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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine.
Vortheil und Nachtheil zu gewähren vermag." Ein Gebiet von sechs
Millionen Seelen gehört ihm, die ganze weite Nordseeküste, die größten
Stapel- und Handelsplätze Deutschlands; die Elbe, den Rhein, den
Main, die Weser von allen Zöllen zu befreien, liegt allein in seiner
Hand!

Wohl mochte man prahlen! Eine so krankhaft unnatürliche Mißbil-
dung war dem Particularismus noch nie zuvor gelungen. In einem
weiten Widerhaken reichte das Vereinsgebiet von Bremen nach Fulda,
dann westwärts zum Rheine, gen Osten bis zur schlesischen Grenze, von
dem englischen Markte Hannover bis zu dem gewerbreichen Sachsen, über
einen bunten Länderhaufen, welchen, Preußen gegenüber, nur ein gemein-
sames Interesse zusammenhielt: Angst und Neid. Eben jene norddeut-
schen Kleinstaaten, welche bisher den handelspolitischen Anstrengungen
Preußens und Baiern-Württembergs einen trägen ablehnenden Wider-
stand entgegengestellt, redeten plötzlich von deutscher Handelsfreiheit. In-
deß sie den Art. 19 der Bundesacte im Munde führten, verschworen sie
sich die bestehende Zersplitterung aufrecht zu halten und den preußischen
Durchfuhrhandel zu vernichten. Und hinter diesem Bunde standen schir-
mend Oesterreich, England, Holland, Frankreich! Wenn man in Berlin
noch der Belehrung bedurft hätte über die feindselige Gesinnung des
mitteldeutschen Vereins, so mußte die hinterhaltige Sprache der verbün-
deten Cabinette jeden Zweifel zerstören. In tiefster Stille, ohne die ge-
ringste Mittheilung an die preußische Gesandtschaft, hatte der Dresdner
Hof sein Werk begonnen. Als am preußischen Hofe Einiges ruchbar wurde,
schrieb Graf Einsiedel dem Gesandten v. Watzdorf in Berlin, versicherte
heilig, Baden sei nicht zum Beitritt aufgefordert worden. Doch leider
hatte der Karlsruher Hof jenes Einladungsschreiben Lindenau's an Berstett
dem Berliner Cabinet sogleich mitgetheilt. Der Abtheilungschef im Aus-
wärtigen Amte bemerkte an den Rand der sächsischen Depesche: "Das
Gegentheil steht in unseren Acten. Graf Bernstorff wird Herrn v. Watz-
dorf eines Besseren belehren." Nicht minder verdächtig erschien, daß der
hannoversche Gesandte in Dresden, v. Reden, plötzlich ohne jede Veran-
lassung ein Schreiben an Bernstorff richtete, um inbrünstig zu betheuern,
Hannover hege durchaus keine feindseligen Absichten gegen Preußen, miß-
billige entschieden jenes gehässige Programm der Oberpostamtszeitung.*)
Warum solche unerbetene Entschuldigung, wenn man sich nicht schuldig
fühlte? Späterhin, in einer Denkschrift vom Jahre 1832 nannte Met-
ternich selbst den mitteldeutschen Handelsverein "versuchsweise zum Schutze
gegen das preußische Zollsystem geschaffen".

Und abermals zeigte die öffentliche Meinung ihre alte unbelehrbare
Verblendung. In Arnstadt rottete sich das Volk zusammen vor dem

*) Einsiedel, Weisung an Watzdorf, 14. Mai. Reden an Bernstorff, 16. Aug. 1828.

III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
Vortheil und Nachtheil zu gewähren vermag.“ Ein Gebiet von ſechs
Millionen Seelen gehört ihm, die ganze weite Nordſeeküſte, die größten
Stapel- und Handelsplätze Deutſchlands; die Elbe, den Rhein, den
Main, die Weſer von allen Zöllen zu befreien, liegt allein in ſeiner
Hand!

Wohl mochte man prahlen! Eine ſo krankhaft unnatürliche Mißbil-
dung war dem Particularismus noch nie zuvor gelungen. In einem
weiten Widerhaken reichte das Vereinsgebiet von Bremen nach Fulda,
dann weſtwärts zum Rheine, gen Oſten bis zur ſchleſiſchen Grenze, von
dem engliſchen Markte Hannover bis zu dem gewerbreichen Sachſen, über
einen bunten Länderhaufen, welchen, Preußen gegenüber, nur ein gemein-
ſames Intereſſe zuſammenhielt: Angſt und Neid. Eben jene norddeut-
ſchen Kleinſtaaten, welche bisher den handelspolitiſchen Anſtrengungen
Preußens und Baiern-Württembergs einen trägen ablehnenden Wider-
ſtand entgegengeſtellt, redeten plötzlich von deutſcher Handelsfreiheit. In-
deß ſie den Art. 19 der Bundesacte im Munde führten, verſchworen ſie
ſich die beſtehende Zerſplitterung aufrecht zu halten und den preußiſchen
Durchfuhrhandel zu vernichten. Und hinter dieſem Bunde ſtanden ſchir-
mend Oeſterreich, England, Holland, Frankreich! Wenn man in Berlin
noch der Belehrung bedurft hätte über die feindſelige Geſinnung des
mitteldeutſchen Vereins, ſo mußte die hinterhaltige Sprache der verbün-
deten Cabinette jeden Zweifel zerſtören. In tiefſter Stille, ohne die ge-
ringſte Mittheilung an die preußiſche Geſandtſchaft, hatte der Dresdner
Hof ſein Werk begonnen. Als am preußiſchen Hofe Einiges ruchbar wurde,
ſchrieb Graf Einſiedel dem Geſandten v. Watzdorf in Berlin, verſicherte
heilig, Baden ſei nicht zum Beitritt aufgefordert worden. Doch leider
hatte der Karlsruher Hof jenes Einladungsſchreiben Lindenau’s an Berſtett
dem Berliner Cabinet ſogleich mitgetheilt. Der Abtheilungschef im Aus-
wärtigen Amte bemerkte an den Rand der ſächſiſchen Depeſche: „Das
Gegentheil ſteht in unſeren Acten. Graf Bernſtorff wird Herrn v. Watz-
dorf eines Beſſeren belehren.“ Nicht minder verdächtig erſchien, daß der
hannoverſche Geſandte in Dresden, v. Reden, plötzlich ohne jede Veran-
laſſung ein Schreiben an Bernſtorff richtete, um inbrünſtig zu betheuern,
Hannover hege durchaus keine feindſeligen Abſichten gegen Preußen, miß-
billige entſchieden jenes gehäſſige Programm der Oberpoſtamtszeitung.*)
Warum ſolche unerbetene Entſchuldigung, wenn man ſich nicht ſchuldig
fühlte? Späterhin, in einer Denkſchrift vom Jahre 1832 nannte Met-
ternich ſelbſt den mitteldeutſchen Handelsverein „verſuchsweiſe zum Schutze
gegen das preußiſche Zollſyſtem geſchaffen“.

Und abermals zeigte die öffentliche Meinung ihre alte unbelehrbare
Verblendung. In Arnſtadt rottete ſich das Volk zuſammen vor dem

*) Einſiedel, Weiſung an Watzdorf, 14. Mai. Reden an Bernſtorff, 16. Aug. 1828.
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[656/0672] III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine. Vortheil und Nachtheil zu gewähren vermag.“ Ein Gebiet von ſechs Millionen Seelen gehört ihm, die ganze weite Nordſeeküſte, die größten Stapel- und Handelsplätze Deutſchlands; die Elbe, den Rhein, den Main, die Weſer von allen Zöllen zu befreien, liegt allein in ſeiner Hand! Wohl mochte man prahlen! Eine ſo krankhaft unnatürliche Mißbil- dung war dem Particularismus noch nie zuvor gelungen. In einem weiten Widerhaken reichte das Vereinsgebiet von Bremen nach Fulda, dann weſtwärts zum Rheine, gen Oſten bis zur ſchleſiſchen Grenze, von dem engliſchen Markte Hannover bis zu dem gewerbreichen Sachſen, über einen bunten Länderhaufen, welchen, Preußen gegenüber, nur ein gemein- ſames Intereſſe zuſammenhielt: Angſt und Neid. Eben jene norddeut- ſchen Kleinſtaaten, welche bisher den handelspolitiſchen Anſtrengungen Preußens und Baiern-Württembergs einen trägen ablehnenden Wider- ſtand entgegengeſtellt, redeten plötzlich von deutſcher Handelsfreiheit. In- deß ſie den Art. 19 der Bundesacte im Munde führten, verſchworen ſie ſich die beſtehende Zerſplitterung aufrecht zu halten und den preußiſchen Durchfuhrhandel zu vernichten. Und hinter dieſem Bunde ſtanden ſchir- mend Oeſterreich, England, Holland, Frankreich! Wenn man in Berlin noch der Belehrung bedurft hätte über die feindſelige Geſinnung des mitteldeutſchen Vereins, ſo mußte die hinterhaltige Sprache der verbün- deten Cabinette jeden Zweifel zerſtören. In tiefſter Stille, ohne die ge- ringſte Mittheilung an die preußiſche Geſandtſchaft, hatte der Dresdner Hof ſein Werk begonnen. Als am preußiſchen Hofe Einiges ruchbar wurde, ſchrieb Graf Einſiedel dem Geſandten v. Watzdorf in Berlin, verſicherte heilig, Baden ſei nicht zum Beitritt aufgefordert worden. Doch leider hatte der Karlsruher Hof jenes Einladungsſchreiben Lindenau’s an Berſtett dem Berliner Cabinet ſogleich mitgetheilt. Der Abtheilungschef im Aus- wärtigen Amte bemerkte an den Rand der ſächſiſchen Depeſche: „Das Gegentheil ſteht in unſeren Acten. Graf Bernſtorff wird Herrn v. Watz- dorf eines Beſſeren belehren.“ Nicht minder verdächtig erſchien, daß der hannoverſche Geſandte in Dresden, v. Reden, plötzlich ohne jede Veran- laſſung ein Schreiben an Bernſtorff richtete, um inbrünſtig zu betheuern, Hannover hege durchaus keine feindſeligen Abſichten gegen Preußen, miß- billige entſchieden jenes gehäſſige Programm der Oberpoſtamtszeitung. *) Warum ſolche unerbetene Entſchuldigung, wenn man ſich nicht ſchuldig fühlte? Späterhin, in einer Denkſchrift vom Jahre 1832 nannte Met- ternich ſelbſt den mitteldeutſchen Handelsverein „verſuchsweiſe zum Schutze gegen das preußiſche Zollſyſtem geſchaffen“. Und abermals zeigte die öffentliche Meinung ihre alte unbelehrbare Verblendung. In Arnſtadt rottete ſich das Volk zuſammen vor dem *) Einſiedel, Weiſung an Watzdorf, 14. Mai. Reden an Bernſtorff, 16. Aug. 1828.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 656. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/672>, abgerufen am 22.11.2024.