Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. wurde leicht gewonnen. Der Hartnäckigkeit des Königs der Niederlandeaber ließ sich mit Ueberredung nicht beikommen. Obwohl er in die Thei- lung seines Königreichs längst gewilligt hatte und nur noch gegen einzelne Artikel des Vertrages sachliche Einwände erhob, so fühlte er sich doch durch das rücksichtslose Verfahren der Conferenz tief beleidigt. Er wollte dem Coburgischen Thronräuber nicht verzeihen und hoffte insgeheim auf einen allgemeinen Krieg, der Hollands Entwürdigung noch abwenden sollte. "Nach Allem was geschehen", schrieb er seinem Schwager, "ist es mir unmöglich, in Leopold nicht nach wie vor meinen Feind zu sehen. Meine Sache ist nicht meine eigene, sie ist allen rechtmäßigen Regie- rungen gemeinsam." Vergeblich hielt ihm Friedrich Wilhelm vor, daß Holland sich durch seine Unversöhnlichkeit den Beistand seiner Verbün- deten selbst verscherze.*) Der Oranier nahm diese Drohung nicht für Ernst; er zählte auf Nach langem Widerstreben und mehrfachen Rückfällen ließ sich der Czar *) Oberst Scharnhorst's Bericht an den König, 28. Aug. Witzleben an Ancillon 22. Oct. Eichhorn's Denkschrift für Prinz Albrecht 25. Oct. K. Wilhelm d. Niederl. an K. Friedrich Wilhelm 5. Dec. Antwort 24. Dec. 1831. **) Ancillon, Rundschreiben an die Gesandtschaften, 18. Dec. 1831. K. Friedrich Wilhelm an K. Nikolaus, nebst Memorandum, 12. Jan. 1832. ***) K. Nikolaus an K. Wilhelm der Niederl. 18. Jan. a. St. Russische Denk-
schrift, zur Beantwortung des preußischen Memorandums, Febr. Nesselrode, Weisung an Lieven, Ende März 1832. IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede. wurde leicht gewonnen. Der Hartnäckigkeit des Königs der Niederlandeaber ließ ſich mit Ueberredung nicht beikommen. Obwohl er in die Thei- lung ſeines Königreichs längſt gewilligt hatte und nur noch gegen einzelne Artikel des Vertrages ſachliche Einwände erhob, ſo fühlte er ſich doch durch das rückſichtsloſe Verfahren der Conferenz tief beleidigt. Er wollte dem Coburgiſchen Thronräuber nicht verzeihen und hoffte insgeheim auf einen allgemeinen Krieg, der Hollands Entwürdigung noch abwenden ſollte. „Nach Allem was geſchehen“, ſchrieb er ſeinem Schwager, „iſt es mir unmöglich, in Leopold nicht nach wie vor meinen Feind zu ſehen. Meine Sache iſt nicht meine eigene, ſie iſt allen rechtmäßigen Regie- rungen gemeinſam.“ Vergeblich hielt ihm Friedrich Wilhelm vor, daß Holland ſich durch ſeine Unverſöhnlichkeit den Beiſtand ſeiner Verbün- deten ſelbſt verſcherze.*) Der Oranier nahm dieſe Drohung nicht für Ernſt; er zählte auf Nach langem Widerſtreben und mehrfachen Rückfällen ließ ſich der Czar *) Oberſt Scharnhorſt’s Bericht an den König, 28. Aug. Witzleben an Ancillon 22. Oct. Eichhorn’s Denkſchrift für Prinz Albrecht 25. Oct. K. Wilhelm d. Niederl. an K. Friedrich Wilhelm 5. Dec. Antwort 24. Dec. 1831. **) Ancillon, Rundſchreiben an die Geſandtſchaften, 18. Dec. 1831. K. Friedrich Wilhelm an K. Nikolaus, nebſt Memorandum, 12. Jan. 1832. ***) K. Nikolaus an K. Wilhelm der Niederl. 18. Jan. a. St. Ruſſiſche Denk-
ſchrift, zur Beantwortung des preußiſchen Memorandums, Febr. Neſſelrode, Weiſung an Lieven, Ende März 1832. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0106" n="92"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IV.</hi> 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.</fw><lb/> wurde leicht gewonnen. Der Hartnäckigkeit des Königs der Niederlande<lb/> aber ließ ſich mit Ueberredung nicht beikommen. Obwohl er in die Thei-<lb/> lung ſeines Königreichs längſt gewilligt hatte und nur noch gegen einzelne<lb/> Artikel des Vertrages ſachliche Einwände erhob, ſo fühlte er ſich doch<lb/> durch das rückſichtsloſe Verfahren der Conferenz tief beleidigt. Er wollte<lb/> dem Coburgiſchen Thronräuber nicht verzeihen und hoffte insgeheim auf<lb/> einen allgemeinen Krieg, der Hollands Entwürdigung noch abwenden<lb/> ſollte. „Nach Allem was geſchehen“, ſchrieb er ſeinem Schwager, „iſt es<lb/> mir unmöglich, in Leopold nicht nach wie vor meinen Feind zu ſehen.<lb/> Meine Sache iſt nicht meine eigene, ſie iſt allen rechtmäßigen Regie-<lb/> rungen gemeinſam.“ Vergeblich hielt ihm Friedrich Wilhelm vor, daß<lb/> Holland ſich durch ſeine Unverſöhnlichkeit den Beiſtand ſeiner Verbün-<lb/> deten ſelbſt verſcherze.<note place="foot" n="*)">Oberſt Scharnhorſt’s Bericht an den König, 28. Aug. Witzleben an Ancillon<lb/> 22. Oct. Eichhorn’s Denkſchrift für Prinz Albrecht 25. Oct. K. Wilhelm d. Niederl.<lb/> an K. Friedrich Wilhelm 5. Dec. Antwort 24. Dec. 1831.</note></p><lb/> <p>Der Oranier nahm dieſe Drohung nicht für Ernſt; er zählte auf<lb/> Rußlands Beiſtand, denn Nikolaus wiederholte beſtändig: ich ratificire<lb/> nicht eher, als bis der rechtmäßige König die Belgier aus dem Unterthanen-<lb/> verbande entlaſſen hat. So drehte man ſich im Kreiſe; die beiden Legi-<lb/> timiſten in Petersburg und im Haag verſteckten ſich einer hinter dem<lb/> andern. Da Ancillon’s Denkſchriften auf den Czaren keinen Eindruck<lb/> machten, ſo ſchrieb König Friedrich Wilhelm ſelbſt: er achte, ja er theile<lb/> die Gefühle ſeines Schwiegerſohnes, aber „ich habe meinem Herzen<lb/> Schweigen auferlegt um den Geboten der politiſchen Vernunft zu ge-<lb/> horchen“; nicht um der Oranier ſondern um Europas willen ſei Belgien<lb/> einſt mit Holland vereinigt worden, alſo dürfe man auch bei der Tren-<lb/> nung nur das allgemeine Intereſſe im Auge haben; bei einem allge-<lb/> meinen Kriege bilde Rußland doch nur die Nachhut, die Laſt des Kampfes<lb/> falle auf Deutſchland, darum ſei es Pflicht der drei Oſtmächte, im Haag<lb/> gemeinſam zu erklären, daß ihre Geduld Grenzen habe.<note place="foot" n="**)">Ancillon, Rundſchreiben an die Geſandtſchaften, 18. Dec. 1831. K. Friedrich<lb/> Wilhelm an K. Nikolaus, nebſt Memorandum, 12. Jan. 1832.</note></p><lb/> <p>Nach langem Widerſtreben und mehrfachen Rückfällen ließ ſich der Czar<lb/> überzeugen und ſendete im Februar 1832 ſeinen Vertrauten Orlow nach<lb/> dem Haag, um dort noch einen letzten Verſuch zu wagen. Als Orlow,<lb/> wie zu erwarten ſtand, bei dem Oranier nichts ausrichtete, erklärte er<lb/> ihm am 22. März rundweg, ſein Kaiſer könne nunmehr die Ratifi-<lb/> cation nicht länger verſchieben und überlaſſe alle Verantwortung dem<lb/> Könige.<note place="foot" n="***)">K. Nikolaus an K. Wilhelm der Niederl. 18. Jan. a. St. Ruſſiſche Denk-<lb/> ſchrift, zur Beantwortung des preußiſchen Memorandums, Febr. Neſſelrode, Weiſung<lb/> an Lieven, Ende März 1832.</note> Bei allen dieſen Verhandlungen wähnte Nikolaus noch immer,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [92/0106]
IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltfriede.
wurde leicht gewonnen. Der Hartnäckigkeit des Königs der Niederlande
aber ließ ſich mit Ueberredung nicht beikommen. Obwohl er in die Thei-
lung ſeines Königreichs längſt gewilligt hatte und nur noch gegen einzelne
Artikel des Vertrages ſachliche Einwände erhob, ſo fühlte er ſich doch
durch das rückſichtsloſe Verfahren der Conferenz tief beleidigt. Er wollte
dem Coburgiſchen Thronräuber nicht verzeihen und hoffte insgeheim auf
einen allgemeinen Krieg, der Hollands Entwürdigung noch abwenden
ſollte. „Nach Allem was geſchehen“, ſchrieb er ſeinem Schwager, „iſt es
mir unmöglich, in Leopold nicht nach wie vor meinen Feind zu ſehen.
Meine Sache iſt nicht meine eigene, ſie iſt allen rechtmäßigen Regie-
rungen gemeinſam.“ Vergeblich hielt ihm Friedrich Wilhelm vor, daß
Holland ſich durch ſeine Unverſöhnlichkeit den Beiſtand ſeiner Verbün-
deten ſelbſt verſcherze. *)
Der Oranier nahm dieſe Drohung nicht für Ernſt; er zählte auf
Rußlands Beiſtand, denn Nikolaus wiederholte beſtändig: ich ratificire
nicht eher, als bis der rechtmäßige König die Belgier aus dem Unterthanen-
verbande entlaſſen hat. So drehte man ſich im Kreiſe; die beiden Legi-
timiſten in Petersburg und im Haag verſteckten ſich einer hinter dem
andern. Da Ancillon’s Denkſchriften auf den Czaren keinen Eindruck
machten, ſo ſchrieb König Friedrich Wilhelm ſelbſt: er achte, ja er theile
die Gefühle ſeines Schwiegerſohnes, aber „ich habe meinem Herzen
Schweigen auferlegt um den Geboten der politiſchen Vernunft zu ge-
horchen“; nicht um der Oranier ſondern um Europas willen ſei Belgien
einſt mit Holland vereinigt worden, alſo dürfe man auch bei der Tren-
nung nur das allgemeine Intereſſe im Auge haben; bei einem allge-
meinen Kriege bilde Rußland doch nur die Nachhut, die Laſt des Kampfes
falle auf Deutſchland, darum ſei es Pflicht der drei Oſtmächte, im Haag
gemeinſam zu erklären, daß ihre Geduld Grenzen habe. **)
Nach langem Widerſtreben und mehrfachen Rückfällen ließ ſich der Czar
überzeugen und ſendete im Februar 1832 ſeinen Vertrauten Orlow nach
dem Haag, um dort noch einen letzten Verſuch zu wagen. Als Orlow,
wie zu erwarten ſtand, bei dem Oranier nichts ausrichtete, erklärte er
ihm am 22. März rundweg, ſein Kaiſer könne nunmehr die Ratifi-
cation nicht länger verſchieben und überlaſſe alle Verantwortung dem
Könige. ***) Bei allen dieſen Verhandlungen wähnte Nikolaus noch immer,
*) Oberſt Scharnhorſt’s Bericht an den König, 28. Aug. Witzleben an Ancillon
22. Oct. Eichhorn’s Denkſchrift für Prinz Albrecht 25. Oct. K. Wilhelm d. Niederl.
an K. Friedrich Wilhelm 5. Dec. Antwort 24. Dec. 1831.
**) Ancillon, Rundſchreiben an die Geſandtſchaften, 18. Dec. 1831. K. Friedrich
Wilhelm an K. Nikolaus, nebſt Memorandum, 12. Jan. 1832.
***) K. Nikolaus an K. Wilhelm der Niederl. 18. Jan. a. St. Ruſſiſche Denk-
ſchrift, zur Beantwortung des preußiſchen Memorandums, Febr. Neſſelrode, Weiſung
an Lieven, Ende März 1832.
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