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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 4. Landtage und Feste in Oberdeutschland.
gehörte, stellte er die Frage nach der Zukunft Deutschlands und schilderte
mit stolzer Zuversicht dies Volk, das mit allen seinen Fehlern doch das
geistvollste und gemüthlichste, das frömmste und gewissenhafteste der Völker
sei, aber wie der am heimathlichen Strande erwachende Odysseus weinend
sein Vaterland nicht erkenne. Dies Vaterland der Deutschen, so fuhr er
freudig fort, sei schon vorhanden in dem Staate Friedrich's des Großen, in
diesem Staate, der nicht nur durch seine gerechte Verwaltung, seine mensch-
lichen Gesetze, sein Volksheer, sein gewecktes geistiges Leben, sondern auch
durch sein starkes Volksgefühl alle anderen deutschen Länder übertreffe.

Der tapfere Schwabe wagte also den überall als dünkelhaften Parti-
cularismus verrufenen preußischen Stolz kurzerhand als den größten
Vorzug der Preußen zu loben, er wagte den undeutschen, atheistischen
Zug des deutschen Liberalismus, dies schlimme Erbtheil der französischen
Encyclopädisten, freimüthig zu tadeln, die hoffnungslose Ohnmacht der
kleinen Landtage offen einzugestehen und hielt den gellenden Anklagen der
Demagogen die harte Wahrheit entgegen: "Weniger die Fürsten als die
Völker Deutschlands sind das große Hinderniß seiner Vereinigung." Die
glücklich gewählte Briefform bot ihm die Möglichkeit, das Für und Wider
vor den Augen seiner zweifelnden und ringenden Zeit genau abzuwägen, mit
siegreicher Dialektik alle die Einwände gegen das Eine was noth that zu
vernichten: die Träume vom Sonderbunde des sogenannten reinen Deutsch-
lands so gut wie den schwärmerischen Weltbürgergeist, der die Nationa-
lität nur für das Ausland gelten lassen wollte. Aus den Gedichten, die
er seinen Briefen anschloß, sprach die Ahnung einer unermeßlichen Zukunft.
Er sah im Mondenscheine die Felskegel seiner heimischen Rauhen Alp vor
sich liegen, er sah die alten Schwabenkaiser vom schlanken Gipfel des
Hohenstaufen niedersteigen und wendete dann seine Blicke auf den Hohen-
zollern:

Doch die Helden sind geschieden,
Die Vergangenheit ist todt!
Seele, von des Grabes Frieden
Wende dich zum Morgenroth,
Gleich dem Aar, der einst entflogen
Staufens Nachbar und im Flug
Zollerns Ruhm bis an die Wogen
Des entlegnen Ostmeers trug.

Nimmer wollte er von der Hoffnung lassen, daß der Adler Fried-
rich's die Verlassenen, Heimathlosen mit seiner goldnen Schwinge decken
werde. So schön und tief hatte noch nie ein Deutscher von Preußens
großer Zukunft gesprochen; neben Pfizer's streng politischen Gedanken er-
schienen Fichte's kühne Weissagungen doch nur wie nebelhafte Gelehrten-
träume. Und dieser weckende Ruf erklang von den Lippen eines dreißig-
jährigen Schwaben, der in den engen Verhältnissen der Heimath auf-
gewachsen, das preußische Land vermuthlich nie betreten hatte. Wie fremd

IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland.
gehörte, ſtellte er die Frage nach der Zukunft Deutſchlands und ſchilderte
mit ſtolzer Zuverſicht dies Volk, das mit allen ſeinen Fehlern doch das
geiſtvollſte und gemüthlichſte, das frömmſte und gewiſſenhafteſte der Völker
ſei, aber wie der am heimathlichen Strande erwachende Odyſſeus weinend
ſein Vaterland nicht erkenne. Dies Vaterland der Deutſchen, ſo fuhr er
freudig fort, ſei ſchon vorhanden in dem Staate Friedrich’s des Großen, in
dieſem Staate, der nicht nur durch ſeine gerechte Verwaltung, ſeine menſch-
lichen Geſetze, ſein Volksheer, ſein gewecktes geiſtiges Leben, ſondern auch
durch ſein ſtarkes Volksgefühl alle anderen deutſchen Länder übertreffe.

Der tapfere Schwabe wagte alſo den überall als dünkelhaften Parti-
cularismus verrufenen preußiſchen Stolz kurzerhand als den größten
Vorzug der Preußen zu loben, er wagte den undeutſchen, atheiſtiſchen
Zug des deutſchen Liberalismus, dies ſchlimme Erbtheil der franzöſiſchen
Encyclopädiſten, freimüthig zu tadeln, die hoffnungsloſe Ohnmacht der
kleinen Landtage offen einzugeſtehen und hielt den gellenden Anklagen der
Demagogen die harte Wahrheit entgegen: „Weniger die Fürſten als die
Völker Deutſchlands ſind das große Hinderniß ſeiner Vereinigung.“ Die
glücklich gewählte Briefform bot ihm die Möglichkeit, das Für und Wider
vor den Augen ſeiner zweifelnden und ringenden Zeit genau abzuwägen, mit
ſiegreicher Dialektik alle die Einwände gegen das Eine was noth that zu
vernichten: die Träume vom Sonderbunde des ſogenannten reinen Deutſch-
lands ſo gut wie den ſchwärmeriſchen Weltbürgergeiſt, der die Nationa-
lität nur für das Ausland gelten laſſen wollte. Aus den Gedichten, die
er ſeinen Briefen anſchloß, ſprach die Ahnung einer unermeßlichen Zukunft.
Er ſah im Mondenſcheine die Felskegel ſeiner heimiſchen Rauhen Alp vor
ſich liegen, er ſah die alten Schwabenkaiſer vom ſchlanken Gipfel des
Hohenſtaufen niederſteigen und wendete dann ſeine Blicke auf den Hohen-
zollern:

Doch die Helden ſind geſchieden,
Die Vergangenheit iſt todt!
Seele, von des Grabes Frieden
Wende dich zum Morgenroth,
Gleich dem Aar, der einſt entflogen
Staufens Nachbar und im Flug
Zollerns Ruhm bis an die Wogen
Des entlegnen Oſtmeers trug.

Nimmer wollte er von der Hoffnung laſſen, daß der Adler Fried-
rich’s die Verlaſſenen, Heimathloſen mit ſeiner goldnen Schwinge decken
werde. So ſchön und tief hatte noch nie ein Deutſcher von Preußens
großer Zukunft geſprochen; neben Pfizer’s ſtreng politiſchen Gedanken er-
ſchienen Fichte’s kühne Weiſſagungen doch nur wie nebelhafte Gelehrten-
träume. Und dieſer weckende Ruf erklang von den Lippen eines dreißig-
jährigen Schwaben, der in den engen Verhältniſſen der Heimath auf-
gewachſen, das preußiſche Land vermuthlich nie betreten hatte. Wie fremd

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[258/0272] IV. 4. Landtage und Feſte in Oberdeutſchland. gehörte, ſtellte er die Frage nach der Zukunft Deutſchlands und ſchilderte mit ſtolzer Zuverſicht dies Volk, das mit allen ſeinen Fehlern doch das geiſtvollſte und gemüthlichſte, das frömmſte und gewiſſenhafteſte der Völker ſei, aber wie der am heimathlichen Strande erwachende Odyſſeus weinend ſein Vaterland nicht erkenne. Dies Vaterland der Deutſchen, ſo fuhr er freudig fort, ſei ſchon vorhanden in dem Staate Friedrich’s des Großen, in dieſem Staate, der nicht nur durch ſeine gerechte Verwaltung, ſeine menſch- lichen Geſetze, ſein Volksheer, ſein gewecktes geiſtiges Leben, ſondern auch durch ſein ſtarkes Volksgefühl alle anderen deutſchen Länder übertreffe. Der tapfere Schwabe wagte alſo den überall als dünkelhaften Parti- cularismus verrufenen preußiſchen Stolz kurzerhand als den größten Vorzug der Preußen zu loben, er wagte den undeutſchen, atheiſtiſchen Zug des deutſchen Liberalismus, dies ſchlimme Erbtheil der franzöſiſchen Encyclopädiſten, freimüthig zu tadeln, die hoffnungsloſe Ohnmacht der kleinen Landtage offen einzugeſtehen und hielt den gellenden Anklagen der Demagogen die harte Wahrheit entgegen: „Weniger die Fürſten als die Völker Deutſchlands ſind das große Hinderniß ſeiner Vereinigung.“ Die glücklich gewählte Briefform bot ihm die Möglichkeit, das Für und Wider vor den Augen ſeiner zweifelnden und ringenden Zeit genau abzuwägen, mit ſiegreicher Dialektik alle die Einwände gegen das Eine was noth that zu vernichten: die Träume vom Sonderbunde des ſogenannten reinen Deutſch- lands ſo gut wie den ſchwärmeriſchen Weltbürgergeiſt, der die Nationa- lität nur für das Ausland gelten laſſen wollte. Aus den Gedichten, die er ſeinen Briefen anſchloß, ſprach die Ahnung einer unermeßlichen Zukunft. Er ſah im Mondenſcheine die Felskegel ſeiner heimiſchen Rauhen Alp vor ſich liegen, er ſah die alten Schwabenkaiſer vom ſchlanken Gipfel des Hohenſtaufen niederſteigen und wendete dann ſeine Blicke auf den Hohen- zollern: Doch die Helden ſind geſchieden, Die Vergangenheit iſt todt! Seele, von des Grabes Frieden Wende dich zum Morgenroth, Gleich dem Aar, der einſt entflogen Staufens Nachbar und im Flug Zollerns Ruhm bis an die Wogen Des entlegnen Oſtmeers trug. Nimmer wollte er von der Hoffnung laſſen, daß der Adler Fried- rich’s die Verlaſſenen, Heimathloſen mit ſeiner goldnen Schwinge decken werde. So ſchön und tief hatte noch nie ein Deutſcher von Preußens großer Zukunft geſprochen; neben Pfizer’s ſtreng politiſchen Gedanken er- ſchienen Fichte’s kühne Weiſſagungen doch nur wie nebelhafte Gelehrten- träume. Und dieſer weckende Ruf erklang von den Lippen eines dreißig- jährigen Schwaben, der in den engen Verhältniſſen der Heimath auf- gewachſen, das preußiſche Land vermuthlich nie betreten hatte. Wie fremd

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/272>, abgerufen am 24.11.2024.