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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889.

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IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten.
ihm diesmal zum Unsegen. Keine der Mächte, welche den Bestand des
türkischen Staates ehrlich wünschten, beurtheilte die Lage richtig. Preußen
blieb nach seiner alten Gewohnheit den türkischen Händeln fern, so lange
sie nicht unmittelbar den Weltfrieden bedrohten. Palmerston verstand von
orientalischer Politik nicht das Mindeste und versäumte rathlos den rechten
Augenblick. Metternich aber zeigte sich wieder einmal unfähig, die Mächte
des Werdens in der Geschichte zu würdigen, und legte den Zollstock seiner
legitimistischen Doctrin auch an die Politik des Morgenlandes; wie er einst
in den Griechen nur Empörer gesehen hatte, so verdammte er jetzt un-
bedingt "die durchaus umstürzlerischen Absichten Mehemed Ali's" und er-
klärte "die reine Verdammung der Revolution" für den leitenden Gedanken
jeder "gesunden Politik". Niemals wollte er den Vermittler spielen zwischen
einem Rebellen und einem rechtmäßigen Souverän. Er athmete auf, als
auch der Czar seine Entrüstung über den ägyptischen Aufrührer kundgab,
und war nunmehr von Rußlands lauteren Absichten so fest überzeugt,
daß er jedes Bedenken fast wie eine persönliche Beleidigung betrachtete.
"Wenn unser Cabinet beruhigt ist," schrieb er tief gekränkt nach Paris,
"so haben andere Cabinette nicht das Recht Zweifel zu hegen." Die un-
klare Politik des Juli-Königthums mußte den Wiener Hof in seiner Ver-
blendung bestärken. Man wünschte in Paris die Erhaltung der Türkei,
aber man wollte auch den Aegypter nicht ganz preisgeben, da das Nilland
von Altersher zu Frankreichs natürlichem Machtgebiete gerechnet wurde,
und erging sich daher in ungeschickten Vermittlungsversuchen, welche dem
österreichischen Staatskanzler nur von Neuem zu beweisen schienen, daß
die Revolutionäre am Nil wie an der Seine allesammt an demselben
Strange zögen.

Der Petersburger Hof allein wußte was er wollte; er weigerte sich
an einer gemeinsamen Einmischung theilzunehmen und bot dem Sultan,
als die Gefahr aufs Höchste gestiegen war, seine Waffenhilfe an. Dankbar
ergriff Machmud die Hand des großmüthigen Beschützers. Ein russisches
Heer landete an der asiatischen Küste gegenüber der Hauptstadt, die Be-
lagerung von Antwerpen ward durch einen Meisterzug der Petersburger
Politik wett gemacht und in den Schatten gestellt. Unter freundlicher
Mitwirkung seines nordischen Gönners schloß nun der Sultan mit den
Aegyptern einen Frieden, der allen Herzenswünschen der russischen Politik
Genüge that. Mehemed Ali erhielt die erbliche Statthalterschaft über
Syrien; selbst das Thor Kleinasiens, Cilicien, und die für den Flottenbau
unentbehrlichen Gebirgswälder des Paschaliks von Adana wurden ihm ab-
getreten. Die Macht der Pforte erlitt also eine schwere Einbuße, aber
dafür zogen sich die Empörer aus dem eroberten Innern Kleinasiens zurück,
und statt des gefürchteten Aegypters herrschte der russische Gesandte im
Rathe der hohen Pforte; er sorgte dafür, daß alle Reformen, die dem
Staate vielleicht noch aufhelfen konnten, fortan unterblieben.

IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten.
ihm diesmal zum Unſegen. Keine der Mächte, welche den Beſtand des
türkiſchen Staates ehrlich wünſchten, beurtheilte die Lage richtig. Preußen
blieb nach ſeiner alten Gewohnheit den türkiſchen Händeln fern, ſo lange
ſie nicht unmittelbar den Weltfrieden bedrohten. Palmerſton verſtand von
orientaliſcher Politik nicht das Mindeſte und verſäumte rathlos den rechten
Augenblick. Metternich aber zeigte ſich wieder einmal unfähig, die Mächte
des Werdens in der Geſchichte zu würdigen, und legte den Zollſtock ſeiner
legitimiſtiſchen Doctrin auch an die Politik des Morgenlandes; wie er einſt
in den Griechen nur Empörer geſehen hatte, ſo verdammte er jetzt un-
bedingt „die durchaus umſtürzleriſchen Abſichten Mehemed Ali’s“ und er-
klärte „die reine Verdammung der Revolution“ für den leitenden Gedanken
jeder „geſunden Politik“. Niemals wollte er den Vermittler ſpielen zwiſchen
einem Rebellen und einem rechtmäßigen Souverän. Er athmete auf, als
auch der Czar ſeine Entrüſtung über den ägyptiſchen Aufrührer kundgab,
und war nunmehr von Rußlands lauteren Abſichten ſo feſt überzeugt,
daß er jedes Bedenken faſt wie eine perſönliche Beleidigung betrachtete.
„Wenn unſer Cabinet beruhigt iſt,“ ſchrieb er tief gekränkt nach Paris,
„ſo haben andere Cabinette nicht das Recht Zweifel zu hegen.“ Die un-
klare Politik des Juli-Königthums mußte den Wiener Hof in ſeiner Ver-
blendung beſtärken. Man wünſchte in Paris die Erhaltung der Türkei,
aber man wollte auch den Aegypter nicht ganz preisgeben, da das Nilland
von Altersher zu Frankreichs natürlichem Machtgebiete gerechnet wurde,
und erging ſich daher in ungeſchickten Vermittlungsverſuchen, welche dem
öſterreichiſchen Staatskanzler nur von Neuem zu beweiſen ſchienen, daß
die Revolutionäre am Nil wie an der Seine alleſammt an demſelben
Strange zögen.

Der Petersburger Hof allein wußte was er wollte; er weigerte ſich
an einer gemeinſamen Einmiſchung theilzunehmen und bot dem Sultan,
als die Gefahr aufs Höchſte geſtiegen war, ſeine Waffenhilfe an. Dankbar
ergriff Machmud die Hand des großmüthigen Beſchützers. Ein ruſſiſches
Heer landete an der aſiatiſchen Küſte gegenüber der Hauptſtadt, die Be-
lagerung von Antwerpen ward durch einen Meiſterzug der Petersburger
Politik wett gemacht und in den Schatten geſtellt. Unter freundlicher
Mitwirkung ſeines nordiſchen Gönners ſchloß nun der Sultan mit den
Aegyptern einen Frieden, der allen Herzenswünſchen der ruſſiſchen Politik
Genüge that. Mehemed Ali erhielt die erbliche Statthalterſchaft über
Syrien; ſelbſt das Thor Kleinaſiens, Cilicien, und die für den Flottenbau
unentbehrlichen Gebirgswälder des Paſchaliks von Adana wurden ihm ab-
getreten. Die Macht der Pforte erlitt alſo eine ſchwere Einbuße, aber
dafür zogen ſich die Empörer aus dem eroberten Innern Kleinaſiens zurück,
und ſtatt des gefürchteten Aegypters herrſchte der ruſſiſche Geſandte im
Rathe der hohen Pforte; er ſorgte dafür, daß alle Reformen, die dem
Staate vielleicht noch aufhelfen konnten, fortan unterblieben.

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[326/0340] IV. 5. Wiederbefeſtigung der alten Gewalten. ihm diesmal zum Unſegen. Keine der Mächte, welche den Beſtand des türkiſchen Staates ehrlich wünſchten, beurtheilte die Lage richtig. Preußen blieb nach ſeiner alten Gewohnheit den türkiſchen Händeln fern, ſo lange ſie nicht unmittelbar den Weltfrieden bedrohten. Palmerſton verſtand von orientaliſcher Politik nicht das Mindeſte und verſäumte rathlos den rechten Augenblick. Metternich aber zeigte ſich wieder einmal unfähig, die Mächte des Werdens in der Geſchichte zu würdigen, und legte den Zollſtock ſeiner legitimiſtiſchen Doctrin auch an die Politik des Morgenlandes; wie er einſt in den Griechen nur Empörer geſehen hatte, ſo verdammte er jetzt un- bedingt „die durchaus umſtürzleriſchen Abſichten Mehemed Ali’s“ und er- klärte „die reine Verdammung der Revolution“ für den leitenden Gedanken jeder „geſunden Politik“. Niemals wollte er den Vermittler ſpielen zwiſchen einem Rebellen und einem rechtmäßigen Souverän. Er athmete auf, als auch der Czar ſeine Entrüſtung über den ägyptiſchen Aufrührer kundgab, und war nunmehr von Rußlands lauteren Abſichten ſo feſt überzeugt, daß er jedes Bedenken faſt wie eine perſönliche Beleidigung betrachtete. „Wenn unſer Cabinet beruhigt iſt,“ ſchrieb er tief gekränkt nach Paris, „ſo haben andere Cabinette nicht das Recht Zweifel zu hegen.“ Die un- klare Politik des Juli-Königthums mußte den Wiener Hof in ſeiner Ver- blendung beſtärken. Man wünſchte in Paris die Erhaltung der Türkei, aber man wollte auch den Aegypter nicht ganz preisgeben, da das Nilland von Altersher zu Frankreichs natürlichem Machtgebiete gerechnet wurde, und erging ſich daher in ungeſchickten Vermittlungsverſuchen, welche dem öſterreichiſchen Staatskanzler nur von Neuem zu beweiſen ſchienen, daß die Revolutionäre am Nil wie an der Seine alleſammt an demſelben Strange zögen. Der Petersburger Hof allein wußte was er wollte; er weigerte ſich an einer gemeinſamen Einmiſchung theilzunehmen und bot dem Sultan, als die Gefahr aufs Höchſte geſtiegen war, ſeine Waffenhilfe an. Dankbar ergriff Machmud die Hand des großmüthigen Beſchützers. Ein ruſſiſches Heer landete an der aſiatiſchen Küſte gegenüber der Hauptſtadt, die Be- lagerung von Antwerpen ward durch einen Meiſterzug der Petersburger Politik wett gemacht und in den Schatten geſtellt. Unter freundlicher Mitwirkung ſeines nordiſchen Gönners ſchloß nun der Sultan mit den Aegyptern einen Frieden, der allen Herzenswünſchen der ruſſiſchen Politik Genüge that. Mehemed Ali erhielt die erbliche Statthalterſchaft über Syrien; ſelbſt das Thor Kleinaſiens, Cilicien, und die für den Flottenbau unentbehrlichen Gebirgswälder des Paſchaliks von Adana wurden ihm ab- getreten. Die Macht der Pforte erlitt alſo eine ſchwere Einbuße, aber dafür zogen ſich die Empörer aus dem eroberten Innern Kleinaſiens zurück, und ſtatt des gefürchteten Aegypters herrſchte der ruſſiſche Geſandte im Rathe der hohen Pforte; er ſorgte dafür, daß alle Reformen, die dem Staate vielleicht noch aufhelfen konnten, fortan unterblieben.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert. Bd. 4: Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. Leipzig, 1889, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte04_1889/340>, abgerufen am 24.11.2024.