auge hatte, immer
mehr bei.“ Und als ſein getreues Echo ſchrieb Berſtett nach Wien: „durch
die Aehnlichkeit der neuen Conſtitutionen in Süddeutſchland iſt keineswegs
eine größere Annäherung der einzelnen Länder im Sinne unſerer Deutſch-
thümler bewirkt worden; es bildet ſich vielmehr eine ſtets zunehmende ab-

*) Metternich an Berſtett, 23. Juni 1820.
**) Berſtett an Marſchall, 10. Aug.
1820.
***) Küſter’s Bericht, Karlsruhe 22. Aug. 1820.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0066" n="50"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">III.</hi> 1. Die Wiener Conferenzen.</fw><lb/>
&#x017F;o andächtig aufbewahrte, entging dem Vaterauge Metternich&#x2019;s nicht, und<lb/>
&#x017F;ofort ward der badi&#x017F;che Mini&#x017F;ter in einem langen eigenhändigen Briefe<lb/>
zu kräftigem Ein&#x017F;chreiten ermahnt: &#x201E;wenn &#x017F;olche Ver&#x017F;uche ganz ungeahndet<lb/>
&#x017F;tattfinden, wird der Krebs&#x017F;chaden ewig ungeheilt bleiben.&#x201C;<note place="foot" n="*)">Metternich an Ber&#x017F;tett, 23. Juni 1820.</note></p><lb/>
          <p>So lange der badi&#x017F;che Hof noch auf Oe&#x017F;terreichs Unter&#x017F;tützung rech-<lb/>
nete, rü&#x017F;tete er &#x017F;ich zum offenen Kampfe wider &#x017F;eine Land&#x017F;tände; er ver-<lb/>
weigerte einigen liberalen Beamten den Urlaub für den Landtag und<lb/>
rief die Mainzer Demagogencommi&#x017F;&#x017F;ion an, um den Heidelberger Buch-<lb/>
händler Winter, den tapferen Anwalt der Preßfreiheit, in eine poli-<lb/>
ti&#x017F;che Unter&#x017F;uchung zu verwickeln.<note place="foot" n="**)">Ber&#x017F;tett an Mar&#x017F;chall, 10. Aug.<lb/>
1820.</note> Aber als der Landtag im Juni zu-<lb/>
&#x017F;ammentrat und &#x017F;ofort die Einberufung &#x017F;einer &#x017F;ämmtlichen Mitglieder<lb/>
verlangte, da war auf auswärtige Hilfe nicht mehr zu rechnen; auch die<lb/>
Nachrichten von den Fort&#x017F;chritten der Revolution in Südeuropa beäng-<lb/>
&#x017F;tigten den Hof. Die Regierung zog daher die Urlaubsverweigerung zurück,<lb/>
Winter wurde durch gerichtlichen Spruch auf freien Fuß ge&#x017F;etzt, und nun-<lb/>
mehr begegnete Ber&#x017F;tett den Ständen mit überra&#x017F;chender Freundlichkeit.<lb/>
Ernüchtert durch die bitteren Erfahrungen der letzten Monate trat auch<lb/>
die Mehrheit des Landtags diesmal behut&#x017F;amer auf. Mehrere Abgeord-<lb/>
nete waren durch Gnadenbewei&#x017F;e des Hofes gewonnen, einzelne geradezu<lb/>
be&#x017F;tochen; ganz unbefangen ge&#x017F;tand der Großherzog dem preußi&#x017F;chen Ge-<lb/>
&#x017F;andten, das gute Einvernehmen mit die&#x017F;en Herren ko&#x017F;te Geld.<note place="foot" n="***)">&#x017F;ter&#x2019;s Bericht, Karlsruhe 22. Aug. 1820.</note> Genug,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;türmi&#x017F;ch die&#x017F;er Landtag begonnen, &#x017F;o ruhig war &#x017F;ein Ende.</p><lb/>
          <p>Nach einer freimüthigen Rede Rotteck&#x2019;s ver&#x017F;prach die Regierung, ihr<lb/>
hartes Preß-Edikt, das im ganzen Lande nur vier politi&#x017F;che Zeitungen er-<lb/>
laubte, bis auf das Maß der Karlsbader Be&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e zu mildern; einige<lb/>
wohlthätige Ge&#x017F;etze über die Aufhebung grundherrlicher Abgaben wurden<lb/>
vereinbart, auch über den Staatshaushalt traf man ein Abkommen durch<lb/>
Bewilligung einer Bau&#x017F;ch&#x017F;umme. Im September ward der Landtag fried-<lb/>
lich entla&#x017F;&#x017F;en, und froh aufathmend meldete Ber&#x017F;tett dem na&#x017F;&#x017F;aui&#x017F;chen<lb/>
Freunde, durch &#x017F;eine Milde gegen die Stände habe er &#x017F;ich für zwei Jahre<lb/>
Ruhe ver&#x017F;chafft. Die beiden Ultras der Wiener Conferenz begannen jetzt<lb/>
doch zu glauben, daß die neuen Verfa&#x017F;&#x017F;ungen, wenn man &#x017F;ie nur zu<lb/>
handhaben wi&#x017F;&#x017F;e, erträglich, ja &#x017F;ogar dem Partikularismus förderlich wer-<lb/>
den könnten. &#x201E;Die Land&#x017F;tände, meinte Mar&#x017F;chall, individuali&#x017F;iren un&#x017F;ere<lb/>
Staaten mehr und mehr und tragen zur Vernichtung des Einheitsprin-<lb/>
cips, welches die revolutionäre Partei vorzüglich im Auge hatte, immer<lb/>
mehr bei.&#x201C; Und als &#x017F;ein getreues Echo &#x017F;chrieb Ber&#x017F;tett nach Wien: &#x201E;durch<lb/>
die Aehnlichkeit der neuen Con&#x017F;titutionen in Süddeut&#x017F;chland i&#x017F;t keineswegs<lb/>
eine größere Annäherung der einzelnen Länder im Sinne un&#x017F;erer Deut&#x017F;ch-<lb/>
thümler bewirkt worden; es bildet &#x017F;ich vielmehr eine &#x017F;tets zunehmende ab-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[50/0066] III. 1. Die Wiener Conferenzen. ſo andächtig aufbewahrte, entging dem Vaterauge Metternich’s nicht, und ſofort ward der badiſche Miniſter in einem langen eigenhändigen Briefe zu kräftigem Einſchreiten ermahnt: „wenn ſolche Verſuche ganz ungeahndet ſtattfinden, wird der Krebsſchaden ewig ungeheilt bleiben.“ *) So lange der badiſche Hof noch auf Oeſterreichs Unterſtützung rech- nete, rüſtete er ſich zum offenen Kampfe wider ſeine Landſtände; er ver- weigerte einigen liberalen Beamten den Urlaub für den Landtag und rief die Mainzer Demagogencommiſſion an, um den Heidelberger Buch- händler Winter, den tapferen Anwalt der Preßfreiheit, in eine poli- tiſche Unterſuchung zu verwickeln. **) Aber als der Landtag im Juni zu- ſammentrat und ſofort die Einberufung ſeiner ſämmtlichen Mitglieder verlangte, da war auf auswärtige Hilfe nicht mehr zu rechnen; auch die Nachrichten von den Fortſchritten der Revolution in Südeuropa beäng- ſtigten den Hof. Die Regierung zog daher die Urlaubsverweigerung zurück, Winter wurde durch gerichtlichen Spruch auf freien Fuß geſetzt, und nun- mehr begegnete Berſtett den Ständen mit überraſchender Freundlichkeit. Ernüchtert durch die bitteren Erfahrungen der letzten Monate trat auch die Mehrheit des Landtags diesmal behutſamer auf. Mehrere Abgeord- nete waren durch Gnadenbeweiſe des Hofes gewonnen, einzelne geradezu beſtochen; ganz unbefangen geſtand der Großherzog dem preußiſchen Ge- ſandten, das gute Einvernehmen mit dieſen Herren koſte Geld. ***) Genug, ſo ſtürmiſch dieſer Landtag begonnen, ſo ruhig war ſein Ende. Nach einer freimüthigen Rede Rotteck’s verſprach die Regierung, ihr hartes Preß-Edikt, das im ganzen Lande nur vier politiſche Zeitungen er- laubte, bis auf das Maß der Karlsbader Beſchlüſſe zu mildern; einige wohlthätige Geſetze über die Aufhebung grundherrlicher Abgaben wurden vereinbart, auch über den Staatshaushalt traf man ein Abkommen durch Bewilligung einer Bauſchſumme. Im September ward der Landtag fried- lich entlaſſen, und froh aufathmend meldete Berſtett dem naſſauiſchen Freunde, durch ſeine Milde gegen die Stände habe er ſich für zwei Jahre Ruhe verſchafft. Die beiden Ultras der Wiener Conferenz begannen jetzt doch zu glauben, daß die neuen Verfaſſungen, wenn man ſie nur zu handhaben wiſſe, erträglich, ja ſogar dem Partikularismus förderlich wer- den könnten. „Die Landſtände, meinte Marſchall, individualiſiren unſere Staaten mehr und mehr und tragen zur Vernichtung des Einheitsprin- cips, welches die revolutionäre Partei vorzüglich im Auge hatte, immer mehr bei.“ Und als ſein getreues Echo ſchrieb Berſtett nach Wien: „durch die Aehnlichkeit der neuen Conſtitutionen in Süddeutſchland iſt keineswegs eine größere Annäherung der einzelnen Länder im Sinne unſerer Deutſch- thümler bewirkt worden; es bildet ſich vielmehr eine ſtets zunehmende ab- *) Metternich an Berſtett, 23. Juni 1820. **) Berſtett an Marſchall, 10. Aug. 1820. ***) Küſter’s Bericht, Karlsruhe 22. Aug. 1820.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/66
Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/66>, abgerufen am 24.11.2024.