digste Gedanke aller deutschen Herzen sei doch das Verlangen nach natio- naler Macht und Herrlichkeit; und mit Schrecken erkannte er, nur ein Staat könne solche Sehnsucht befriedigen: jenes unheimliche Preußen, das an seinem Gürtel den Schlüssel Frankreichs, die Rheinfestungen, in seiner Hand den siegreichen Degen von Waterloo trage. "Dort in Preu- ßen -- so schrieb er in seinen Aufsätzen über Deutschland und Italien (1831) -- sind die alte Unparteilichkeit und das politische Weltbürgerthum einem reizbaren und zornigen Nationalstolze gewichen. Der preußische Despotismus ist einsichtig, beweglich, unternehmend; er lebt von der Wissenschaft wie andere Despoten von der Unwissenheit. Zwischen ihm und seinem Volke besteht ein geheimes Einverständniß um die Freiheit zu vertagen und gemeinsam das Erbe Friedrich's zu vermehren." --
Die Zeit sollte noch kommen, da die Besorgnisse des Franzosen sich bewährten. Für jetzt gingen die Kräfte, welche an der Einheit Deutsch- lands bauten, noch sehr weit aus einander. Durch die Thorheit der pfälzischen Demagogen wurde der bisher so geduldige preußische Hof ge- nöthigt die liberale Bewegung in Oberdeutschland zu bekämpfen, und er führte den Kampf mit solcher Schärfe, daß im Süden bald wieder ein tödlicher Haß gegen die norddeutsche Macht aufflammte.
Um der Bewegung neuen Schwung zu geben, beschlossen Wirth und Siebenpfeiffer die Einberufung großer Volksversammlungen, und dies überall zweischneidige Kampfmittel konnte hier, wo man eigentlich gar keinen bestimmten Zweck verfolgte, nur Unfug und Ruhestörung bewirken. Ein von Siebenpfeiffer verfaßter Aufruf lud alle Deutschen ein, am 27. Mai auf dem Hambacher Schlosse bei Neustadt an der Hardt "der Deutschen Mai" zu feiern, ein Fest der Hoffnung, am Geburtstage der bairischen Verfassung; in diesem Wonnemonat hätten sich einst die freien Franken auf ihrem Maifeld versammelt und dann die freien Polen ihre Ver- fassung erhalten. Der Münchener Hof verfuhr wieder sehr schwächlich, er wollte dem preußischen Gesandten durchaus nicht zugestehen, daß in Baiern irgend eine Gefahr für die öffentliche Ruhe bestehe.*) Und doch bezeichnete Wirth als den Zweck seines Preßvereins ganz offen "die Organi- sation eines deutschen Reichs im demokratischen Sinne"; und doch hatten die pfälzischen Radicalen soeben, bei einem Feste für den heimkehrenden Abgeordneten Schüler, ebenso unzweideutig ausgesprochen, jede Versöhnung mit dem Grundsatz der Legitimität sei unmöglich, die Reform Deutsch- lands könne nur auf dem Boden der unbedingten Volkssouveränität durch- geführt werden. Die Zweibrückener Bürgerwehr, die sich eigenmächtig bewaffnet hatte, belagerte die Reiter-Caserne und bewachte Schüler's Haus, um sofort Sturm zu läuten falls der Volksmann bedroht würde. Aus solchen Anzeichen schloß der wohlmeinende Präsident Stichaner,
*) Küster's Bericht 3. Mai 1832.
E. Quinet.
digſte Gedanke aller deutſchen Herzen ſei doch das Verlangen nach natio- naler Macht und Herrlichkeit; und mit Schrecken erkannte er, nur ein Staat könne ſolche Sehnſucht befriedigen: jenes unheimliche Preußen, das an ſeinem Gürtel den Schlüſſel Frankreichs, die Rheinfeſtungen, in ſeiner Hand den ſiegreichen Degen von Waterloo trage. „Dort in Preu- ßen — ſo ſchrieb er in ſeinen Aufſätzen über Deutſchland und Italien (1831) — ſind die alte Unparteilichkeit und das politiſche Weltbürgerthum einem reizbaren und zornigen Nationalſtolze gewichen. Der preußiſche Despotismus iſt einſichtig, beweglich, unternehmend; er lebt von der Wiſſenſchaft wie andere Despoten von der Unwiſſenheit. Zwiſchen ihm und ſeinem Volke beſteht ein geheimes Einverſtändniß um die Freiheit zu vertagen und gemeinſam das Erbe Friedrich’s zu vermehren.“ —
Die Zeit ſollte noch kommen, da die Beſorgniſſe des Franzoſen ſich bewährten. Für jetzt gingen die Kräfte, welche an der Einheit Deutſch- lands bauten, noch ſehr weit aus einander. Durch die Thorheit der pfälziſchen Demagogen wurde der bisher ſo geduldige preußiſche Hof ge- nöthigt die liberale Bewegung in Oberdeutſchland zu bekämpfen, und er führte den Kampf mit ſolcher Schärfe, daß im Süden bald wieder ein tödlicher Haß gegen die norddeutſche Macht aufflammte.
Um der Bewegung neuen Schwung zu geben, beſchloſſen Wirth und Siebenpfeiffer die Einberufung großer Volksverſammlungen, und dies überall zweiſchneidige Kampfmittel konnte hier, wo man eigentlich gar keinen beſtimmten Zweck verfolgte, nur Unfug und Ruheſtörung bewirken. Ein von Siebenpfeiffer verfaßter Aufruf lud alle Deutſchen ein, am 27. Mai auf dem Hambacher Schloſſe bei Neuſtadt an der Hardt „der Deutſchen Mai“ zu feiern, ein Feſt der Hoffnung, am Geburtstage der bairiſchen Verfaſſung; in dieſem Wonnemonat hätten ſich einſt die freien Franken auf ihrem Maifeld verſammelt und dann die freien Polen ihre Ver- faſſung erhalten. Der Münchener Hof verfuhr wieder ſehr ſchwächlich, er wollte dem preußiſchen Geſandten durchaus nicht zugeſtehen, daß in Baiern irgend eine Gefahr für die öffentliche Ruhe beſtehe.*) Und doch bezeichnete Wirth als den Zweck ſeines Preßvereins ganz offen „die Organi- ſation eines deutſchen Reichs im demokratiſchen Sinne“; und doch hatten die pfälziſchen Radicalen ſoeben, bei einem Feſte für den heimkehrenden Abgeordneten Schüler, ebenſo unzweideutig ausgeſprochen, jede Verſöhnung mit dem Grundſatz der Legitimität ſei unmöglich, die Reform Deutſch- lands könne nur auf dem Boden der unbedingten Volksſouveränität durch- geführt werden. Die Zweibrückener Bürgerwehr, die ſich eigenmächtig bewaffnet hatte, belagerte die Reiter-Caſerne und bewachte Schüler’s Haus, um ſofort Sturm zu läuten falls der Volksmann bedroht würde. Aus ſolchen Anzeichen ſchloß der wohlmeinende Präſident Stichaner,
*) Küſter’s Bericht 3. Mai 1832.
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E. Quinet.
digſte Gedanke aller deutſchen Herzen ſei doch das Verlangen nach natio-
naler Macht und Herrlichkeit; und mit Schrecken erkannte er, nur ein
Staat könne ſolche Sehnſucht befriedigen: jenes unheimliche Preußen,
das an ſeinem Gürtel den Schlüſſel Frankreichs, die Rheinfeſtungen, in
ſeiner Hand den ſiegreichen Degen von Waterloo trage. „Dort in Preu-
ßen — ſo ſchrieb er in ſeinen Aufſätzen über Deutſchland und Italien
(1831) — ſind die alte Unparteilichkeit und das politiſche Weltbürgerthum
einem reizbaren und zornigen Nationalſtolze gewichen. Der preußiſche
Despotismus iſt einſichtig, beweglich, unternehmend; er lebt von der
Wiſſenſchaft wie andere Despoten von der Unwiſſenheit. Zwiſchen ihm
und ſeinem Volke beſteht ein geheimes Einverſtändniß um die Freiheit zu
vertagen und gemeinſam das Erbe Friedrich’s zu vermehren.“ —
Die Zeit ſollte noch kommen, da die Beſorgniſſe des Franzoſen ſich
bewährten. Für jetzt gingen die Kräfte, welche an der Einheit Deutſch-
lands bauten, noch ſehr weit aus einander. Durch die Thorheit der
pfälziſchen Demagogen wurde der bisher ſo geduldige preußiſche Hof ge-
nöthigt die liberale Bewegung in Oberdeutſchland zu bekämpfen, und er
führte den Kampf mit ſolcher Schärfe, daß im Süden bald wieder ein
tödlicher Haß gegen die norddeutſche Macht aufflammte.
Um der Bewegung neuen Schwung zu geben, beſchloſſen Wirth und
Siebenpfeiffer die Einberufung großer Volksverſammlungen, und dies
überall zweiſchneidige Kampfmittel konnte hier, wo man eigentlich gar
keinen beſtimmten Zweck verfolgte, nur Unfug und Ruheſtörung bewirken.
Ein von Siebenpfeiffer verfaßter Aufruf lud alle Deutſchen ein, am 27. Mai
auf dem Hambacher Schloſſe bei Neuſtadt an der Hardt „der Deutſchen
Mai“ zu feiern, ein Feſt der Hoffnung, am Geburtstage der bairiſchen
Verfaſſung; in dieſem Wonnemonat hätten ſich einſt die freien Franken
auf ihrem Maifeld verſammelt und dann die freien Polen ihre Ver-
faſſung erhalten. Der Münchener Hof verfuhr wieder ſehr ſchwächlich,
er wollte dem preußiſchen Geſandten durchaus nicht zugeſtehen, daß in
Baiern irgend eine Gefahr für die öffentliche Ruhe beſtehe. *) Und doch
bezeichnete Wirth als den Zweck ſeines Preßvereins ganz offen „die Organi-
ſation eines deutſchen Reichs im demokratiſchen Sinne“; und doch hatten
die pfälziſchen Radicalen ſoeben, bei einem Feſte für den heimkehrenden
Abgeordneten Schüler, ebenſo unzweideutig ausgeſprochen, jede Verſöhnung
mit dem Grundſatz der Legitimität ſei unmöglich, die Reform Deutſch-
lands könne nur auf dem Boden der unbedingten Volksſouveränität durch-
geführt werden. Die Zweibrückener Bürgerwehr, die ſich eigenmächtig
bewaffnet hatte, belagerte die Reiter-Caſerne und bewachte Schüler’s
Haus, um ſofort Sturm zu läuten falls der Volksmann bedroht würde.
Aus ſolchen Anzeichen ſchloß der wohlmeinende Präſident Stichaner,
*) Küſter’s Bericht 3. Mai 1832.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/275>, abgerufen am 24.11.2024.
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