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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Adel und Bürgerthum.
behauptete, so klagte alle Welt über die Macht des Junkerthums und zählte
mit widerwärtigem Kleinsinn nach, wie viele Edelleute in den hohen Staats-
ämtern säßen. Die vorletzten Minister der Justiz und der Finanzen, Kirch-
eisen und Klewiz waren bürgerlich geboren, ihnen folgten die Edelleute
Danckelmann und Motz; als diese starben und jetzt wieder zwei Bürgerliche,
Mühler und Maassen eintraten, da jubelte die gesammte Presse, wie
liberal Preußen geworden sei. Und doch war unter den drei Finanz-
ministern der Edelmann unzweifelhaft der freieste Kopf, und bei allen
diesen Ernennungen hatte der König die Frage der Geburt gar nicht in
Betracht gezogen. Ja sogar als Ancillon nachher ins Ministerium be-
rufen wurde, erhoben die Zeitungen ein Freudengeschrei über den bürger-
lichen Minister, dessen reaktionäre Gesinnung man doch kannte. Vor-
nehmlich im Heere sollte der Adel ungebührlich bevorzugt sein; aber auch
bei dieser landläufigen, und nicht ganz grundlosen Klage spielten gehässige
Uebertreibung und Unkenntniß mit. Unter den Generalen und Obersten
des stehenden Heeres konnten sich nur vereinzelte Bürgerliche befinden,
weil erst Scharnhorst die alten Vorrechte des Adels beseitigt, erst der
Befreiungskrieg eine größere Anzahl bürgerlicher Offiziere in die Regi-
menter der Infanterie und der Reiterei eingeführt hatte. In den mittleren
Stellen hingegen war der Adel schwächer vertreten als in den untersten;
von den Stabsoffizieren war fast ein Fünftel, von den Hauptleuten und
Rittmeistern beinahe die Hälfte bürgerlich, von den Secondelieutenants
nur ein Zwanzigstel, weil der Kriegsdienst in diesen stillen Friedensjahren
nichts Verlockendes hatte und der junge Nachwuchs mithin ganz über-
wiegend von jenen alten Soldatengeschlechtern gestellt wurde, welche das
Waffenhandwerk als den Beruf ihres Hauses betrachteten.

All dieser kleine Groll blieb für jetzt noch halb verborgen; wer aber
die stille tiefe Leidenschaft der norddeutschen Stämme kannte, der mußte
einsehen, daß es nun endlich an der Zeit war, den Gegensätzen der Land-
schaften, der Stände, der politischen Gesinnungen einen freien Kampfplatz
zu eröffnen. Ein aus den Provinzialständen hervorgegangener berathen-
der Reichstag, wie er versprochen war, konnte jetzt, da Niemand ihn un-
gestüm forderte, von dem treuen Volke nur mit Dank begrüßt werden,
er konnte nicht die Macht des gerade in diesen Tagen unbeschreiblich ge-
liebten Königthums erschüttern, sondern nur die Staatseinheit befestigen
und die Preußen daran gewöhnen, daß sie in gemeinsamer politischer
Arbeit einander verstehen und ertragen lernten.

Sehr nachdrücklich mahnte auch der Zustand des Staatshaushalts
an die Einlösung des alten Versprechens. Während die anderen Bundes-
staaten gar nichts leisteten, verwendete Preußen für die Beschützung der
deutschen Grenzen binnen anderthalb Jahren 39,28 Mill. Thaler, vier
Fünftel seiner regelmäßigen Jahreseinnahmen. Da förmliche Anleihen
nur noch unter der Bürgschaft der Reichsstände erfolgen durften und der

Adel und Bürgerthum.
behauptete, ſo klagte alle Welt über die Macht des Junkerthums und zählte
mit widerwärtigem Kleinſinn nach, wie viele Edelleute in den hohen Staats-
ämtern ſäßen. Die vorletzten Miniſter der Juſtiz und der Finanzen, Kirch-
eiſen und Klewiz waren bürgerlich geboren, ihnen folgten die Edelleute
Danckelmann und Motz; als dieſe ſtarben und jetzt wieder zwei Bürgerliche,
Mühler und Maaſſen eintraten, da jubelte die geſammte Preſſe, wie
liberal Preußen geworden ſei. Und doch war unter den drei Finanz-
miniſtern der Edelmann unzweifelhaft der freieſte Kopf, und bei allen
dieſen Ernennungen hatte der König die Frage der Geburt gar nicht in
Betracht gezogen. Ja ſogar als Ancillon nachher ins Miniſterium be-
rufen wurde, erhoben die Zeitungen ein Freudengeſchrei über den bürger-
lichen Miniſter, deſſen reaktionäre Geſinnung man doch kannte. Vor-
nehmlich im Heere ſollte der Adel ungebührlich bevorzugt ſein; aber auch
bei dieſer landläufigen, und nicht ganz grundloſen Klage ſpielten gehäſſige
Uebertreibung und Unkenntniß mit. Unter den Generalen und Oberſten
des ſtehenden Heeres konnten ſich nur vereinzelte Bürgerliche befinden,
weil erſt Scharnhorſt die alten Vorrechte des Adels beſeitigt, erſt der
Befreiungskrieg eine größere Anzahl bürgerlicher Offiziere in die Regi-
menter der Infanterie und der Reiterei eingeführt hatte. In den mittleren
Stellen hingegen war der Adel ſchwächer vertreten als in den unterſten;
von den Stabsoffizieren war faſt ein Fünftel, von den Hauptleuten und
Rittmeiſtern beinahe die Hälfte bürgerlich, von den Secondelieutenants
nur ein Zwanzigſtel, weil der Kriegsdienſt in dieſen ſtillen Friedensjahren
nichts Verlockendes hatte und der junge Nachwuchs mithin ganz über-
wiegend von jenen alten Soldatengeſchlechtern geſtellt wurde, welche das
Waffenhandwerk als den Beruf ihres Hauſes betrachteten.

All dieſer kleine Groll blieb für jetzt noch halb verborgen; wer aber
die ſtille tiefe Leidenſchaft der norddeutſchen Stämme kannte, der mußte
einſehen, daß es nun endlich an der Zeit war, den Gegenſätzen der Land-
ſchaften, der Stände, der politiſchen Geſinnungen einen freien Kampfplatz
zu eröffnen. Ein aus den Provinzialſtänden hervorgegangener berathen-
der Reichstag, wie er verſprochen war, konnte jetzt, da Niemand ihn un-
geſtüm forderte, von dem treuen Volke nur mit Dank begrüßt werden,
er konnte nicht die Macht des gerade in dieſen Tagen unbeſchreiblich ge-
liebten Königthums erſchüttern, ſondern nur die Staatseinheit befeſtigen
und die Preußen daran gewöhnen, daß ſie in gemeinſamer politiſcher
Arbeit einander verſtehen und ertragen lernten.

Sehr nachdrücklich mahnte auch der Zuſtand des Staatshaushalts
an die Einlöſung des alten Verſprechens. Während die anderen Bundes-
ſtaaten gar nichts leiſteten, verwendete Preußen für die Beſchützung der
deutſchen Grenzen binnen anderthalb Jahren 39,28 Mill. Thaler, vier
Fünftel ſeiner regelmäßigen Jahreseinnahmen. Da förmliche Anleihen
nur noch unter der Bürgſchaft der Reichsſtände erfolgen durften und der

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[189/0203] Adel und Bürgerthum. behauptete, ſo klagte alle Welt über die Macht des Junkerthums und zählte mit widerwärtigem Kleinſinn nach, wie viele Edelleute in den hohen Staats- ämtern ſäßen. Die vorletzten Miniſter der Juſtiz und der Finanzen, Kirch- eiſen und Klewiz waren bürgerlich geboren, ihnen folgten die Edelleute Danckelmann und Motz; als dieſe ſtarben und jetzt wieder zwei Bürgerliche, Mühler und Maaſſen eintraten, da jubelte die geſammte Preſſe, wie liberal Preußen geworden ſei. Und doch war unter den drei Finanz- miniſtern der Edelmann unzweifelhaft der freieſte Kopf, und bei allen dieſen Ernennungen hatte der König die Frage der Geburt gar nicht in Betracht gezogen. Ja ſogar als Ancillon nachher ins Miniſterium be- rufen wurde, erhoben die Zeitungen ein Freudengeſchrei über den bürger- lichen Miniſter, deſſen reaktionäre Geſinnung man doch kannte. Vor- nehmlich im Heere ſollte der Adel ungebührlich bevorzugt ſein; aber auch bei dieſer landläufigen, und nicht ganz grundloſen Klage ſpielten gehäſſige Uebertreibung und Unkenntniß mit. Unter den Generalen und Oberſten des ſtehenden Heeres konnten ſich nur vereinzelte Bürgerliche befinden, weil erſt Scharnhorſt die alten Vorrechte des Adels beſeitigt, erſt der Befreiungskrieg eine größere Anzahl bürgerlicher Offiziere in die Regi- menter der Infanterie und der Reiterei eingeführt hatte. In den mittleren Stellen hingegen war der Adel ſchwächer vertreten als in den unterſten; von den Stabsoffizieren war faſt ein Fünftel, von den Hauptleuten und Rittmeiſtern beinahe die Hälfte bürgerlich, von den Secondelieutenants nur ein Zwanzigſtel, weil der Kriegsdienſt in dieſen ſtillen Friedensjahren nichts Verlockendes hatte und der junge Nachwuchs mithin ganz über- wiegend von jenen alten Soldatengeſchlechtern geſtellt wurde, welche das Waffenhandwerk als den Beruf ihres Hauſes betrachteten. All dieſer kleine Groll blieb für jetzt noch halb verborgen; wer aber die ſtille tiefe Leidenſchaft der norddeutſchen Stämme kannte, der mußte einſehen, daß es nun endlich an der Zeit war, den Gegenſätzen der Land- ſchaften, der Stände, der politiſchen Geſinnungen einen freien Kampfplatz zu eröffnen. Ein aus den Provinzialſtänden hervorgegangener berathen- der Reichstag, wie er verſprochen war, konnte jetzt, da Niemand ihn un- geſtüm forderte, von dem treuen Volke nur mit Dank begrüßt werden, er konnte nicht die Macht des gerade in dieſen Tagen unbeſchreiblich ge- liebten Königthums erſchüttern, ſondern nur die Staatseinheit befeſtigen und die Preußen daran gewöhnen, daß ſie in gemeinſamer politiſcher Arbeit einander verſtehen und ertragen lernten. Sehr nachdrücklich mahnte auch der Zuſtand des Staatshaushalts an die Einlöſung des alten Verſprechens. Während die anderen Bundes- ſtaaten gar nichts leiſteten, verwendete Preußen für die Beſchützung der deutſchen Grenzen binnen anderthalb Jahren 39,28 Mill. Thaler, vier Fünftel ſeiner regelmäßigen Jahreseinnahmen. Da förmliche Anleihen nur noch unter der Bürgſchaft der Reichsſtände erfolgen durften und der

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/203>, abgerufen am 28.11.2024.