wichtig und theuer als die eigenen sind."*) In langen Monaten ver- mochten weder Bernstorff noch die Generale Krusemark und Rühle sich mit diesem wortreichen Freunde zu verständigen. Bernstorff, krank und reizbar wie er war, bat endlich den König geradezu, ihn von diesem Ge- schäfte zu entbinden.**)
Inzwischen wurde General Knesebeck mit der Fortführung der Unter- handlungen beauftragt, und dieser alte treu ergebene Freund der Hofburg bemühte sich nach Kräften, allen Wünschen Clam's entgegenzukommen. Preußens Forderungen entsprachen aber so genau den gegebenen Macht- verhältnissen, daß selbst Knesebeck wenig davon nachlassen konnte. Als nun endlich im Mai 1832 die Militärbevollmächtigten der süddeutschen Höfe, die von Preußen über Alles getreulich unterrichtet waren, und dann auch die Vertreter von Sachsen und Hannover nach Berlin geladen wurden, da errang die preußische Politik einen vollständigen Triumph. Die Offiziere der Mittelstaaten erklärten sich sammt und sonders für Preußens Vorschläge, und die Militär-Conferenz beschloß, daß für den Fall des Krieges drei Heere aufgestellt würden: zwei aus Preußen und Bundestruppen gemischte am Nieder- und Mittelrhein, dazu ein öster- reichisches Heer am Oberrhein. Preußen versprach außer den Festungs- garnisonen 231000 Mann zu stellen, die kleinen Staaten 116000 Mann -- eine ziemlich kühne Rechnung -- Oesterreich endlich 172000 Mann. Die letztere Zahl ließ man nur aus Höflichkeit stehen; denn Niemand glaubte, daß der Krieg in Italien so viele k. k. Truppen verfügbar lassen würde. Traten diese Entwürfe je ins Leben, so erhielt Preußen offenbar die Leitung des Bundeskriegs. Der verabredete Plan wurde sodann dem aus Petersburg gesendeten General Neidhardt mitgetheilt, und Czar Nikolaus wiederholte seine dreiste Zusage, daß er im Falle des Krieges Polen mit 100000 Mann decken und 200000 Mann als "furchtbare Reserve" dem deutschen Heere nachschicken werde. So hoffte man gegen jeden Angriff gedeckt zu sein. Alle diese Verhandlungen blieben tief geheim und für den Augenblick ohne Wirkung, da der Krieg abgewendet wurde; aber sie bewiesen schlagend, daß selbst die eifersüchtigen kleinen Höfe in ernster Noth nur bei Preußen Hilfe suchen konnten, und wer frei in die Zu- kunft blickte, mochte schon jene von Eichhorn erhoffte Zeit nahen sehen, da die deutschen Dinge für eine preußische Bundesreform reif wurden. In welche Sackgasse war doch der Deutsche Bund unter dem Systeme des friedlichen Dualismus gerathen: alle größeren Höfe sahen ein, daß sie den Krieg gegen Frankreich nur unter Preußens Führung unternehmen durften; und dennoch wagte Niemand, die gesetzliche Neugestaltung des Bundeskriegswesens auch nur zu beantragen.***)
*) Clam an Knesebeck, 15. März 1833 u. s. w.
**) Cabinetsordre an Bernstorff, 12. März; Bernstorff an Clam, 14. März 1832.
***) S. Beilage 20.
Verſtändigung über den Bundes-Kriegsplan.
wichtig und theuer als die eigenen ſind.“*) In langen Monaten ver- mochten weder Bernſtorff noch die Generale Kruſemark und Rühle ſich mit dieſem wortreichen Freunde zu verſtändigen. Bernſtorff, krank und reizbar wie er war, bat endlich den König geradezu, ihn von dieſem Ge- ſchäfte zu entbinden.**)
Inzwiſchen wurde General Kneſebeck mit der Fortführung der Unter- handlungen beauftragt, und dieſer alte treu ergebene Freund der Hofburg bemühte ſich nach Kräften, allen Wünſchen Clam’s entgegenzukommen. Preußens Forderungen entſprachen aber ſo genau den gegebenen Macht- verhältniſſen, daß ſelbſt Kneſebeck wenig davon nachlaſſen konnte. Als nun endlich im Mai 1832 die Militärbevollmächtigten der ſüddeutſchen Höfe, die von Preußen über Alles getreulich unterrichtet waren, und dann auch die Vertreter von Sachſen und Hannover nach Berlin geladen wurden, da errang die preußiſche Politik einen vollſtändigen Triumph. Die Offiziere der Mittelſtaaten erklärten ſich ſammt und ſonders für Preußens Vorſchläge, und die Militär-Conferenz beſchloß, daß für den Fall des Krieges drei Heere aufgeſtellt würden: zwei aus Preußen und Bundestruppen gemiſchte am Nieder- und Mittelrhein, dazu ein öſter- reichiſches Heer am Oberrhein. Preußen verſprach außer den Feſtungs- garniſonen 231000 Mann zu ſtellen, die kleinen Staaten 116000 Mann — eine ziemlich kühne Rechnung — Oeſterreich endlich 172000 Mann. Die letztere Zahl ließ man nur aus Höflichkeit ſtehen; denn Niemand glaubte, daß der Krieg in Italien ſo viele k. k. Truppen verfügbar laſſen würde. Traten dieſe Entwürfe je ins Leben, ſo erhielt Preußen offenbar die Leitung des Bundeskriegs. Der verabredete Plan wurde ſodann dem aus Petersburg geſendeten General Neidhardt mitgetheilt, und Czar Nikolaus wiederholte ſeine dreiſte Zuſage, daß er im Falle des Krieges Polen mit 100000 Mann decken und 200000 Mann als „furchtbare Reſerve“ dem deutſchen Heere nachſchicken werde. So hoffte man gegen jeden Angriff gedeckt zu ſein. Alle dieſe Verhandlungen blieben tief geheim und für den Augenblick ohne Wirkung, da der Krieg abgewendet wurde; aber ſie bewieſen ſchlagend, daß ſelbſt die eiferſüchtigen kleinen Höfe in ernſter Noth nur bei Preußen Hilfe ſuchen konnten, und wer frei in die Zu- kunft blickte, mochte ſchon jene von Eichhorn erhoffte Zeit nahen ſehen, da die deutſchen Dinge für eine preußiſche Bundesreform reif wurden. In welche Sackgaſſe war doch der Deutſche Bund unter dem Syſteme des friedlichen Dualismus gerathen: alle größeren Höfe ſahen ein, daß ſie den Krieg gegen Frankreich nur unter Preußens Führung unternehmen durften; und dennoch wagte Niemand, die geſetzliche Neugeſtaltung des Bundeskriegsweſens auch nur zu beantragen.***)
*) Clam an Kneſebeck, 15. März 1833 u. ſ. w.
**) Cabinetsordre an Bernſtorff, 12. März; Bernſtorff an Clam, 14. März 1832.
***) S. Beilage 20.
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wichtig und theuer als die eigenen ſind.“ *) In langen Monaten ver-
mochten weder Bernſtorff noch die Generale Kruſemark und Rühle ſich
mit dieſem wortreichen Freunde zu verſtändigen. Bernſtorff, krank und
reizbar wie er war, bat endlich den König geradezu, ihn von dieſem Ge-
ſchäfte zu entbinden. **)
Inzwiſchen wurde General Kneſebeck mit der Fortführung der Unter-
handlungen beauftragt, und dieſer alte treu ergebene Freund der Hofburg
bemühte ſich nach Kräften, allen Wünſchen Clam’s entgegenzukommen.
Preußens Forderungen entſprachen aber ſo genau den gegebenen Macht-
verhältniſſen, daß ſelbſt Kneſebeck wenig davon nachlaſſen konnte. Als
nun endlich im Mai 1832 die Militärbevollmächtigten der ſüddeutſchen
Höfe, die von Preußen über Alles getreulich unterrichtet waren, und dann
auch die Vertreter von Sachſen und Hannover nach Berlin geladen
wurden, da errang die preußiſche Politik einen vollſtändigen Triumph.
Die Offiziere der Mittelſtaaten erklärten ſich ſammt und ſonders für
Preußens Vorſchläge, und die Militär-Conferenz beſchloß, daß für den
Fall des Krieges drei Heere aufgeſtellt würden: zwei aus Preußen und
Bundestruppen gemiſchte am Nieder- und Mittelrhein, dazu ein öſter-
reichiſches Heer am Oberrhein. Preußen verſprach außer den Feſtungs-
garniſonen 231000 Mann zu ſtellen, die kleinen Staaten 116000 Mann
— eine ziemlich kühne Rechnung — Oeſterreich endlich 172000 Mann.
Die letztere Zahl ließ man nur aus Höflichkeit ſtehen; denn Niemand
glaubte, daß der Krieg in Italien ſo viele k. k. Truppen verfügbar laſſen
würde. Traten dieſe Entwürfe je ins Leben, ſo erhielt Preußen offenbar die
Leitung des Bundeskriegs. Der verabredete Plan wurde ſodann dem aus
Petersburg geſendeten General Neidhardt mitgetheilt, und Czar Nikolaus
wiederholte ſeine dreiſte Zuſage, daß er im Falle des Krieges Polen mit
100000 Mann decken und 200000 Mann als „furchtbare Reſerve“ dem
deutſchen Heere nachſchicken werde. So hoffte man gegen jeden Angriff
gedeckt zu ſein. Alle dieſe Verhandlungen blieben tief geheim und für
den Augenblick ohne Wirkung, da der Krieg abgewendet wurde; aber ſie
bewieſen ſchlagend, daß ſelbſt die eiferſüchtigen kleinen Höfe in ernſter
Noth nur bei Preußen Hilfe ſuchen konnten, und wer frei in die Zu-
kunft blickte, mochte ſchon jene von Eichhorn erhoffte Zeit nahen ſehen,
da die deutſchen Dinge für eine preußiſche Bundesreform reif wurden.
In welche Sackgaſſe war doch der Deutſche Bund unter dem Syſteme
des friedlichen Dualismus gerathen: alle größeren Höfe ſahen ein, daß
ſie den Krieg gegen Frankreich nur unter Preußens Führung unternehmen
durften; und dennoch wagte Niemand, die geſetzliche Neugeſtaltung des
Bundeskriegsweſens auch nur zu beantragen. ***)
*) Clam an Kneſebeck, 15. März 1833 u. ſ. w.
**) Cabinetsordre an Bernſtorff, 12. März; Bernſtorff an Clam, 14. März 1832.
***) S. Beilage 20.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/233>, abgerufen am 25.11.2024.
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