Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.Ranke's Zeitschrift. gabe des Publicisten ist, auch auf den Willen der Leser wirken. Diekecke dem Politiker unentbehrliche Lust am Kampfe blieb ihm fremd, der wie Leibniz "den wenig liebenswürdigen Namen der Eris" verabscheute, und gar den Finger in die Wunden des Vaterlandes zu legen konnte sich der Friedfertige nie entschließen. Was sollte die begeisterte, von einem mächtigen Vaterlande träumende Jugend empfinden, wenn ihr der große Historiker die Segnungen der elenden Bundesverfassung also anpries: der Bund fördere den Wehrstand durch seine Kriegsverfassung, deren Erbärm- lichkeit doch so klar vor Augen lag, daß Preußen sie für den nächsten Krieg kurzweg außer Kraft setzen wollte; er fördere den Nährstand durch den Zollverein, der aber nicht durch den Bund, sondern im Kampfe mit ihm durch Sonderbünde entstand; er fördere endlich sogar den Lehrstand durch das Karlsbader Preßgesetz! Also gehalten, vermochte die Zeitschrift niemals wie das Wochenblatt politische Macht zu erringen; weder die Aristokraten, wie man damals die Ständischgesinnten nannte, noch die Liberalen konnten ihr ganz zustimmen, und da bedeutende Männer immer selbst zuerst fühlen was ihrer Natur zusagt, so zog sich Ranke schon nach vier Jahren wieder in seine gelehrte Muße zurück. Aber welch ein seltsames Schauspiel: zwei große hochgebildete conservative Zeitschriften in diesem Preußen, das noch keine einzige nennenswerthe liberale Zeitung besaß; beide Blätter redeten beständig über die schwarzweißen Grenzpfähle hinaus zu den Süddeutschen und den Franzosen. -- Indeß begannen die vereinzelten Liberalen Preußens sich doch all- *) Bernstorff an Alopeus, 24. December 1830. K. Friedrich Wilhelm an K. Niko- laus, April 1831. **) Bernstorff's Bericht an den König, 28. Juni; Bernstorff an Graf Maltzan,
12. März; Cabinetsordre an G. Stabsarzt v. Gräfe, 24. März 1831. Ranke’s Zeitſchrift. gabe des Publiciſten iſt, auch auf den Willen der Leſer wirken. Diekecke dem Politiker unentbehrliche Luſt am Kampfe blieb ihm fremd, der wie Leibniz „den wenig liebenswürdigen Namen der Eris“ verabſcheute, und gar den Finger in die Wunden des Vaterlandes zu legen konnte ſich der Friedfertige nie entſchließen. Was ſollte die begeiſterte, von einem mächtigen Vaterlande träumende Jugend empfinden, wenn ihr der große Hiſtoriker die Segnungen der elenden Bundesverfaſſung alſo anpries: der Bund fördere den Wehrſtand durch ſeine Kriegsverfaſſung, deren Erbärm- lichkeit doch ſo klar vor Augen lag, daß Preußen ſie für den nächſten Krieg kurzweg außer Kraft ſetzen wollte; er fördere den Nährſtand durch den Zollverein, der aber nicht durch den Bund, ſondern im Kampfe mit ihm durch Sonderbünde entſtand; er fördere endlich ſogar den Lehrſtand durch das Karlsbader Preßgeſetz! Alſo gehalten, vermochte die Zeitſchrift niemals wie das Wochenblatt politiſche Macht zu erringen; weder die Ariſtokraten, wie man damals die Ständiſchgeſinnten nannte, noch die Liberalen konnten ihr ganz zuſtimmen, und da bedeutende Männer immer ſelbſt zuerſt fühlen was ihrer Natur zuſagt, ſo zog ſich Ranke ſchon nach vier Jahren wieder in ſeine gelehrte Muße zurück. Aber welch ein ſeltſames Schauſpiel: zwei große hochgebildete conſervative Zeitſchriften in dieſem Preußen, das noch keine einzige nennenswerthe liberale Zeitung beſaß; beide Blätter redeten beſtändig über die ſchwarzweißen Grenzpfähle hinaus zu den Süddeutſchen und den Franzoſen. — Indeß begannen die vereinzelten Liberalen Preußens ſich doch all- *) Bernſtorff an Alopeus, 24. December 1830. K. Friedrich Wilhelm an K. Niko- laus, April 1831. **) Bernſtorff’s Bericht an den König, 28. Juni; Bernſtorff an Graf Maltzan,
12. März; Cabinetsordre an G. Stabsarzt v. Gräfe, 24. März 1831. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0219" n="205"/><fw place="top" type="header">Ranke’s Zeitſchrift.</fw><lb/> gabe des Publiciſten iſt, auch auf den Willen der Leſer wirken. Die<lb/> kecke dem Politiker unentbehrliche Luſt am Kampfe blieb ihm fremd, der<lb/> wie Leibniz „den wenig liebenswürdigen Namen der Eris“ verabſcheute,<lb/> und gar den Finger in die Wunden des Vaterlandes zu legen konnte ſich<lb/> der Friedfertige nie entſchließen. Was ſollte die begeiſterte, von einem<lb/> mächtigen Vaterlande träumende Jugend empfinden, wenn ihr der große<lb/> Hiſtoriker die Segnungen der elenden Bundesverfaſſung alſo anpries: der<lb/> Bund fördere den Wehrſtand durch ſeine Kriegsverfaſſung, deren Erbärm-<lb/> lichkeit doch ſo klar vor Augen lag, daß Preußen ſie für den nächſten Krieg<lb/> kurzweg außer Kraft ſetzen wollte; er fördere den Nährſtand durch den<lb/> Zollverein, der aber nicht durch den Bund, ſondern im Kampfe mit ihm<lb/> durch Sonderbünde entſtand; er fördere endlich ſogar den Lehrſtand durch<lb/> das Karlsbader Preßgeſetz! Alſo gehalten, vermochte die Zeitſchrift niemals<lb/> wie das Wochenblatt politiſche Macht zu erringen; weder die Ariſtokraten,<lb/> wie man damals die Ständiſchgeſinnten nannte, noch die Liberalen konnten<lb/> ihr ganz zuſtimmen, und da bedeutende Männer immer ſelbſt zuerſt fühlen<lb/> was ihrer Natur zuſagt, ſo zog ſich Ranke ſchon nach vier Jahren wieder<lb/> in ſeine gelehrte Muße zurück. Aber welch ein ſeltſames Schauſpiel: zwei<lb/> große hochgebildete conſervative Zeitſchriften in dieſem Preußen, das noch<lb/> keine einzige nennenswerthe liberale Zeitung beſaß; beide Blätter redeten<lb/> beſtändig über die ſchwarzweißen Grenzpfähle hinaus zu den Süddeutſchen<lb/> und den Franzoſen. —</p><lb/> <p>Indeß begannen die vereinzelten Liberalen Preußens ſich doch all-<lb/> mählich zu ſammeln, zunächſt in Folge der polniſchen Wirren. Nichts<lb/> konnte offener ſein als Preußens Politik während dieſer verwickelten Hän-<lb/> del. Von vornherein erklärte Bernſtorff dem ruſſiſchen Geſandten, daß<lb/> die Intereſſen der beiden Höfe hier vollkommen übereinſtimmten, und<lb/> auf das Beſtimmteſte verſicherte der König ſeinem Schwiegerſohne: wenn<lb/> die Polen verſuchen ſollten ſich durch preußiſches Gebiet durchzuſchlagen,<lb/> ſo würden ſie „den gebührenden Empfang finden“.<note place="foot" n="*)">Bernſtorff an Alopeus, 24. December 1830. K. Friedrich Wilhelm an K. Niko-<lb/> laus, April 1831.</note> Jeder Brief der<lb/> Rebellenführer an den König wurde grundſätzlich zurückgewieſen, desgleichen<lb/> jeder Verſuch der Vermittlung, auch wenn er von Männern ausging, die<lb/> dem Monarchen perſönlich naheſtanden, wie der Erbmarſchall von Schleſien<lb/> Graf Maltzan oder der berühmte Augenarzt Gräfe.<note place="foot" n="**)">Bernſtorff’s Bericht an den König, 28. Juni; Bernſtorff an Graf Maltzan,<lb/> 12. März; Cabinetsordre an G. Stabsarzt v. Gräfe, 24. März 1831.</note> Dies hinderte nicht,<lb/> daß man aus Menſchlichkeit preußiſche Aerzte ſowohl nach Warſchau wie<lb/> in das ruſſiſche Hauptquartier ſendete. Ohne alle Hintergedanken erhoffte<lb/> man in Berlin nichts weiter als die raſche Beendigung des Aufruhrs.<lb/> Gneiſenau ſprach nur die allgemeine Meinung der Regierungskreiſe aus,<lb/> als er ſagte: der preußiſche Staat müſſe zwar um ſeiner Selbſterhaltung<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [205/0219]
Ranke’s Zeitſchrift.
gabe des Publiciſten iſt, auch auf den Willen der Leſer wirken. Die
kecke dem Politiker unentbehrliche Luſt am Kampfe blieb ihm fremd, der
wie Leibniz „den wenig liebenswürdigen Namen der Eris“ verabſcheute,
und gar den Finger in die Wunden des Vaterlandes zu legen konnte ſich
der Friedfertige nie entſchließen. Was ſollte die begeiſterte, von einem
mächtigen Vaterlande träumende Jugend empfinden, wenn ihr der große
Hiſtoriker die Segnungen der elenden Bundesverfaſſung alſo anpries: der
Bund fördere den Wehrſtand durch ſeine Kriegsverfaſſung, deren Erbärm-
lichkeit doch ſo klar vor Augen lag, daß Preußen ſie für den nächſten Krieg
kurzweg außer Kraft ſetzen wollte; er fördere den Nährſtand durch den
Zollverein, der aber nicht durch den Bund, ſondern im Kampfe mit ihm
durch Sonderbünde entſtand; er fördere endlich ſogar den Lehrſtand durch
das Karlsbader Preßgeſetz! Alſo gehalten, vermochte die Zeitſchrift niemals
wie das Wochenblatt politiſche Macht zu erringen; weder die Ariſtokraten,
wie man damals die Ständiſchgeſinnten nannte, noch die Liberalen konnten
ihr ganz zuſtimmen, und da bedeutende Männer immer ſelbſt zuerſt fühlen
was ihrer Natur zuſagt, ſo zog ſich Ranke ſchon nach vier Jahren wieder
in ſeine gelehrte Muße zurück. Aber welch ein ſeltſames Schauſpiel: zwei
große hochgebildete conſervative Zeitſchriften in dieſem Preußen, das noch
keine einzige nennenswerthe liberale Zeitung beſaß; beide Blätter redeten
beſtändig über die ſchwarzweißen Grenzpfähle hinaus zu den Süddeutſchen
und den Franzoſen. —
Indeß begannen die vereinzelten Liberalen Preußens ſich doch all-
mählich zu ſammeln, zunächſt in Folge der polniſchen Wirren. Nichts
konnte offener ſein als Preußens Politik während dieſer verwickelten Hän-
del. Von vornherein erklärte Bernſtorff dem ruſſiſchen Geſandten, daß
die Intereſſen der beiden Höfe hier vollkommen übereinſtimmten, und
auf das Beſtimmteſte verſicherte der König ſeinem Schwiegerſohne: wenn
die Polen verſuchen ſollten ſich durch preußiſches Gebiet durchzuſchlagen,
ſo würden ſie „den gebührenden Empfang finden“. *) Jeder Brief der
Rebellenführer an den König wurde grundſätzlich zurückgewieſen, desgleichen
jeder Verſuch der Vermittlung, auch wenn er von Männern ausging, die
dem Monarchen perſönlich naheſtanden, wie der Erbmarſchall von Schleſien
Graf Maltzan oder der berühmte Augenarzt Gräfe. **) Dies hinderte nicht,
daß man aus Menſchlichkeit preußiſche Aerzte ſowohl nach Warſchau wie
in das ruſſiſche Hauptquartier ſendete. Ohne alle Hintergedanken erhoffte
man in Berlin nichts weiter als die raſche Beendigung des Aufruhrs.
Gneiſenau ſprach nur die allgemeine Meinung der Regierungskreiſe aus,
als er ſagte: der preußiſche Staat müſſe zwar um ſeiner Selbſterhaltung
*) Bernſtorff an Alopeus, 24. December 1830. K. Friedrich Wilhelm an K. Niko-
laus, April 1831.
**) Bernſtorff’s Bericht an den König, 28. Juni; Bernſtorff an Graf Maltzan,
12. März; Cabinetsordre an G. Stabsarzt v. Gräfe, 24. März 1831.
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