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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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III. 8. Der Zollkrieg und die ersten Zollvereine.
wir den Verein nicht ignoriren; wir müssen unser gerechtes Befremden
aussprechen und den Entschluß "jeder uns auf irgend eine Art compro-
mittirenden weiteren Entwicklung dieses sonderbaren Systems auf ange-
messene Weise entgegenzutreten."*)

Ueber Oesterreichs Absichten war der entschlossene Mann längst im
Klaren. Er wußte, daß die k. k. Verpflegungsbeamten in Mainz, um den
preußisch-hessischen Verein zu schädigen, die vertragsmäßige Steuerfreiheit
der österreichischen Garnison gröblich mißbrauchten, für Tabak, Zucker, Bier
massenhaft Steuerfreischeine ausgaben, mehr als ganz Rheinhessen ver-
zehren konnte.**) Er forderte, der Gesandte in Wien solle rund heraus
erklären: wir lassen uns nicht täuschen durch das Blendwerk, das mit
dem Art. 19 getrieben wird, wir lassen uns weder imponiren, noch uns
mißbrauchen. Am 8. November schrieb er dem Minister des Auswärtigen
gradezu: "Ob und inwieweit überhaupt auf wahre freundschaftliche Ver-
hältnisse von Oesterreich gegen uns zu rechnen sei, vermag ich nicht zu
beurtheilen. So viel scheint mir aber sicher zu sein, daß Oesterreich dem
übereilt organisirten Deutschen Bunde den Charakter des ehemaligen deut-
schen Fürstenbundes beizulegen und darin die Rolle Friedrich's des Großen
zu übernehmen denkt." Oesterreichs Haltung gegen uns in dem Köthener
Zollstreit war entschieden feindselig, ohne Oesterreichs Beistand wäre der
mitteldeutsche Verein nie zu Stande gekommen.***)

Ein Blick auf diese Aktenstücke genügt, um das Räthsel zu lösen,
warum das Berliner Cabinet über die geheime Geschichte seiner Handels-
politik beharrlich geschwiegen, auch die windigsten Prahlereien der zahl-
reichen geistigen und leiblichen Väter des Zollvereins gelassen ertragen hat.
Das Bündniß der Ostmächte war nach wie vor der leitende Gedanke der
auswärtigen Politik des Königs. Brach man mit Oesterreich, so wurde
der Deutsche Bund unhaltbar und auch der werdende Zollverein selber in
Frage gestellt. Für Preußens Diplomatie ergab sich mithin die Aufgabe,
durch ruhige feste Haltung den Wiener Hof dahin zu bringen, daß er der
preußischen Handelspolitik nicht gradezu widerstrebte. Preußen räumte der
Hofburg die Führerstelle ein in dem Schattenspiele des Bundestags und
verlangte für sich die Leitung der wirklichen Geschäfte deutscher Staats-
kunft. Dies blieb der einzig mögliche Weg nationaler Politik, so lange
man weder den Willen noch die Macht besaß, die kriegerische Action der
fridericianischen Tage zu erneuern. Den deutschen Dualismus zu besei-
tigen, kam dem Könige nicht zu Sinn; die Absicht war nur, dem preu-
ßischen Staate im Bereiche der deutschen Politik ein Gebiet selbständigen,

*) Motz an Bernstorff, 26. Juni 1828.
**) Witzleben an Motz, 30. Mai, nebst Bericht des Majors v. Rochow in Mainz,
21. Mai 1828.
***) Motz an Bernstorff, 29. Juni, 8. Nov. 1828.

III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine.
wir den Verein nicht ignoriren; wir müſſen unſer gerechtes Befremden
ausſprechen und den Entſchluß „jeder uns auf irgend eine Art compro-
mittirenden weiteren Entwicklung dieſes ſonderbaren Syſtems auf ange-
meſſene Weiſe entgegenzutreten.“*)

Ueber Oeſterreichs Abſichten war der entſchloſſene Mann längſt im
Klaren. Er wußte, daß die k. k. Verpflegungsbeamten in Mainz, um den
preußiſch-heſſiſchen Verein zu ſchädigen, die vertragsmäßige Steuerfreiheit
der öſterreichiſchen Garniſon gröblich mißbrauchten, für Tabak, Zucker, Bier
maſſenhaft Steuerfreiſcheine ausgaben, mehr als ganz Rheinheſſen ver-
zehren konnte.**) Er forderte, der Geſandte in Wien ſolle rund heraus
erklären: wir laſſen uns nicht täuſchen durch das Blendwerk, das mit
dem Art. 19 getrieben wird, wir laſſen uns weder imponiren, noch uns
mißbrauchen. Am 8. November ſchrieb er dem Miniſter des Auswärtigen
gradezu: „Ob und inwieweit überhaupt auf wahre freundſchaftliche Ver-
hältniſſe von Oeſterreich gegen uns zu rechnen ſei, vermag ich nicht zu
beurtheilen. So viel ſcheint mir aber ſicher zu ſein, daß Oeſterreich dem
übereilt organiſirten Deutſchen Bunde den Charakter des ehemaligen deut-
ſchen Fürſtenbundes beizulegen und darin die Rolle Friedrich’s des Großen
zu übernehmen denkt.“ Oeſterreichs Haltung gegen uns in dem Köthener
Zollſtreit war entſchieden feindſelig, ohne Oeſterreichs Beiſtand wäre der
mitteldeutſche Verein nie zu Stande gekommen.***)

Ein Blick auf dieſe Aktenſtücke genügt, um das Räthſel zu löſen,
warum das Berliner Cabinet über die geheime Geſchichte ſeiner Handels-
politik beharrlich geſchwiegen, auch die windigſten Prahlereien der zahl-
reichen geiſtigen und leiblichen Väter des Zollvereins gelaſſen ertragen hat.
Das Bündniß der Oſtmächte war nach wie vor der leitende Gedanke der
auswärtigen Politik des Königs. Brach man mit Oeſterreich, ſo wurde
der Deutſche Bund unhaltbar und auch der werdende Zollverein ſelber in
Frage geſtellt. Für Preußens Diplomatie ergab ſich mithin die Aufgabe,
durch ruhige feſte Haltung den Wiener Hof dahin zu bringen, daß er der
preußiſchen Handelspolitik nicht gradezu widerſtrebte. Preußen räumte der
Hofburg die Führerſtelle ein in dem Schattenſpiele des Bundestags und
verlangte für ſich die Leitung der wirklichen Geſchäfte deutſcher Staats-
kunft. Dies blieb der einzig mögliche Weg nationaler Politik, ſo lange
man weder den Willen noch die Macht beſaß, die kriegeriſche Action der
fridericianiſchen Tage zu erneuern. Den deutſchen Dualismus zu beſei-
tigen, kam dem Könige nicht zu Sinn; die Abſicht war nur, dem preu-
ßiſchen Staate im Bereiche der deutſchen Politik ein Gebiet ſelbſtändigen,

*) Motz an Bernſtorff, 26. Juni 1828.
**) Witzleben an Motz, 30. Mai, nebſt Bericht des Majors v. Rochow in Mainz,
21. Mai 1828.
***) Motz an Bernſtorff, 29. Juni, 8. Nov. 1828.
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[662/0678] III. 8. Der Zollkrieg und die erſten Zollvereine. wir den Verein nicht ignoriren; wir müſſen unſer gerechtes Befremden ausſprechen und den Entſchluß „jeder uns auf irgend eine Art compro- mittirenden weiteren Entwicklung dieſes ſonderbaren Syſtems auf ange- meſſene Weiſe entgegenzutreten.“ *) Ueber Oeſterreichs Abſichten war der entſchloſſene Mann längſt im Klaren. Er wußte, daß die k. k. Verpflegungsbeamten in Mainz, um den preußiſch-heſſiſchen Verein zu ſchädigen, die vertragsmäßige Steuerfreiheit der öſterreichiſchen Garniſon gröblich mißbrauchten, für Tabak, Zucker, Bier maſſenhaft Steuerfreiſcheine ausgaben, mehr als ganz Rheinheſſen ver- zehren konnte. **) Er forderte, der Geſandte in Wien ſolle rund heraus erklären: wir laſſen uns nicht täuſchen durch das Blendwerk, das mit dem Art. 19 getrieben wird, wir laſſen uns weder imponiren, noch uns mißbrauchen. Am 8. November ſchrieb er dem Miniſter des Auswärtigen gradezu: „Ob und inwieweit überhaupt auf wahre freundſchaftliche Ver- hältniſſe von Oeſterreich gegen uns zu rechnen ſei, vermag ich nicht zu beurtheilen. So viel ſcheint mir aber ſicher zu ſein, daß Oeſterreich dem übereilt organiſirten Deutſchen Bunde den Charakter des ehemaligen deut- ſchen Fürſtenbundes beizulegen und darin die Rolle Friedrich’s des Großen zu übernehmen denkt.“ Oeſterreichs Haltung gegen uns in dem Köthener Zollſtreit war entſchieden feindſelig, ohne Oeſterreichs Beiſtand wäre der mitteldeutſche Verein nie zu Stande gekommen. ***) Ein Blick auf dieſe Aktenſtücke genügt, um das Räthſel zu löſen, warum das Berliner Cabinet über die geheime Geſchichte ſeiner Handels- politik beharrlich geſchwiegen, auch die windigſten Prahlereien der zahl- reichen geiſtigen und leiblichen Väter des Zollvereins gelaſſen ertragen hat. Das Bündniß der Oſtmächte war nach wie vor der leitende Gedanke der auswärtigen Politik des Königs. Brach man mit Oeſterreich, ſo wurde der Deutſche Bund unhaltbar und auch der werdende Zollverein ſelber in Frage geſtellt. Für Preußens Diplomatie ergab ſich mithin die Aufgabe, durch ruhige feſte Haltung den Wiener Hof dahin zu bringen, daß er der preußiſchen Handelspolitik nicht gradezu widerſtrebte. Preußen räumte der Hofburg die Führerſtelle ein in dem Schattenſpiele des Bundestags und verlangte für ſich die Leitung der wirklichen Geſchäfte deutſcher Staats- kunft. Dies blieb der einzig mögliche Weg nationaler Politik, ſo lange man weder den Willen noch die Macht beſaß, die kriegeriſche Action der fridericianiſchen Tage zu erneuern. Den deutſchen Dualismus zu beſei- tigen, kam dem Könige nicht zu Sinn; die Abſicht war nur, dem preu- ßiſchen Staate im Bereiche der deutſchen Politik ein Gebiet ſelbſtändigen, *) Motz an Bernſtorff, 26. Juni 1828. **) Witzleben an Motz, 30. Mai, nebſt Bericht des Majors v. Rochow in Mainz, 21. Mai 1828. ***) Motz an Bernſtorff, 29. Juni, 8. Nov. 1828.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 662. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/678>, abgerufen am 24.11.2024.