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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885.

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Nebenius und der deutsche Zollverein.
Und wo sagt Eichhorn, daß die Ideen des badischen Staatsmannes der preußischen Re-
gierung irgendwie zur Richtschnur gedient hätten? Geht nicht vielmehr aus der ganzen
Fassung seines Schreibens hervor, daß er selber die Denkschrift von 1819 erst im Herbst
1833 kennen gelernt hat? Auf die Entstehung jener grundlegenden Verträge haben die
Nebenius'schen Gedanken in keiner Weise eingewirkt. Der badische Staatsmann könnte
besten Falls nur in demselben Sinne als "Erfinder des Zollverein" genannt werden,
wie man den Normannen Erik den Rothen als den Entdecker von Amerika bezeichnen
kann, weil er lange vor Columbus zuerst das Weinland des fernen Westens erblickte; er
hätte eine Erfindung gemacht, die aber erst historisch wirksam wurde, als Andere sie
selbständig wieder auffanden.

Doch selbst dieser bescheidnere Ruhm gebührt Nebenius nicht. Es ist nicht richtig,
daß jene Denkschrift die Grundgedanken des späteren Zollvereins zuerst aufgestellt hätte.
Zerlegen wir die Frage, da der Ausdruck "Erfinder des Zollvereins" so gar vieldeutig
ist, und prüfen wir im Einzelnen. Also --

Wer hat die Forderung, daß Deutschland ein handelspolitisches Ganzes bilden solle,
zuerst ausgesprochen? Nicht Nebenius. Sondern dieser Gedanke war seit dem Wiener
Congreß das Gemeingut von Patrioten aller Parteien; ihn in weiten Kreisen verbreitet
zu haben ist vor Allen das Werk von F. List und seiner unermüdlichen Agitation.

Wer hat den Widerstand, der sich diesem Gedanken entgegenstemmte, am letzten
Ende überwunden? Nicht Nebenius, noch irgend ein einzelner Mann, auch nicht die
Macht der öffentlichen Meinung, die vielmehr hartnäckig verblendet blieb, sondern allein
die bittere Noth. Nur die äußerste Bedrängniß der Finanzen und des Verkehrs zwang
die widerstrebenden kleinen Höfe, die Verständigung mit dem beargwöhnten Preußen zu
suchen.

Wer hat das Zollgesetz und den Tarif erdacht, welche so vielen streitenden In-
teressen eine leidliche Ausgleichung brachten? Nicht Nebenius, sondern Maassen. Dessen
Werk, das Zollgesetz, ist älter als Nebenius' Denkschrift, und es bezeichnet die allgemeine
Verwirrung jener Tage, daß der geistreiche Badener, statt sich an dies Bestehende anzu-
schließen, vielmehr auf eigene Faust sich einen deutschen Zolltarif ersann, der von den
preußischen Grundsätzen nicht sehr weit abwich.

Wer hat den Gedanken ersonnen, daß die Zolleinnahmen nach der Kopfzahl unter
die Verbündeten vertheilt werden sollten? Nicht Nebenius, sondern Maassen und
J. G. Hoffmann, die unter der Mitwirkung von Motz den Vertrag mit Sonders-
hausen schlossen, ehe die Denkschrift des Badeners den Wiener Conferenzen vorgelegt
wurde. Aus diesem preußischen Vertrage ist dann jener Vertheilungsmaßstab, weil er
der einfachste und für die Kleinstaaten vortheilhafteste war, in alle Enclaven- und Zoll-
vereinsverträge hinübergenommen worden.

Wer hat den Gedanken ersonnen, daß die verbündeten Staaten neben gemeinsamer
Zollgesetzgebung selbständige Zollverwaltung haben müßten? Nicht Nebenius -- denn
seine Denkschrift wollte gemeinsame Zollverwaltung -- sondern im Verlaufe der süd-
deutschen Sonderbundsverhandlungen vereinigten sich die südwestdeutschen Höfe durch das
Heidelberger Protokoll über diesen Grundsatz; die preußische Regierung, die von ihren
kleinen Nachbarn die Unterordnung unter ihre Zollhoheit verlangt hatte, erkannte nach
und nach, daß sie den größeren Höfen solche Zumuthungen nicht bieten durfte, und Motz
war es, der sich zuerst auf den Boden des Heidelberger Protokolles stellte.

Wer hat die Wahrheit gefunden, daß bei der unendlichen Mannichfaltigkeit der In-
teressen nur Einzelverhandlungen zum Ziele führen konnten? Nicht Nebenius, denn er
wollte Ordnung des Zollwesens von Bundeswegen, sondern die preußische Regierung,
die unter den schwersten Anfechtungen diesen Grundsatz festhielt.

Wer hat den einfachen, aber neuen Gedanken zuerst ausgesprochen, daß Verkehrs-
freiheit nur bei Zollgemeinschaft möglich sei? Nicht Nebenius, sondern vor ihm Maassen;

Nebenius und der deutſche Zollverein.
Und wo ſagt Eichhorn, daß die Ideen des badiſchen Staatsmannes der preußiſchen Re-
gierung irgendwie zur Richtſchnur gedient hätten? Geht nicht vielmehr aus der ganzen
Faſſung ſeines Schreibens hervor, daß er ſelber die Denkſchrift von 1819 erſt im Herbſt
1833 kennen gelernt hat? Auf die Entſtehung jener grundlegenden Verträge haben die
Nebenius’ſchen Gedanken in keiner Weiſe eingewirkt. Der badiſche Staatsmann könnte
beſten Falls nur in demſelben Sinne als „Erfinder des Zollverein“ genannt werden,
wie man den Normannen Erik den Rothen als den Entdecker von Amerika bezeichnen
kann, weil er lange vor Columbus zuerſt das Weinland des fernen Weſtens erblickte; er
hätte eine Erfindung gemacht, die aber erſt hiſtoriſch wirkſam wurde, als Andere ſie
ſelbſtändig wieder auffanden.

Doch ſelbſt dieſer beſcheidnere Ruhm gebührt Nebenius nicht. Es iſt nicht richtig,
daß jene Denkſchrift die Grundgedanken des ſpäteren Zollvereins zuerſt aufgeſtellt hätte.
Zerlegen wir die Frage, da der Ausdruck „Erfinder des Zollvereins“ ſo gar vieldeutig
iſt, und prüfen wir im Einzelnen. Alſo —

Wer hat die Forderung, daß Deutſchland ein handelspolitiſches Ganzes bilden ſolle,
zuerſt ausgeſprochen? Nicht Nebenius. Sondern dieſer Gedanke war ſeit dem Wiener
Congreß das Gemeingut von Patrioten aller Parteien; ihn in weiten Kreiſen verbreitet
zu haben iſt vor Allen das Werk von F. Liſt und ſeiner unermüdlichen Agitation.

Wer hat den Widerſtand, der ſich dieſem Gedanken entgegenſtemmte, am letzten
Ende überwunden? Nicht Nebenius, noch irgend ein einzelner Mann, auch nicht die
Macht der öffentlichen Meinung, die vielmehr hartnäckig verblendet blieb, ſondern allein
die bittere Noth. Nur die äußerſte Bedrängniß der Finanzen und des Verkehrs zwang
die widerſtrebenden kleinen Höfe, die Verſtändigung mit dem beargwöhnten Preußen zu
ſuchen.

Wer hat das Zollgeſetz und den Tarif erdacht, welche ſo vielen ſtreitenden In-
tereſſen eine leidliche Ausgleichung brachten? Nicht Nebenius, ſondern Maaſſen. Deſſen
Werk, das Zollgeſetz, iſt älter als Nebenius’ Denkſchrift, und es bezeichnet die allgemeine
Verwirrung jener Tage, daß der geiſtreiche Badener, ſtatt ſich an dies Beſtehende anzu-
ſchließen, vielmehr auf eigene Fauſt ſich einen deutſchen Zolltarif erſann, der von den
preußiſchen Grundſätzen nicht ſehr weit abwich.

Wer hat den Gedanken erſonnen, daß die Zolleinnahmen nach der Kopfzahl unter
die Verbündeten vertheilt werden ſollten? Nicht Nebenius, ſondern Maaſſen und
J. G. Hoffmann, die unter der Mitwirkung von Motz den Vertrag mit Sonders-
hauſen ſchloſſen, ehe die Denkſchrift des Badeners den Wiener Conferenzen vorgelegt
wurde. Aus dieſem preußiſchen Vertrage iſt dann jener Vertheilungsmaßſtab, weil er
der einfachſte und für die Kleinſtaaten vortheilhafteſte war, in alle Enclaven- und Zoll-
vereinsverträge hinübergenommen worden.

Wer hat den Gedanken erſonnen, daß die verbündeten Staaten neben gemeinſamer
Zollgeſetzgebung ſelbſtändige Zollverwaltung haben müßten? Nicht Nebenius — denn
ſeine Denkſchrift wollte gemeinſame Zollverwaltung — ſondern im Verlaufe der ſüd-
deutſchen Sonderbundsverhandlungen vereinigten ſich die ſüdweſtdeutſchen Höfe durch das
Heidelberger Protokoll über dieſen Grundſatz; die preußiſche Regierung, die von ihren
kleinen Nachbarn die Unterordnung unter ihre Zollhoheit verlangt hatte, erkannte nach
und nach, daß ſie den größeren Höfen ſolche Zumuthungen nicht bieten durfte, und Motz
war es, der ſich zuerſt auf den Boden des Heidelberger Protokolles ſtellte.

Wer hat die Wahrheit gefunden, daß bei der unendlichen Mannichfaltigkeit der In-
tereſſen nur Einzelverhandlungen zum Ziele führen konnten? Nicht Nebenius, denn er
wollte Ordnung des Zollweſens von Bundeswegen, ſondern die preußiſche Regierung,
die unter den ſchwerſten Anfechtungen dieſen Grundſatz feſthielt.

Wer hat den einfachen, aber neuen Gedanken zuerſt ausgeſprochen, daß Verkehrs-
freiheit nur bei Zollgemeinſchaft möglich ſei? Nicht Nebenius, ſondern vor ihm Maaſſen;

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[776/0792] Nebenius und der deutſche Zollverein. Und wo ſagt Eichhorn, daß die Ideen des badiſchen Staatsmannes der preußiſchen Re- gierung irgendwie zur Richtſchnur gedient hätten? Geht nicht vielmehr aus der ganzen Faſſung ſeines Schreibens hervor, daß er ſelber die Denkſchrift von 1819 erſt im Herbſt 1833 kennen gelernt hat? Auf die Entſtehung jener grundlegenden Verträge haben die Nebenius’ſchen Gedanken in keiner Weiſe eingewirkt. Der badiſche Staatsmann könnte beſten Falls nur in demſelben Sinne als „Erfinder des Zollverein“ genannt werden, wie man den Normannen Erik den Rothen als den Entdecker von Amerika bezeichnen kann, weil er lange vor Columbus zuerſt das Weinland des fernen Weſtens erblickte; er hätte eine Erfindung gemacht, die aber erſt hiſtoriſch wirkſam wurde, als Andere ſie ſelbſtändig wieder auffanden. Doch ſelbſt dieſer beſcheidnere Ruhm gebührt Nebenius nicht. Es iſt nicht richtig, daß jene Denkſchrift die Grundgedanken des ſpäteren Zollvereins zuerſt aufgeſtellt hätte. Zerlegen wir die Frage, da der Ausdruck „Erfinder des Zollvereins“ ſo gar vieldeutig iſt, und prüfen wir im Einzelnen. Alſo — Wer hat die Forderung, daß Deutſchland ein handelspolitiſches Ganzes bilden ſolle, zuerſt ausgeſprochen? Nicht Nebenius. Sondern dieſer Gedanke war ſeit dem Wiener Congreß das Gemeingut von Patrioten aller Parteien; ihn in weiten Kreiſen verbreitet zu haben iſt vor Allen das Werk von F. Liſt und ſeiner unermüdlichen Agitation. Wer hat den Widerſtand, der ſich dieſem Gedanken entgegenſtemmte, am letzten Ende überwunden? Nicht Nebenius, noch irgend ein einzelner Mann, auch nicht die Macht der öffentlichen Meinung, die vielmehr hartnäckig verblendet blieb, ſondern allein die bittere Noth. Nur die äußerſte Bedrängniß der Finanzen und des Verkehrs zwang die widerſtrebenden kleinen Höfe, die Verſtändigung mit dem beargwöhnten Preußen zu ſuchen. Wer hat das Zollgeſetz und den Tarif erdacht, welche ſo vielen ſtreitenden In- tereſſen eine leidliche Ausgleichung brachten? Nicht Nebenius, ſondern Maaſſen. Deſſen Werk, das Zollgeſetz, iſt älter als Nebenius’ Denkſchrift, und es bezeichnet die allgemeine Verwirrung jener Tage, daß der geiſtreiche Badener, ſtatt ſich an dies Beſtehende anzu- ſchließen, vielmehr auf eigene Fauſt ſich einen deutſchen Zolltarif erſann, der von den preußiſchen Grundſätzen nicht ſehr weit abwich. Wer hat den Gedanken erſonnen, daß die Zolleinnahmen nach der Kopfzahl unter die Verbündeten vertheilt werden ſollten? Nicht Nebenius, ſondern Maaſſen und J. G. Hoffmann, die unter der Mitwirkung von Motz den Vertrag mit Sonders- hauſen ſchloſſen, ehe die Denkſchrift des Badeners den Wiener Conferenzen vorgelegt wurde. Aus dieſem preußiſchen Vertrage iſt dann jener Vertheilungsmaßſtab, weil er der einfachſte und für die Kleinſtaaten vortheilhafteſte war, in alle Enclaven- und Zoll- vereinsverträge hinübergenommen worden. Wer hat den Gedanken erſonnen, daß die verbündeten Staaten neben gemeinſamer Zollgeſetzgebung ſelbſtändige Zollverwaltung haben müßten? Nicht Nebenius — denn ſeine Denkſchrift wollte gemeinſame Zollverwaltung — ſondern im Verlaufe der ſüd- deutſchen Sonderbundsverhandlungen vereinigten ſich die ſüdweſtdeutſchen Höfe durch das Heidelberger Protokoll über dieſen Grundſatz; die preußiſche Regierung, die von ihren kleinen Nachbarn die Unterordnung unter ihre Zollhoheit verlangt hatte, erkannte nach und nach, daß ſie den größeren Höfen ſolche Zumuthungen nicht bieten durfte, und Motz war es, der ſich zuerſt auf den Boden des Heidelberger Protokolles ſtellte. Wer hat die Wahrheit gefunden, daß bei der unendlichen Mannichfaltigkeit der In- tereſſen nur Einzelverhandlungen zum Ziele führen konnten? Nicht Nebenius, denn er wollte Ordnung des Zollweſens von Bundeswegen, ſondern die preußiſche Regierung, die unter den ſchwerſten Anfechtungen dieſen Grundſatz feſthielt. Wer hat den einfachen, aber neuen Gedanken zuerſt ausgeſprochen, daß Verkehrs- freiheit nur bei Zollgemeinſchaft möglich ſei? Nicht Nebenius, ſondern vor ihm Maaſſen;

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 3: Bis zur Juli-Revolution. Leipzig, 1885, S. 776. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte03_1885/792>, abgerufen am 21.11.2024.