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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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Pfizer's Motion.
schriften bedeckte demüthige Adresse. Er ließ die Abgesandten hart an,
sprach von einer wohlbekannten Rotte, die das undeutsche Wesen in
Schwaben einbürgern wolle, und verhieß nur, daß seine Entschließung von
dem Wohlverhalten der Stadt abhängen werde.

Unterdessen hatte die Opposition sich zur Hauptschlacht gerüstet.
Pfizer übernahm den ersten Stoß zu führen -- nicht zu seinem Glücke,
denn solche weitsichtige Prophetennaturen werden im wimmelnden Gewühl
der kleinen Tagespolitik leicht in falsche Stellungen gedrängt. Am 13. Fe-
bruar brachte er eine "Motion" ein, die sofort als Flugschrift gedruckt
wurde, da die Censoren den Zeitungen den Druck untersagten, und weithin
im constitutionellen Deutschland großes Aufsehen erregte. Die Motion
verlangte geradeswegs, die Sechs Artikel sollten für unverbindlich erklärt
werden, bis die Regierung sich mit ihren Landständen und dem Bundes-
tage über andere Beschlüsse verständigt hätte. Pfizer's Rede war meister-
haft, gedankenreich und voll edler Leidenschaft, aber der Antrag selbst ganz
unhaltbar und nicht einmal durch die Noth entschuldigt. Daß die Sechs
Artikel der Landesverfassung geradezu widersprächen, wagte der Redner
selbst nicht zu behaupten; er sagte nur: "sie tragen in sich die Fähigkeit
den Staatsvertrag abzuändern." Nun hatte der König erst vor Kurzem
feierlich versprochen, daß er die Bundesbeschlüsse nie mißbrauchen werde,
und seine Zusage bisher redlich gehalten; er mußte also in der Motion
eine absichtliche Beleidigung sehen, obwohl Pfizer über ihn persönlich mit
Ehrfurcht redete. Und welch ein grober Particularismus sprach aus dem
Antrage. Wie heillos verfahren und verschroben war die deutsche Politik,
wenn dieser Bewunderer Preußens, dieser Vorkämpfer der nationalen Ein-
heit, der über die Nichtigkeit der kleinen Landtage so scharf und treffend
urtheilte, jetzt die württembergische Verfassung kurzerhand über das Bundes-
recht stellte! Er empfand auch selbst den Widerspruch, er fühlte, daß er
nur als Vertreter des Liberalismus unter seinen Landsleuten Ansehen
gewinnen konnte, und gestand offen: "Ich wollte diejenigen, welche mich
falsch beurtheilen, überzeugen, daß die Einheit Deutschlands, welche ich
wünsche, die Einheit des Rechtes und der Freiheit ist, und daß ich die
Einheit des gesammten Deutschlands nicht um den Preis der Unterdrückung
und Vernichtung der einzelnen deutschen Länder erkauft wissen möchte."
So lange die deutschen Staaten souverän waren und ein deutscher Reichstag
nicht bestand, durften die Landtage mit Recht verlangen, daß die Minister
ihnen nöthigenfalls auch wegen der nach Frankfurt erlassenen Weisungen
Rede stehen müßten; aber Pfizer ging weiter, er wollte die Bundesgesandten
Württembergs nur dann als rechtmäßige Vertreter des Landes gelten
lassen, wenn ihnen ihre Aufträge mit Zustimmung der Landstände ertheilt
würden. Das hieß die deutsche Centralgewalt den Befehlen eines Dutzends
kleiner Landtage unterwerfen, und erschien um so gefährlicher, da Pfizer
sogar das allen Bundesfürsten theuere "monarchische Princip" der Bundes-

19*

Pfizer’s Motion.
ſchriften bedeckte demüthige Adreſſe. Er ließ die Abgeſandten hart an,
ſprach von einer wohlbekannten Rotte, die das undeutſche Weſen in
Schwaben einbürgern wolle, und verhieß nur, daß ſeine Entſchließung von
dem Wohlverhalten der Stadt abhängen werde.

Unterdeſſen hatte die Oppoſition ſich zur Hauptſchlacht gerüſtet.
Pfizer übernahm den erſten Stoß zu führen — nicht zu ſeinem Glücke,
denn ſolche weitſichtige Prophetennaturen werden im wimmelnden Gewühl
der kleinen Tagespolitik leicht in falſche Stellungen gedrängt. Am 13. Fe-
bruar brachte er eine „Motion“ ein, die ſofort als Flugſchrift gedruckt
wurde, da die Cenſoren den Zeitungen den Druck unterſagten, und weithin
im conſtitutionellen Deutſchland großes Aufſehen erregte. Die Motion
verlangte geradeswegs, die Sechs Artikel ſollten für unverbindlich erklärt
werden, bis die Regierung ſich mit ihren Landſtänden und dem Bundes-
tage über andere Beſchlüſſe verſtändigt hätte. Pfizer’s Rede war meiſter-
haft, gedankenreich und voll edler Leidenſchaft, aber der Antrag ſelbſt ganz
unhaltbar und nicht einmal durch die Noth entſchuldigt. Daß die Sechs
Artikel der Landesverfaſſung geradezu widerſprächen, wagte der Redner
ſelbſt nicht zu behaupten; er ſagte nur: „ſie tragen in ſich die Fähigkeit
den Staatsvertrag abzuändern.“ Nun hatte der König erſt vor Kurzem
feierlich verſprochen, daß er die Bundesbeſchlüſſe nie mißbrauchen werde,
und ſeine Zuſage bisher redlich gehalten; er mußte alſo in der Motion
eine abſichtliche Beleidigung ſehen, obwohl Pfizer über ihn perſönlich mit
Ehrfurcht redete. Und welch ein grober Particularismus ſprach aus dem
Antrage. Wie heillos verfahren und verſchroben war die deutſche Politik,
wenn dieſer Bewunderer Preußens, dieſer Vorkämpfer der nationalen Ein-
heit, der über die Nichtigkeit der kleinen Landtage ſo ſcharf und treffend
urtheilte, jetzt die württembergiſche Verfaſſung kurzerhand über das Bundes-
recht ſtellte! Er empfand auch ſelbſt den Widerſpruch, er fühlte, daß er
nur als Vertreter des Liberalismus unter ſeinen Landsleuten Anſehen
gewinnen konnte, und geſtand offen: „Ich wollte diejenigen, welche mich
falſch beurtheilen, überzeugen, daß die Einheit Deutſchlands, welche ich
wünſche, die Einheit des Rechtes und der Freiheit iſt, und daß ich die
Einheit des geſammten Deutſchlands nicht um den Preis der Unterdrückung
und Vernichtung der einzelnen deutſchen Länder erkauft wiſſen möchte.“
So lange die deutſchen Staaten ſouverän waren und ein deutſcher Reichstag
nicht beſtand, durften die Landtage mit Recht verlangen, daß die Miniſter
ihnen nöthigenfalls auch wegen der nach Frankfurt erlaſſenen Weiſungen
Rede ſtehen müßten; aber Pfizer ging weiter, er wollte die Bundesgeſandten
Württembergs nur dann als rechtmäßige Vertreter des Landes gelten
laſſen, wenn ihnen ihre Aufträge mit Zuſtimmung der Landſtände ertheilt
würden. Das hieß die deutſche Centralgewalt den Befehlen eines Dutzends
kleiner Landtage unterwerfen, und erſchien um ſo gefährlicher, da Pfizer
ſogar das allen Bundesfürſten theuere „monarchiſche Princip“ der Bundes-

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[291/0305] Pfizer’s Motion. ſchriften bedeckte demüthige Adreſſe. Er ließ die Abgeſandten hart an, ſprach von einer wohlbekannten Rotte, die das undeutſche Weſen in Schwaben einbürgern wolle, und verhieß nur, daß ſeine Entſchließung von dem Wohlverhalten der Stadt abhängen werde. Unterdeſſen hatte die Oppoſition ſich zur Hauptſchlacht gerüſtet. Pfizer übernahm den erſten Stoß zu führen — nicht zu ſeinem Glücke, denn ſolche weitſichtige Prophetennaturen werden im wimmelnden Gewühl der kleinen Tagespolitik leicht in falſche Stellungen gedrängt. Am 13. Fe- bruar brachte er eine „Motion“ ein, die ſofort als Flugſchrift gedruckt wurde, da die Cenſoren den Zeitungen den Druck unterſagten, und weithin im conſtitutionellen Deutſchland großes Aufſehen erregte. Die Motion verlangte geradeswegs, die Sechs Artikel ſollten für unverbindlich erklärt werden, bis die Regierung ſich mit ihren Landſtänden und dem Bundes- tage über andere Beſchlüſſe verſtändigt hätte. Pfizer’s Rede war meiſter- haft, gedankenreich und voll edler Leidenſchaft, aber der Antrag ſelbſt ganz unhaltbar und nicht einmal durch die Noth entſchuldigt. Daß die Sechs Artikel der Landesverfaſſung geradezu widerſprächen, wagte der Redner ſelbſt nicht zu behaupten; er ſagte nur: „ſie tragen in ſich die Fähigkeit den Staatsvertrag abzuändern.“ Nun hatte der König erſt vor Kurzem feierlich verſprochen, daß er die Bundesbeſchlüſſe nie mißbrauchen werde, und ſeine Zuſage bisher redlich gehalten; er mußte alſo in der Motion eine abſichtliche Beleidigung ſehen, obwohl Pfizer über ihn perſönlich mit Ehrfurcht redete. Und welch ein grober Particularismus ſprach aus dem Antrage. Wie heillos verfahren und verſchroben war die deutſche Politik, wenn dieſer Bewunderer Preußens, dieſer Vorkämpfer der nationalen Ein- heit, der über die Nichtigkeit der kleinen Landtage ſo ſcharf und treffend urtheilte, jetzt die württembergiſche Verfaſſung kurzerhand über das Bundes- recht ſtellte! Er empfand auch ſelbſt den Widerſpruch, er fühlte, daß er nur als Vertreter des Liberalismus unter ſeinen Landsleuten Anſehen gewinnen konnte, und geſtand offen: „Ich wollte diejenigen, welche mich falſch beurtheilen, überzeugen, daß die Einheit Deutſchlands, welche ich wünſche, die Einheit des Rechtes und der Freiheit iſt, und daß ich die Einheit des geſammten Deutſchlands nicht um den Preis der Unterdrückung und Vernichtung der einzelnen deutſchen Länder erkauft wiſſen möchte.“ So lange die deutſchen Staaten ſouverän waren und ein deutſcher Reichstag nicht beſtand, durften die Landtage mit Recht verlangen, daß die Miniſter ihnen nöthigenfalls auch wegen der nach Frankfurt erlaſſenen Weiſungen Rede ſtehen müßten; aber Pfizer ging weiter, er wollte die Bundesgeſandten Württembergs nur dann als rechtmäßige Vertreter des Landes gelten laſſen, wenn ihnen ihre Aufträge mit Zuſtimmung der Landſtände ertheilt würden. Das hieß die deutſche Centralgewalt den Befehlen eines Dutzends kleiner Landtage unterwerfen, und erſchien um ſo gefährlicher, da Pfizer ſogar das allen Bundesfürſten theuere „monarchiſche Princip“ der Bundes- 19*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/305>, abgerufen am 24.11.2024.