IV. 2. Die constitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
Berechtigten durch verzinsliche Inhaberpapiere entschädigte und damit den Pflichtigen die Ablösung erleichterte. Nach mehrjährigen Verhandlungen trat endlich auch die Markgrafschaft Oberlausitz in die Verwaltungsord- nung der Erblande ein.
Der neue Landtag zeigte anfangs eine fast kindliche Bescheidenheit, obwohl Tiedge herausfordernd sang: "wir haben Männer wie unsern Eisenstuck;" der abstrakte Liberalismus der Rotteck-Welckerschen Schule fand hier vorderhand noch gar keine Vertreter. An gesundem praktischem Verstande aber war kein Mangel; einzelne Redner, wie der ehrenfeste Aristokrat Albert v. Carlowitz und der Leipziger Bürgermeister Deutrich wagten auch schon über die grünweißen Grenzpfähle hinauszuschauen. Großes Aufsehen erregte an den Höfen die parlamentarische Thätigkeit des Prinzen Johann, der allein unter allen Prinzen der deutschen regie- renden Häuser seinen Platz in der ersten Kammer regelmäßig einnahm und durch seine etwas trocken juristischen, aber stets sachkundigen und ver- ständigen Arbeiten diese schwierige Stellung würdig zu behaupten wußte. Wer durfte es Karl Böttiger dem Unaufhaltsamen verargen, daß er den gelehrten Prinzen in wohlgedrechselten griechischen Distichen als den pur- gos Sassonias verherrlichte? Seit das starre alte System gebrochen war und der Zollverein dem gewerbfleißigen Lande seinen natürlichen Markt eröffnete, erwachte überall ein frischeres Leben. Die Volkswirth- schaft blühte auf, das Schulwesen ward mit Einsicht verbessert, die Leip- ziger Kramer-Innung gründete ihre große Handelslehranstalt; fast in jeden Städtchen sorgte ein thätiger Mann, wie der wackere Pastor Böhmert in Roßwein, für Sonntagsschulen, Sparkassen, Gewerbevereine. Auch der Kunstsinn ward reger seit der neue Kunstverein seine Ausstellungen hielt; in die ganz verzopfte Dresdener Akademie trat der junge Ludwig Richter ein und wagte zuerst wieder, seine Schüler zum Landschaftszeichnen in die freie Luft hinaus zu führen. Der gesammten deutschen Baukunst aber erwies Friedrich August einen folgenreichen Dienst, als er den frucht- barsten und gedankenreichsten der jüngeren Baumeister, den Holsten Gott- fried Semper nach Dresden berief um das neue Theater mitten hinein zu stellen zwischen die flimmernde Pracht des Zwingers und der Hofkirche; in solcher Umgebung entstanden wie von selbst die Entwürfe zu jenen reichen römischen Renaissancebauten, welche minder überladen als die Werke des Barockstils, dem malerisch gestimmten modernen Auge doch wärmer, vertrauter, zweckmäßiger erschienen als Schinkel's hellenische Tempel.
Gleichwohl sammelte sich während dieser glücklichen Zeit in der Stille viel Groll an. Die lang anhaltende gemüthliche Unordnung des Revo- lutionsjahres hatte die niederen Stände, zumal in der Hauptstadt, an einen rohen radicalen Ton gewöhnt. Niemand wollte eingestehen, daß die Regierung sehr hoch über ihrem Volke stand, daß erst Lindenau und seine Freunde der völlig unklaren Bewegung einen politischen Inhalt gegeben
IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
Berechtigten durch verzinsliche Inhaberpapiere entſchädigte und damit den Pflichtigen die Ablöſung erleichterte. Nach mehrjährigen Verhandlungen trat endlich auch die Markgrafſchaft Oberlauſitz in die Verwaltungsord- nung der Erblande ein.
Der neue Landtag zeigte anfangs eine faſt kindliche Beſcheidenheit, obwohl Tiedge herausfordernd ſang: „wir haben Männer wie unſern Eiſenſtuck;“ der abſtrakte Liberalismus der Rotteck-Welckerſchen Schule fand hier vorderhand noch gar keine Vertreter. An geſundem praktiſchem Verſtande aber war kein Mangel; einzelne Redner, wie der ehrenfeſte Ariſtokrat Albert v. Carlowitz und der Leipziger Bürgermeiſter Deutrich wagten auch ſchon über die grünweißen Grenzpfähle hinauszuſchauen. Großes Aufſehen erregte an den Höfen die parlamentariſche Thätigkeit des Prinzen Johann, der allein unter allen Prinzen der deutſchen regie- renden Häuſer ſeinen Platz in der erſten Kammer regelmäßig einnahm und durch ſeine etwas trocken juriſtiſchen, aber ſtets ſachkundigen und ver- ſtändigen Arbeiten dieſe ſchwierige Stellung würdig zu behaupten wußte. Wer durfte es Karl Böttiger dem Unaufhaltſamen verargen, daß er den gelehrten Prinzen in wohlgedrechſelten griechiſchen Diſtichen als den πύϱ- γος Σασσονίας verherrlichte? Seit das ſtarre alte Syſtem gebrochen war und der Zollverein dem gewerbfleißigen Lande ſeinen natürlichen Markt eröffnete, erwachte überall ein friſcheres Leben. Die Volkswirth- ſchaft blühte auf, das Schulweſen ward mit Einſicht verbeſſert, die Leip- ziger Kramer-Innung gründete ihre große Handelslehranſtalt; faſt in jeden Städtchen ſorgte ein thätiger Mann, wie der wackere Paſtor Böhmert in Roßwein, für Sonntagsſchulen, Sparkaſſen, Gewerbevereine. Auch der Kunſtſinn ward reger ſeit der neue Kunſtverein ſeine Ausſtellungen hielt; in die ganz verzopfte Dresdener Akademie trat der junge Ludwig Richter ein und wagte zuerſt wieder, ſeine Schüler zum Landſchaftszeichnen in die freie Luft hinaus zu führen. Der geſammten deutſchen Baukunſt aber erwies Friedrich Auguſt einen folgenreichen Dienſt, als er den frucht- barſten und gedankenreichſten der jüngeren Baumeiſter, den Holſten Gott- fried Semper nach Dresden berief um das neue Theater mitten hinein zu ſtellen zwiſchen die flimmernde Pracht des Zwingers und der Hofkirche; in ſolcher Umgebung entſtanden wie von ſelbſt die Entwürfe zu jenen reichen römiſchen Renaiſſancebauten, welche minder überladen als die Werke des Barockſtils, dem maleriſch geſtimmten modernen Auge doch wärmer, vertrauter, zweckmäßiger erſchienen als Schinkel’s helleniſche Tempel.
Gleichwohl ſammelte ſich während dieſer glücklichen Zeit in der Stille viel Groll an. Die lang anhaltende gemüthliche Unordnung des Revo- lutionsjahres hatte die niederen Stände, zumal in der Hauptſtadt, an einen rohen radicalen Ton gewöhnt. Niemand wollte eingeſtehen, daß die Regierung ſehr hoch über ihrem Volke ſtand, daß erſt Lindenau und ſeine Freunde der völlig unklaren Bewegung einen politiſchen Inhalt gegeben
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IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
Berechtigten durch verzinsliche Inhaberpapiere entſchädigte und damit den
Pflichtigen die Ablöſung erleichterte. Nach mehrjährigen Verhandlungen
trat endlich auch die Markgrafſchaft Oberlauſitz in die Verwaltungsord-
nung der Erblande ein.
Der neue Landtag zeigte anfangs eine faſt kindliche Beſcheidenheit,
obwohl Tiedge herausfordernd ſang: „wir haben Männer wie unſern
Eiſenſtuck;“ der abſtrakte Liberalismus der Rotteck-Welckerſchen Schule
fand hier vorderhand noch gar keine Vertreter. An geſundem praktiſchem
Verſtande aber war kein Mangel; einzelne Redner, wie der ehrenfeſte
Ariſtokrat Albert v. Carlowitz und der Leipziger Bürgermeiſter Deutrich
wagten auch ſchon über die grünweißen Grenzpfähle hinauszuſchauen.
Großes Aufſehen erregte an den Höfen die parlamentariſche Thätigkeit
des Prinzen Johann, der allein unter allen Prinzen der deutſchen regie-
renden Häuſer ſeinen Platz in der erſten Kammer regelmäßig einnahm
und durch ſeine etwas trocken juriſtiſchen, aber ſtets ſachkundigen und ver-
ſtändigen Arbeiten dieſe ſchwierige Stellung würdig zu behaupten wußte.
Wer durfte es Karl Böttiger dem Unaufhaltſamen verargen, daß er den
gelehrten Prinzen in wohlgedrechſelten griechiſchen Diſtichen als den πύϱ-
γος Σασσονίας verherrlichte? Seit das ſtarre alte Syſtem gebrochen
war und der Zollverein dem gewerbfleißigen Lande ſeinen natürlichen
Markt eröffnete, erwachte überall ein friſcheres Leben. Die Volkswirth-
ſchaft blühte auf, das Schulweſen ward mit Einſicht verbeſſert, die Leip-
ziger Kramer-Innung gründete ihre große Handelslehranſtalt; faſt in jeden
Städtchen ſorgte ein thätiger Mann, wie der wackere Paſtor Böhmert
in Roßwein, für Sonntagsſchulen, Sparkaſſen, Gewerbevereine. Auch
der Kunſtſinn ward reger ſeit der neue Kunſtverein ſeine Ausſtellungen
hielt; in die ganz verzopfte Dresdener Akademie trat der junge Ludwig
Richter ein und wagte zuerſt wieder, ſeine Schüler zum Landſchaftszeichnen
in die freie Luft hinaus zu führen. Der geſammten deutſchen Baukunſt
aber erwies Friedrich Auguſt einen folgenreichen Dienſt, als er den frucht-
barſten und gedankenreichſten der jüngeren Baumeiſter, den Holſten Gott-
fried Semper nach Dresden berief um das neue Theater mitten hinein
zu ſtellen zwiſchen die flimmernde Pracht des Zwingers und der Hofkirche;
in ſolcher Umgebung entſtanden wie von ſelbſt die Entwürfe zu jenen
reichen römiſchen Renaiſſancebauten, welche minder überladen als die Werke
des Barockſtils, dem maleriſch geſtimmten modernen Auge doch wärmer,
vertrauter, zweckmäßiger erſchienen als Schinkel’s helleniſche Tempel.
Gleichwohl ſammelte ſich während dieſer glücklichen Zeit in der Stille
viel Groll an. Die lang anhaltende gemüthliche Unordnung des Revo-
lutionsjahres hatte die niederen Stände, zumal in der Hauptſtadt, an
einen rohen radicalen Ton gewöhnt. Niemand wollte eingeſtehen, daß
die Regierung ſehr hoch über ihrem Volke ſtand, daß erſt Lindenau und
ſeine Freunde der völlig unklaren Bewegung einen politiſchen Inhalt gegeben
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/166>, abgerufen am 04.12.2024.
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