schrift den Nothstand der Industrie, die Unterlassungssünden der Regie- rung. König Anton aber hielt, wie sein Minister Manteuffel, einen Han- delsbund mit Preußen für unmöglich. Eben in jenen Jahren stand ein alter Lieblingsgedanke der albertinischen Politik in voller Blüthe. Vor Kurzem erst, nach dem Aussterben des Hauses Gotha, hatte der König von Sachsen den Schiedsrichter und väterlichen Vermittler gespielt zwi- schen den ernestinischen Vettern. Man hoffte in Dresden, eine dauernde Hegemonie über die thüringischen Lande zu erlangen. Um so schmerzlicher empfand man die Gefahr, daß Thüringen dem preußischen oder dem süd- deutschen Vereine sich anschließen könnte.
Aus solchen Berechnungen entsprang der Plan, einen Gegen-Zoll- verein zu bilden, der, ohne selbst ein positives handelspolitisches Ziel zu verfolgen, nur als ein Keil zwischen die beiden Zollvereine hineindringen, ihre Verbindung hindern sollte. Es galt, die ersten Anfänge der Handels- einheit zu zerstören, den schmachvollen Zustand deutscher Zerrissenheit zu verewigen. Die Träger dieser Politik waren zwei Gebrüder Carlowitz, aus einem der ehrenwerthesten Häuser des obersächsischen Adels. Der Aeltere, königlich sächsischer Minister, war bis zum vorigen Jahre noch Bundes- tagsgesandter gewesen und stand in der Eschenheimer Gasse in lebhaftem Andenken als ein wohlmeinender Geschäftsmann der alten Schule, ein pedantischer Vertreter der bekannten kursächsischen Formelseligkeit. Der Jüngere, jetzt Minister in Gotha, persönlich ebenfalls sehr achtungswerth, hatte alle die unausrottbaren Vorurtheile des kursächsischen Adels mit aus der Heimath hinübergenommen. Vergeblich stellten ihm gothaische Beamte vor, ihr Ländchen sei auf Preußen angewiesen; der verständige Kammerrath Braun rief ihm zu: "Sie handeln als königlich sächsischer, nicht als herzoglich sächsischer Staatsmann." Er blieb dabei, "ein neu- traler Verein" sei nothwendig, "eine achtunggebietende Masse zwischen den beiden Zollvereinen, stark genug, um beiden Bedingungen zu dictiren." Der Herzog von Gotha ward für die Pläne seines sächsischen Rathgebers leicht gewonnen. Er stand mit dem Berliner Hofe auf schlechtem Fuße, weil er sein entlegenes Saarland Lichtenberg gegen ein Stück des preußi- schen Thüringens auszutauschen wünschte und König Friedrich Wilhelm diese Zumuthung noch immer beharrlich abwies. In ihren Mitteln war die Coburgische Handelspolitik wenig wählerisch. Aller drei Wochen ging von Coburg eine Sendung neu geprägter unterwerthiger Münzen nach Lich- tenberg; von dort überflutheten die unter dünner Silberhülle röthlich schim- mernden Coburger Sechser das benachbarte süddeutsche Guldenland, und diese gewerbmäßige Falschmünzerei währte jahrelang fort trotz den Be- schwerden der Nachbarn. Auch am Weimarischen Hofe herrschte augen- blicklich eine gegen Preußen leidenschaftlich eingenommene Partei, an ihrer Spitze der gescheidte Minister Schweitzer.
So wurde denn ein hochgefährliches Unternehmen gegen Deutschlands
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
ſchrift den Nothſtand der Induſtrie, die Unterlaſſungsſünden der Regie- rung. König Anton aber hielt, wie ſein Miniſter Manteuffel, einen Han- delsbund mit Preußen für unmöglich. Eben in jenen Jahren ſtand ein alter Lieblingsgedanke der albertiniſchen Politik in voller Blüthe. Vor Kurzem erſt, nach dem Ausſterben des Hauſes Gotha, hatte der König von Sachſen den Schiedsrichter und väterlichen Vermittler geſpielt zwi- ſchen den erneſtiniſchen Vettern. Man hoffte in Dresden, eine dauernde Hegemonie über die thüringiſchen Lande zu erlangen. Um ſo ſchmerzlicher empfand man die Gefahr, daß Thüringen dem preußiſchen oder dem ſüd- deutſchen Vereine ſich anſchließen könnte.
Aus ſolchen Berechnungen entſprang der Plan, einen Gegen-Zoll- verein zu bilden, der, ohne ſelbſt ein poſitives handelspolitiſches Ziel zu verfolgen, nur als ein Keil zwiſchen die beiden Zollvereine hineindringen, ihre Verbindung hindern ſollte. Es galt, die erſten Anfänge der Handels- einheit zu zerſtören, den ſchmachvollen Zuſtand deutſcher Zerriſſenheit zu verewigen. Die Träger dieſer Politik waren zwei Gebrüder Carlowitz, aus einem der ehrenwertheſten Häuſer des oberſächſiſchen Adels. Der Aeltere, königlich ſächſiſcher Miniſter, war bis zum vorigen Jahre noch Bundes- tagsgeſandter geweſen und ſtand in der Eſchenheimer Gaſſe in lebhaftem Andenken als ein wohlmeinender Geſchäftsmann der alten Schule, ein pedantiſcher Vertreter der bekannten kurſächſiſchen Formelſeligkeit. Der Jüngere, jetzt Miniſter in Gotha, perſönlich ebenfalls ſehr achtungswerth, hatte alle die unausrottbaren Vorurtheile des kurſächſiſchen Adels mit aus der Heimath hinübergenommen. Vergeblich ſtellten ihm gothaiſche Beamte vor, ihr Ländchen ſei auf Preußen angewieſen; der verſtändige Kammerrath Braun rief ihm zu: „Sie handeln als königlich ſächſiſcher, nicht als herzoglich ſächſiſcher Staatsmann.“ Er blieb dabei, „ein neu- traler Verein“ ſei nothwendig, „eine achtunggebietende Maſſe zwiſchen den beiden Zollvereinen, ſtark genug, um beiden Bedingungen zu dictiren.“ Der Herzog von Gotha ward für die Pläne ſeines ſächſiſchen Rathgebers leicht gewonnen. Er ſtand mit dem Berliner Hofe auf ſchlechtem Fuße, weil er ſein entlegenes Saarland Lichtenberg gegen ein Stück des preußi- ſchen Thüringens auszutauſchen wünſchte und König Friedrich Wilhelm dieſe Zumuthung noch immer beharrlich abwies. In ihren Mitteln war die Coburgiſche Handelspolitik wenig wähleriſch. Aller drei Wochen ging von Coburg eine Sendung neu geprägter unterwerthiger Münzen nach Lich- tenberg; von dort überflutheten die unter dünner Silberhülle röthlich ſchim- mernden Coburger Sechſer das benachbarte ſüddeutſche Guldenland, und dieſe gewerbmäßige Falſchmünzerei währte jahrelang fort trotz den Be- ſchwerden der Nachbarn. Auch am Weimariſchen Hofe herrſchte augen- blicklich eine gegen Preußen leidenſchaftlich eingenommene Partei, an ihrer Spitze der geſcheidte Miniſter Schweitzer.
So wurde denn ein hochgefährliches Unternehmen gegen Deutſchlands
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rung. König Anton aber hielt, wie ſein Miniſter Manteuffel, einen Han-
delsbund mit Preußen für unmöglich. Eben in jenen Jahren ſtand ein
alter Lieblingsgedanke der albertiniſchen Politik in voller Blüthe. Vor
Kurzem erſt, nach dem Ausſterben des Hauſes Gotha, hatte der König
von Sachſen den Schiedsrichter und väterlichen Vermittler geſpielt zwi-
ſchen den erneſtiniſchen Vettern. Man hoffte in Dresden, eine dauernde
Hegemonie über die thüringiſchen Lande zu erlangen. Um ſo ſchmerzlicher
empfand man die Gefahr, daß Thüringen dem preußiſchen oder dem ſüd-
deutſchen Vereine ſich anſchließen könnte.
Aus ſolchen Berechnungen entſprang der Plan, einen Gegen-Zoll-
verein zu bilden, der, ohne ſelbſt ein poſitives handelspolitiſches Ziel zu
verfolgen, nur als ein Keil zwiſchen die beiden Zollvereine hineindringen,
ihre Verbindung hindern ſollte. Es galt, die erſten Anfänge der Handels-
einheit zu zerſtören, den ſchmachvollen Zuſtand deutſcher Zerriſſenheit zu
verewigen. Die Träger dieſer Politik waren zwei Gebrüder Carlowitz, aus
einem der ehrenwertheſten Häuſer des oberſächſiſchen Adels. Der Aeltere,
königlich ſächſiſcher Miniſter, war bis zum vorigen Jahre noch Bundes-
tagsgeſandter geweſen und ſtand in der Eſchenheimer Gaſſe in lebhaftem
Andenken als ein wohlmeinender Geſchäftsmann der alten Schule, ein
pedantiſcher Vertreter der bekannten kurſächſiſchen Formelſeligkeit. Der
Jüngere, jetzt Miniſter in Gotha, perſönlich ebenfalls ſehr achtungswerth,
hatte alle die unausrottbaren Vorurtheile des kurſächſiſchen Adels mit
aus der Heimath hinübergenommen. Vergeblich ſtellten ihm gothaiſche
Beamte vor, ihr Ländchen ſei auf Preußen angewieſen; der verſtändige
Kammerrath Braun rief ihm zu: „Sie handeln als königlich ſächſiſcher,
nicht als herzoglich ſächſiſcher Staatsmann.“ Er blieb dabei, „ein neu-
traler Verein“ ſei nothwendig, „eine achtunggebietende Maſſe zwiſchen den
beiden Zollvereinen, ſtark genug, um beiden Bedingungen zu dictiren.“
Der Herzog von Gotha ward für die Pläne ſeines ſächſiſchen Rathgebers
leicht gewonnen. Er ſtand mit dem Berliner Hofe auf ſchlechtem Fuße,
weil er ſein entlegenes Saarland Lichtenberg gegen ein Stück des preußi-
ſchen Thüringens auszutauſchen wünſchte und König Friedrich Wilhelm
dieſe Zumuthung noch immer beharrlich abwies. In ihren Mitteln war
die Coburgiſche Handelspolitik wenig wähleriſch. Aller drei Wochen ging
von Coburg eine Sendung neu geprägter unterwerthiger Münzen nach Lich-
tenberg; von dort überflutheten die unter dünner Silberhülle röthlich ſchim-
mernden Coburger Sechſer das benachbarte ſüddeutſche Guldenland, und
dieſe gewerbmäßige Falſchmünzerei währte jahrelang fort trotz den Be-
ſchwerden der Nachbarn. Auch am Weimariſchen Hofe herrſchte augen-
blicklich eine gegen Preußen leidenſchaftlich eingenommene Partei, an ihrer
Spitze der geſcheidte Miniſter Schweitzer.
So wurde denn ein hochgefährliches Unternehmen gegen Deutſchlands
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 650. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/666>, abgerufen am 22.11.2024.
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