schaft, ein constitutionelles Ministerium berufen, dessen Leitung Freiherr Schenk von Schweinsberg übernahm, und den Vertrauten der Reichenbach, Meysenbug, mit dem unpolitischen Amte des Hausministers abfinden. Wie viel noch an einem gesicherten Rechtszustande fehlte, das fühlte man jetzt erst, als im Landtage die unendliche Reihe der organischen Gesetze aufgezählt wurde, die noch nöthig waren um alle die reichen Versprechungen des Staatsgrundgesetzes zu erfüllen.
Die Verfassung selbst wurde schon im Februar in Frankfurt einge- reicht, damit der Bundestag die Bürgschaft dafür übernähme. Die Bun- desversammlung aber that, wie in allen schwierigen Fällen, gar nichts. Metternich verlangte kurzweg die Abweisung des Gesuchs, und als Preußen, von mehrern Mittelstaaten unterstützt, widersprach, ließ er in einer Denk- schrift alle die Sätze der Verfassung zusammenstellen, welche dem "monar- chischen Princip" zuwiderlaufen sollten. Ganz im Sinne der Hofburg verfaßte auch der Berichterstatter Blittersdorff sein Gutachten. Einen so rechtswidrigen Uebergriff des Bundestags konnte jedoch der Großherzog von Baden als constitutioneller Fürst unmöglich gutheißen; seine Regie- rung sprach sich nachdrücklich gegen die Meinung des eigenen Gesandten aus, und nachdem man noch eine Weile vertraulich gestritten hatte, wurde schließlich, nach dritthalb Jahren, im October 1833 dem Casseler Hofe unter der Hand mitgetheilt, daß der Bundestag in dieser Sache keinen Beschluß fassen könne. Durch diese lächerliche Entscheidung waren Oester- reichs Anschläge vorläufig vereitelt; die kurhessische Verfassung bestand in anerkannter Wirksamkeit, der Bundestag hatte sie ohne Widerspruch ent- gegengenommen, mithin durfte sie, nach der Wiener Schlußakte und dem Braunschweigischen Präcedenzfalle, nicht mehr einseitig abgeändert werden.
Unterdessen bemerkten die Casseler bald, daß der Landesvater etwas im Schilde führte. Auf Wilhelmshöhe wurde unaufhörlich gepackt; Silber- zeug und Kostbarkeiten, selbst Thürschlösser, Oefen und Parketböden ver- schwanden in großen Frachtwagen, die nach Frankfurt zu der Reichenbach ab- gingen; zugleich ließ das Hofmarschallamt eine Menge kurfürstlicher Pferde versteigern.*) Und wieder rotteten sich die Krawaller zusammen um die Abfahrt der Wagen zu verhindern. Der Kurfürst selbst war in der Stadt vor beleidigenden Zurufen nicht sicher; seine Gemahlin aber erschien auf den Bürgerbällen, wie die anderen Damen in die weißblauen Stadtfarben gekleidet, und empfing die ehrfurchtsvollen Huldigungen der Herren, die allesammt die "Constitutions-Schleife" im Knopfloch trugen. Sobald der Landtag geschlossen war, am 10. März, verschwand der Kurfürst mit seinem Meysenbug aus Wilhelmshöhe und fuhr nach seinen Schlössern im Hanauerlande, wo er mit seiner Geliebten zusammentraf. Die radi- calen Hanauer wußten sich vor Freuden kaum zu lassen, als der Landes-
*) Hänlein's Bericht, 19. Febr. 1831.
Rückkehr und Flucht der Gräfin Reichenbach.
ſchaft, ein conſtitutionelles Miniſterium berufen, deſſen Leitung Freiherr Schenk von Schweinsberg übernahm, und den Vertrauten der Reichenbach, Meyſenbug, mit dem unpolitiſchen Amte des Hausminiſters abfinden. Wie viel noch an einem geſicherten Rechtszuſtande fehlte, das fühlte man jetzt erſt, als im Landtage die unendliche Reihe der organiſchen Geſetze aufgezählt wurde, die noch nöthig waren um alle die reichen Verſprechungen des Staatsgrundgeſetzes zu erfüllen.
Die Verfaſſung ſelbſt wurde ſchon im Februar in Frankfurt einge- reicht, damit der Bundestag die Bürgſchaft dafür übernähme. Die Bun- desverſammlung aber that, wie in allen ſchwierigen Fällen, gar nichts. Metternich verlangte kurzweg die Abweiſung des Geſuchs, und als Preußen, von mehrern Mittelſtaaten unterſtützt, widerſprach, ließ er in einer Denk- ſchrift alle die Sätze der Verfaſſung zuſammenſtellen, welche dem „monar- chiſchen Princip“ zuwiderlaufen ſollten. Ganz im Sinne der Hofburg verfaßte auch der Berichterſtatter Blittersdorff ſein Gutachten. Einen ſo rechtswidrigen Uebergriff des Bundestags konnte jedoch der Großherzog von Baden als conſtitutioneller Fürſt unmöglich gutheißen; ſeine Regie- rung ſprach ſich nachdrücklich gegen die Meinung des eigenen Geſandten aus, und nachdem man noch eine Weile vertraulich geſtritten hatte, wurde ſchließlich, nach dritthalb Jahren, im October 1833 dem Caſſeler Hofe unter der Hand mitgetheilt, daß der Bundestag in dieſer Sache keinen Beſchluß faſſen könne. Durch dieſe lächerliche Entſcheidung waren Oeſter- reichs Anſchläge vorläufig vereitelt; die kurheſſiſche Verfaſſung beſtand in anerkannter Wirkſamkeit, der Bundestag hatte ſie ohne Widerſpruch ent- gegengenommen, mithin durfte ſie, nach der Wiener Schlußakte und dem Braunſchweigiſchen Präcedenzfalle, nicht mehr einſeitig abgeändert werden.
Unterdeſſen bemerkten die Caſſeler bald, daß der Landesvater etwas im Schilde führte. Auf Wilhelmshöhe wurde unaufhörlich gepackt; Silber- zeug und Koſtbarkeiten, ſelbſt Thürſchlöſſer, Oefen und Parketböden ver- ſchwanden in großen Frachtwagen, die nach Frankfurt zu der Reichenbach ab- gingen; zugleich ließ das Hofmarſchallamt eine Menge kurfürſtlicher Pferde verſteigern.*) Und wieder rotteten ſich die Krawaller zuſammen um die Abfahrt der Wagen zu verhindern. Der Kurfürſt ſelbſt war in der Stadt vor beleidigenden Zurufen nicht ſicher; ſeine Gemahlin aber erſchien auf den Bürgerbällen, wie die anderen Damen in die weißblauen Stadtfarben gekleidet, und empfing die ehrfurchtsvollen Huldigungen der Herren, die alleſammt die „Conſtitutions-Schleife“ im Knopfloch trugen. Sobald der Landtag geſchloſſen war, am 10. März, verſchwand der Kurfürſt mit ſeinem Meyſenbug aus Wilhelmshöhe und fuhr nach ſeinen Schlöſſern im Hanauerlande, wo er mit ſeiner Geliebten zuſammentraf. Die radi- calen Hanauer wußten ſich vor Freuden kaum zu laſſen, als der Landes-
*) Hänlein’s Bericht, 19. Febr. 1831.
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Rückkehr und Flucht der Gräfin Reichenbach.
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Schenk von Schweinsberg übernahm, und den Vertrauten der Reichenbach,
Meyſenbug, mit dem unpolitiſchen Amte des Hausminiſters abfinden.
Wie viel noch an einem geſicherten Rechtszuſtande fehlte, das fühlte man
jetzt erſt, als im Landtage die unendliche Reihe der organiſchen Geſetze
aufgezählt wurde, die noch nöthig waren um alle die reichen Verſprechungen
des Staatsgrundgeſetzes zu erfüllen.
Die Verfaſſung ſelbſt wurde ſchon im Februar in Frankfurt einge-
reicht, damit der Bundestag die Bürgſchaft dafür übernähme. Die Bun-
desverſammlung aber that, wie in allen ſchwierigen Fällen, gar nichts.
Metternich verlangte kurzweg die Abweiſung des Geſuchs, und als Preußen,
von mehrern Mittelſtaaten unterſtützt, widerſprach, ließ er in einer Denk-
ſchrift alle die Sätze der Verfaſſung zuſammenſtellen, welche dem „monar-
chiſchen Princip“ zuwiderlaufen ſollten. Ganz im Sinne der Hofburg
verfaßte auch der Berichterſtatter Blittersdorff ſein Gutachten. Einen ſo
rechtswidrigen Uebergriff des Bundestags konnte jedoch der Großherzog
von Baden als conſtitutioneller Fürſt unmöglich gutheißen; ſeine Regie-
rung ſprach ſich nachdrücklich gegen die Meinung des eigenen Geſandten
aus, und nachdem man noch eine Weile vertraulich geſtritten hatte, wurde
ſchließlich, nach dritthalb Jahren, im October 1833 dem Caſſeler Hofe
unter der Hand mitgetheilt, daß der Bundestag in dieſer Sache keinen
Beſchluß faſſen könne. Durch dieſe lächerliche Entſcheidung waren Oeſter-
reichs Anſchläge vorläufig vereitelt; die kurheſſiſche Verfaſſung beſtand in
anerkannter Wirkſamkeit, der Bundestag hatte ſie ohne Widerſpruch ent-
gegengenommen, mithin durfte ſie, nach der Wiener Schlußakte und dem
Braunſchweigiſchen Präcedenzfalle, nicht mehr einſeitig abgeändert werden.
Unterdeſſen bemerkten die Caſſeler bald, daß der Landesvater etwas
im Schilde führte. Auf Wilhelmshöhe wurde unaufhörlich gepackt; Silber-
zeug und Koſtbarkeiten, ſelbſt Thürſchlöſſer, Oefen und Parketböden ver-
ſchwanden in großen Frachtwagen, die nach Frankfurt zu der Reichenbach ab-
gingen; zugleich ließ das Hofmarſchallamt eine Menge kurfürſtlicher Pferde
verſteigern. *) Und wieder rotteten ſich die Krawaller zuſammen um die
Abfahrt der Wagen zu verhindern. Der Kurfürſt ſelbſt war in der Stadt
vor beleidigenden Zurufen nicht ſicher; ſeine Gemahlin aber erſchien auf
den Bürgerbällen, wie die anderen Damen in die weißblauen Stadtfarben
gekleidet, und empfing die ehrfurchtsvollen Huldigungen der Herren, die
alleſammt die „Conſtitutions-Schleife“ im Knopfloch trugen. Sobald der
Landtag geſchloſſen war, am 10. März, verſchwand der Kurfürſt mit
ſeinem Meyſenbug aus Wilhelmshöhe und fuhr nach ſeinen Schlöſſern
im Hanauerlande, wo er mit ſeiner Geliebten zuſammentraf. Die radi-
calen Hanauer wußten ſich vor Freuden kaum zu laſſen, als der Landes-
*) Hänlein’s Bericht, 19. Febr. 1831.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/151>, abgerufen am 04.12.2024.
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