IV. 2. Die constitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
noch die Akten seines Processes zu veröffentlichen, sondern ließ sich ge- duldig zur Festungsstrafe verurtheilen, da er ja unleugbar seine Amts- pflicht verletzt hatte.
Und doch wirkte Lornsen's Schrift mächtig nach; sie ward wirklich, wie die dänischen Beamten grollend sagten, eine in die Herzogthümer geschleuderte Brandfackel, sie verbreitete den Gedanken der Selbständig- keit des untheilbaren Schleswigholsteins in weiten Kreisen des Mittel- standes, welche einst dem Kampfe des Adels um das alte Landesrecht gleichgiltig zugeschaut hatten. In wenigen Monaten erschienen dreißig Flugschriften für und wider. Manche darunter ergingen sich nur in philisterhaften Klagen über den bacchantischen Taumel der neuerungs- süchtigen Zeit, über die taktlose, dem heißgeliebten Könige zugefügte Krän- kung, und mahnten gemüthlich: ein Jeder lern' seine Lektion, so wird es wohl im Lande stohn. Wit v. Dörring, der Verräther der Burschen- schaft, hatte sogar die Frechheit, seine holsteinischen Landsleute zu warnen vor jenem "Deutschland, das niemals war, nirgends ist und niemals sein wird". A. Binzer aber, Lornsen's sangeslustiger Freund von Jena her, und der junge Historiker Michelsen gingen dem Dänen Schmidt- Phiseldeck scharf zu Leibe und erklärten rundheraus: Schleswigholstein verlange nicht die Unabhängigkeit wie Belgien, sondern eine selbständige Stellung unter dem dänischen Königshause, wie sie Hannover neben Eng- land oder Finnland neben Rußland einnehme. Der greise König, der in seiner Angst dem Statthalter der Herzogthümer schon außerordentliche Vollmachten zur Unterdrückung von Ruhestörungen ertheilt hatte, er- kannte nun doch, daß er einlenken müsse. Durch ein Gesetz vom 28. Mai 1831 verkündete er seine Absicht, in jedem der beiden Herzogthümer, ebenso in Jütland und auf Seeland einen berathenden Provinziallandtag nach preußischem Muster einzuführen. Weiter wollte er nicht gehen; vorsorg- lich hatte er schon seinen oldenburgischen Nachbarn durch die Höfe von Berlin und Petersburg vor den Gefahren des reinen Repräsentativ- systems warnen lassen.*)
Immerhin war nunmehr die erste Bresche geschlagen in das schranken- lose Alleingewalt-Erbkönigthum des dänischen Königsgesetzes, und der un- glückliche Lornsen, der jetzt von den Wällen der einsamen Feste Friedrichsort auf die Gewässer der Kieler Föhrde hinausblickte, durfte sich sagen, daß er den Dänen wie den Holsten die Bahn eines freieren Staatslebens eröffnet hatte. Da das neue Gesetz die Untheilbarkeit Schleswigholsteins zu bedrohen schien, so legte die Ritterschaft am 7. Juli förmliche Ver- wahrung ein und erklärte dem Könige, das alte Landesrecht könne durch diese blos administrative Maßregel nicht berührt werden. Die Krone ließ es an Beschwichtigungen nicht fehlen und berief im folgenden Jahre
*) Schöler's Bericht, Petersburg 30. März 1831.
IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
noch die Akten ſeines Proceſſes zu veröffentlichen, ſondern ließ ſich ge- duldig zur Feſtungsſtrafe verurtheilen, da er ja unleugbar ſeine Amts- pflicht verletzt hatte.
Und doch wirkte Lornſen’s Schrift mächtig nach; ſie ward wirklich, wie die däniſchen Beamten grollend ſagten, eine in die Herzogthümer geſchleuderte Brandfackel, ſie verbreitete den Gedanken der Selbſtändig- keit des untheilbaren Schleswigholſteins in weiten Kreiſen des Mittel- ſtandes, welche einſt dem Kampfe des Adels um das alte Landesrecht gleichgiltig zugeſchaut hatten. In wenigen Monaten erſchienen dreißig Flugſchriften für und wider. Manche darunter ergingen ſich nur in philiſterhaften Klagen über den bacchantiſchen Taumel der neuerungs- ſüchtigen Zeit, über die taktloſe, dem heißgeliebten Könige zugefügte Krän- kung, und mahnten gemüthlich: ein Jeder lern’ ſeine Lektion, ſo wird es wohl im Lande ſtohn. Wit v. Dörring, der Verräther der Burſchen- ſchaft, hatte ſogar die Frechheit, ſeine holſteiniſchen Landsleute zu warnen vor jenem „Deutſchland, das niemals war, nirgends iſt und niemals ſein wird“. A. Binzer aber, Lornſen’s ſangesluſtiger Freund von Jena her, und der junge Hiſtoriker Michelſen gingen dem Dänen Schmidt- Phiſeldeck ſcharf zu Leibe und erklärten rundheraus: Schleswigholſtein verlange nicht die Unabhängigkeit wie Belgien, ſondern eine ſelbſtändige Stellung unter dem däniſchen Königshauſe, wie ſie Hannover neben Eng- land oder Finnland neben Rußland einnehme. Der greiſe König, der in ſeiner Angſt dem Statthalter der Herzogthümer ſchon außerordentliche Vollmachten zur Unterdrückung von Ruheſtörungen ertheilt hatte, er- kannte nun doch, daß er einlenken müſſe. Durch ein Geſetz vom 28. Mai 1831 verkündete er ſeine Abſicht, in jedem der beiden Herzogthümer, ebenſo in Jütland und auf Seeland einen berathenden Provinziallandtag nach preußiſchem Muſter einzuführen. Weiter wollte er nicht gehen; vorſorg- lich hatte er ſchon ſeinen oldenburgiſchen Nachbarn durch die Höfe von Berlin und Petersburg vor den Gefahren des reinen Repräſentativ- ſyſtems warnen laſſen.*)
Immerhin war nunmehr die erſte Breſche geſchlagen in das ſchranken- loſe Alleingewalt-Erbkönigthum des däniſchen Königsgeſetzes, und der un- glückliche Lornſen, der jetzt von den Wällen der einſamen Feſte Friedrichsort auf die Gewäſſer der Kieler Föhrde hinausblickte, durfte ſich ſagen, daß er den Dänen wie den Holſten die Bahn eines freieren Staatslebens eröffnet hatte. Da das neue Geſetz die Untheilbarkeit Schleswigholſteins zu bedrohen ſchien, ſo legte die Ritterſchaft am 7. Juli förmliche Ver- wahrung ein und erklärte dem Könige, das alte Landesrecht könne durch dieſe blos adminiſtrative Maßregel nicht berührt werden. Die Krone ließ es an Beſchwichtigungen nicht fehlen und berief im folgenden Jahre
*) Schöler’s Bericht, Petersburg 30. März 1831.
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IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
noch die Akten ſeines Proceſſes zu veröffentlichen, ſondern ließ ſich ge-
duldig zur Feſtungsſtrafe verurtheilen, da er ja unleugbar ſeine Amts-
pflicht verletzt hatte.
Und doch wirkte Lornſen’s Schrift mächtig nach; ſie ward wirklich,
wie die däniſchen Beamten grollend ſagten, eine in die Herzogthümer
geſchleuderte Brandfackel, ſie verbreitete den Gedanken der Selbſtändig-
keit des untheilbaren Schleswigholſteins in weiten Kreiſen des Mittel-
ſtandes, welche einſt dem Kampfe des Adels um das alte Landesrecht
gleichgiltig zugeſchaut hatten. In wenigen Monaten erſchienen dreißig
Flugſchriften für und wider. Manche darunter ergingen ſich nur in
philiſterhaften Klagen über den bacchantiſchen Taumel der neuerungs-
ſüchtigen Zeit, über die taktloſe, dem heißgeliebten Könige zugefügte Krän-
kung, und mahnten gemüthlich: ein Jeder lern’ ſeine Lektion, ſo wird es
wohl im Lande ſtohn. Wit v. Dörring, der Verräther der Burſchen-
ſchaft, hatte ſogar die Frechheit, ſeine holſteiniſchen Landsleute zu warnen
vor jenem „Deutſchland, das niemals war, nirgends iſt und niemals
ſein wird“. A. Binzer aber, Lornſen’s ſangesluſtiger Freund von Jena
her, und der junge Hiſtoriker Michelſen gingen dem Dänen Schmidt-
Phiſeldeck ſcharf zu Leibe und erklärten rundheraus: Schleswigholſtein
verlange nicht die Unabhängigkeit wie Belgien, ſondern eine ſelbſtändige
Stellung unter dem däniſchen Königshauſe, wie ſie Hannover neben Eng-
land oder Finnland neben Rußland einnehme. Der greiſe König, der
in ſeiner Angſt dem Statthalter der Herzogthümer ſchon außerordentliche
Vollmachten zur Unterdrückung von Ruheſtörungen ertheilt hatte, er-
kannte nun doch, daß er einlenken müſſe. Durch ein Geſetz vom 28. Mai
1831 verkündete er ſeine Abſicht, in jedem der beiden Herzogthümer, ebenſo
in Jütland und auf Seeland einen berathenden Provinziallandtag nach
preußiſchem Muſter einzuführen. Weiter wollte er nicht gehen; vorſorg-
lich hatte er ſchon ſeinen oldenburgiſchen Nachbarn durch die Höfe von
Berlin und Petersburg vor den Gefahren des reinen Repräſentativ-
ſyſtems warnen laſſen. *)
Immerhin war nunmehr die erſte Breſche geſchlagen in das ſchranken-
loſe Alleingewalt-Erbkönigthum des däniſchen Königsgeſetzes, und der un-
glückliche Lornſen, der jetzt von den Wällen der einſamen Feſte Friedrichsort
auf die Gewäſſer der Kieler Föhrde hinausblickte, durfte ſich ſagen, daß
er den Dänen wie den Holſten die Bahn eines freieren Staatslebens
eröffnet hatte. Da das neue Geſetz die Untheilbarkeit Schleswigholſteins
zu bedrohen ſchien, ſo legte die Ritterſchaft am 7. Juli förmliche Ver-
wahrung ein und erklärte dem Könige, das alte Landesrecht könne durch
dieſe blos adminiſtrative Maßregel nicht berührt werden. Die Krone
ließ es an Beſchwichtigungen nicht fehlen und berief im folgenden Jahre
*) Schöler’s Bericht, Petersburg 30. März 1831.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/186>, abgerufen am 17.09.2024.
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