In der That erwies sich Metternich's Besorgniß sofort als grundlos. Der Wittelsbacher war nur in seiner dynastischen Eitelkeit verletzt, doch im Wesentlichen ganz einverstanden mit den Absichten der Großmächte. Eben jetzt lieferte der Münchener Hof ein neues erbauliches Probstück jener unwahren, schielenden Politik, welche er gegenüber den Karlsbader Be- schlüssen immer eingehalten hatte. Vornehmlich auf Baierns Betrieb war im Jahre 1824 die Giltigkeit dieser Ausnahmegesetze verlängert worden; gleich- wohl hatte der bairische Gesandte bei der Abstimmung die beiläufige Be- merkung eingeflochten, man werde sie "wie bisher" befolgen.*) Ein solcher Vorbehalt war rechtlich wirkungslos bei einem einstimmigen Bundesbe- schlusse; doch er konnte mit einiger Dreistigkeit allenfalls so gedeutet werden, als ob in Baiern wie bisher die Bücher und die wissenschaftlichen Zeit- schriften censurfrei bleiben sollten. Die bairische Censur wurde auch während der folgenden stillen Jahre ziemlich mild gehandhabt; sie ließ die kleinen Blätter, welche nur Landessachen besprachen, ganz unbelästigt. Nach der Juli-Revolution schlugen aber mehrere dieser Ortsblätter einen so auf- reizenden Ton an, daß König Ludwig sich schwer gekränkt fühlte. Im tief- sten Geheimniß, ohne Vorwissen des Ministers Armansperg, schrieb er also (27. Sept.) seinem Bundesgesandten Lerchenfeld: er wolle die Be- sprechung innerer Landesangelegenheiten wieder der Censur unterwerfen, doch ohne die Hilfe des Bundestags könne er dies nicht wagen; daher solle der preußische Bundesgesandte in unverbrüchlichem Vertrauen gebeten werden, einen Antrag in diesem Sinne zu stellen. Aengstlich fügte er hin- zu: "daß ich Preußen dazu anging, darf nicht vorkommen, noch in Baiern irgend Jemand zu irgend einer Zeit hiervon Kenntniß erhalten;" auch nachher kam er immer wieder darauf zurück, daß Baierns Bereitwilligkeit im tiefen Dunkel bleiben müsse.
Seine Bitte war kaum nöthig; die beiden Großmächte hatten bereits beschlossen, die Zügel der Censur etwas schärfer anzuziehen. So konnten denn am 21. October 1830 in leidlicher Eintracht die neuen Bundes- beschlüsse über Deutschlands Sicherheit gefaßt werden.**) Sie befahlen nur das Unentbehrliche. Man merkte deutlich die ruhige Hand Bern- storff's, der alle diese Monate hindurch mit Metternich in Fehde lag und wegen seiner Mäßigung von Wien her bei dem Könige beharrlich aber erfolglos verdächtigt wurde.***) Der Bund forderte lediglich: die Bundes- staaten sollten zu gegenseitiger Unterstützung ihre Truppen bereit stellen, ihre Bundesgesandten mit umfassenden Vollmachten versehen, ihre Cen- soren zur Wachsamkeit anhalten und auch die Blätter, welche sich nur mit inneren Landesangelegenheiten befaßten, streng beaufsichtigen. Diesen
*) s. o. III. 338.
**) Weisung an Lerchenfeld, 13. Oct. 1831.
***) Bernstorff, Rechtfertigungsschreiben an den König, 27. September 1830.
Bundesbeſchlüſſe gegen die Revolution.
In der That erwies ſich Metternich’s Beſorgniß ſofort als grundlos. Der Wittelsbacher war nur in ſeiner dynaſtiſchen Eitelkeit verletzt, doch im Weſentlichen ganz einverſtanden mit den Abſichten der Großmächte. Eben jetzt lieferte der Münchener Hof ein neues erbauliches Probſtück jener unwahren, ſchielenden Politik, welche er gegenüber den Karlsbader Be- ſchlüſſen immer eingehalten hatte. Vornehmlich auf Baierns Betrieb war im Jahre 1824 die Giltigkeit dieſer Ausnahmegeſetze verlängert worden; gleich- wohl hatte der bairiſche Geſandte bei der Abſtimmung die beiläufige Be- merkung eingeflochten, man werde ſie „wie bisher“ befolgen.*) Ein ſolcher Vorbehalt war rechtlich wirkungslos bei einem einſtimmigen Bundesbe- ſchluſſe; doch er konnte mit einiger Dreiſtigkeit allenfalls ſo gedeutet werden, als ob in Baiern wie bisher die Bücher und die wiſſenſchaftlichen Zeit- ſchriften cenſurfrei bleiben ſollten. Die bairiſche Cenſur wurde auch während der folgenden ſtillen Jahre ziemlich mild gehandhabt; ſie ließ die kleinen Blätter, welche nur Landesſachen beſprachen, ganz unbeläſtigt. Nach der Juli-Revolution ſchlugen aber mehrere dieſer Ortsblätter einen ſo auf- reizenden Ton an, daß König Ludwig ſich ſchwer gekränkt fühlte. Im tief- ſten Geheimniß, ohne Vorwiſſen des Miniſters Armansperg, ſchrieb er alſo (27. Sept.) ſeinem Bundesgeſandten Lerchenfeld: er wolle die Be- ſprechung innerer Landesangelegenheiten wieder der Cenſur unterwerfen, doch ohne die Hilfe des Bundestags könne er dies nicht wagen; daher ſolle der preußiſche Bundesgeſandte in unverbrüchlichem Vertrauen gebeten werden, einen Antrag in dieſem Sinne zu ſtellen. Aengſtlich fügte er hin- zu: „daß ich Preußen dazu anging, darf nicht vorkommen, noch in Baiern irgend Jemand zu irgend einer Zeit hiervon Kenntniß erhalten;“ auch nachher kam er immer wieder darauf zurück, daß Baierns Bereitwilligkeit im tiefen Dunkel bleiben müſſe.
Seine Bitte war kaum nöthig; die beiden Großmächte hatten bereits beſchloſſen, die Zügel der Cenſur etwas ſchärfer anzuziehen. So konnten denn am 21. October 1830 in leidlicher Eintracht die neuen Bundes- beſchlüſſe über Deutſchlands Sicherheit gefaßt werden.**) Sie befahlen nur das Unentbehrliche. Man merkte deutlich die ruhige Hand Bern- ſtorff’s, der alle dieſe Monate hindurch mit Metternich in Fehde lag und wegen ſeiner Mäßigung von Wien her bei dem Könige beharrlich aber erfolglos verdächtigt wurde.***) Der Bund forderte lediglich: die Bundes- ſtaaten ſollten zu gegenſeitiger Unterſtützung ihre Truppen bereit ſtellen, ihre Bundesgeſandten mit umfaſſenden Vollmachten verſehen, ihre Cen- ſoren zur Wachſamkeit anhalten und auch die Blätter, welche ſich nur mit inneren Landesangelegenheiten befaßten, ſtreng beaufſichtigen. Dieſen
*) ſ. o. III. 338.
**) Weiſung an Lerchenfeld, 13. Oct. 1831.
***) Bernſtorff, Rechtfertigungsſchreiben an den König, 27. September 1830.
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Bundesbeſchlüſſe gegen die Revolution.
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Der Wittelsbacher war nur in ſeiner dynaſtiſchen Eitelkeit verletzt, doch
im Weſentlichen ganz einverſtanden mit den Abſichten der Großmächte.
Eben jetzt lieferte der Münchener Hof ein neues erbauliches Probſtück
jener unwahren, ſchielenden Politik, welche er gegenüber den Karlsbader Be-
ſchlüſſen immer eingehalten hatte. Vornehmlich auf Baierns Betrieb war im
Jahre 1824 die Giltigkeit dieſer Ausnahmegeſetze verlängert worden; gleich-
wohl hatte der bairiſche Geſandte bei der Abſtimmung die beiläufige Be-
merkung eingeflochten, man werde ſie „wie bisher“ befolgen. *) Ein ſolcher
Vorbehalt war rechtlich wirkungslos bei einem einſtimmigen Bundesbe-
ſchluſſe; doch er konnte mit einiger Dreiſtigkeit allenfalls ſo gedeutet werden,
als ob in Baiern wie bisher die Bücher und die wiſſenſchaftlichen Zeit-
ſchriften cenſurfrei bleiben ſollten. Die bairiſche Cenſur wurde auch während
der folgenden ſtillen Jahre ziemlich mild gehandhabt; ſie ließ die kleinen
Blätter, welche nur Landesſachen beſprachen, ganz unbeläſtigt. Nach
der Juli-Revolution ſchlugen aber mehrere dieſer Ortsblätter einen ſo auf-
reizenden Ton an, daß König Ludwig ſich ſchwer gekränkt fühlte. Im tief-
ſten Geheimniß, ohne Vorwiſſen des Miniſters Armansperg, ſchrieb er
alſo (27. Sept.) ſeinem Bundesgeſandten Lerchenfeld: er wolle die Be-
ſprechung innerer Landesangelegenheiten wieder der Cenſur unterwerfen,
doch ohne die Hilfe des Bundestags könne er dies nicht wagen; daher
ſolle der preußiſche Bundesgeſandte in unverbrüchlichem Vertrauen gebeten
werden, einen Antrag in dieſem Sinne zu ſtellen. Aengſtlich fügte er hin-
zu: „daß ich Preußen dazu anging, darf nicht vorkommen, noch in Baiern
irgend Jemand zu irgend einer Zeit hiervon Kenntniß erhalten;“ auch
nachher kam er immer wieder darauf zurück, daß Baierns Bereitwilligkeit
im tiefen Dunkel bleiben müſſe.
Seine Bitte war kaum nöthig; die beiden Großmächte hatten bereits
beſchloſſen, die Zügel der Cenſur etwas ſchärfer anzuziehen. So konnten
denn am 21. October 1830 in leidlicher Eintracht die neuen Bundes-
beſchlüſſe über Deutſchlands Sicherheit gefaßt werden. **) Sie befahlen
nur das Unentbehrliche. Man merkte deutlich die ruhige Hand Bern-
ſtorff’s, der alle dieſe Monate hindurch mit Metternich in Fehde lag und
wegen ſeiner Mäßigung von Wien her bei dem Könige beharrlich aber
erfolglos verdächtigt wurde. ***) Der Bund forderte lediglich: die Bundes-
ſtaaten ſollten zu gegenſeitiger Unterſtützung ihre Truppen bereit ſtellen,
ihre Bundesgeſandten mit umfaſſenden Vollmachten verſehen, ihre Cen-
ſoren zur Wachſamkeit anhalten und auch die Blätter, welche ſich nur
mit inneren Landesangelegenheiten befaßten, ſtreng beaufſichtigen. Dieſen
*) ſ. o. III. 338.
**) Weiſung an Lerchenfeld, 13. Oct. 1831.
***) Bernſtorff, Rechtfertigungsſchreiben an den König, 27. September 1830.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/227>, abgerufen am 26.11.2024.
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