dinandeischen Hochmuths, von Karlsruhe abberufen, in Hannover und Cassel als Gesandter beglaubigt. Ihm gelang es, den Kurfürsten zu über- zeugen, daß auch der Anschluß an Baiern die kurhessische Nationalehre gefährde; "die bairischen Mauthritter", wie der Kurfürst höhnte, empfingen im Mai abschlägige Antwort. Und bald erfüllte sich, was ein feiner Kenner der hessischen Dinge dem preußischen Gesandten Hänlein vorausgesagt hatte: "Kurhessen wird seine ergiebigen Transitzölle zu behalten suchen und am Liebsten gar nichts an dem Bestehenden ändern. Nur wenn keine Ver- ständigung mit der Kurfürstin zu Stande kommt, wird unser Staat, wel- cher bekanntlich nur aus einer Person besteht, sich aus Aerger vielleicht auf die Seite der Gegner Preußens schlagen."
Dahin war es wirklich gekommen, daß die Zukunft der deutschen Handelspolitik zunächst von dem ehelichen Frieden des kurhessischen Hauses abhing. Um den Kurfürsten mit seiner Gemahlin zu versöhnen und dann den besänftigten Despoten für den Zollverein zu gewinnen sendete König Friedrich Wilhelm den General Natzmer nach Cassel. Motz gab dem Unterhändler eine Weisung mit, deren fridericianischer Ton von der matten Diplomatensprache jener Zeit gar seltsam abstach. Es war, als hätte der tapfere Hesse schon das Jahr 1866 vorausgesehen. Er bemerkt zunächst, die Verbindung mit Preußen liege im eigenen Interesse Kurhessens; mit 600,000 Köpfen könne man kein eigenes Zollsystem bilden. Der Anschluß an den finanziell unfruchtbaren bairisch-württembergischen Verein sei für Hessen unnatürlich. Dagegen bringt der Anschluß an Preußen: eine be- deutende Einnahme von 20--24 Sgr. auf den Kopf; sodann einen großen Markt von 13 Mill. Einwohnern -- denn nicht Verbote, sondern die Freiheit eines großen inneren Marktes fördern die Industrie, wie Preußens Beispiel zeigt -- endlich den Besitz der großen Handelsstraßen. Schließt Kurhessen sich nicht an, so muß Preußen eine Straße durch Hannover suchen und den Bremer Verkehr nach Süddeutschland von Minden aus zum Rheine leiten. Manche Höfe, und namentlich Minister Marschall in Wiesbaden, behaupten zwar, ein Zollverein sei eine Verletzung der Souveränität. Aber der Großherzog von Hessen ist souverän geblieben, der Vertrag gewährt beiden Theilen gleiche Rechte. "In die neueren Ideen von Souveränität ist überhaupt viel Schwindel gekommen. Ich frage besonders: ist Kurhessen souveräner in einem auf gleiche Souve- ränität basirten Vertrage mit seinem mächtigsten unmittelbaren Nachbarn, oder ist es souveräner ohne solche Verbindung, in einer unfreundlichen Stellung diesem mächtigsten unmittelbaren Nachbarn gegenüber? Es giebt Verhältnisse, mögen sie auch noch in der Zukunft liegen, in welchem Preußen ein feindlich gesinnter Nachbar nützlicher sein kann als ein durch feste Verträge verbundener."*) Die furchtbare Offenheit dieser Sprache
*) Motz, vertrauliche Bemerkungen für General v. Natzmer.
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
dinandeiſchen Hochmuths, von Karlsruhe abberufen, in Hannover und Caſſel als Geſandter beglaubigt. Ihm gelang es, den Kurfürſten zu über- zeugen, daß auch der Anſchluß an Baiern die kurheſſiſche Nationalehre gefährde; „die bairiſchen Mauthritter“, wie der Kurfürſt höhnte, empfingen im Mai abſchlägige Antwort. Und bald erfüllte ſich, was ein feiner Kenner der heſſiſchen Dinge dem preußiſchen Geſandten Hänlein vorausgeſagt hatte: „Kurheſſen wird ſeine ergiebigen Tranſitzölle zu behalten ſuchen und am Liebſten gar nichts an dem Beſtehenden ändern. Nur wenn keine Ver- ſtändigung mit der Kurfürſtin zu Stande kommt, wird unſer Staat, wel- cher bekanntlich nur aus einer Perſon beſteht, ſich aus Aerger vielleicht auf die Seite der Gegner Preußens ſchlagen.“
Dahin war es wirklich gekommen, daß die Zukunft der deutſchen Handelspolitik zunächſt von dem ehelichen Frieden des kurheſſiſchen Hauſes abhing. Um den Kurfürſten mit ſeiner Gemahlin zu verſöhnen und dann den beſänftigten Despoten für den Zollverein zu gewinnen ſendete König Friedrich Wilhelm den General Natzmer nach Caſſel. Motz gab dem Unterhändler eine Weiſung mit, deren fridericianiſcher Ton von der matten Diplomatenſprache jener Zeit gar ſeltſam abſtach. Es war, als hätte der tapfere Heſſe ſchon das Jahr 1866 vorausgeſehen. Er bemerkt zunächſt, die Verbindung mit Preußen liege im eigenen Intereſſe Kurheſſens; mit 600,000 Köpfen könne man kein eigenes Zollſyſtem bilden. Der Anſchluß an den finanziell unfruchtbaren bairiſch-württembergiſchen Verein ſei für Heſſen unnatürlich. Dagegen bringt der Anſchluß an Preußen: eine be- deutende Einnahme von 20—24 Sgr. auf den Kopf; ſodann einen großen Markt von 13 Mill. Einwohnern — denn nicht Verbote, ſondern die Freiheit eines großen inneren Marktes fördern die Induſtrie, wie Preußens Beiſpiel zeigt — endlich den Beſitz der großen Handelsſtraßen. Schließt Kurheſſen ſich nicht an, ſo muß Preußen eine Straße durch Hannover ſuchen und den Bremer Verkehr nach Süddeutſchland von Minden aus zum Rheine leiten. Manche Höfe, und namentlich Miniſter Marſchall in Wiesbaden, behaupten zwar, ein Zollverein ſei eine Verletzung der Souveränität. Aber der Großherzog von Heſſen iſt ſouverän geblieben, der Vertrag gewährt beiden Theilen gleiche Rechte. „In die neueren Ideen von Souveränität iſt überhaupt viel Schwindel gekommen. Ich frage beſonders: iſt Kurheſſen ſouveräner in einem auf gleiche Souve- ränität baſirten Vertrage mit ſeinem mächtigſten unmittelbaren Nachbarn, oder iſt es ſouveräner ohne ſolche Verbindung, in einer unfreundlichen Stellung dieſem mächtigſten unmittelbaren Nachbarn gegenüber? Es giebt Verhältniſſe, mögen ſie auch noch in der Zukunft liegen, in welchem Preußen ein feindlich geſinnter Nachbar nützlicher ſein kann als ein durch feſte Verträge verbundener.“*) Die furchtbare Offenheit dieſer Sprache
*) Motz, vertrauliche Bemerkungen für General v. Natzmer.
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III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
dinandeiſchen Hochmuths, von Karlsruhe abberufen, in Hannover und
Caſſel als Geſandter beglaubigt. Ihm gelang es, den Kurfürſten zu über-
zeugen, daß auch der Anſchluß an Baiern die kurheſſiſche Nationalehre
gefährde; „die bairiſchen Mauthritter“, wie der Kurfürſt höhnte, empfingen
im Mai abſchlägige Antwort. Und bald erfüllte ſich, was ein feiner Kenner
der heſſiſchen Dinge dem preußiſchen Geſandten Hänlein vorausgeſagt hatte:
„Kurheſſen wird ſeine ergiebigen Tranſitzölle zu behalten ſuchen und am
Liebſten gar nichts an dem Beſtehenden ändern. Nur wenn keine Ver-
ſtändigung mit der Kurfürſtin zu Stande kommt, wird unſer Staat, wel-
cher bekanntlich nur aus einer Perſon beſteht, ſich aus Aerger vielleicht auf
die Seite der Gegner Preußens ſchlagen.“
Dahin war es wirklich gekommen, daß die Zukunft der deutſchen
Handelspolitik zunächſt von dem ehelichen Frieden des kurheſſiſchen Hauſes
abhing. Um den Kurfürſten mit ſeiner Gemahlin zu verſöhnen und dann
den beſänftigten Despoten für den Zollverein zu gewinnen ſendete König
Friedrich Wilhelm den General Natzmer nach Caſſel. Motz gab dem
Unterhändler eine Weiſung mit, deren fridericianiſcher Ton von der matten
Diplomatenſprache jener Zeit gar ſeltſam abſtach. Es war, als hätte der
tapfere Heſſe ſchon das Jahr 1866 vorausgeſehen. Er bemerkt zunächſt,
die Verbindung mit Preußen liege im eigenen Intereſſe Kurheſſens; mit
600,000 Köpfen könne man kein eigenes Zollſyſtem bilden. Der Anſchluß
an den finanziell unfruchtbaren bairiſch-württembergiſchen Verein ſei für
Heſſen unnatürlich. Dagegen bringt der Anſchluß an Preußen: eine be-
deutende Einnahme von 20—24 Sgr. auf den Kopf; ſodann einen großen
Markt von 13 Mill. Einwohnern — denn nicht Verbote, ſondern die
Freiheit eines großen inneren Marktes fördern die Induſtrie, wie Preußens
Beiſpiel zeigt — endlich den Beſitz der großen Handelsſtraßen. Schließt
Kurheſſen ſich nicht an, ſo muß Preußen eine Straße durch Hannover
ſuchen und den Bremer Verkehr nach Süddeutſchland von Minden aus
zum Rheine leiten. Manche Höfe, und namentlich Miniſter Marſchall
in Wiesbaden, behaupten zwar, ein Zollverein ſei eine Verletzung der
Souveränität. Aber der Großherzog von Heſſen iſt ſouverän geblieben,
der Vertrag gewährt beiden Theilen gleiche Rechte. „In die neueren
Ideen von Souveränität iſt überhaupt viel Schwindel gekommen. Ich
frage beſonders: iſt Kurheſſen ſouveräner in einem auf gleiche Souve-
ränität baſirten Vertrage mit ſeinem mächtigſten unmittelbaren Nachbarn,
oder iſt es ſouveräner ohne ſolche Verbindung, in einer unfreundlichen
Stellung dieſem mächtigſten unmittelbaren Nachbarn gegenüber? Es giebt
Verhältniſſe, mögen ſie auch noch in der Zukunft liegen, in welchem
Preußen ein feindlich geſinnter Nachbar nützlicher ſein kann als ein durch
feſte Verträge verbundener.“ *) Die furchtbare Offenheit dieſer Sprache
*) Motz, vertrauliche Bemerkungen für General v. Natzmer.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 648. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/664>, abgerufen am 22.11.2024.
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