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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Der Vergebliche Landtag in Württemberg.
brauste König Wilhelm auf, gab dem Vertrauensbrecher seine "ganze
Indignation" zu erkennen und sagte zum Schluß: "Ebenso unangenehm
sind mir die Lobsprüche gewesen, die Sie über denjenigen Theil meines
Briefes, den Sie nicht abgedruckt haben, beigefügt haben, indem unter den
wirklichen Zeitumständen jedes günstige Urtheil eines Mannes, der zu
einer Partei gehört, zu der Sie Sich öffentlich bekannt haben, für mich nur
höchst beleidigend sein kann." Mit so schnöden Worten gab der Schwaben-
könig den Liberalen den Laufpaß. Für jetzt blieb diese Kriegserklärung
noch geheim; denn Wangenheim, der seine eigene Schuld durchaus nicht
einsehen wollte, meinte stolz: "das Mitleid forderte, dem unköniglichen
Schreiben keine Oeffentlichkeit zu geben, und die Verachtung forderte,
nichts darauf zu erwidern."*)

Bald genug sollte der Landtag selbst erfahren, daß der König seine
politischen Gegner wie persönliche Feinde betrachtete. Es war Brauch in
Schwaben, daß die neuen Abgeordneten den Verfassungseid in die Hand
des Königs ablegten. Unter den Neugewählten befand sich aber Paul
Pfizer. Der war soeben aus dem Staatsdienst ausgetreten, weil ihn seine
Vorgesetzten wegen des Briefwechsels zweier Deutschen zur Rechenschaft
zogen. Um keinen Preis wollte König Wilhelm seine Hand diesem Ver-
haßten reichen, der dem Hause Württemberg zugemuthet hatte, sich den
Hohenzollern unterzuordnen. Pfizer wurde daher unter der Hand auf-
gefordert bei der Eröffnungssitzung wegzubleiben. Zu einer so schimpflichen
Demüthigung konnte sich der bescheidene junge Abgeordnete doch nicht ent-
schließen, ein unmittelbarer Befehl des Königs war ihm gar nicht zuge-
kommen. So vollzog sich denn schon die Eröffnung der Ständeversammlung
unter bösen Anzeichen (15. Januar 1833). Der gefürchtete junge Liberale
erschien, aber die angekündigte feierliche Auffahrt des Monarchen ward in
letzter Stunde abgesagt, und statt seiner vereidigte ein Minister die Volks-
vertreter.**) Alsbald folgten heftige Verhandlungen über die Wahlen.
Wangenheim's Wahl ward von einer schwachen Mehrheit für ungiltig
erklärt, und dem Ausgestoßenen blieb nur die Genugthuung, daß jetzt alle
Parteien wetteifernd seine Verdienste um die Begründung der Verfassung
anerkannten. Selbst sein alter Gegner Uhland sagte: "Giebt es nicht auch
ein geistiges Heimathsrecht, das nicht ganz von der Scholle abhängt? Ist
es nicht auch ein Wohnen im Lande, wenn man im Angedenken seiner
Bewohner lebt und dann durch ihr Vertrauen zur Repräsentation berufen
wurde?"

Das Schicksal des entlassenen Ministers theilten vier andere Abge-
ordnete, welche vor Jahren wegen demagogischer Umtriebe auf dem Hohen-

*) K. Wilhelm an Wangenheim, 9. Sept. Wangenheim an Hartmann, 27. Sept.
1832. S. Beilage 21.
**) Küster's Bericht, 15. Jan. 1833.
Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 19

Der Vergebliche Landtag in Württemberg.
brauſte König Wilhelm auf, gab dem Vertrauensbrecher ſeine „ganze
Indignation“ zu erkennen und ſagte zum Schluß: „Ebenſo unangenehm
ſind mir die Lobſprüche geweſen, die Sie über denjenigen Theil meines
Briefes, den Sie nicht abgedruckt haben, beigefügt haben, indem unter den
wirklichen Zeitumſtänden jedes günſtige Urtheil eines Mannes, der zu
einer Partei gehört, zu der Sie Sich öffentlich bekannt haben, für mich nur
höchſt beleidigend ſein kann.“ Mit ſo ſchnöden Worten gab der Schwaben-
könig den Liberalen den Laufpaß. Für jetzt blieb dieſe Kriegserklärung
noch geheim; denn Wangenheim, der ſeine eigene Schuld durchaus nicht
einſehen wollte, meinte ſtolz: „das Mitleid forderte, dem unköniglichen
Schreiben keine Oeffentlichkeit zu geben, und die Verachtung forderte,
nichts darauf zu erwidern.“*)

Bald genug ſollte der Landtag ſelbſt erfahren, daß der König ſeine
politiſchen Gegner wie perſönliche Feinde betrachtete. Es war Brauch in
Schwaben, daß die neuen Abgeordneten den Verfaſſungseid in die Hand
des Königs ablegten. Unter den Neugewählten befand ſich aber Paul
Pfizer. Der war ſoeben aus dem Staatsdienſt ausgetreten, weil ihn ſeine
Vorgeſetzten wegen des Briefwechſels zweier Deutſchen zur Rechenſchaft
zogen. Um keinen Preis wollte König Wilhelm ſeine Hand dieſem Ver-
haßten reichen, der dem Hauſe Württemberg zugemuthet hatte, ſich den
Hohenzollern unterzuordnen. Pfizer wurde daher unter der Hand auf-
gefordert bei der Eröffnungsſitzung wegzubleiben. Zu einer ſo ſchimpflichen
Demüthigung konnte ſich der beſcheidene junge Abgeordnete doch nicht ent-
ſchließen, ein unmittelbarer Befehl des Königs war ihm gar nicht zuge-
kommen. So vollzog ſich denn ſchon die Eröffnung der Ständeverſammlung
unter böſen Anzeichen (15. Januar 1833). Der gefürchtete junge Liberale
erſchien, aber die angekündigte feierliche Auffahrt des Monarchen ward in
letzter Stunde abgeſagt, und ſtatt ſeiner vereidigte ein Miniſter die Volks-
vertreter.**) Alsbald folgten heftige Verhandlungen über die Wahlen.
Wangenheim’s Wahl ward von einer ſchwachen Mehrheit für ungiltig
erklärt, und dem Ausgeſtoßenen blieb nur die Genugthuung, daß jetzt alle
Parteien wetteifernd ſeine Verdienſte um die Begründung der Verfaſſung
anerkannten. Selbſt ſein alter Gegner Uhland ſagte: „Giebt es nicht auch
ein geiſtiges Heimathsrecht, das nicht ganz von der Scholle abhängt? Iſt
es nicht auch ein Wohnen im Lande, wenn man im Angedenken ſeiner
Bewohner lebt und dann durch ihr Vertrauen zur Repräſentation berufen
wurde?“

Das Schickſal des entlaſſenen Miniſters theilten vier andere Abge-
ordnete, welche vor Jahren wegen demagogiſcher Umtriebe auf dem Hohen-

*) K. Wilhelm an Wangenheim, 9. Sept. Wangenheim an Hartmann, 27. Sept.
1832. S. Beilage 21.
**) Küſter’s Bericht, 15. Jan. 1833.
Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 19
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[289/0303] Der Vergebliche Landtag in Württemberg. brauſte König Wilhelm auf, gab dem Vertrauensbrecher ſeine „ganze Indignation“ zu erkennen und ſagte zum Schluß: „Ebenſo unangenehm ſind mir die Lobſprüche geweſen, die Sie über denjenigen Theil meines Briefes, den Sie nicht abgedruckt haben, beigefügt haben, indem unter den wirklichen Zeitumſtänden jedes günſtige Urtheil eines Mannes, der zu einer Partei gehört, zu der Sie Sich öffentlich bekannt haben, für mich nur höchſt beleidigend ſein kann.“ Mit ſo ſchnöden Worten gab der Schwaben- könig den Liberalen den Laufpaß. Für jetzt blieb dieſe Kriegserklärung noch geheim; denn Wangenheim, der ſeine eigene Schuld durchaus nicht einſehen wollte, meinte ſtolz: „das Mitleid forderte, dem unköniglichen Schreiben keine Oeffentlichkeit zu geben, und die Verachtung forderte, nichts darauf zu erwidern.“ *) Bald genug ſollte der Landtag ſelbſt erfahren, daß der König ſeine politiſchen Gegner wie perſönliche Feinde betrachtete. Es war Brauch in Schwaben, daß die neuen Abgeordneten den Verfaſſungseid in die Hand des Königs ablegten. Unter den Neugewählten befand ſich aber Paul Pfizer. Der war ſoeben aus dem Staatsdienſt ausgetreten, weil ihn ſeine Vorgeſetzten wegen des Briefwechſels zweier Deutſchen zur Rechenſchaft zogen. Um keinen Preis wollte König Wilhelm ſeine Hand dieſem Ver- haßten reichen, der dem Hauſe Württemberg zugemuthet hatte, ſich den Hohenzollern unterzuordnen. Pfizer wurde daher unter der Hand auf- gefordert bei der Eröffnungsſitzung wegzubleiben. Zu einer ſo ſchimpflichen Demüthigung konnte ſich der beſcheidene junge Abgeordnete doch nicht ent- ſchließen, ein unmittelbarer Befehl des Königs war ihm gar nicht zuge- kommen. So vollzog ſich denn ſchon die Eröffnung der Ständeverſammlung unter böſen Anzeichen (15. Januar 1833). Der gefürchtete junge Liberale erſchien, aber die angekündigte feierliche Auffahrt des Monarchen ward in letzter Stunde abgeſagt, und ſtatt ſeiner vereidigte ein Miniſter die Volks- vertreter. **) Alsbald folgten heftige Verhandlungen über die Wahlen. Wangenheim’s Wahl ward von einer ſchwachen Mehrheit für ungiltig erklärt, und dem Ausgeſtoßenen blieb nur die Genugthuung, daß jetzt alle Parteien wetteifernd ſeine Verdienſte um die Begründung der Verfaſſung anerkannten. Selbſt ſein alter Gegner Uhland ſagte: „Giebt es nicht auch ein geiſtiges Heimathsrecht, das nicht ganz von der Scholle abhängt? Iſt es nicht auch ein Wohnen im Lande, wenn man im Angedenken ſeiner Bewohner lebt und dann durch ihr Vertrauen zur Repräſentation berufen wurde?“ Das Schickſal des entlaſſenen Miniſters theilten vier andere Abge- ordnete, welche vor Jahren wegen demagogiſcher Umtriebe auf dem Hohen- *) K. Wilhelm an Wangenheim, 9. Sept. Wangenheim an Hartmann, 27. Sept. 1832. S. Beilage 21. **) Küſter’s Bericht, 15. Jan. 1833. Treitſchke, Deutſche Geſchichte. IV. 19

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/303>, abgerufen am 24.11.2024.