Mit dem Frankfurter Attentate ging die liberale Bewegung vorläufig zu Ende. Nur da und dort züngelten noch einzelne Flammen aus dem verlöschenden Brande auf. Die Pfälzer ließen sich's nicht nehmen, den ersten Jahrestag ihres Hambacher Festes durch eine neue Volksversammlung auf der Kästenburg zu feiern. Das Fest wurde verboten, Truppen rückten an, und die durch wiederholte Neckereien längst erbitterten Soldaten ver- fuhren mit entsetzlicher Roheit, verwundeten und mißhandelten eine Menge harmloser Leute. Die Aufregung im Volke steigerte sich noch, als bald nachher, seit Ende Juli 1833, fast drei Wochen lang Wirth, Siebenpfeiffer und ihre Hambacher Genossen vor den Landauer Geschworenen standen. Die meisten der Angeklagten bekannten sich unumwunden zu dem radicalen Grundsatze der allgemeinen Gleichheit. Wirth erklärte freimüthig, daß er die eine und untheilbare deutsche Republik erstrebe, freilich ohne Blutvergießen, allein durch "die innere Aufrichtung des Volkes". Diese republikanische Ver- fassung sei nichts anderes als das alte, allein rechtmäßige deutsche Kaiser- thum; "der ganze Unterschied besteht nur darin, daß ich dem gemein- schaftlichen Reichsoberhaupt der Deutschen den Titel: Präsident beigelegt wissen will, während ihn die deutsche Constitution Kaiser nennt." Er sprach jedoch mit solchem Feuer ehrlicher vaterländischer Begeisterung und wußte die rührsamen Schlagworte aus Jean Paul, "dem ersten Dichter aller Völker und Jahrtausende", so geschickt einzuflechten, daß Geschworene, Vertheidiger, Zu- schauer diesem "politischen Luther" ihre Bewunderung lärmend kundgaben. Sämmtliche Angeklagte wurden freigesprochen, obgleich der aufrührerische Sinn der Hambacher Reden klar zu Tage lag; einige der Freigesprochenen mußten aber noch nachträglich dem Zuchtpolizeigericht wegen Beleidigung der Beamten Rede stehen und erlitten Gefängnißstrafen. Die Pfalz be- ruhigte sich scheinbar, der stille Groll gegen die Altbaiern blieb freilich unversöhnt. Auch im rechtsrheinischen Baiern und in Württemberg wurde durch zahlreiche Verhaftungen wiederhergestellt was man am Bundestage Ordnung nannte.
Nur im Großherzogthum Hessen fand die revolutionäre Bewegung noch ein verspätetes Nachspiel. Als der Landtag im Herbst 1832 neu gewählt wurde, zeigte das Land wenig Theilnahme, und da ein Theil der jüngeren Beamten nach süddeutschem Brauche die Opposition offen unter- stützte, so erlangten die Liberalen durch ihre Rührigkeit eine starke Mehrheit. Als ob sie fühlte, daß sie das Land nicht hinter sich hatte, stürmte die neue Kammer mit fieberischer Hast vorwärts. Zehn Monate blieb sie versammelt ohne ihre eigentliche Aufgabe, die Bewilligung des Budgets auch nur ernstlich anzugreifen. Dafür erging sie sich in donnernden Reden gegen die Sechs Artikel des Bundestages und heftigen Anklagen gegen die Regierung; sie sprach von einem neuen Wahlgesetze, von jährlichen Landtagen, von Beseitigung der Censur, von Einführung des Code Napoleon auf dem rechten Rheinufer -- und das Alles in einer Zeit, da die Liberalen
Proceß Wirth.
Mit dem Frankfurter Attentate ging die liberale Bewegung vorläufig zu Ende. Nur da und dort züngelten noch einzelne Flammen aus dem verlöſchenden Brande auf. Die Pfälzer ließen ſich’s nicht nehmen, den erſten Jahrestag ihres Hambacher Feſtes durch eine neue Volksverſammlung auf der Käſtenburg zu feiern. Das Feſt wurde verboten, Truppen rückten an, und die durch wiederholte Neckereien längſt erbitterten Soldaten ver- fuhren mit entſetzlicher Roheit, verwundeten und mißhandelten eine Menge harmloſer Leute. Die Aufregung im Volke ſteigerte ſich noch, als bald nachher, ſeit Ende Juli 1833, faſt drei Wochen lang Wirth, Siebenpfeiffer und ihre Hambacher Genoſſen vor den Landauer Geſchworenen ſtanden. Die meiſten der Angeklagten bekannten ſich unumwunden zu dem radicalen Grundſatze der allgemeinen Gleichheit. Wirth erklärte freimüthig, daß er die eine und untheilbare deutſche Republik erſtrebe, freilich ohne Blutvergießen, allein durch „die innere Aufrichtung des Volkes“. Dieſe republikaniſche Ver- faſſung ſei nichts anderes als das alte, allein rechtmäßige deutſche Kaiſer- thum; „der ganze Unterſchied beſteht nur darin, daß ich dem gemein- ſchaftlichen Reichsoberhaupt der Deutſchen den Titel: Präſident beigelegt wiſſen will, während ihn die deutſche Conſtitution Kaiſer nennt.“ Er ſprach jedoch mit ſolchem Feuer ehrlicher vaterländiſcher Begeiſterung und wußte die rührſamen Schlagworte aus Jean Paul, „dem erſten Dichter aller Völker und Jahrtauſende“, ſo geſchickt einzuflechten, daß Geſchworene, Vertheidiger, Zu- ſchauer dieſem „politiſchen Luther“ ihre Bewunderung lärmend kundgaben. Sämmtliche Angeklagte wurden freigeſprochen, obgleich der aufrühreriſche Sinn der Hambacher Reden klar zu Tage lag; einige der Freigeſprochenen mußten aber noch nachträglich dem Zuchtpolizeigericht wegen Beleidigung der Beamten Rede ſtehen und erlitten Gefängnißſtrafen. Die Pfalz be- ruhigte ſich ſcheinbar, der ſtille Groll gegen die Altbaiern blieb freilich unverſöhnt. Auch im rechtsrheiniſchen Baiern und in Württemberg wurde durch zahlreiche Verhaftungen wiederhergeſtellt was man am Bundestage Ordnung nannte.
Nur im Großherzogthum Heſſen fand die revolutionäre Bewegung noch ein verſpätetes Nachſpiel. Als der Landtag im Herbſt 1832 neu gewählt wurde, zeigte das Land wenig Theilnahme, und da ein Theil der jüngeren Beamten nach ſüddeutſchem Brauche die Oppoſition offen unter- ſtützte, ſo erlangten die Liberalen durch ihre Rührigkeit eine ſtarke Mehrheit. Als ob ſie fühlte, daß ſie das Land nicht hinter ſich hatte, ſtürmte die neue Kammer mit fieberiſcher Haſt vorwärts. Zehn Monate blieb ſie verſammelt ohne ihre eigentliche Aufgabe, die Bewilligung des Budgets auch nur ernſtlich anzugreifen. Dafür erging ſie ſich in donnernden Reden gegen die Sechs Artikel des Bundestages und heftigen Anklagen gegen die Regierung; ſie ſprach von einem neuen Wahlgeſetze, von jährlichen Landtagen, von Beſeitigung der Cenſur, von Einführung des Code Napoleon auf dem rechten Rheinufer — und das Alles in einer Zeit, da die Liberalen
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Proceß Wirth.
Mit dem Frankfurter Attentate ging die liberale Bewegung vorläufig
zu Ende. Nur da und dort züngelten noch einzelne Flammen aus dem
verlöſchenden Brande auf. Die Pfälzer ließen ſich’s nicht nehmen, den
erſten Jahrestag ihres Hambacher Feſtes durch eine neue Volksverſammlung
auf der Käſtenburg zu feiern. Das Feſt wurde verboten, Truppen rückten
an, und die durch wiederholte Neckereien längſt erbitterten Soldaten ver-
fuhren mit entſetzlicher Roheit, verwundeten und mißhandelten eine Menge
harmloſer Leute. Die Aufregung im Volke ſteigerte ſich noch, als bald
nachher, ſeit Ende Juli 1833, faſt drei Wochen lang Wirth, Siebenpfeiffer
und ihre Hambacher Genoſſen vor den Landauer Geſchworenen ſtanden.
Die meiſten der Angeklagten bekannten ſich unumwunden zu dem radicalen
Grundſatze der allgemeinen Gleichheit. Wirth erklärte freimüthig, daß er die
eine und untheilbare deutſche Republik erſtrebe, freilich ohne Blutvergießen,
allein durch „die innere Aufrichtung des Volkes“. Dieſe republikaniſche Ver-
faſſung ſei nichts anderes als das alte, allein rechtmäßige deutſche Kaiſer-
thum; „der ganze Unterſchied beſteht nur darin, daß ich dem gemein-
ſchaftlichen Reichsoberhaupt der Deutſchen den Titel: Präſident beigelegt
wiſſen will, während ihn die deutſche Conſtitution Kaiſer nennt.“ Er ſprach
jedoch mit ſolchem Feuer ehrlicher vaterländiſcher Begeiſterung und wußte die
rührſamen Schlagworte aus Jean Paul, „dem erſten Dichter aller Völker und
Jahrtauſende“, ſo geſchickt einzuflechten, daß Geſchworene, Vertheidiger, Zu-
ſchauer dieſem „politiſchen Luther“ ihre Bewunderung lärmend kundgaben.
Sämmtliche Angeklagte wurden freigeſprochen, obgleich der aufrühreriſche
Sinn der Hambacher Reden klar zu Tage lag; einige der Freigeſprochenen
mußten aber noch nachträglich dem Zuchtpolizeigericht wegen Beleidigung
der Beamten Rede ſtehen und erlitten Gefängnißſtrafen. Die Pfalz be-
ruhigte ſich ſcheinbar, der ſtille Groll gegen die Altbaiern blieb freilich
unverſöhnt. Auch im rechtsrheiniſchen Baiern und in Württemberg wurde
durch zahlreiche Verhaftungen wiederhergeſtellt was man am Bundestage
Ordnung nannte.
Nur im Großherzogthum Heſſen fand die revolutionäre Bewegung
noch ein verſpätetes Nachſpiel. Als der Landtag im Herbſt 1832 neu
gewählt wurde, zeigte das Land wenig Theilnahme, und da ein Theil der
jüngeren Beamten nach ſüddeutſchem Brauche die Oppoſition offen unter-
ſtützte, ſo erlangten die Liberalen durch ihre Rührigkeit eine ſtarke Mehrheit.
Als ob ſie fühlte, daß ſie das Land nicht hinter ſich hatte, ſtürmte die
neue Kammer mit fieberiſcher Haſt vorwärts. Zehn Monate blieb ſie
verſammelt ohne ihre eigentliche Aufgabe, die Bewilligung des Budgets
auch nur ernſtlich anzugreifen. Dafür erging ſie ſich in donnernden Reden
gegen die Sechs Artikel des Bundestages und heftigen Anklagen gegen
die Regierung; ſie ſprach von einem neuen Wahlgeſetze, von jährlichen
Landtagen, von Beſeitigung der Cenſur, von Einführung des Code Napoleon
auf dem rechten Rheinufer — und das Alles in einer Zeit, da die Liberalen
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/323>, abgerufen am 24.11.2024.
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