er dahin zusammen, dies Talent habe, begünstigt durch ein beispielloses Glück, sechzig Jahre lang die Handschrift des Genies nachgeahmt ohne entdeckt zu werden. Der beleidigenden Ruhe des Goethischen Stiles hielt er das Beispiel Voltaire's entgegen: "Wie ganz anders Voltaire! Seine Eitelkeit macht uns ihm gewogen. Wir freuen uns, daß ein Mann von so hohem Geiste um unser Urtheil zittert, uns schmeichelt, zu gewinnen sucht!"
Das Gepolter war so sinnlos, daß man kaum noch wußte, was eigentlich ernst gemeint sei, und eben hierin lag die Gefahr. Börne blieb, derweil er alle Größen Deutschlands schmähte, auf seine Weise noch ein Patriot. Die deutsche Jugend aber, die sich, wider die Natur, an dieser jüdischen Selbstverhöhnung berauschte, verlor alle Ehrfurcht vor dem Vaterlande, und so ward Börne's Wirksamkeit, obgleich sie aus den ge- gebenen Zuständen mit einer gewissen Nothwendigkeit hervorging, durch- aus unheilvoll für das heranwachsende Geschlecht. Er tränkte die Jugend mit Galle; einen neuen Gedanken wußte er ihr nicht zu bieten. Auch an unserer Sprache hat er sich schwer versündigt. Zu Anfang des Jahr- hunderts schrieben die Deutschen meistens gut, nur zuweilen etwas schwer- fällig, da mancher die langen Perioden der classischen Sprachen von der Schulbank mit ins Leben nahm. Börne aber hatte sich erst an Jean Paul's überladenem Stile, dann an französischen Mustern gebildet; das feinere Sprachgefühl, das dem historischen Sinne verwandt ist, blieb ihm versagt. Seine abstrakte journalistische Bildungssprache war brillant, pikant, elegant, Alles, nur nicht deutsch; sie konnte wohl zanken, doch nicht zürnen, wohl stechen, doch nicht zerschmettern, sie spielte mit gesuchten Bildern und wurde doch niemals sinnlich warm, ihr fehlte die Seele, die Macht der Natur. "Die Geschichte zählt große Menschen, die sind Register der Vergangenheit, so Goethe und Schiller; sie zählt wieder andere, die sind Inhaltsverzeichniß der Zukunft: so Voltaire und Lessing." An solchen Sätzen war alles undeutsch, die Gedanken, der Satzbau, die Wörter; aber sie glitzerten und blendeten. Bald fanden sich betriebsame Nachahmer. Die Journalisten wetteiferten miteinander in unsinnlichen Bildern, ver- renkten Wörtern, überfeinen Anspielungen, sie verliebten sich in ihre eigene Unnatur und freuten sich ihrer Künsteleien ebenso herzlich, wie einst Lohen- stein und Hoffmannswaldau. Noch bei Goethe's Lebzeiten begann die deutsche Sprache zu verwildern; nur die Männer der Wissenschaft und einige rein gestimmte Dichterseelen widerstanden den Versuchungen der Ueberbildung.
In der deutschen Dichtung erweckten zwar die Griechenlieder des großen radicalen Dichters der Epoche frühzeitig lauten Widerhall; der Weltschmerz Lord Byron's hingegen, der Trotz des revolutionären Ich, das sich bald grollend, bald verzweifelnd wider die Ordnung der Welt auflehnte, fand in den zwanziger Jahren bei den Deutschen unter vielen Bewunderern nur vereinzelte Nachahmer. Die romantische Ironie ge- nügte noch dem Uebermuthe des Subjects, auch mochte mancher junge
III. 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit.
er dahin zuſammen, dies Talent habe, begünſtigt durch ein beiſpielloſes Glück, ſechzig Jahre lang die Handſchrift des Genies nachgeahmt ohne entdeckt zu werden. Der beleidigenden Ruhe des Goethiſchen Stiles hielt er das Beiſpiel Voltaire’s entgegen: „Wie ganz anders Voltaire! Seine Eitelkeit macht uns ihm gewogen. Wir freuen uns, daß ein Mann von ſo hohem Geiſte um unſer Urtheil zittert, uns ſchmeichelt, zu gewinnen ſucht!“
Das Gepolter war ſo ſinnlos, daß man kaum noch wußte, was eigentlich ernſt gemeint ſei, und eben hierin lag die Gefahr. Börne blieb, derweil er alle Größen Deutſchlands ſchmähte, auf ſeine Weiſe noch ein Patriot. Die deutſche Jugend aber, die ſich, wider die Natur, an dieſer jüdiſchen Selbſtverhöhnung berauſchte, verlor alle Ehrfurcht vor dem Vaterlande, und ſo ward Börne’s Wirkſamkeit, obgleich ſie aus den ge- gebenen Zuſtänden mit einer gewiſſen Nothwendigkeit hervorging, durch- aus unheilvoll für das heranwachſende Geſchlecht. Er tränkte die Jugend mit Galle; einen neuen Gedanken wußte er ihr nicht zu bieten. Auch an unſerer Sprache hat er ſich ſchwer verſündigt. Zu Anfang des Jahr- hunderts ſchrieben die Deutſchen meiſtens gut, nur zuweilen etwas ſchwer- fällig, da mancher die langen Perioden der claſſiſchen Sprachen von der Schulbank mit ins Leben nahm. Börne aber hatte ſich erſt an Jean Paul’s überladenem Stile, dann an franzöſiſchen Muſtern gebildet; das feinere Sprachgefühl, das dem hiſtoriſchen Sinne verwandt iſt, blieb ihm verſagt. Seine abſtrakte journaliſtiſche Bildungsſprache war brillant, pikant, elegant, Alles, nur nicht deutſch; ſie konnte wohl zanken, doch nicht zürnen, wohl ſtechen, doch nicht zerſchmettern, ſie ſpielte mit geſuchten Bildern und wurde doch niemals ſinnlich warm, ihr fehlte die Seele, die Macht der Natur. „Die Geſchichte zählt große Menſchen, die ſind Regiſter der Vergangenheit, ſo Goethe und Schiller; ſie zählt wieder andere, die ſind Inhaltsverzeichniß der Zukunft: ſo Voltaire und Leſſing.“ An ſolchen Sätzen war alles undeutſch, die Gedanken, der Satzbau, die Wörter; aber ſie glitzerten und blendeten. Bald fanden ſich betriebſame Nachahmer. Die Journaliſten wetteiferten miteinander in unſinnlichen Bildern, ver- renkten Wörtern, überfeinen Anſpielungen, ſie verliebten ſich in ihre eigene Unnatur und freuten ſich ihrer Künſteleien ebenſo herzlich, wie einſt Lohen- ſtein und Hoffmannswaldau. Noch bei Goethe’s Lebzeiten begann die deutſche Sprache zu verwildern; nur die Männer der Wiſſenſchaft und einige rein geſtimmte Dichterſeelen widerſtanden den Verſuchungen der Ueberbildung.
In der deutſchen Dichtung erweckten zwar die Griechenlieder des großen radicalen Dichters der Epoche frühzeitig lauten Widerhall; der Weltſchmerz Lord Byron’s hingegen, der Trotz des revolutionären Ich, das ſich bald grollend, bald verzweifelnd wider die Ordnung der Welt auflehnte, fand in den zwanziger Jahren bei den Deutſchen unter vielen Bewunderern nur vereinzelte Nachahmer. Die romantiſche Ironie ge- nügte noch dem Uebermuthe des Subjects, auch mochte mancher junge
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0726"n="710"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit.</fw><lb/>
er dahin zuſammen, dies Talent habe, begünſtigt durch ein beiſpielloſes<lb/>
Glück, ſechzig Jahre lang die Handſchrift des Genies nachgeahmt ohne<lb/>
entdeckt zu werden. Der beleidigenden Ruhe des Goethiſchen Stiles hielt<lb/>
er das Beiſpiel Voltaire’s entgegen: „Wie ganz anders Voltaire! Seine<lb/>
Eitelkeit macht uns ihm gewogen. Wir freuen uns, daß ein Mann von ſo<lb/>
hohem Geiſte um unſer Urtheil zittert, uns ſchmeichelt, zu gewinnen ſucht!“</p><lb/><p>Das Gepolter war ſo ſinnlos, daß man kaum noch wußte, was<lb/>
eigentlich ernſt gemeint ſei, und eben hierin lag die Gefahr. Börne<lb/>
blieb, derweil er alle Größen Deutſchlands ſchmähte, auf ſeine Weiſe noch<lb/>
ein Patriot. Die deutſche Jugend aber, die ſich, wider die Natur, an<lb/>
dieſer jüdiſchen Selbſtverhöhnung berauſchte, verlor alle Ehrfurcht vor dem<lb/>
Vaterlande, und ſo ward Börne’s Wirkſamkeit, obgleich ſie aus den ge-<lb/>
gebenen Zuſtänden mit einer gewiſſen Nothwendigkeit hervorging, durch-<lb/>
aus unheilvoll für das heranwachſende Geſchlecht. Er tränkte die Jugend<lb/>
mit Galle; einen neuen Gedanken wußte er ihr nicht zu bieten. Auch<lb/>
an unſerer Sprache hat er ſich ſchwer verſündigt. Zu Anfang des Jahr-<lb/>
hunderts ſchrieben die Deutſchen meiſtens gut, nur zuweilen etwas ſchwer-<lb/>
fällig, da mancher die langen Perioden der claſſiſchen Sprachen von der<lb/>
Schulbank mit ins Leben nahm. Börne aber hatte ſich erſt an Jean<lb/>
Paul’s überladenem Stile, dann an franzöſiſchen Muſtern gebildet; das<lb/>
feinere Sprachgefühl, das dem hiſtoriſchen Sinne verwandt iſt, blieb ihm<lb/>
verſagt. Seine abſtrakte journaliſtiſche Bildungsſprache war brillant, pikant,<lb/>
elegant, Alles, nur nicht deutſch; ſie konnte wohl zanken, doch nicht zürnen,<lb/>
wohl ſtechen, doch nicht zerſchmettern, ſie ſpielte mit geſuchten Bildern<lb/>
und wurde doch niemals ſinnlich warm, ihr fehlte die Seele, die Macht<lb/>
der Natur. „Die Geſchichte zählt große Menſchen, die ſind Regiſter der<lb/>
Vergangenheit, ſo Goethe und Schiller; ſie zählt wieder andere, die ſind<lb/>
Inhaltsverzeichniß der Zukunft: ſo Voltaire und Leſſing.“ An ſolchen<lb/>
Sätzen war alles undeutſch, die Gedanken, der Satzbau, die Wörter; aber<lb/>ſie glitzerten und blendeten. Bald fanden ſich betriebſame Nachahmer.<lb/>
Die Journaliſten wetteiferten miteinander in unſinnlichen Bildern, ver-<lb/>
renkten Wörtern, überfeinen Anſpielungen, ſie verliebten ſich in ihre eigene<lb/>
Unnatur und freuten ſich ihrer Künſteleien ebenſo herzlich, wie einſt Lohen-<lb/>ſtein und Hoffmannswaldau. Noch bei Goethe’s Lebzeiten begann die deutſche<lb/>
Sprache zu verwildern; nur die Männer der Wiſſenſchaft und einige rein<lb/>
geſtimmte Dichterſeelen widerſtanden den Verſuchungen der Ueberbildung.</p><lb/><p>In der deutſchen Dichtung erweckten zwar die Griechenlieder des<lb/>
großen radicalen Dichters der Epoche frühzeitig lauten Widerhall; der<lb/>
Weltſchmerz Lord Byron’s hingegen, der Trotz des revolutionären Ich,<lb/>
das ſich bald grollend, bald verzweifelnd wider die Ordnung der Welt<lb/>
auflehnte, fand in den zwanziger Jahren bei den Deutſchen unter vielen<lb/>
Bewunderern nur vereinzelte Nachahmer. Die romantiſche Ironie ge-<lb/>
nügte noch dem Uebermuthe des Subjects, auch mochte mancher junge<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[710/0726]
III. 9. Literariſche Vorboten einer neuen Zeit.
er dahin zuſammen, dies Talent habe, begünſtigt durch ein beiſpielloſes
Glück, ſechzig Jahre lang die Handſchrift des Genies nachgeahmt ohne
entdeckt zu werden. Der beleidigenden Ruhe des Goethiſchen Stiles hielt
er das Beiſpiel Voltaire’s entgegen: „Wie ganz anders Voltaire! Seine
Eitelkeit macht uns ihm gewogen. Wir freuen uns, daß ein Mann von ſo
hohem Geiſte um unſer Urtheil zittert, uns ſchmeichelt, zu gewinnen ſucht!“
Das Gepolter war ſo ſinnlos, daß man kaum noch wußte, was
eigentlich ernſt gemeint ſei, und eben hierin lag die Gefahr. Börne
blieb, derweil er alle Größen Deutſchlands ſchmähte, auf ſeine Weiſe noch
ein Patriot. Die deutſche Jugend aber, die ſich, wider die Natur, an
dieſer jüdiſchen Selbſtverhöhnung berauſchte, verlor alle Ehrfurcht vor dem
Vaterlande, und ſo ward Börne’s Wirkſamkeit, obgleich ſie aus den ge-
gebenen Zuſtänden mit einer gewiſſen Nothwendigkeit hervorging, durch-
aus unheilvoll für das heranwachſende Geſchlecht. Er tränkte die Jugend
mit Galle; einen neuen Gedanken wußte er ihr nicht zu bieten. Auch
an unſerer Sprache hat er ſich ſchwer verſündigt. Zu Anfang des Jahr-
hunderts ſchrieben die Deutſchen meiſtens gut, nur zuweilen etwas ſchwer-
fällig, da mancher die langen Perioden der claſſiſchen Sprachen von der
Schulbank mit ins Leben nahm. Börne aber hatte ſich erſt an Jean
Paul’s überladenem Stile, dann an franzöſiſchen Muſtern gebildet; das
feinere Sprachgefühl, das dem hiſtoriſchen Sinne verwandt iſt, blieb ihm
verſagt. Seine abſtrakte journaliſtiſche Bildungsſprache war brillant, pikant,
elegant, Alles, nur nicht deutſch; ſie konnte wohl zanken, doch nicht zürnen,
wohl ſtechen, doch nicht zerſchmettern, ſie ſpielte mit geſuchten Bildern
und wurde doch niemals ſinnlich warm, ihr fehlte die Seele, die Macht
der Natur. „Die Geſchichte zählt große Menſchen, die ſind Regiſter der
Vergangenheit, ſo Goethe und Schiller; ſie zählt wieder andere, die ſind
Inhaltsverzeichniß der Zukunft: ſo Voltaire und Leſſing.“ An ſolchen
Sätzen war alles undeutſch, die Gedanken, der Satzbau, die Wörter; aber
ſie glitzerten und blendeten. Bald fanden ſich betriebſame Nachahmer.
Die Journaliſten wetteiferten miteinander in unſinnlichen Bildern, ver-
renkten Wörtern, überfeinen Anſpielungen, ſie verliebten ſich in ihre eigene
Unnatur und freuten ſich ihrer Künſteleien ebenſo herzlich, wie einſt Lohen-
ſtein und Hoffmannswaldau. Noch bei Goethe’s Lebzeiten begann die deutſche
Sprache zu verwildern; nur die Männer der Wiſſenſchaft und einige rein
geſtimmte Dichterſeelen widerſtanden den Verſuchungen der Ueberbildung.
In der deutſchen Dichtung erweckten zwar die Griechenlieder des
großen radicalen Dichters der Epoche frühzeitig lauten Widerhall; der
Weltſchmerz Lord Byron’s hingegen, der Trotz des revolutionären Ich,
das ſich bald grollend, bald verzweifelnd wider die Ordnung der Welt
auflehnte, fand in den zwanziger Jahren bei den Deutſchen unter vielen
Bewunderern nur vereinzelte Nachahmer. Die romantiſche Ironie ge-
nügte noch dem Uebermuthe des Subjects, auch mochte mancher junge
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 710. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/726>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.