sei bereit Anträge und Vorschläge zur Ausbildung des Bundes entgegen- zunehmen. Niemand wußte einen möglichen Vorschlag. Schon vor der Casseler Zusammenkunft gestand Lindenau einem Frankfurter Amtsgenossen: "die Mehrzahl der Theilnehmer betrachtet den Verein als ein Ruhekissen, sie ist froh, daß Alles beim Alten bleibt." Nun klagten die Thüringer über Sachsens hegemonischen Ehrgeiz, Frankfurt über die erdrückenden kur- hessischen Mauthen. Der Kurfürst, um seinen Holzmagazinen höhere Preise zu schaffen, verbot den altgewohnten Holzhandel, der aus den hannoverschen Waldgebirgen nach Hessen hinübergeführt ward. Die Unmöglichkeit, mit einem solchen Fürsten freundnachbarlich auszukommen, lag vor Augen. Fast ein Jahr währten die Verhandlungen zwischen den beiden hessischen Häusern wegen der Erleichterung einiger Enclaven; da erklärte der Kur- fürst: die gegenseitige Verpflichtung, die Durchfuhrzölle auf gewissen Stra- ßen nicht zu erhöhen, solle allein für Darmstadt, nicht für Kurhessen gelten! Seine Weisungen an die Unterhändler fand Maltzan "ausgezeichnet durch naive Unwissenheit und despotischen Ton, der Feder eines Rabener würdig."
Immer schärfer trat der tiefe Gegensatz der handelspolitischen An- schauungen innerhalb des Vereins hervor. Die Kaufherren von Frank- furt und Bremen forderten unbeschränkten Freihandel, Hannover die Be- günstigung der englischen Waaren. Andere Staaten träumten von neuen Zolllinien; wieder andere hofften die Milderung des preußischen Zollsystems und dann den Eintritt in dies System zu erzwingen. Kein einziger Kopf an allen diesen kleinen Höfen, der einen klaren Gedanken mit Ausdauer verfolgte; Karl August von Weimar war im Juni 1828 gestorben. Bald sonderten sich die Küstenlande und die Binnenstaaten in zwei Gruppen. Thüringen und Sachsen schlossen einen Separatvertrag, desgleichen Han- nover und Oldenburg. Sie versprachen ihre gegenseitigen Unterthanen im Handelsverkehre auf gleichem Fuße zu behandeln u. s. w. -- gering- fügige Erleichterungen, die in Preußen gar nicht nöthig waren, da das freiere preußische Zollgesetz zwischen In- und Ausländern nicht unterschied. Die einfache in Berlin längst feststehende Erkenntniß, daß nur die Besei- tigung der Binnenmauthen dem deutschen Handel aufhelfen könne, war diesen Cabinetten noch nicht aufgegangen. Die gedankenlose Trägheit der österreichischen Staatsmänner fühlte sich befriedigt von dem Erfolge des Augenblicks. Dem preußischen Zollsysteme war ein Riegel vorgeschoben, der einige Jahre halten mochte; eine positive Ausbildung des Handels- vereins wünschte man in Wien nicht, da jeder Bund im Bunde gefährlich schien. Selbstgefällig sagte Münch-Bellinghausen zu Blittersdorff: "wie klug hat Oesterreich gehandelt, die Collisionen zu vermeiden, denen Preußen nicht entgehen wird!" Der weiterblickende Badener aber schrieb: Ich war erstaunt über solche Verblendung. Als ob ein Stillstand im Völkerleben möglich sei! Als ob der preußisch-hessische Verein sich jemals wieder auf- lösen würde! Oesterreich allein hat all dies Unheil verschuldet, hat nichts
III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
ſei bereit Anträge und Vorſchläge zur Ausbildung des Bundes entgegen- zunehmen. Niemand wußte einen möglichen Vorſchlag. Schon vor der Caſſeler Zuſammenkunft geſtand Lindenau einem Frankfurter Amtsgenoſſen: „die Mehrzahl der Theilnehmer betrachtet den Verein als ein Ruhekiſſen, ſie iſt froh, daß Alles beim Alten bleibt.“ Nun klagten die Thüringer über Sachſens hegemoniſchen Ehrgeiz, Frankfurt über die erdrückenden kur- heſſiſchen Mauthen. Der Kurfürſt, um ſeinen Holzmagazinen höhere Preiſe zu ſchaffen, verbot den altgewohnten Holzhandel, der aus den hannoverſchen Waldgebirgen nach Heſſen hinübergeführt ward. Die Unmöglichkeit, mit einem ſolchen Fürſten freundnachbarlich auszukommen, lag vor Augen. Faſt ein Jahr währten die Verhandlungen zwiſchen den beiden heſſiſchen Häuſern wegen der Erleichterung einiger Enclaven; da erklärte der Kur- fürſt: die gegenſeitige Verpflichtung, die Durchfuhrzölle auf gewiſſen Stra- ßen nicht zu erhöhen, ſolle allein für Darmſtadt, nicht für Kurheſſen gelten! Seine Weiſungen an die Unterhändler fand Maltzan „ausgezeichnet durch naive Unwiſſenheit und despotiſchen Ton, der Feder eines Rabener würdig.“
Immer ſchärfer trat der tiefe Gegenſatz der handelspolitiſchen An- ſchauungen innerhalb des Vereins hervor. Die Kaufherren von Frank- furt und Bremen forderten unbeſchränkten Freihandel, Hannover die Be- günſtigung der engliſchen Waaren. Andere Staaten träumten von neuen Zolllinien; wieder andere hofften die Milderung des preußiſchen Zollſyſtems und dann den Eintritt in dies Syſtem zu erzwingen. Kein einziger Kopf an allen dieſen kleinen Höfen, der einen klaren Gedanken mit Ausdauer verfolgte; Karl Auguſt von Weimar war im Juni 1828 geſtorben. Bald ſonderten ſich die Küſtenlande und die Binnenſtaaten in zwei Gruppen. Thüringen und Sachſen ſchloſſen einen Separatvertrag, desgleichen Han- nover und Oldenburg. Sie verſprachen ihre gegenſeitigen Unterthanen im Handelsverkehre auf gleichem Fuße zu behandeln u. ſ. w. — gering- fügige Erleichterungen, die in Preußen gar nicht nöthig waren, da das freiere preußiſche Zollgeſetz zwiſchen In- und Ausländern nicht unterſchied. Die einfache in Berlin längſt feſtſtehende Erkenntniß, daß nur die Beſei- tigung der Binnenmauthen dem deutſchen Handel aufhelfen könne, war dieſen Cabinetten noch nicht aufgegangen. Die gedankenloſe Trägheit der öſterreichiſchen Staatsmänner fühlte ſich befriedigt von dem Erfolge des Augenblicks. Dem preußiſchen Zollſyſteme war ein Riegel vorgeſchoben, der einige Jahre halten mochte; eine poſitive Ausbildung des Handels- vereins wünſchte man in Wien nicht, da jeder Bund im Bunde gefährlich ſchien. Selbſtgefällig ſagte Münch-Bellinghauſen zu Blittersdorff: „wie klug hat Oeſterreich gehandelt, die Colliſionen zu vermeiden, denen Preußen nicht entgehen wird!“ Der weiterblickende Badener aber ſchrieb: Ich war erſtaunt über ſolche Verblendung. Als ob ein Stillſtand im Völkerleben möglich ſei! Als ob der preußiſch-heſſiſche Verein ſich jemals wieder auf- löſen würde! Oeſterreich allein hat all dies Unheil verſchuldet, hat nichts
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zunehmen. Niemand wußte einen möglichen Vorſchlag. Schon vor der
Caſſeler Zuſammenkunft geſtand Lindenau einem Frankfurter Amtsgenoſſen:
„die Mehrzahl der Theilnehmer betrachtet den Verein als ein Ruhekiſſen,
ſie iſt froh, daß Alles beim Alten bleibt.“ Nun klagten die Thüringer über
Sachſens hegemoniſchen Ehrgeiz, Frankfurt über die erdrückenden kur-
heſſiſchen Mauthen. Der Kurfürſt, um ſeinen Holzmagazinen höhere Preiſe
zu ſchaffen, verbot den altgewohnten Holzhandel, der aus den hannoverſchen
Waldgebirgen nach Heſſen hinübergeführt ward. Die Unmöglichkeit, mit
einem ſolchen Fürſten freundnachbarlich auszukommen, lag vor Augen.
Faſt ein Jahr währten die Verhandlungen zwiſchen den beiden heſſiſchen
Häuſern wegen der Erleichterung einiger Enclaven; da erklärte der Kur-
fürſt: die gegenſeitige Verpflichtung, die Durchfuhrzölle auf gewiſſen Stra-
ßen nicht zu erhöhen, ſolle allein für Darmſtadt, nicht für Kurheſſen gelten!
Seine Weiſungen an die Unterhändler fand Maltzan „ausgezeichnet durch
naive Unwiſſenheit und despotiſchen Ton, der Feder eines Rabener würdig.“
Immer ſchärfer trat der tiefe Gegenſatz der handelspolitiſchen An-
ſchauungen innerhalb des Vereins hervor. Die Kaufherren von Frank-
furt und Bremen forderten unbeſchränkten Freihandel, Hannover die Be-
günſtigung der engliſchen Waaren. Andere Staaten träumten von neuen
Zolllinien; wieder andere hofften die Milderung des preußiſchen Zollſyſtems
und dann den Eintritt in dies Syſtem zu erzwingen. Kein einziger Kopf
an allen dieſen kleinen Höfen, der einen klaren Gedanken mit Ausdauer
verfolgte; Karl Auguſt von Weimar war im Juni 1828 geſtorben. Bald
ſonderten ſich die Küſtenlande und die Binnenſtaaten in zwei Gruppen.
Thüringen und Sachſen ſchloſſen einen Separatvertrag, desgleichen Han-
nover und Oldenburg. Sie verſprachen ihre gegenſeitigen Unterthanen
im Handelsverkehre auf gleichem Fuße zu behandeln u. ſ. w. — gering-
fügige Erleichterungen, die in Preußen gar nicht nöthig waren, da das
freiere preußiſche Zollgeſetz zwiſchen In- und Ausländern nicht unterſchied.
Die einfache in Berlin längſt feſtſtehende Erkenntniß, daß nur die Beſei-
tigung der Binnenmauthen dem deutſchen Handel aufhelfen könne, war
dieſen Cabinetten noch nicht aufgegangen. Die gedankenloſe Trägheit der
öſterreichiſchen Staatsmänner fühlte ſich befriedigt von dem Erfolge des
Augenblicks. Dem preußiſchen Zollſyſteme war ein Riegel vorgeſchoben,
der einige Jahre halten mochte; eine poſitive Ausbildung des Handels-
vereins wünſchte man in Wien nicht, da jeder Bund im Bunde gefährlich
ſchien. Selbſtgefällig ſagte Münch-Bellinghauſen zu Blittersdorff: „wie
klug hat Oeſterreich gehandelt, die Colliſionen zu vermeiden, denen Preußen
nicht entgehen wird!“ Der weiterblickende Badener aber ſchrieb: Ich war
erſtaunt über ſolche Verblendung. Als ob ein Stillſtand im Völkerleben
möglich ſei! Als ob der preußiſch-heſſiſche Verein ſich jemals wieder auf-
löſen würde! Oeſterreich allein hat all dies Unheil verſchuldet, hat nichts
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 660. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/676>, abgerufen am 22.11.2024.
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