IV. 2. Die constitutionelle Bewegung in Norddeutschland.
gebenen deutschen Lande gewissenhaft schonte, den Zerfall des dänischen Gesammtstaates vielleicht noch abwenden.
Die Dänen aber begannen bereits andere Wege zu gehen. Ihr Selbstgefühl war durch die Nachgiebigkeit des Königs, die sie doch allein dem Deutschen Lornsen verdankten, mächtig angewachsen, sie feierten den Geburtstag ihrer neuen Verfassung als ein nationales Fest. Nicht ganz mit Unrecht. Eine neue Epoche der dänischen Geschichte war angebrochen, und der vertriebene Schwedenkönig Gustav IV. wußte wohl, warum er als möglicher Erbe der Krone feierliche Verwahrung einlegte gegen die vollzogene Beschränkung der absoluten Königsgewalt. Die Hauptstadt hallte wider von politischen Kämpfen, und in der allezeit erregbaren Kopenhagener Jugend bildete sich schon eine neue Partei, die den natio- nalen Gedanken über jede andere Rücksicht stellte. Diese Eiderdänen, wie man sie späterhin nannte, verdammten die Bildung der neuen schleswigholsteinischen Provinzialregierung als einen argen Mißgriff und verlangten die gänzliche Trennung der beiden Herzogthümer; sie wollten im Nothfall auf das deutsche Holstein, das man doch nicht danisiren könne, verzichten, Schleswig aber bedingungslos dem Einheitsstaate Dänemark einverleiben und auch die rein-deutsche Südhälfte dieses Herzogthums gewaltsam der skandinavischen Gesittung unterwerfen. Noch ward die neue Losung "Dänemark bis zur Eider" nur von wenigen übermüthigen jungen Männern nachgesprochen; aber die Zahl ihrer Anhänger wuchs, und gelangten die Eiderdänen je zur Herrschaft, so wurden unfehlbar alle die drei politischen Kräfte, welche im Volke Schleswigholsteins noch halb unbewußt arbeiteten, zugleich aufgeregt und zu unversöhnlichem Widerstande gezwungen: das Rechtsgefühl, der Freiheitsmuth, der deutsche Nationalstolz.
Wieder war es Lornsen, der zuerst in der Nordmark die Zeichen der verwandelten Zeit erkannte. Der hatte sich während seiner Haft rastlos forschend in die Geschichte der Herzogthümer eingelebt und mit freudigem Erstaunen entdeckt, wie fast Alles was er einst aus politischen Gründen für seine Heimath verlangt, schon in den alten Freiheitsbriefen des Landes begründet war: "Die Schleswigholsteiner", so sagte er nunmehr, "haben nichts zu wünschen was sie nicht auch zu fordern ein Recht haben." Froh dieser neu gewonnenen Erkenntniß arbeitete er nun an einem Buche über "Die Unionsverfassung Dänemarks und Schleswigholsteins", um seinen Landsleuten zu zeigen, wie sie auf dem Boden ihres alten Rechtes den neuen Staat Schleswigholstein aufbauen sollten. Gegen Falck's streng conservative Gesinnung sprach er sehr scharf, nicht ohne die Un- gerechtigkeit, welche den Vertretern neuer, zukunftsreicher Gedanken anzu- haften pflegt. Sein Ziel lag schon höher: er wollte jetzt die reine Per- sonalunion, die Selbständigkeit des transalbingischen Staates auch im Heerwesen und Staatshaushalt. Er warnte die Holsten vor dem gut-
IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
gebenen deutſchen Lande gewiſſenhaft ſchonte, den Zerfall des däniſchen Geſammtſtaates vielleicht noch abwenden.
Die Dänen aber begannen bereits andere Wege zu gehen. Ihr Selbſtgefühl war durch die Nachgiebigkeit des Königs, die ſie doch allein dem Deutſchen Lornſen verdankten, mächtig angewachſen, ſie feierten den Geburtstag ihrer neuen Verfaſſung als ein nationales Feſt. Nicht ganz mit Unrecht. Eine neue Epoche der däniſchen Geſchichte war angebrochen, und der vertriebene Schwedenkönig Guſtav IV. wußte wohl, warum er als möglicher Erbe der Krone feierliche Verwahrung einlegte gegen die vollzogene Beſchränkung der abſoluten Königsgewalt. Die Hauptſtadt hallte wider von politiſchen Kämpfen, und in der allezeit erregbaren Kopenhagener Jugend bildete ſich ſchon eine neue Partei, die den natio- nalen Gedanken über jede andere Rückſicht ſtellte. Dieſe Eiderdänen, wie man ſie ſpäterhin nannte, verdammten die Bildung der neuen ſchleswigholſteiniſchen Provinzialregierung als einen argen Mißgriff und verlangten die gänzliche Trennung der beiden Herzogthümer; ſie wollten im Nothfall auf das deutſche Holſtein, das man doch nicht daniſiren könne, verzichten, Schleswig aber bedingungslos dem Einheitsſtaate Dänemark einverleiben und auch die rein-deutſche Südhälfte dieſes Herzogthums gewaltſam der ſkandinaviſchen Geſittung unterwerfen. Noch ward die neue Loſung „Dänemark bis zur Eider“ nur von wenigen übermüthigen jungen Männern nachgeſprochen; aber die Zahl ihrer Anhänger wuchs, und gelangten die Eiderdänen je zur Herrſchaft, ſo wurden unfehlbar alle die drei politiſchen Kräfte, welche im Volke Schleswigholſteins noch halb unbewußt arbeiteten, zugleich aufgeregt und zu unverſöhnlichem Widerſtande gezwungen: das Rechtsgefühl, der Freiheitsmuth, der deutſche Nationalſtolz.
Wieder war es Lornſen, der zuerſt in der Nordmark die Zeichen der verwandelten Zeit erkannte. Der hatte ſich während ſeiner Haft raſtlos forſchend in die Geſchichte der Herzogthümer eingelebt und mit freudigem Erſtaunen entdeckt, wie faſt Alles was er einſt aus politiſchen Gründen für ſeine Heimath verlangt, ſchon in den alten Freiheitsbriefen des Landes begründet war: „Die Schleswigholſteiner“, ſo ſagte er nunmehr, „haben nichts zu wünſchen was ſie nicht auch zu fordern ein Recht haben.“ Froh dieſer neu gewonnenen Erkenntniß arbeitete er nun an einem Buche über „Die Unionsverfaſſung Dänemarks und Schleswigholſteins“, um ſeinen Landsleuten zu zeigen, wie ſie auf dem Boden ihres alten Rechtes den neuen Staat Schleswigholſtein aufbauen ſollten. Gegen Falck’s ſtreng conſervative Geſinnung ſprach er ſehr ſcharf, nicht ohne die Un- gerechtigkeit, welche den Vertretern neuer, zukunftsreicher Gedanken anzu- haften pflegt. Sein Ziel lag ſchon höher: er wollte jetzt die reine Per- ſonalunion, die Selbſtändigkeit des transalbingiſchen Staates auch im Heerweſen und Staatshaushalt. Er warnte die Holſten vor dem gut-
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IV. 2. Die conſtitutionelle Bewegung in Norddeutſchland.
gebenen deutſchen Lande gewiſſenhaft ſchonte, den Zerfall des däniſchen
Geſammtſtaates vielleicht noch abwenden.
Die Dänen aber begannen bereits andere Wege zu gehen. Ihr
Selbſtgefühl war durch die Nachgiebigkeit des Königs, die ſie doch allein
dem Deutſchen Lornſen verdankten, mächtig angewachſen, ſie feierten den
Geburtstag ihrer neuen Verfaſſung als ein nationales Feſt. Nicht ganz
mit Unrecht. Eine neue Epoche der däniſchen Geſchichte war angebrochen,
und der vertriebene Schwedenkönig Guſtav IV. wußte wohl, warum er
als möglicher Erbe der Krone feierliche Verwahrung einlegte gegen die
vollzogene Beſchränkung der abſoluten Königsgewalt. Die Hauptſtadt
hallte wider von politiſchen Kämpfen, und in der allezeit erregbaren
Kopenhagener Jugend bildete ſich ſchon eine neue Partei, die den natio-
nalen Gedanken über jede andere Rückſicht ſtellte. Dieſe Eiderdänen,
wie man ſie ſpäterhin nannte, verdammten die Bildung der neuen
ſchleswigholſteiniſchen Provinzialregierung als einen argen Mißgriff und
verlangten die gänzliche Trennung der beiden Herzogthümer; ſie wollten
im Nothfall auf das deutſche Holſtein, das man doch nicht daniſiren könne,
verzichten, Schleswig aber bedingungslos dem Einheitsſtaate Dänemark
einverleiben und auch die rein-deutſche Südhälfte dieſes Herzogthums
gewaltſam der ſkandinaviſchen Geſittung unterwerfen. Noch ward die
neue Loſung „Dänemark bis zur Eider“ nur von wenigen übermüthigen
jungen Männern nachgeſprochen; aber die Zahl ihrer Anhänger wuchs,
und gelangten die Eiderdänen je zur Herrſchaft, ſo wurden unfehlbar
alle die drei politiſchen Kräfte, welche im Volke Schleswigholſteins noch
halb unbewußt arbeiteten, zugleich aufgeregt und zu unverſöhnlichem
Widerſtande gezwungen: das Rechtsgefühl, der Freiheitsmuth, der deutſche
Nationalſtolz.
Wieder war es Lornſen, der zuerſt in der Nordmark die Zeichen der
verwandelten Zeit erkannte. Der hatte ſich während ſeiner Haft raſtlos
forſchend in die Geſchichte der Herzogthümer eingelebt und mit freudigem
Erſtaunen entdeckt, wie faſt Alles was er einſt aus politiſchen Gründen
für ſeine Heimath verlangt, ſchon in den alten Freiheitsbriefen des
Landes begründet war: „Die Schleswigholſteiner“, ſo ſagte er nunmehr,
„haben nichts zu wünſchen was ſie nicht auch zu fordern ein Recht haben.“
Froh dieſer neu gewonnenen Erkenntniß arbeitete er nun an einem Buche
über „Die Unionsverfaſſung Dänemarks und Schleswigholſteins“, um
ſeinen Landsleuten zu zeigen, wie ſie auf dem Boden ihres alten Rechtes
den neuen Staat Schleswigholſtein aufbauen ſollten. Gegen Falck’s
ſtreng conſervative Geſinnung ſprach er ſehr ſcharf, nicht ohne die Un-
gerechtigkeit, welche den Vertretern neuer, zukunftsreicher Gedanken anzu-
haften pflegt. Sein Ziel lag ſchon höher: er wollte jetzt die reine Per-
ſonalunion, die Selbſtändigkeit des transalbingiſchen Staates auch im
Heerweſen und Staatshaushalt. Er warnte die Holſten vor dem gut-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/188>, abgerufen am 30.11.2024.
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