doch ein ernstes Zeichen der Zeit: welchen Kämpfen trieb Deutschland entgegen, wenn gerade die Männer, welche den Geist von 1813 erzogen und am treuesten bewahrt hatten, sich allesammt von den Idealen dieser allerneuesten Tage angeekelt abwandten!
Auch Stein blickte voll schwerer Sorge in die Zukunft, als er am 29. Juni 1831 verschied. Ihm waren die Franzosen seit ihrer letzten Revolution nur noch verächtlicher geworden; er sprach "diesem Volke ohne Liebe und Treue" die schöpferische Kraft des Geistes gänzlich ab, da alle bahnbrechenden Thaten der neueren Gesittung von den germanischen Völkern, den Italienern oder den Spaniern ausgegangen seien, und mahnte seine Leute noch auf dem Todesbette, sich gegen den alten Feind als gute Preußen für König und Vaterland zu schlagen. So ging er dahin, noch ganz erfüllt von dem Feuer jener edlen Leidenschaft, welche seine größten Tage durchleuchtet hatte. Ueberall auf der rothen Erde und drüben im heimischen Lahngau, wo man den Letzten des alten Freiherrengeschlechts in der Gruft seiner Ahnen bestattete, wurde der Leichenzug mit hohen Ehren empfangen; auch die altpreußischen Städte gedachten dankbar des Schöpfers ihrer Bürgerfreiheit. Die übrigen Deutschen hatten seiner so ganz vergessen, daß Dahlmann zürnend sagte: "die Zeit wird kommen, da man ihm seine Tugenden verzeiht."
Stein war früh gealtert, Gneisenau aber fühlte noch die frohe That- kraft seiner Mannesjahre in den Adern, als er einundsiebzigjährig von der asiatischen Seuche dahingerafft wurde (August 1831). Ganz so hoff- nungsvoll wie er einst am Main als Jüngling von Kolonien und Städte- gründungen in der neuen Welt geträumt hatte, dachte er jetzt in Posen an einen dritten Siegeszug nach Paris und an einen schönen Kriegertod: Napoleon der Zweite bei der preußischen Avantgarde, das sollte der Helfer sein um das Bürgerkönigthum zu zerschmettern. Wie Stein hatte er Alles längst verwunden was ihn einst von Friedrich Wilhelm getrennt und sich in aufrichtiger Dankbarkeit dem Könige angeschlossen. Seinem Jugend- freunde Professor Siegling schrieb er noch kurz vor dem Tode mit seiner alten wunderbaren Bescheidenheit: "Du bist ein Sohn Deines Fleißes, ich ein Sohn des Glücks." Noch drängender als Gneisenau forderte Clausewitz, der dem Freunde nach wenigen Wochen ins Grab folgen sollte, den un- vermeidlichen Krieg gegen die Revolution: jeder Hader mit Oesterreich müsse für jetzt abgethan bleiben, damit der Bund der Ostmächte im Ent- scheidungskampfe fest stehe.
So die Stimmung der Helden des Befreiungskriegs. Wie Arndt beharrlich den Feldzug gen Brabant verlangte, so donnerte Jahn in seinen "Merken zum deutschen Volksthum" wider das neu eindringende wälsche Wesen. "Wohl zu keiner Zeit, rief er grimmig, hat der Deutsche weniger gewußt, als jetzt nach der großen Pariser Hundswoche, das Eine was noth thut. Vor lauter Empfindseligkeit überfließet sein fremdbrüderliches
IV. 3. Preußens Mittelſtellung.
doch ein ernſtes Zeichen der Zeit: welchen Kämpfen trieb Deutſchland entgegen, wenn gerade die Männer, welche den Geiſt von 1813 erzogen und am treueſten bewahrt hatten, ſich alleſammt von den Idealen dieſer allerneueſten Tage angeekelt abwandten!
Auch Stein blickte voll ſchwerer Sorge in die Zukunft, als er am 29. Juni 1831 verſchied. Ihm waren die Franzoſen ſeit ihrer letzten Revolution nur noch verächtlicher geworden; er ſprach „dieſem Volke ohne Liebe und Treue“ die ſchöpferiſche Kraft des Geiſtes gänzlich ab, da alle bahnbrechenden Thaten der neueren Geſittung von den germaniſchen Völkern, den Italienern oder den Spaniern ausgegangen ſeien, und mahnte ſeine Leute noch auf dem Todesbette, ſich gegen den alten Feind als gute Preußen für König und Vaterland zu ſchlagen. So ging er dahin, noch ganz erfüllt von dem Feuer jener edlen Leidenſchaft, welche ſeine größten Tage durchleuchtet hatte. Ueberall auf der rothen Erde und drüben im heimiſchen Lahngau, wo man den Letzten des alten Freiherrengeſchlechts in der Gruft ſeiner Ahnen beſtattete, wurde der Leichenzug mit hohen Ehren empfangen; auch die altpreußiſchen Städte gedachten dankbar des Schöpfers ihrer Bürgerfreiheit. Die übrigen Deutſchen hatten ſeiner ſo ganz vergeſſen, daß Dahlmann zürnend ſagte: „die Zeit wird kommen, da man ihm ſeine Tugenden verzeiht.“
Stein war früh gealtert, Gneiſenau aber fühlte noch die frohe That- kraft ſeiner Mannesjahre in den Adern, als er einundſiebzigjährig von der aſiatiſchen Seuche dahingerafft wurde (Auguſt 1831). Ganz ſo hoff- nungsvoll wie er einſt am Main als Jüngling von Kolonien und Städte- gründungen in der neuen Welt geträumt hatte, dachte er jetzt in Poſen an einen dritten Siegeszug nach Paris und an einen ſchönen Kriegertod: Napoleon der Zweite bei der preußiſchen Avantgarde, das ſollte der Helfer ſein um das Bürgerkönigthum zu zerſchmettern. Wie Stein hatte er Alles längſt verwunden was ihn einſt von Friedrich Wilhelm getrennt und ſich in aufrichtiger Dankbarkeit dem Könige angeſchloſſen. Seinem Jugend- freunde Profeſſor Siegling ſchrieb er noch kurz vor dem Tode mit ſeiner alten wunderbaren Beſcheidenheit: „Du biſt ein Sohn Deines Fleißes, ich ein Sohn des Glücks.“ Noch drängender als Gneiſenau forderte Clauſewitz, der dem Freunde nach wenigen Wochen ins Grab folgen ſollte, den un- vermeidlichen Krieg gegen die Revolution: jeder Hader mit Oeſterreich müſſe für jetzt abgethan bleiben, damit der Bund der Oſtmächte im Ent- ſcheidungskampfe feſt ſtehe.
So die Stimmung der Helden des Befreiungskriegs. Wie Arndt beharrlich den Feldzug gen Brabant verlangte, ſo donnerte Jahn in ſeinen „Merken zum deutſchen Volksthum“ wider das neu eindringende wälſche Weſen. „Wohl zu keiner Zeit, rief er grimmig, hat der Deutſche weniger gewußt, als jetzt nach der großen Pariſer Hundswoche, das Eine was noth thut. Vor lauter Empfindſeligkeit überfließet ſein fremdbrüderliches
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IV. 3. Preußens Mittelſtellung.
doch ein ernſtes Zeichen der Zeit: welchen Kämpfen trieb Deutſchland
entgegen, wenn gerade die Männer, welche den Geiſt von 1813 erzogen
und am treueſten bewahrt hatten, ſich alleſammt von den Idealen dieſer
allerneueſten Tage angeekelt abwandten!
Auch Stein blickte voll ſchwerer Sorge in die Zukunft, als er am
29. Juni 1831 verſchied. Ihm waren die Franzoſen ſeit ihrer letzten
Revolution nur noch verächtlicher geworden; er ſprach „dieſem Volke ohne
Liebe und Treue“ die ſchöpferiſche Kraft des Geiſtes gänzlich ab, da alle
bahnbrechenden Thaten der neueren Geſittung von den germaniſchen
Völkern, den Italienern oder den Spaniern ausgegangen ſeien, und mahnte
ſeine Leute noch auf dem Todesbette, ſich gegen den alten Feind als gute
Preußen für König und Vaterland zu ſchlagen. So ging er dahin, noch
ganz erfüllt von dem Feuer jener edlen Leidenſchaft, welche ſeine größten
Tage durchleuchtet hatte. Ueberall auf der rothen Erde und drüben im
heimiſchen Lahngau, wo man den Letzten des alten Freiherrengeſchlechts
in der Gruft ſeiner Ahnen beſtattete, wurde der Leichenzug mit hohen
Ehren empfangen; auch die altpreußiſchen Städte gedachten dankbar des
Schöpfers ihrer Bürgerfreiheit. Die übrigen Deutſchen hatten ſeiner ſo
ganz vergeſſen, daß Dahlmann zürnend ſagte: „die Zeit wird kommen,
da man ihm ſeine Tugenden verzeiht.“
Stein war früh gealtert, Gneiſenau aber fühlte noch die frohe That-
kraft ſeiner Mannesjahre in den Adern, als er einundſiebzigjährig von
der aſiatiſchen Seuche dahingerafft wurde (Auguſt 1831). Ganz ſo hoff-
nungsvoll wie er einſt am Main als Jüngling von Kolonien und Städte-
gründungen in der neuen Welt geträumt hatte, dachte er jetzt in Poſen
an einen dritten Siegeszug nach Paris und an einen ſchönen Kriegertod:
Napoleon der Zweite bei der preußiſchen Avantgarde, das ſollte der Helfer
ſein um das Bürgerkönigthum zu zerſchmettern. Wie Stein hatte er Alles
längſt verwunden was ihn einſt von Friedrich Wilhelm getrennt und
ſich in aufrichtiger Dankbarkeit dem Könige angeſchloſſen. Seinem Jugend-
freunde Profeſſor Siegling ſchrieb er noch kurz vor dem Tode mit ſeiner
alten wunderbaren Beſcheidenheit: „Du biſt ein Sohn Deines Fleißes, ich
ein Sohn des Glücks.“ Noch drängender als Gneiſenau forderte Clauſewitz,
der dem Freunde nach wenigen Wochen ins Grab folgen ſollte, den un-
vermeidlichen Krieg gegen die Revolution: jeder Hader mit Oeſterreich
müſſe für jetzt abgethan bleiben, damit der Bund der Oſtmächte im Ent-
ſcheidungskampfe feſt ſtehe.
So die Stimmung der Helden des Befreiungskriegs. Wie Arndt
beharrlich den Feldzug gen Brabant verlangte, ſo donnerte Jahn in ſeinen
„Merken zum deutſchen Volksthum“ wider das neu eindringende wälſche
Weſen. „Wohl zu keiner Zeit, rief er grimmig, hat der Deutſche weniger
gewußt, als jetzt nach der großen Pariſer Hundswoche, das Eine was
noth thut. Vor lauter Empfindſeligkeit überfließet ſein fremdbrüderliches
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/216>, abgerufen am 27.11.2024.
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