mußte sich von dem preußischen Gesandten Bülow "sein wenig gerades Benehmen" vorwerfen lassen. Zugleich bat, wie Bülow von dem Minister Fitzgerald selbst erfuhr, der sächsische Gesandte in London um durchgrei- fende Maßregeln gegen das preußische Zollsystem, das dem englischen Handel und der Unabhängigkeit der deutschen Staaten gleich verderblich sei.*) So trat denn Hannover dem Vereine bei; das Industrieland Sachsen unter- warf sich dem englischen Handelsinteresse. Frhr. v. Grote, ein fähiger han- noverscher Beamter, Preußens geschworener Feind, wurde neben Lindenau die Seele des Bundes.
Auch Bremen trat hinzu. Der treffliche Smidt hatte sich allzu tief eingelebt in die Träume Wangenheim's, der auch jetzt wieder aus seinem Coburger Stillleben heraus gegen Preußen arbeitete; er konnte ein krank- haftes Mißtrauen gegen den norddeutschen Großstaat nicht überwinden, und jetzt da die rein-deutschen Sonderbundspläne sogar von Oesterreich insgeheim unterstützt wurden, gab er sich ihnen unvorsichtiger hin als sonst seine Art war. Er wünschte, wie er am Bundestage mehrmals aussprach, deutsche Consulate und eine deutsche Flagge. Doch so lange Deutschland noch nicht ein nationales Handelsgebiet bildete, war das lockere hannoversche Zollwesen für den bremischen Freihandel bequemer als das strenge preußische System. Die von dem "neutralen" Vereine versprochene Erleichterung des Transitverkehrs konnte auf den ersten Blick einen han- seatischen Staatsmann allerdings bestechen. Aber auch nur auf den ersten Blick. Voreingenommen gegen Preußens Zollsystem bemerkte Smidt nicht, daß die Theilnahme an dem neuen Handelsbunde der überlieferten han- seatischen Handelspolitik schnurstracks widersprach; der Verein war in Wahr- heit nicht neutral, sondern durchaus parteiisch, antipreußisch. Smidt dachte so hoch von dem Werthe dieser todtgebornen Vereinigung, daß er ihrem Urheber, dem Sachsen Carlowitz, das bremische Ehrenbürgerrecht verschaffte -- eine seltene Auszeichnung, welche seit dem Freiherrn vom Stein kein deutscher Staatsmann mehr erlangt hatte. Ruhiger urtheilte der Ham- burger Senat; er lehnte jede Mitwirkung ab, weil Hamburgs Freihafen den Interessen des gesammten deutschen Verkehrs zu dienen habe. Die Frankfurter großen Firmen dagegen begrüßten mit Jubel die in Aus- sicht gestellte Erleichterung des Durchfuhrhandels, die den landesüblichen Schmuggel mächtig fördern mußte; auch waren die Patricier der stolzen Republik längst gewöhnt, den unterthänigen Schweif des k. k. Bundes- gesandten zu bilden. Bürgermeister Thomas und Senator Guaita zu- sammt dem österreichischen Anhang setzten den Beitritt durch, gegen den heftigen Widerspruch einer preußischen Partei.
Territorialen Zusammenhang konnte der Verein nur durch Kurhessen
*) Bülow's Bericht, 31. Juli 1828, übereinstimmend mit Blittersdorff's Berichten aus Frankfurt.
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
mußte ſich von dem preußiſchen Geſandten Bülow „ſein wenig gerades Benehmen“ vorwerfen laſſen. Zugleich bat, wie Bülow von dem Miniſter Fitzgerald ſelbſt erfuhr, der ſächſiſche Geſandte in London um durchgrei- fende Maßregeln gegen das preußiſche Zollſyſtem, das dem engliſchen Handel und der Unabhängigkeit der deutſchen Staaten gleich verderblich ſei.*) So trat denn Hannover dem Vereine bei; das Induſtrieland Sachſen unter- warf ſich dem engliſchen Handelsintereſſe. Frhr. v. Grote, ein fähiger han- noverſcher Beamter, Preußens geſchworener Feind, wurde neben Lindenau die Seele des Bundes.
Auch Bremen trat hinzu. Der treffliche Smidt hatte ſich allzu tief eingelebt in die Träume Wangenheim’s, der auch jetzt wieder aus ſeinem Coburger Stillleben heraus gegen Preußen arbeitete; er konnte ein krank- haftes Mißtrauen gegen den norddeutſchen Großſtaat nicht überwinden, und jetzt da die rein-deutſchen Sonderbundspläne ſogar von Oeſterreich insgeheim unterſtützt wurden, gab er ſich ihnen unvorſichtiger hin als ſonſt ſeine Art war. Er wünſchte, wie er am Bundestage mehrmals ausſprach, deutſche Conſulate und eine deutſche Flagge. Doch ſo lange Deutſchland noch nicht ein nationales Handelsgebiet bildete, war das lockere hannoverſche Zollweſen für den bremiſchen Freihandel bequemer als das ſtrenge preußiſche Syſtem. Die von dem „neutralen“ Vereine verſprochene Erleichterung des Tranſitverkehrs konnte auf den erſten Blick einen han- ſeatiſchen Staatsmann allerdings beſtechen. Aber auch nur auf den erſten Blick. Voreingenommen gegen Preußens Zollſyſtem bemerkte Smidt nicht, daß die Theilnahme an dem neuen Handelsbunde der überlieferten han- ſeatiſchen Handelspolitik ſchnurſtracks widerſprach; der Verein war in Wahr- heit nicht neutral, ſondern durchaus parteiiſch, antipreußiſch. Smidt dachte ſo hoch von dem Werthe dieſer todtgebornen Vereinigung, daß er ihrem Urheber, dem Sachſen Carlowitz, das bremiſche Ehrenbürgerrecht verſchaffte — eine ſeltene Auszeichnung, welche ſeit dem Freiherrn vom Stein kein deutſcher Staatsmann mehr erlangt hatte. Ruhiger urtheilte der Ham- burger Senat; er lehnte jede Mitwirkung ab, weil Hamburgs Freihafen den Intereſſen des geſammten deutſchen Verkehrs zu dienen habe. Die Frankfurter großen Firmen dagegen begrüßten mit Jubel die in Aus- ſicht geſtellte Erleichterung des Durchfuhrhandels, die den landesüblichen Schmuggel mächtig fördern mußte; auch waren die Patricier der ſtolzen Republik längſt gewöhnt, den unterthänigen Schweif des k. k. Bundes- geſandten zu bilden. Bürgermeiſter Thomas und Senator Guaita zu- ſammt dem öſterreichiſchen Anhang ſetzten den Beitritt durch, gegen den heftigen Widerſpruch einer preußiſchen Partei.
Territorialen Zuſammenhang konnte der Verein nur durch Kurheſſen
*) Bülow’s Bericht, 31. Juli 1828, übereinſtimmend mit Blittersdorff’s Berichten aus Frankfurt.
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Benehmen“ vorwerfen laſſen. Zugleich bat, wie Bülow von dem Miniſter
Fitzgerald ſelbſt erfuhr, der ſächſiſche Geſandte in London um durchgrei-
fende Maßregeln gegen das preußiſche Zollſyſtem, das dem engliſchen Handel
und der Unabhängigkeit der deutſchen Staaten gleich verderblich ſei. *) So
trat denn Hannover dem Vereine bei; das Induſtrieland Sachſen unter-
warf ſich dem engliſchen Handelsintereſſe. Frhr. v. Grote, ein fähiger han-
noverſcher Beamter, Preußens geſchworener Feind, wurde neben Lindenau
die Seele des Bundes.
Auch Bremen trat hinzu. Der treffliche Smidt hatte ſich allzu tief
eingelebt in die Träume Wangenheim’s, der auch jetzt wieder aus ſeinem
Coburger Stillleben heraus gegen Preußen arbeitete; er konnte ein krank-
haftes Mißtrauen gegen den norddeutſchen Großſtaat nicht überwinden,
und jetzt da die rein-deutſchen Sonderbundspläne ſogar von Oeſterreich
insgeheim unterſtützt wurden, gab er ſich ihnen unvorſichtiger hin als
ſonſt ſeine Art war. Er wünſchte, wie er am Bundestage mehrmals
ausſprach, deutſche Conſulate und eine deutſche Flagge. Doch ſo lange
Deutſchland noch nicht ein nationales Handelsgebiet bildete, war das lockere
hannoverſche Zollweſen für den bremiſchen Freihandel bequemer als das
ſtrenge preußiſche Syſtem. Die von dem „neutralen“ Vereine verſprochene
Erleichterung des Tranſitverkehrs konnte auf den erſten Blick einen han-
ſeatiſchen Staatsmann allerdings beſtechen. Aber auch nur auf den erſten
Blick. Voreingenommen gegen Preußens Zollſyſtem bemerkte Smidt nicht,
daß die Theilnahme an dem neuen Handelsbunde der überlieferten han-
ſeatiſchen Handelspolitik ſchnurſtracks widerſprach; der Verein war in Wahr-
heit nicht neutral, ſondern durchaus parteiiſch, antipreußiſch. Smidt dachte
ſo hoch von dem Werthe dieſer todtgebornen Vereinigung, daß er ihrem
Urheber, dem Sachſen Carlowitz, das bremiſche Ehrenbürgerrecht verſchaffte
— eine ſeltene Auszeichnung, welche ſeit dem Freiherrn vom Stein kein
deutſcher Staatsmann mehr erlangt hatte. Ruhiger urtheilte der Ham-
burger Senat; er lehnte jede Mitwirkung ab, weil Hamburgs Freihafen
den Intereſſen des geſammten deutſchen Verkehrs zu dienen habe. Die
Frankfurter großen Firmen dagegen begrüßten mit Jubel die in Aus-
ſicht geſtellte Erleichterung des Durchfuhrhandels, die den landesüblichen
Schmuggel mächtig fördern mußte; auch waren die Patricier der ſtolzen
Republik längſt gewöhnt, den unterthänigen Schweif des k. k. Bundes-
geſandten zu bilden. Bürgermeiſter Thomas und Senator Guaita zu-
ſammt dem öſterreichiſchen Anhang ſetzten den Beitritt durch, gegen den
heftigen Widerſpruch einer preußiſchen Partei.
Territorialen Zuſammenhang konnte der Verein nur durch Kurheſſen
*) Bülow’s Bericht, 31. Juli 1828, übereinſtimmend mit Blittersdorff’s Berichten
aus Frankfurt.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 654. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/670>, abgerufen am 21.11.2024.
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